Superwahljahr 2024: Wie fünf Wahlen die Klimapolitik der nächsten Jahrzehnte prägen
In fünf Regionen mit den meisten Treibhausgasemissionen finden 2024 Wahlen statt. Dort – in den USA, in Indien, Indonesien, Russland und der Europäischen Union – lebt etwa ein Drittel der Weltbevölkerung. Die Gebiete verursachen zusammen außerdem ungefähr einen entsprechenden Anteil der weltweiten Treibhausgasemissionen.
Der Ausgang der Wahlen wird mit darüber entscheiden, ob es der Menschheit gelingt, die gefährlichen Auswirkungen der Erderwärmung zu begrenzen. Laut dem Projekt Climate Action Tracker wird sich die Welt bis 2100 um etwa 2,7 Grad Celsius erwärmen, wenn die derzeitige Klimapolitik beibehalten wird – was deutlich über dem im Pariser Klimaabkommen von 2015 festgelegten Ziel von 1,5 Grad liegt. Langfristige Verpflichtungen könnten eine weitere Erhitzung um 0,6 Grad verhindern, aber das hängt von den Maßnahmen der Regierungen ab, von denen sich viele 2024 zur Wahl stellen. Damit könnte das Jahr die Zukunft unseres Planeten maßgeblich prägen.
Vereinigte Staaten: Biden gegen Trump
Im August 2022 wurde in den USA überraschenderweise ein Gesetz für Klimaausgaben verabschiedet, das innerhalb von zehn Jahren Investitionen in Höhe von fast einer Billion US-Dollar sichern soll. Dazu gehören diverse Fördermittel und Steuererleichterungen für Wind- und Solarenergie, elektrischen Verkehr sowie Kohlenstoffspeicherung und Umschulungsprogramme für Menschen, die in der fossilen Industrie arbeiten. Falls Biden am 5. November wiedergewählt wird, besteht eine der Hauptaufgaben der Regierung darin, sicherzustellen, dass das Geld sinnvoll investiert wird und weiter fließt.
Nach Schätzungen von Fachleuten könnte dieses Vorzeigeprojekt von Biden, der »Inflation Reduction Act«, die Treibhausgasemissionen des Landes bis 2035 um 43 bis 48 Prozent gegenüber dem Stand von 2005 senken. Das ist zwar weniger als die offizielle Verpflichtung der USA, den Ausstoß bis 2030 um 50 Prozent zu reduzieren (ebenfalls im Vergleich zu 2005). Aber die Regierung plant auch andere Maßnahmen, etwa Vorschriften zur Reduzierung der Emissionen von Fahrzeugen und Kraftwerken. Insgesamt sprechen Klimaexperten von einer historischen Bemühung, die dem zweitgrößten Treibhausgasemittenten der Welt helfen könnte, eine Energiewende anzuführen.
»Wir haben noch nie eine derartige Anstrengung zur Dekarbonisierung gesehen«, sagt der Wirtschaftswissenschaftler Noah Kaufman von der Columbia University in Washington D.C. Die Klima-Agenda der Regierung unter Biden hätte eine beträchtliche Dynamik, und weitere vier Jahre würden helfen, den Fortschritt zu sichern. »Die Frage ist, was passiert, wenn wir diesen Schwung verlieren.«
Bidens Kontrahent bei den kommenden Wahlen, der frühere Präsident Donald Trump, steht staatlichen Klimaschutzmaßnahmen nach wie vor ablehnend gegenüber. Es besteht kaum ein Zweifel daran, dass er im Fall seines Sieges fossile Brennstoffe erneut fördert. Außerdem wird erwartet, dass er aus dem Pariser Klimaabkommen von 2015 aussteigt – zum zweiten Mal. Den ersten Ausstieg, der einen Tag nach Trumps Niederlage bei der Wiederwahl am 4. November 2020 in Kraft trat, konnte Biden schnell wieder rückgängig machen. Trump hat betont, dass er seine Exekutivbefugnisse nutzen werde, um die Klimaregulierungen zu schwächen und Bundesprogramme für Öl und Gas auszuweiten.
»Sobald sich die wirtschaftlichen Vorteile bemerkbar machen, ändert sich das politische Kalkül«Samantha Gross, Leiterin der Energy Security and Climate Initiative
Es wäre jedoch schwierig für Trump, die Investitionen in saubere Energie, die im »Inflation Reduction Act« verankert sind, außer Kraft zu setzen. Weil die Ausgaben gesetzlich beschlossen wurden, müsste der Kongress dafür erst ein neues Gesetz erlassen, sagt Samantha Gross, Leiterin der Energy Security and Climate Initiative bei der Brookings Institution, einer Denkfabrik mit Sitz in Washington D.C.
