News: Fundamentales Loch
In der Zelle herrscht ein ständiges Kommen und Gehen. Damit alles in seinen geordneten Bahnen verläuft, besitzt die Zellmembran Kanalproteine, die nur bestimmte Substanzen - wie Wasser oder Ionen - passieren lassen. Die Strukturaufklärung dieser fundamentalen Kanäle bescherte zwei Amerikanern jetzt den Chemie-Nobelpreis.
Ein Haufen Proteine, verpackt in einem Lipidsack – so könnte man sich auf den ersten Blick eine Zelle vorstellen. Doch Zellmembranen sind weit mehr als eine schlichte Hülle: Sie entscheiden, wer in die Zelle hinein und wer sie verlassen darf.
Für geladene Teilchen, also Ionen, stellt die Lipiddoppelschicht der Zellmembran zunächst ein unüberwindbares Hindernis dar. Die Zelle muss daher – so vermutete bereits zum Ende des 19. Jahrhunderts der Chemie-Nobelpreisträger des Jahres 1909, Wilhelm Ostwald, – über Mechanismen verfügen, Ionen gezielt über die Barriere der Membran zu transportieren. Und schon bald tauchte die Idee auf, dass es sich dabei um Kanäle handelt, welche die Membran quasi durchlöchern.
Selbst Wasser kann die Barriere nicht ohne weiteres überwinden, besteht das Innere der Zellmembran doch aus hydrophoben, also wasserabstoßenden Kohlenwasserstoffketten. Dennoch dringt Wasser, im Gegensatz zu anderen Molekülen, leicht und schnell in die Zelle ein – die Zellmembran ist semipermeabel.
Zunächst gingen die meisten Biologen davon aus, dass die Wassermoleküle klein genug sind, um relativ frei durch die Lipidschicht zu diffundieren. Doch genauere Messungen in den fünfziger Jahren zeigten, dass der Wassertransport durch die Membran viel zu schnell und vor allem zu spezifisch abläuft, um nur mit Diffusion erklärt werden zu können. Also vermutete man auch hier selektive Kanäle – und die Jagd nach diesen Membranlöchern begann.
Diese Jagd erwies sich als äußerst schwierig. Erst 1988 gelang es dem heute 54-jährigen Peter Agre von der Johns Hopkins University in Baltimore in der Zellmembran von roten Blutkörperchen ein Protein zu isolieren, das beim Wassertransport eine Rolle spielen könnte. Mit einem einfachen Experiment konnten Agre und seine Mitarbeiter die Funktion dieses CHIP28 genannten Proteins (für channel forming integral protein) nachweisen: Die Forscher schleusten das Gen für das Protein in Eizellen des Krallenfrosches Xenopus ein und setzten die manipulierten Zellen in Wasser.
Da das Zellinnere höher konzentriert war als das Äußere, gelöste Moleküle aber nicht die Membran passieren konnten, drang Wasser in die Zellen ein, und die Zellen schwollen an – ein Vorgang, der als Osmose bekannt ist. Bei den Zellen, die nicht über CHIP28 verfügten, geschah jedoch – nichts. Agre schlug daher einen neuen Namen für das Protein vor: Aquaporin, zu deutsch "Wasserpore".
Inzwischen sind die unterschiedlichsten Aquaporine von Bakterien, Pflanzen und Tieren bekannt; im menschlichen Körper existieren mindestens elf verschiedene Varianten. Doch wie sehen diese Proteine aus?
Es dauerte bis zum Jahr 2000, bis erste Strukturmodelle der Wasserkanäle vorlagen. Demnach handelt es sich tatsächlich um Poren, welche die Membran überbrücken. Doch diese Poren sind hoch selektiv: Wasser kann hindurch, Protonen dagegen nicht. Denn im Innern der Kanäle sitzen positive Ladungen, welche Protonen, genauer gesagt H3O+-Ionen, abstoßen und damit den Durchtritt verweigern. Diese Auswahl ist für die Zelle entscheidend, denn mit unterschiedlichen Protonenkonzentrationen zwischen innen und außen gewinnt die Zelle ihre Energie. Die Theorie der Chemiosmose – also der Aufbau eines Protonenkonzentrationsgefälles über die Membranen von Chloroplasten und Mitochondrien – bescherte übrigens 1978 Peter Mitchell den Nobelpreis für Chemie.
