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Gesundheit: Fünf Fragen zum Placeboeffekt

Der Placeboeffekt gilt vor allem als Störfaktor: Er erschwert es, die Wirkung von Medikamenten zu beurteilen. Doch die Forschung zeigt, dass der Effekt sich gezielt nutzen lässt.
Ob diese bunten Pillen wirken, ist unklar.

Manch Mittel nimmt Kranken Schmerzen, obwohl es wissenschaftlich nachgewiesen keine Wirkung hat. In anderen Fällen sorgen Zuckerpillen für harsche Nebenwirkungen – dabei enthalten aus sie keinen wirksamen Stoff. Grund dafür ist der Placeboeffekt.

Wie kann es sein, dass Placebos tatsächlich helfen? Lassen Placebos sich medizinisch also nutzen? Und was ist eigentlich der Noceboeffekt? Fünf Fragen zu einem Phänomen, das die Wissenschaft schon seit dem 18. Jahrhundert umtreibt.

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Ist die Wirkung von Placebos reine Einbildung?

Nicht ausschließlich. Zwar wirken Placebos häufig besonders stark bei Symptomen, die eine subjektive Komponente haben, zum Beispiel bei Schmerzen oder bei depressiven Verstimmungen. Scheinmedikamente beeinflussen aber auch eine Vielzahl objektiv messbarer Parameter, angefangen vom Blutdruck bis hin zu Reaktionen des Immunsystems. »Es wäre sicher falsch, den Placeboeffekt lediglich als eine Art von Selbstbetrug zu sehen«, sagt Lieven Schenk von der Forschungsgruppe Soziale Neurowissenschaften der Max-Planck-Gesellschaft.

Ein interessantes Beispiel – wenn auch von einer kleinen Probandengruppe – stammt von der Wissenschaftlerin Marion Goebel. Sie hatte Patienten mit einer Hausstaubmilben-Allergie fünf Tage lang mit einem Medikament behandelt. Zusätzlich tranken die Probanden einen charakteristisch schmeckenden Saft, der aber keine Wirkstoffe enthielt. Ihre Symptome besserten sich darauf deutlich. Zudem normalisierten sich bestimmte Immunantworten, die der Körper bei einer allergischen Reaktion hochfährt. Als ein Teil der Probanden einige Tage später den Saft zusammen mit einer Placebopille erhielt, registrierten die Wissenschaftler denselben hemmenden Effekt auf das Immunsystem. Die Pille wirkte übrigens auch ohne den Saft, allerdings fiel ihr Effekt dann schwächer aus.

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Was sorgt für die Wirkung?

Die Wirkung von Placebos lässt sich vor allem durch zwei Mechanismen erklären: Erwartung und Lernen. Komplett trennen lassen sich beide Faktoren allerdings nicht; so basieren Erwartungen häufig auf erlernten Erfahrungen.

Erwartungen lassen sich durch Informationen gezielt erzeugen – etwa wenn der Arzt über die heilende Wirkung eines Medikaments oder einer Therapie aufklärt. Doch auch weniger explizite Faktoren haben einen Einfluss, zum Beispiel sein weißer Kittel oder das Behandlungszimmer mit den vielen medizinischen Fachbüchern.

Welchen enormen Effekt Erwartungen haben können, zeigt etwa eine Studie der Essener Schmerzforscherin Ulrike Bingel. Sie befestigte eine kleine Elektrode an der Wade von Versuchspersonen, über die sie einen schmerzhaften Hitzereiz erzeugte. Zugleich erhielten die Teilnehmer eine Infusion mit einem hochwirksamen Schmerzmittel, dem Opioid Remifentanil. Sie sollten derweil angeben, als wie schmerzhaft sie die Hitze empfanden. Nach zehn Minuten wurden sie informiert, dass die Opioid-Gabe nun gestoppt werde. Als Folge sei eine Schmerzzunahme zu erwarten. Obwohl sie in Wahrheit das Medikament weiter bekamen, gaben die Probanden ähnlich starke Schmerzen zu Protokoll wie ohne Remifentanil. Dieser subjektive Effekt ging mit signifikanten Änderungen ihrer Hirnaktivität einher: Die Regionen, die für die Verarbeitung von Schmerzen zuständig sind, waren bei ihnen nun deutlich aktiver.

Bei dem eingangs geschilderten Experiment mit der Hausstaubmilben-Allergie wurden dagegen keine Erwartungen modifiziert, sondern es handelt um eine Konditionierung. Dabei lernt der Körper, einen Reiz mit einer Reaktion zu verknüpfen. In diesem Fall den Geschmack des Safts mit der Wirkung des Medikaments. Konditionierungen haben auch ohne Erwartungen Erfolg. Der italienische Wissenschaftler Fabrizio Benedetti hat in einer Reihe von Studien den Effekt von Konditionierung bei der Schmerzbehandlung untersucht. Wenn Menschen eine Zeit lang mit Opioiden behandelt wurden und danach ein Placebo bekommen, schüttet ihr Körper demnach eigene Opioide aus. Placebos scheinen also unsere innere Apotheke nutzen zu können.

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Bei welchen Krankheiten kann man den Placeboeffekt nutzen?

