Gesund im Alter: Die wichtigsten Faktoren für ein langes Leben
Wie wäre es, 100 Jahre alt zu werden? Klingt gut, aber unwahrscheinlich? So unwahrscheinlich ist das gar nicht – zumindest für jene, die heute noch jung sind. Laut einer Berechnung des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung in Rostock wird von allen Kindern, die 2019 geboren wurden, mehr als jedes dritte Mädchen und rund jeder zehnte Junge seinen 100. Geburtstag feiern. Die durchschnittliche Lebenserwartung in Deutschland lag den Daten des Statistischen Bundesamts zufolge im November 2019 für neugeborene Mädchen bei 83,3 Jahren und für Jungen bei 78,5 Jahren.
Alt werden ist also gar nicht mehr so schwer. Der Medizin sei Dank: Die allermeisten Krankheiten lassen sich mittlerweile behandeln oder zumindest wirkungsvoll kontrollieren. Noch besser wäre es allerdings, gar nicht erst krank zu werden.
Gesund alt zu werden, ist nicht die Regel, sondern eher die Ausnahme. Das liege auch daran, dass man sich heute mehr darauf konzentriere, Krankheiten zu behandeln, anstatt sie zu verhindern, sagt der Mediziner Dieter Müller: »Das Gesundheitssystem ist so ausgelegt, dass es erst bei Krankheit aktiv wird. Zusätzlich gibt es allenfalls noch ein paar Vorsorgeuntersuchungen zur Früherkennung von Krankheiten. Wer seine Chancen erhöhen möchte, gesund alt zu werden, sollte nicht warten, bis er krank wird. Er sollte aktiv seine Gesundheit stärken.« Dadurch mache man Erkrankungen nicht nur unwahrscheinlicher, sondern fühle sich auch insgesamt vitaler, fitter und leistungsfähiger, erklärt Müller, der in Köln die Tagesklinik Villavita leitet, die sich auf eine ebensolche gesundheitsfördernde Medizin konzentriert.
Doch was genau hält uns gesund? Mit dieser Frage haben sich in der Vergangenheit mehrere zehntausend Studien befasst. Wir haben den Stand des Wissens für Sie zusammengefasst und erklären Ihnen, wie Sie die Erkenntnisse aus der Forschung für sich persönlich nutzen können.
1. Die Familiengeschichte beachten, Telomere stützen
Ob Alzheimerdemenz, Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen: Bei vielen Krankheiten beeinflussen auch unsere Gene, wie wahrscheinlich es ist, dass wir einmal erkranken werden. Dagegen können wir zunächst wenig ausrichten. Wir können aber unser Verhalten so anpassen, dass es nicht noch zusätzlich auf das Erkrankungsrisiko einzahlt. Weiß jemand etwa um ein genetisch erhöhtes Risiko für eine Arterienverkalkung – zum Beispiel, weil entsprechende Probleme in der Familie bekannt sind –, könnte die betreffende Person sich dazu entscheiden, ihre Arterien durch eine ausgewogene Ernährung, viel Bewegung und den Verzicht auf Zigaretten so wenig wie möglich zu belasten.
Es gibt aber noch einen anderen Faktor, der im Hinblick auf unsere Gene beim Thema Altern eine zentrale Rolle spielt: die so genannten Telomere. Telomere sind die Endstücke unserer Chromosomen und enthalten keine wichtigen Informationen. Stattdessen fungieren sie wie eine Art Schutzkappe, da unsere Chromosomen mit jeder Zellteilung ein kleines bisschen kürzer werden. Werden die Telomere so kurz, dass bei der Zellteilung auch die danebenliegenden Gene geschädigt würden, kann die Zelle sich nicht mehr teilen. Sie erfüllt ihre Funktion immer schlechter und stirbt schließlich ab. Das Ergebnis sehen wir dann zum Beispiel an unserer Haut: Falten entstehen unter anderem deshalb, weil im Lauf des Älterwerdens immer weniger Zellen in der Haut für Straffheit sorgen.