Um überhaupt eine Chance zu haben, das Gesetz zu stürzen, müssten die Republikaner die Mehrheit im Repräsentantenhaus behalten und darüber hinaus auch im Senat gewinnen. Und selbst dann, so Gross, wäre es nicht einfach. Der Inflation Reduction Act bietet Unternehmen bereits Anreize für Investitionen und die Schaffung von Arbeitsplätzen im ganzen Land, wovon auch viele republikanische Bezirke profitieren. »Sobald sich die wirtschaftlichen Vorteile bemerkbar machen, ändert sich das politische Kalkül«, sagt sie.
Indien: Modis Klima-Spagat
Der Klimawandel steht bei den bevorstehenden Parlamentswahlen in Indien nicht ganz oben auf der Tagesordnung. Doch für die globalen Ambitionen von Premierminister Narendra Modi ist er von entscheidender Bedeutung, sagen Forschende. Die Wahlen im riesigen Land werden voraussichtlich im April und Mai 2024 stattfinden. Falls Modi und seine Bharatiya Janata Party (BJP) eine dritte fünfjährige Amtszeit antreten, wird er sich mit seinem Vermächtnis als Klimaschützer befassen, erwartet der Politikwissenschaftler Aseem Prakash von der University of Washington in Seattle.
Indien ist der weltweit drittgrößte Treibhausgasemittent. Allerdings leben in dem Land auch 1,4 Milliarden Menschen, was mehr als einem Sechstel der Weltbevölkerung entspricht. Die Pro-Kopf-Emissionen betragen daher weniger als ein Siebtel von denen der USA und ein Viertel derjenigen Chinas.
2021 verpflichtete sich Modi auf der Weltklimakonferenz COP26 in Glasgow, bis 2070 Netto-null-Emissionen zu erreichen. Indien hat außerdem zugesagt, mit finanzieller und technischer Unterstützung aus dem Ausland bis 2030 etwa die Hälfte der Kapazitäten zur Stromerzeugung aus nichtfossilen Energieträgern zu gewinnen.
Das Land hat einige dieser Versprechen bereits durch Taten untermauert. Die Kapazität von Wind- und Solarenergie hat sich in den letzten fünf Jahren fast verdoppelt und beträgt nun 135 Gigawatt. Zusammen mit der Wasserkraft machen die erneuerbaren Energien 42 Prozent der Stromerzeugungskapazitäten aus (auch wenn ihr Anteil an der tatsächlichen Stromerzeugung wegen der Schwankungen vieler dieser Quellen geringer ist).
»In den nächsten zehn Jahren wird es mehr Kohlekraftwerke geben«Nandini Das, Klima- und Energieökonomin
Im Fall einer Wiederwahl werde Modi seine Klimapolitik aggressiv fortsetzen, sagt die Klimawissenschaftlerin Suruchi Bhadwal vom The Energy and Resources Institute in Neu-Delhi. Dazu gehören der Ausbau der Solar- und Windkraftinfrastruktur sowie die Gewinnung von grünem Wasserstoff. Im Februar 2024 legte die Regierung ihren Zwischenhaushalt für das laufende Jahr vor, der Subventionen für Offshore-Windenergie und Aufdach-Solarmodule vorsieht: »zwei aufstrebende Industrien, die einen Schub brauchen«, urteilt Sangeeth Selvaraju, Analyst für nachhaltige Finanzen am Grantham Institute in London.
Für die beiden führenden Parteien, die BJP und den Indian National Congress (INC), sind Klimaschutzmaßnahmen Forschenden zufolge jedoch kein Wahlkampfthema. Stattdessen liegt die Priorität auf der Energiesicherheit, um der wachsenden Nachfrage gerecht zu werden – was kurzfristig zu einem höheren Verbrauch fossiler Brennstoffe führen wird. Im September 2023 erreichte die Energienachfrage ihren Höhepunkt und betrug 13 Prozent mehr als im Spitzenmonat des Vorjahres. Drei Viertel von Indiens Stromerzeugung entfallen nach wie vor auf Kohle. »In den nächsten zehn Jahren wird es mehr Kohlekraftwerke geben«, prognostiziert die Klima- und Energieökonomin Nandini Das vom Institut Climate Analytics in Perth, Australien.
