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Führungsmotivation: To boss or not to boss

Mehr Geld, mehr Verantwortung, mehr Stress – Karriere zu machen, hat Vor- und Nachteile. Was treibt dazu an, Chef oder Chefin werden zu wollen? Und warum reizt das andere gar nicht?
Eine Frau steht mit Mikrofon und siegesgewissem Blick vor einem Publikum
Eine Facette von Führungsmotivation ist die Freude am Führen.

Im Jahr 1936 räumte Edward VIII., König des Vereinigten Königreichs, mit Anfang 40 völlig unerwartet den Thron für seinen jüngeren Bruder Albert. Für dessen Tochter Elisabeth änderte sich damit von einem Tag auf den anderen alles: Falls ihr Vater, der neue Monarch, nicht noch einen Sohn in die Welt setzen würde, würde sie ihm eines Tages nachfolgen. Als die Zwölfjährige das erfuhr, habe sie damit begonnen, mit Inbrunst um einen Bruder zu beten, schreibt der Historiker Robert Lacey in seinem Buch »Monarch: The Life and Reign of Elizabeth II«.

Die spätere Queen tat sich schwer damit, die ihr zugedachte Rolle als Staatsoberhaupt des Vereinigten Königreichs anzunehmen. »Es geht darum zu akzeptieren, dass das dein Schicksal ist«, gestand sie 1992 in einer BBC-Dokumentation anlässlich ihres 40. Thronjubiläums. Aus freien Stücken hätte sie ihren royalen Karrieresprung vermutlich nicht vollzogen. Dass sie es dennoch tat, war wohl zu einem Großteil ihrem Pflichtbewusstsein geschuldet: Als ihr Vater 1952 starb, war sie an der Reihe, ob sie es nun wollte oder nicht.

Die drei Führungsmotive

Weshalb lassen sich Menschen in den Vorstand des Schützenvereins wählen? Was bewegt sie dazu, eine Abteilung zu leiten, ein Unternehmen zu lenken oder gar ein ganzes Königreich? Diese Frage stellten sich vor einem Vierteljahrhundert auch die Organisationspsychologen Kim-Yin Chan und Fritz Drasgow. Die beiden Wissenschaftler entwickelten kurz nach der Jahrtausendwende ein Konstrukt, das sie Motivation to Lead (MTL) nannten. Ob wir dazu bereit sind, Chef zu werden oder nicht, hängt demnach im Wesentlichen von drei Faktoren ab: wie sehr es uns Spaß macht, andere Menschen anzuleiten und eine Aufgabe voranzubringen. Wie wichtig uns der Nutzen ist, also die Vorteile der Führungsposition (wie mehr Gehalt), verglichen mit ihren Nachteilen (beispielsweise weniger Freizeit). Und wie sehr wir uns dazu verpflichtet fühlen, diese Aufgabe zu übernehmen, wenn sie an uns herangetragen wird.

»Menschen mit einem starken normativen Führungsmotiv übernehmen Leitungsaufgaben, weil sie das Gefühl haben, dass es von ihnen erwartet wird«Jörg Felfe, Psychologe

In der Wissenschaft spricht man auch von affektiver, kalkulativer und sozial-normativer Führungsmotivation. Queen Elizabeth II. hätte wohl vor allem auf der sozial-normativen Skala gepunktet, schenkt man ihren seltenen öffentlichen Äußerungen zu diesem Thema Glauben. »Menschen mit einem starken normativen Führungsmotiv übernehmen Leitungsaufgaben, weil sie das Gefühl haben, dass es von ihnen erwartet wird«, erklärt Jörg Felfe, Professor für Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie an der Universität der Bundeswehr in Hamburg. »Ein typisches Beispiel: In Ihrem Fußballverein wird jemand für die Jugendarbeit gesucht. Keiner meldet sich. Irgendwann richten sich die Augen auf Sie, und ja, Herrgott noch einmal, dann machen Sie es halt, einer muss es ja tun.«

Für Frauen und Männer mit einer hohen affektiven MTL ist Führung dagegen eine Herzensangelegenheit. Sie möchten gestalten, sie haben Ziele, die sie erreichen wollen, etwa mehr Mädchen für den Fußballsport zu gewinnen. Ihnen ist die Sache wichtig, und es macht ihnen Spaß, dafür auch ihr Team zu begeistern. Sie sind in der Regel sehr stark intrinsisch motiviert – im Gegensatz zu jenen Chefs, die vor allem deshalb führen, weil es ihnen selbst Vorteile bringt: ein größeres Büro, einen schicken Dienstwagen, mehr Geld, mehr Anerkennung.