»Das Gesundheitssystem ist so ausgelegt, dass es erst bei Krankheit aktiv wird«
Dieter Müller, Mediziner
Die Telomere sind, wenn man so will, die Zündschnur der Zellen. Wer gesund alt werden will, sollte also hier ansetzen. Oder, um es mit den Worten der australisch-US-amerikanischen Molekularbiologin Elizabeth Blackburn zu sagen: »Tun Sie etwas für Ihre Telomere!« Blackburn erhielt 2009 den Medizin-Nobelpreis für ihre Forschung zu den Telomeren und zur Telomerase. Dieses Enzym wirkt der Verkürzung der Telomere entgegen. Es ist nach aktuellem Kenntnisstand allerdings nur in einigen wenigen Zelltypen aktiv.
Mittlerweile haben Forscher herausgefunden, unter welchen Umständen sich die Telomere schneller verkürzen als üblich. So konnten Studien zeigen, dass Menschen, die chronischen Stress haben und diesen auch als solchen empfinden, im Verhältnis zu Altersgenossen deutlich kürzere Telomere besitzen. Dieser Zusammenhang wird vor allem im Alter deutlich und nach massiven Stressereignissen wie etwa dem Verlust eines geliebten Menschen. »An den Telomeren zeigt sich, dass negativer Stress nicht nur einfach lästig ist, sondern sich in jeder einzelnen Körperzelle niederschlägt«, erklärt Müller. Natürlich lasse Stress sich nicht immer vermeiden, aber Dauerstress sollte nicht über einen längeren Zeitraum einfach hingenommen werden. »Wenn man keine Zeit mehr findet zum Durchatmen, dann sollte man etwas ändern in seinem Leben – auch wenn es unangenehm ist«, so Müller.
2. In Bewegung bleiben
»Viele unterschätzen, wie enorm groß der Einfluss der Bewegung auf die Gesundheit und das Altern tatsächlich ist«, sagt Christoph Englert, Leiter der Forschungsgruppe Molekulare Genetik am Leibniz-Institut für Alternsforschung in Jena. Eine Studie von Wissenschaftlern um Peter Schnohr vom Bispebjerg-Hospital der Universität Kopenhagen zeigt etwa: Selbst wenn man andere Unterschiede im Lebensstil berücksichtigen, leben Menschen, die regelmäßig joggen gehen, im Schnitt knapp vier bis fünf Jahre länger. Die Daten der Studie deuten zudem darauf hin, dass sich mit 60 bis 100 Minuten leichtem Joggen pro Woche der größte Effekt hinsichtlich der Sterblichkeit erzielen lässt. Diese Angaben sind allerdings mit Vorsicht zu genießen, da insgesamt nur wenige der Teilnehmer im Untersuchungszeitraum starben.
Andere Studien belegen, dass Sport das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen senkt. Auch im Hinblick auf zahlreiche Krebsarten, darunter Lungen-, Darm- und Brustkrebs, könnte er verschiedenen Untersuchungen zufolge einen schützenden Effekt haben.
»Bewegung ist einer der Faktoren, der den Körper mit am umfangreichsten in Form hält«, sagt Englert. Und mehr noch: Sport verbessert sogar unsere Leistungsfähigkeit. Dabei geht es nicht nur um Muskelkraft und Lungenkapazität. Wer sich körperlich ertüchtigt, kann sich anschließend nicht nur Dinge besser merken, sondern stärkt damit womöglich auch sein Immunsystem.
Um sich den gesundheitsfördernden Effekt von Sport zu Nutze zu machen, braucht es keinen ausgefeilten Trainingsplan. Auf die angesprochenen 60 bis 100 Minuten kommt man beispielsweise bereits, wenn man zweimal in der Woche joggen geht. Man könne aber auch mit weniger beginnen und, statt tatsächlich Sport zu machen, eher die Bewegung in den Alltag integrieren, sagt Müller: »Schon die Minute, in der man die Treppe nimmt und nicht den Fahrstuhl, kann ein Anfang sein.« Auch eine Bewegungspause im Büro, die man mit ein paar Lockerungsübungen für die vom Sitzen verkrampfte Muskulatur füllt, sei ein erster, wirksamer Schritt.