Für den unwahrscheinlichen Fall, dass Modi die Wahl verliert, rechnet Selvaraju nicht mit einer Abkehr von Indiens Klimapolitik, »weil es nicht wirklich in den Händen der Politiker liegt«. Das sei anders als in den Vereinigten Staaten, sagt auch Dhruba Purkayastha, der bei der gemeinnützigen Forschungsgruppe Climate Policy Initiative in Neu-Delhi arbeitet. Aber laut Nandini Das sollte der Klimawandel trotzdem auf der politischen Tagesordnung stehen. Von Überschwemmungen bis hin zu Dürre und Hitzestress sei Indien »ein sehr klimaanfälliges Land«.
Indonesien: Angetrieben von Nickel und Kohle
Am 14. Februar 2024 wurden in Indonesien ein neuer Präsident und ein neues Parlament gewählt. Der noch laufenden Stimmenauszählung zufolge scheint sich die Mehrheit der fast 130 Millionen der Wählerinnen und Wähler für eine ähnliche Politik wie die des scheidenden Präsidenten Joko Widodo entschieden zu haben. Prabowo Subianto, ehemaliger Armeegeneral und Verteidigungsminister unter Widodo, trat zusammen mit Widodos ältestem Sohn, Gibran Rakabuming Raka, als sein Vizepräsidentschaftskandidat an. »In der Klimapolitik wird sich nicht viel ändern«, sagt Daniel Murdiyarso, Klimawissenschaftler und Präsident der Indonesischen Akademie der Wissenschaften in Bogor.
»Die Wirtschaftlichkeit wird wahrscheinlich alle anderen Bedenken übertrumpfen«Jemma Purdey, Politikwissenschaftlerin
Kurzfristig bedeutet das: mehr Kohleverbrauch und -exporte, weniger Maßnahmen, um die Entwaldung aufzuhalten, und eine billige, schmutzige Nickelgewinnung. Das Land ist der weltweit führende Produzent von Rohnickel, das in Elektrofahrzeugen, Batterien und rostfreiem Stahl benötigt wird. »Die Wirtschaftlichkeit wird wahrscheinlich alle anderen Bedenken übertrumpfen«, erwartet die Politikwissenschaftlerin Jemma Purdey von der Monash University in Melbourne.
Ein noch größeres Geschäft als Nickel ist Kohle. Indonesien ist der größte Kohleexporteur der Welt, und 60 Prozent der eigenen Stromversorgung stammen aus dem fossilen Brennstoff – was sich angesichts der staatlichen Unterstützung und der relativ neuen Kraftwerke in den nächsten Jahrzehnten nicht ändern wird. Weil es außerdem sehr aufwändig ist, ein Stromnetz über die vielen Inseln Indonesiens aufzubauen, gab es bisher anders als in China oder Indien keinen Boom von erneuerbaren Energien. »Indonesien verfügt über die Ressourcen und die Voraussetzungen, um viel Wind- und Sonnenenergie zu erzeugen. Aber man muss die infrastrukturellen und institutionellen Herausforderungen angehen, damit das in großem Maßstab umgesetzt wird«, sagt Selvaraju.
»Indonesien strebt zwar an, bis 2060 Netto-null-Emissionen zu erreichen, hat sich allerdings bisher noch nicht auf dieses Ziel festgelegt«, sagt der Politikwissenschaftler Dirk Tomsa von der La Trobe University in Melbourne. Trotz der relativ jungen Wählerschaft waren Klima und Umwelt beim Wahlkampf keine Schlüsselthemen, erklärt Ika Idris, die dem Monash Climate Change Communication Research Hub Indonesia Node vorsteht und in Jakarta arbeitet.
Zu den populären Initiativen, die Subianto wahrscheinlich übernehmen wird, gehören der Aufbau einer Elektrofahrzeugindustrie sowie der Bau einer mit erneuerbaren Energien betriebenen grünen Stadt, Nusantara, die noch 2024 zur neuen Hauptstadt Indonesiens werden soll. Aber selbst diese Maßnahmen wurden als wirtschaftliche und nicht als klimapolitische Agenda bezeichnet, sagt Idris.
2020 verbot Widodo die Ausfuhr von Rohnickel, um die heimische Verarbeitung zu stärken, die sehr treibhausgasintensiv ist. Falls Subianto die Wahl gewinnt, wird der Nickelabbau vermutlich weiter gefördert, um die wirtschaftliche Entwicklung des Landes voranzutreiben – auf Kosten der Umwelt und der Sicherheit der Arbeiter, sagen Forschende.