Bei der Behandlung von Schmerzen, von Depressionen oder sogar der Parkinsonerkrankung spielt der Placeboeffekt eine wichtige Rolle. Bei einer Krebstherapie solle man dagegen nicht auf Placebos vertrauen, sagt der Schmerzforscher Lieven Schenk. Ärzte könnten sich den Effekt sinnvoll zu Nutze machen, indem sie stärker über die erwarteten positiven Folgen einer Tablette oder Therapie aufklären, sagt Schenk. Außerdem empfiehlt er, »dass sich Ärzte mehr mit dem Patienten auseinandersetzen, damit er den Eindruck hat, dass er ernst genommen, verstanden und gezielt behandelt wird.«

Andere halten den Einsatz von Scheinmedikamenten in manchen Fällen durchaus für vertretbar. Schmerzpatienten, die Opioide erhalten, könnten beispielsweise zwischendurch ein Placebo bekommen, um die Gefahr einer Abhängigkeit zu verringern, sagt etwa der Psychologe Winfried Rief. Auf eine ähnliche Weise ließe sich die Kortisongabe bei Hauterkrankungen verringern.

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Was ist der Noceboeffekt, und wie lässt er sich abmildern?

Dieser Effekt ist gewissermaßen der ungeliebte Bruder des Placeboeffekts. Es handelt sich um die Beobachtung, dass negative Erwartungen den Erfolg von Therapien schmälern oder sogar ernsthafte Nebenwirkungen hervorrufen können. Eine besonders beeindruckende Demonstration jenes Phänomens gelang in den 1960er Jahren japanischen Wissenschaftlern. Sie untersuchten damals allergische Reaktionen auf Kontakt mit dem so genannten Lackbaum. Aus dem harzigen Rindensekret der Pflanze lässt sich ein Lack machen, mit dem man Schalen, Essstäbchen oder Möbeln lackieren kann.

Der frische Pflanzensaft ist jedoch hochgiftig und ruft bei Berührungen Ausschläge und Blasen hervor. Manche Menschen entwickeln diese Symptome, sobald sie sich einem Lackbaum nur nähern. Lange vermutete man als Grund kleinste Giftmengen in der Luft. Die Experimente der Mediziner Yujiro Ikemi und Shunji Nakagawa aber legen nahe: Es könnte sich um einen Noceboeffekt handeln. Sie hatten Jugendliche in ihr Labor gebeten, die zuvor eine schwere Hautentzündung nach Kontakt mit dem Harz durchgemacht hatten. Sie verbanden ihnen die Augen, legten ihnen Blätter eines (völlig ungiftigen) Walnussbaums auf den Arm und teilten mit, die Pflanzenteile stammten von einem Lackbaum. Fast alle Teilnehmer entwickelten daraufhin Hautrötungen, Schwellungen und Pusteln oder nässende Blasen, die zum Teil über Tage andauerten. Wiederholt wurden diese Befunde bislang nicht.

Medizinisch ist der Noceboeffekt von großer Bedeutung. Zum einen, weil er den Erfolg einer Behandlung drastisch schmälern kann. So verlieren Schmerzmittel einen Teil ihrer Wirkung, wenn Patienten sie nicht für effektiv halten. Zum anderen: Viele Nebenwirkungen, die Kranke erleben, sind Studien zufolge nicht auf Bestandteile der Arznei zurückzuführen – manche Forscher schätzen den Anteil auf 70 bis 80 Prozent. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass die Begleiterscheinungen durch negative Erwartungen der Patienten ausgelöst wurden. Oft schreiben diese ihre Übelkeit, ihren morgendlichen Schwindel oder ihre Schlafstörungen einfach fälschlicherweise dem eingenommenen Präparat zu, obwohl die Beschwerden andere Ursachen haben. Doch Menschen leiden öfter unter Nebenwirkungen, wenn sie mit ihnen rechnen.

Winfried Rief kritisiert daher die aus seiner Sicht inflationäre Auflistung potenzieller Beschwerden auf Beipackzetteln, von denen viele wissenschaftlich nicht belegt seien: »Durch solche Negativinformationen prägen wir die Erwartungen der Patienten, mit möglicherweise bösen Konsequenzen.« Die Aufklärung darüber, dass das Medikament dem Kranken normalerweise helfe, komme dabei viel zu kurz.

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Wie lässt sich die Wirkung von Therapien mit dem Placeboeffekt optimieren?

Entscheidend ist es, die Erwartungshaltung der Patienten in eine Bahn zu lenken, die den Therapieerfolg verbessert. Mediziner sollten also immer darüber aufklären, welche Erfolge sie sich erwarten. Dazu gehört, nach unbegründeten Befürchtungen oder negativen Vorerfahrungen zu fragen und diese gegebenenfalls zu korrigieren. Menschen mit einer Depression müssen zum Beispiel oft verschiedene Medikamente probieren, bis sie eines finden, das ihnen wirklich hilft. Der Arzt sollte in einem solchen Fall stets darauf hinweisen, inwiefern sich der Mechanismus des neuen Wirkstoffs von dem der vorher gegebenen Arznei unterscheidet. So kann er verhindern, dass der Misserfolg beim letzten Medikament sich direkt auf das neue überträgt.

Eine weitere Möglichkeit ist es, während einer Behandlung mit einem Schmerzmittel, Antiallergikum oder Parkinsonmedikament hin und wieder ein Scheinmedikament zu verabreichen, um die Wirkstoffdosis und damit potenzielle Nebenwirkungen zu reduzieren. »In vielen Schmerzkliniken ist das heute schon gängige Praxis«, sagt Winfried Rief.

Bei solchen Ansätzen stellt sich immer die Frage nach der ethischen Vertretbarkeit: Dürfen Ärzte Patienten eine aus pharmakologischer Sicht unwirksame Substanz verabreichen, ohne sie zuvor zu informieren? Interessanterweise zeigen manche Studien, dass es vielleicht gar nicht nötig ist, die Placebogabe zu verschleiern: Placebos entfalten oft auch dann eine Wirkung, wenn die Patienten darüber informiert werden, dass sie gerade nur ein Scheinmedikament bekommen. Denn wer um den Placeboeffekt weiß und ihn erwartet, bei dem wird er mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit tatsächlich auftreten.

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