3. Richtig essen
Vegetarisch, vegan, low-carb, low-fat, Paleo – zahllose Diättrends haben in den vergangenen Jahren die Medien und die Bücherregale erobert. Eines haben jedoch all diese Ernährungsformen gemeinsam: Jede Einzelne von ihnen ist umstritten. Das liegt nicht nur daran, dass viele, oft selbst ernannte Experten ihre Ernährungsweise dogmatisch als die einzig wahre anpreisen, sondern auch an widersprüchlichen Ergebnissen aus wissenschaftlichen Studien. Oft gibt es sogar überhaupt keine überzeugenden Befunde.
Stephan Bischoff, Internist und Direktor des Instituts für Ernährungsmedizin und Prävention der Universität Hohenheim, findet es darüber hinaus auch problematisch, dass viele Diäten einseitig sind: »Wir wissen mittlerweile, dass eine ausgewogene, vielseitige Ernährung ideal ist. Eine Diät aber verlangt oft, dass man von einer Sache besonders viel isst und auf anderes ganz verzichtet. Bei der Paleo-Diät steht etwa viel Fleisch auf dem Speiseplan, während Milchprodukte fehlen.« Besser sei es hingegen, sich an zwei große Ernährungsratschläge zu halten, bei denen sich fast alle Experten einig sind. »Wenn man diese beiden Punkte beachtet, ernährt man sich wie von selbst recht gesund«, sagt Bischoff.
Der erste Ratschlag gilt der so genannten mediterranen Ernährung. Sie wird von vielen Wissenschaftlern weltweit als besonders gesunde Ernährungsweise betrachtet. Wer sich mediterran ernährt, isst vor allem Fisch, Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte und setzt auf Olivenöl als wichtigste Fettquelle. Rotes Fleisch und Milchprodukte werden hingegen nur in geringen Mengen verzehrt. Zahlreiche Studien weisen darauf hin, dass Menschen, die mediterran essen, ein niedrigeres Risiko haben, verschiedenste Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Typ-2-Diabetes und sogar Depressionen zu entwickeln. Ob das wirklich allein der speziellen Lebensmittelkonstellation geschuldet ist, lässt sich allerdings nur schwer sagen. Denn Menschen, die sich bewusst und abwechslungsreich ernähren, pflegen häufig auch sonst einen gesünderen Lebensstil. Und Studien, bei denen Versuchspersonen nach dem Zufallsprinzip dazu angehalten werden, sich über einen längeren Zeitraum auf eine bestimmte Weise zu ernähren, sind leider nur schwer durchführbar und deshalb selten.
»Wir wissen mittlerweile, dass eine ausgewogene, vielseitige Ernährung ideal ist«
Stephan Bischoff, Ernährungswissenschaftler
Immerhin setzt die mediterrane Ernährung auf viele Lebensmittel, die eine potenziell gesundheitsfördernde Wirkung haben – und ist zudem im Vergleich zu anderen Ernährungstrends eben verhältnismäßig abwechslungsreich. So enthält Fisch viele gesunde Inhaltsstoffe, allen voran die berühmten Omega-3-Fettsäuren, die unter anderem den Blutdruck und das Arterioskleroserisiko senken können. Gemüse hat wenige Kohlenhydrate und viele Ballaststoffe, sekundäre Pflanzenstoffe, wichtige Spurenelemente und Vitamine. Und auch Obst enthält – in Maßen konsumiert – zahllose wichtige Nährstoffe, vor allem Vitamine. Im Olivenöl sind besonders die ungesättigten Fettsäuren erwähnenswert, die einen gesunden Cholesterinspiegel fördern.