Die drei Motivationskomponenten (in der Wissenschaft spricht man von Dimensionen) schließen sich nicht gegenseitig aus. Dass jemand gerne mit anderen für die Sache kämpft, bedeutet nicht, dass ihm die materiellen Vorteile der Chefposition oder der Prestigegewinn total egal sind. Es gibt also meist ein ganzes Bündel von Gründen, die Menschen dazu bewegen, Leitungsfunktionen zu übernehmen. Was sich aber durchaus unterscheidet, ist das Mischungsverhältnis – also ob beispielsweise Gestaltungsdrang, Machtwille oder Pflichtbewusstsein überwiegt. Grundsätzlich gilt allerdings: Wer einen hohen MTL-Score hat, wird im Schnitt häufiger Karriere machen, weitgehend unabhängig davon, welcher Aspekt der Führungsmotivation besonders ausgeprägt ist. »Alle drei Dimensionen erhöhen die Wahrscheinlichkeit, später einmal in einer Leitungsposition zu landen«, erklärt Sabine Bergner, Psychologieprofessorin an der Universität Graz.

Wer Spaß daran hat, andere anzuleiten und dadurch Dinge voranzubringen, schafft es eher an die Spitze

Menschen gelangen in der Regel nicht einfach deshalb in die Chefetage, weil sie es können, also weil eine passende Stelle frei ist und sie die nötigen Fähigkeiten mitbringen. Ein dritter, ganz grundlegender Punkt ist das Wollen: Führungskraft wird nur, wer das auch möchte, und sei es bloß aus einem Gefühl der Verantwortung heraus. Eine 2019 erschienene Metaanalyse von mehr als 100 Studien bestätigt das. Die größte Vorhersagekraft für eine spätere Führungsposition scheint demnach allerdings die affektive Dimension der Führungsmotivation zu haben: Wer Spaß daran hat, andere anzuleiten und dadurch Dinge voranzubringen, schafft es eher an die Spitze.

Die kanadische Wirtschaftswissenschaftlerin Ying Hong hat zu diesem Einfluss vor einiger Zeit eine aufschlussreiche Untersuchung durchgeführt. Zusammen mit ihrem Kollegen Viktor Catano und der US-Ökonomin Hui Liao bat sie mehr als 300 Studierende, einen Fragebogen auszufüllen. Dieser enthielt insgesamt 27 Aussagen zur affektiven MTL (zum Beispiel: »Normalerweise möchte ich die Gruppen leiten, in denen ich arbeite«), zur kalkulativen MTL (»Ich bin nur dann bereit, eine Gruppe zu führen, wenn ich weiß, dass ich von dieser Rolle profitieren werde«) und zur normativen MTL (»Es ist nicht richtig, eine Führungsrolle abzulehnen«). Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollten angeben, wie sehr jeder dieser Punkte auf sie zutraf.

Im Anschluss wurden die Versuchspersonen zu Kleingruppen zusammengelost. Darin sollten sie gemeinsam entscheiden, welche Gegenstände sie im Falle einer Bruchlandung auf dem Mond mitnehmen würden, um den Weg zurück zum Mutterschiff zu überleben. Danach bewerteten sie, welche der anderen Teilnehmenden sich in der Diskussion als Anführerin oder Anführer herauskristallisiert hatten. Auffällig oft nannten sie dabei Studentinnen und Studenten mit einem hohen affektiven MTL-Score. Das leuchtet ein: Wer gerne führt, der übernimmt in solchen lockeren Settings ohne vorgegebene Hierarchie eher die Initiative.

Doch gilt das ebenso für Aufgaben, die ein längerfristiges Engagement erfordern? Um diese Frage zu beantworten, führten die Forschenden eine zweite Studie durch. Darin untersuchten sie Studierende, die ein Semester lang zusammen mit Kommilitoninnen und Kommilitonen an einem Teamprojekt arbeiteten. Die Gruppen bestanden aus drei bis sechs Personen. In der Regel übernahm auch in diesem Kontext ein Mitglied mit der Zeit die informelle Führung. Diesmal waren das nicht nur Teilnehmende mit einer hohen affektiven Führungsmotivation – auch ein hoher normativer MTL-Score schlug durch.