Das Land beherbergt einige der größten tropischen Regenwald-, Torf- und Mangrovengebiete der Welt. Fachleute erwarten, dass Subianto die internationalen Verpflichtungen zur Verringerung der Abholzung einhält. Und tatsächlich hat sich der Waldverlust in den letzten fünf Jahren verlangsamt. Doch gleichzeitig wird Subianto wohl auch die Palmölindustrie stärken, was den Druck auf die Regenwälder und die Kohlenstoff speichernden Torfgebiete erhöht.
Russland: Der Smog des Kriegs
Im März 2024 wird der russische Staatschef Wladimir Putin nach einer Wahl mit sicherem Ausgang eine fünfte Amtszeit als Präsident antreten. Der Klimawandel spielt in einem Wahlkampf, der sich vorrangig um die Invasion der Ukraine und antiwestliche Propaganda dreht, keine Rolle.
Der Krieg und die von der Europäischen Union und weiteren Ländern verhängten Sanktionen werden Klimaschutzmaßnahmen in Russland, dem viertgrößten Treibhausgasemittenten, behindern, meint Marianna Poberezhskaya, die an der Nottingham Trent University zur russischen Klimapolitik forscht. »Große Schocks wie Wirtschaftskrisen und natürlich der Krieg schwächen die ohnehin schon schwache Klimapolitik Russlands noch mehr«, sagt Poberezhskaya. Und das, obwohl das Land in den letzten Jahren bereits mit schweren Waldbränden und Überschwemmungen zu kämpfen hatte, die wahrscheinlich auf den Klimawandel zurückzuführen sind.
Russland hat sich zum Ziel gesetzt, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 70 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 zu senken und bis 2060 klimaneutral zu sein. Die Emissionen des Landes liegen bereits 30 Prozent unter den Werten von 1990, wobei der größte Teil des Rückgangs auf die Deindustrialisierung nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion zurückzuführen ist. Laut Putin sollen diese Ziele durch die Ausweitung der Kohlenstoffsenken, durch Technologien zur Speicherung von Kohlenstoff sowie durch Kern- und Wasserkraft erreicht werden.
Der Plan sieht keinen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen vor, von denen die russische Wirtschaft stark abhängt. »Russland wird nicht von sich aus die Nutzung fossiler Brennstoffe reduzieren. Wenn das passiert, dann wegen der Politik anderer Länder – Russland wird weiterhin fossile Brennstoffe verkaufen, solange sie jemand abnimmt«, sagt Anna Korppoo, die am norwegischen Fridtjof-Nansen-Institut in Fornebu die russische Klimapolitik untersucht. Vorgeschlagene Ziele, die Kohlenstoffsenken durch Wälder auszuweiten, werden Korppoo zufolge wahrscheinlich nicht erreicht: Die Senken sind derzeit rückläufig, und es gibt keine Maßnahmen, um den Trend umzukehren.
»Die Mehrheit der indigenen Völker in der Arktis lebt in Russland, und nun werden sie aus den Gleichungen der Forscher entfernt«Matthew Druckenmiller, Vizepräsident des International Arctic Science Committee
Zudem wirkt sich Russlands Krieg gegen die Ukraine auf die Klimawissenschaft aus. Fast die Hälfte der Landmasse der Arktis gehört zu Russland, aber im März 2022 (unmittelbar nach der Invasion) stoppten die sieben anderen Länder des Arktischen Rats, der über Umweltfragen in der Polarregion berät, die Zusammenarbeit mit Russland. Dessen Daten wurden von arktischen Klimamodellen und der Forschung über die Auswirkungen des Klimawandels auf die Arktis ausgeschlossen. Im Februar 2024 stellte Russland seine Zahlungen an den Arktischen Rat ein. »Der Verlust der sibirischen Forschungsstationen macht es schwer, die globalen Auswirkungen des Klimawandels zu verfolgen«, beklagt der Arktisforscher Efrén López-Blanco von der Universität Aarhus in Dänemark.