Das zweite Prinzip, auf das Ernährungswissenschaftler setzen, nennt sich »Hara hachi bu«. Die japanische Redewendung stammt von der Insel Okinawa, wo die Menschen besonders alt werden, und bedeutet so viel wie »den Magen nur zu 80 Prozent füllen«. Das wirkt nicht nur Übergewicht entgegen: Weniger zu essen – abseits vom Hungern – kann laut Studien das Risiko für zahlreiche Krankheiten senken und das Leben insgesamt verlängern. Für viel Aufsehen sorgten etwa die Versuche des Medizinprofessors Richard Weindruch von der University of Wisconsin-Madison mit Rhesusaffen. Er beobachtete über Jahre hinweg 38 Rhesusaffen, die weniger als üblich zu essen bekamen, sowie 38 Tiere, die normal gefüttert wurden. In der Normalkostgruppe waren nach einigen Jahren doppelt so viele Tiere an Alterserkrankungen gestorben wie in der Gruppe der Affen, die 30 Prozent weniger Kalorien bekamen. Außerdem hat von den Affen auf Diät kein einziger Diabetes bekommen – bei den normal gefütterten Tieren erkrankten rund 40 Prozent im Lauf der Jahre. Ob sich bei Menschen ein ähnlich ausgeprägter Effekt zeigt, ist allerdings noch unklar.
4. Auch mal ein Auge zudrücken
Weniger Stress, sich mehr bewegen, moderat und ausgewogen essen: Das klingt gut und gesund – aber für manch einen womöglich ziemlich anstrengend. Und wäre es nicht schade, auf all das zu verzichten: den duftenden Kuchen am Nachmittag, das Knabberzeug am Abend, sich mal so richtig den Bauch vollzuschlagen?
Wäre es – und wahrscheinlich kaum durchzuhalten. Dieter Müller empfiehlt deshalb, einen Schweinetag in der Woche einzurichten: »Einen Tag in der Woche sollte man essen können, was und so viel man will. Und das dann auch guten Gewissens tun und genießen.« Er weiß aus eigener Erfahrung, dass die Strategie funktionieren kann: »Meine Schwachstelle ist Kuchen. Ich fahre jeden Tag auf dem Weg in die Klinik an einer Bäckerei vorbei mit tollen Kuchen im Schaufenster. Wenn ich ganz darauf verzichten würde, dann würde mich der Anblick traurig machen. So aber denke ich mit Vorfreude daran, dass ich in drei Tagen wieder ein Stück kaufen und essen kann. Weil ich mich die übrigen sechs Tage zurückgehalten habe, was mir übrigens deshalb nicht schwerfällt.«
5. Auf Alkohol und Zigaretten verzichten
Neben all dem, was unserer Gesundheit guttut und die Chancen erhöht, bis ins hohe Alter einigermaßen fit und gesund zu bleiben, gibt es auch Dinge, die nachweislich eher schaden. So zeigen Studien etwa, dass Männer, die pro Tag zwischen 10 und 20 Zigaretten rauchen, im statistischen Durchschnitt mehr als zwei Lebensjahre verlieren. Personen, die mehr als 30 Zigaretten am Tag rauchen, leben im Schnitt sogar mehr als acht Jahre kürzer. Und wer täglich durchschnittlich ein Glas Wein (0,25 Liter) trinkt, dessen Lebenserwartung sinkt um ein bis zwei Jahre.
Neben typisch ungesunden Genussmitteln wie Alkohol und Zigaretten beschleunigt auch Sonnenlicht das Altern: »Hier gibt es einen doppelten Effekt. Wer übermäßig viel Sonnenlicht ausgesetzt ist, der wird Studien zufolge als älter eingeschätzt. Gleichzeitig ist die tatsächliche Lebenserwartung leicht verringert«, sagt Englert. Im Schatten leben muss deshalb aber niemand. Der Körper brauche sogar eine gewisse Dosis an Sonnenlicht, um Stoffe wie Vitamin D zu produzieren und gesundheitsfördernde Botenstoffe freizusetzen, erklärt der Experte. 15 Minuten direkte Sonne am Tag darf man sich also auch im Sommer gerne gönnen. Im Winter sollte es im Idealfall sogar mindestens eine Stunde täglich sein.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.