Die typische Führungspersönlichkeit

Doch woher rührt dieser Drang zu führen? Und warum fühlen sich andere in der zweiten oder dritten Reihe wohler? Eine wichtige Rolle spielt dabei die Persönlichkeit: »Führung bedeutet, dass man mit anderen kommuniziert, sie motiviert und sich bei Bedarf gegen andere Meinungen durchsetzen kann«, betont der Hamburger Organisationspsychologe Jörg Felfe. »Wer eher schüchtern ist und vielleicht sogar Angst vor anderen Menschen hat, wird sich damit schwerer tun. Die Forschung zeigt dementsprechend, dass erfolgreiche Führungskräfte eher extravertiert sind.« Das trifft insbesondere auf solche mit einer hohen affektiven Motivation zu, wie schon die Organisationspsychologen Kim-Yin Chan und Fritz Drasgow erkannten. Sie sind zudem im Schnitt offener für neue Erfahrungen, haben ein stabiles Nervenkostüm und schätzen den Wettbewerb sowie die Herausforderung, ein hochgestecktes Ziel erreichen zu müssen. Wer dagegen vor allem aus Pflichtbewusstsein führt, ist auch in anderen Belangen meist überdurchschnittlich gewissenhaft.

Ob Frauen oder Männer einmal eine Abteilung leiten werden oder nicht, zeigt sich häufig bereits in jungen Jahren. Eine wichtige Rolle spielen dabei die Interessen. Das zeigt etwa eine Studie, die die Grazer Wissenschaftlerin Sabine Bergner vor einigen Jahren zusammen mit Kolleginnen und Kollegen durchgeführt hat. »Spätere Führungskräfte haben oft schon in ihrer Jugend eine ausgeprägte unternehmerische Orientierung«, sagt Bergner. Sie organisieren und planen gerne, ergreifen die Initiative und treiben Dinge voran, die ihnen wichtig sind – als Klassensprecherin, als Fundraiser für die Abifeier, als Trainerin des Fußballnachwuchses.

»Spätere Führungskräfte haben oft schon in ihrer Jugend eine ausgeprägte unternehmerische Orientierung«Sabine Bergner, Psychologin

Damit sammeln sie frühzeitig Erfahrungen. »Führungserfahrung wiederum wirkt wie ein Booster für die affektive Motivation, später im Beruf Leitungsfunktionen zu übernehmen«, betont Bergner. Das gilt vor allem dann, wenn die Jugendlichen das Gefühl haben, ihre Sache gut gemacht zu haben. »Wenn sie merken, dass sie nicht abgelehnt werden, dass man auf sie hört und sie mit ihren Ideen Erfolg haben, dann bekommen sie Lust, das wieder zu machen«, erklärt Jörg Felfe. In der Psychologie spricht man in diesem Zusammenhang von der Selbstwirksamkeit als Führungskraft. Sie ist kein objektiver Messwert, sondern bezeichnet das subjektive Empfinden, eine gute Chefin oder ein guter Chef zu sein. Wer so von sich denkt, strebt verständlicherweise eher eine entsprechende Karriere an.

Eine zentrale Rolle spielt in diesem Zusammenhang, wie sehr man sich selbst als Führungskraft sieht. Die meisten Menschen haben ein Bild davon, was Frauen und Männer in dieser Position typischerweise mitbringen sollten: Durchsetzungskraft zum Beispiel, Charisma, Intelligenz, Leistungsorientierung. Wer diese Eigenschaften selbst zu haben glaubt, ist in aller Regel davon überzeugt, gut führen zu können. »Das ist auch der Grund dafür, dass Vorbilder für die Entwicklung einer Führungsmotivation ausgesprochen wichtig sind«, betont Sabine Bergner. »Wenn ich sehe: Da ist eine andere Person, die mir eigentlich ganz ähnlich ist, und die übernimmt erfolgreich verantwortungsvolle Führungsaufgaben, dann traue ich mir das auch selbst eher zu.«

Fehlende weibliche Vorbilder könnten ebenfalls ein Grund dafür sein, dass Frauen im Schnitt seltener nach Führungspositionen streben. Gerade die wichtige affektive Motivation ist bei ihnen oft geringer ausgeprägt als bei Männern. Felfes ehemalige Mitarbeiterin Gwen Elprana hat dazu 2015 zusammen mit Kolleginnen und Kollegen eine Reihe von Studien durchgeführt. Insgesamt nahmen daran mehr als 1200 Studentinnen und Studenten teil. Die Daten bestätigten einerseits, dass die Lust zu führen bei den männlichen Teilnehmern deutlich ausgeprägter war. Dieser Geschlechterunterschied verschwand aber zum großen Teil, wenn die Forschenden lediglich diejenigen Studentinnen betrachteten, deren Mütter eine Managementposition innehatten. Das mütterliche Rollenmodell könnte also auf die Töchter abfärben.