Im Verlauf des Kriegs werden die Auswirkungen des Klimawandels auf die Menschenrechte weiter in den Hintergrund treten, sagt Matthew Druckenmiller, Vizepräsident des International Arctic Science Committee. »Das ist traurig zu sehen; die Mehrheit der indigenen Völker in der Arktis lebt in Russland, und nun werden sie aus den Gleichungen der Forscher entfernt.«
EU: Ein beunruhigender Rechtsruck
Die Europäische Union sieht sich selbst gerne als Vorreiter in Sachen Klimaschutz. 2021 verabschiedeten die Mitgliedstaaten Gesetze, um die Treibhausgasemissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 zu senken und bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Ein Vorschlag von Februar 2024 sieht eine noch ehrgeizigere Reduzierung um 90 Prozent bis 2040 vor. Bislang hat Europa seine Emissionen gegenüber 1990 um 32,5 Prozent gesenkt.
Vom 6. bis 9. Juni 2024 werden Bürgerinnen und Bürger aus 27 Ländern 720 Abgeordnete für einen Zeitraum von fünf Jahren ins Europäische Parlament wählen. Umfragen deuten auf einen Zuwachs bei Parteien des rechten Spektrums hin, die sich weniger für Klimaschutz einsetzen. Das könnte Europas Vorreiterrolle beschädigen und dringend benötigte Maßnahmen verzögern, warnen Experten.
»Das Klima ist für die meisten extrem rechten Parteien kein großes Thema und hat keine Priorität«, erklärt Claire Dupont, eine Expertin für Klimapolitik an der belgischen Universität Gent. Sie konzentrierten sich eher auf nationalistische Interessen. Umfragen zeigen aber, dass die wichtigsten parlamentarischen Gruppierungen – die Mitte-Rechts-Partei der Europäischen Volkspartei und die Mitte-Links-Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialdemokraten – ihre Mehrheiten im Parlament behalten werden.
»Es gibt nicht viel Spielraum, um Klimabeschlüsse rückgängig zu machen«Corinne Le Quéré, Klimaforscherin
Nachdem die Bürgerinnen und Bürger zur Urne geschritten sind, wählt das Parlament den Präsidenten der Europäischen Kommission. Letztere führt die Pläne der EU für die nächsten fünf Jahre durch. Die amtierende Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat den europäischen »Green Deal« und seine Klimaziele in den Mittelpunkt der politischen Strategie gestellt und im Februar 2024 angekündigt, eine zweite Amtszeit anzustreben.
Doch der Rechtsruck in der Bevölkerung zeigt, dass Europas früherer breiter Konsens über Klimaschutzmaßnahmen zu bröckeln beginnt. »Es gibt nicht viel Spielraum, um Klimabeschlüsse rückgängig zu machen«, sagt die Klimaforscherin Corinne Le Quéré von der University of East Anglia in Norwich. »Aber es gibt Möglichkeiten, den Fortschritt zu verlangsamen oder den Maßnahmen, die bereits ergriffen wurden, einen politischen Anstrich zu geben.« Das habe internationale Auswirkungen, warnt sie. »Die EU geht bisher am proaktivsten gegen den Klimawandel vor. Wenn die führenden Politiker also anfangen, die Klimaschutzmaßnahmen zu verlangsamen, dann besteht die Gefahr, dass die gesamte Welt nachzieht.«
Insbesondere die umweltbezogenen Klimaziele der EU, etwa der Schutz der biologischen Vielfalt und der Böden, geraten in Schwierigkeiten. Wegen der Proteste der Landwirte im Februar 2024 hat die EU in mehreren Mitgliedstaaten die Pläne für einen geringeren Pestizideinsatz gestoppt und die Bestimmungen zu einer grünen Landwirtschaft abgemildert. In den letzten zehn Jahren sind die gesamten Treibhausgasemissionen der EU zurückgegangen, während die des Agrarsektors kaum gesunken sind.
Ein weiterer Knackpunkt betrifft die Techniken zur Kohlenstoffspeicherung, auf die auch die EU zur Erreichung der ehrgeizigen Klimaziele angewiesen ist. Rechtsgerichtete Parteien neigen dazu, diese technologischen Lösungen gegenüber solchen zu bevorzugen, die Verhaltensänderungen erfordern. Allerdings ist nicht klar, ob sie in großem Maßstab funktionieren. »Die anderen Möglichkeiten der Kohlenstoffbindung, wie das Pflanzen von Wäldern, die Aufwertung der Böden und naturbasierte Lösungen, stoßen bereits auf viel Widerstand«, sagt Dupont.
»Die EU hat die einfachen Aufgaben, wie den Ausbau erneuerbarer Energien, erfolgreich angepackt«, stellt sie fest. Und fragt: »Kann sie auch die schwierigeren Teile in Angriff nehmen und einen Übergang zur Klimaneutralität schaffen?«
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