Wo die neue Unlust am Aufstieg herrührt

Unabhängig vom Geschlecht hat in den vergangenen Jahren die Bereitschaft der Deutschen insgesamt abgenommen, eine berufliche Leitungsaufgabe zu übernehmen. In diese Richtung deutet eine Erhebung der »Initiative Chef:innensache«, eines Netzwerks von Führungskräften aus Wirtschaft, Wissenschaft, öffentlichem Sektor und Medien. Demnach strebt momentan nur noch gut ein Viertel der Befragten eine Führungsposition an. Im Jahr 2018 waren es noch mehr als 40 Prozent. Unklar ist jedoch, wie repräsentativ diese Zahlen sind – die Initiative macht dazu keine Angaben. Wissenschaftliche Untersuchungen zu diesem Thema gibt es in Deutschland nicht.

Allerdings scheint die Unlust, Karriere zu machen, nicht nur hier zu Lande verbreitet zu sein. So gab schon in einer Erhebung der Harvard Business School aus dem Jahr 2014 lediglich ein Drittel von mehr als 3500 Beschäftigten an, künftig Führungsverantwortung übernehmen zu wollen. Zwei Psychologinnen der Universität Istanbul haben diese Zahlen vor einigen Jahren zum Anlass genommen, nach den Ursachen für fehlende Führungsmotivation zu fahnden. In ihren Umfragen stießen sie auf drei regelmäßig geäußerte Gründe: die Sorge, in der Chefrolle zu versagen; die Befürchtung, eine Aufgabe im Management könne zu Lasten der Work-Life-Balance gehen; sowie die Angst, sich oder anderen zu schaden – etwa durch die Arbeit emotional zu verhärten, Mitarbeitende schlecht zu behandeln oder Stress bei der Arbeit in die eigene Beziehung zu tragen.

Themenwoche »Führung«

Wer will eigentlich Chef oder Chefin werden? Warum haben manche Menschen Angst davor, Karriere zu machen? Und weshalb geben andere ihren Posten wieder auf? Diese und weitere Fragen beantwortet die Themenwoche »Führung« anhand von aktueller Forschung. Dazu erklären Fachleute, wie man erfolgreich führt – und warum das vermeintlich gesicherte Wissen über Führungsstile auch nur eine Illusion sein könnte.

  1. Führungsmotivation: To boss or not to boss
  2. Führungskompetenz: »Was gut ist für die Beziehung, ist auch gut für die Leistung«
  3. Selbstsabotage: Aus Angst vor dem Erfolg
  4. Führungsstile: »Die klassische Forschung erzeugt Illusionen«
  5. Downshifting: Weniger Arbeit, mehr vom Leben

Doch sind Menschen mit einer hohen Führungsmotivation auch gute Chefs? Nicht unbedingt. »Gerade narzisstische Personen streben oft sehr stark nach der Macht und Anerkennung, die mit beruflichem Aufstieg verbunden ist«, erklärt Sabine Bergner von der Universität Graz. In der Wissenschaft wird zwischen verletzlichen und grandiosen Narzissten unterschieden. Erstere sind sehr empfindlich gegenüber Kritik; sie vermeiden es daher, Führungsverantwortung zu übernehmen. Ganz anders die grandiosen Narzissten: Sie halten sich für besonders fähig, suchen die große Bühne, auf der sie scheinen können, und lieben es, andere zu dominieren. »Wer sich für eine Führungsrolle interessiert, ist also nicht zwangsläufig dafür geeignet«, sagt die Grazer Psychologin.

Donald Trump wäre wohl ein Paradebeispiel für die Schattenseiten narzisstischer Führungsambitionen. Der Queen dagegen dürften diese Persönlichkeitszüge weitgehend fremd gewesen sein.

  • Quellen

Badura, K. L. et al.: Motivation to lead: A meta-analysis and distal-proximal model of motivation and leadership. Journal of Applied Psychology 105, 2020

Bergner, S. et al.: Taking an interest in taking the lead: The influence of vocational interests, leadership experience and success on the motivation to lead. Applied Psychology 68, 2019

Chan, K.-Y., Drasgow, F.: Toward a theory of individual differences and leadership: Understanding the motivation to lead. Journal of Applied Psychology 86, 2001

Elprana, G. et al.: Exploring the sex difference in affective motivation to lead: Furthering the understanding of women’s underrepresentation in leadership positions. Journal of Personnel Psychology 14, 2015

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