Ähnlich fundamental für den Zellstoffwechsel wie dieser Protonengradient ist die selektive Trennung weiterer Ionen, wie Natrium, Kalium oder Calcium. Denn diese Ladungstrennung stellt die funktionelle Grundlage der elektrischen Erregbarkeit des Nervensystems und der Muskulatur dar. Bereits in den fünfziger Jahren konnten John Eccles, Alan Hodgkin und Andrew Huxley nachweisen, dass die Zellmembran über spannungsabhängige Ionenkanäle verfügen muss. Sobald sich die Membranspannung ändert, öffnen sich diese Kanäle, lassen zunächst Natriumionen hinein, dann Kaliumionen heraus und erzeugen somit ein Aktionspotenzial – das grundlegende Signal in der Sprache des Nervensystems. Diese Erkenntnis wurde 1963 mit dem Medizin-Nobelpreis gewürdigt.
Doch wie diese Kanäle funktionieren, blieb lange rätselhaft. Besonders merkwürdig war ihre hohe Selektivität, denn der Kaliumkanal lässt nur Kaliumionen passieren, nicht jedoch Natrium, obwohl diese Ionen kleiner sind. Ein schlichtes Loch kann es also nicht sein.
Die Schwierigkeit bestand darin, die gesuchten Kanalproteine zu kristallisieren und damit einer Röntgenstrukturanalyse zugänglich zu machen. Doch 1998 überraschte der heute 47-jährige Roderick MacKinnon von der Rockefeller University in New York die Welt mit dem ersten Strukturmodell eines Kaliumkanals.
MacKinnon und seine Kollegen isolierten zunächst den Kanal aus dem Bakterium Streptomyces lividans. Mit Antikörpern, die spezifisch an das Kanalprotein binden, konnten die Forscher dann das Objekt ihrer Begierde quasi fesseln, sodass schließlich die Kristallisation gelang.
Und die Kristallstruktur, welche bereits die Titelseite der Zeitschrift Nature zierte, offenbarte eine komplizierte Anatomie: Über mehrere Schritte werden die Kaliumionen durch den Kanal geschleust. Dabei verlieren sie zunächst ihre Hydrathülle, von der die Ionen normalerweise umgeben sind, und werden von negativ geladenen Sauerstoffgruppen gepackt, die kleeblattförmig den Kanal auskleiden. Und genau diese Sauerstoffgruppen des Kanalproteins stellen den selektiven Ionenfilter dar. Denn Natriumionen, die sich ebenfalls ihrer Hydrathülle entledigt haben, sind schlicht zu klein, um gebunden und weitergeleitet zu werden.
Am Ende des Kanals sitzt schließlich ein Sensor, der – abhängig von äußeren Reizen wie ansteigender Calciumkonzentration oder einer veränderten Membranspannung – den Kanal öffnen oder schließen kann. Durch unterschiedliche Kanalproteine hat die Natur so verschiedene Kanaltypen geschaffen, die optimal auf ihre Aufgabe eingestellt sind. Manche von ihnen lassen die Ionen sogar nur in eine Richtung durch – sie arbeiten wie eine Diode.
Die frühere Vorstellung schlichter Poren mussten Biologen über Bord werfen. Die Kanäle der Zellmembranen offenbaren sich dank der Arbeiten der beiden Laureaten als komplizierte Strukturen, deren ausgeklügelte Funktion Leben erst ermöglicht.
Für geladene Teilchen, also Ionen, stellt die Lipiddoppelschicht der Zellmembran zunächst ein unüberwindbares Hindernis dar. Die Zelle muss daher – so vermutete bereits zum Ende des 19. Jahrhunderts der Chemie-Nobelpreisträger des Jahres 1909, Wilhelm Ostwald, – über Mechanismen verfügen, Ionen gezielt über die Barriere der Membran zu transportieren. Und schon bald tauchte die Idee auf, dass es sich dabei um Kanäle handelt, welche die Membran quasi durchlöchern.
Selbst Wasser kann die Barriere nicht ohne weiteres überwinden, besteht das Innere der Zellmembran doch aus hydrophoben, also wasserabstoßenden Kohlenwasserstoffketten. Dennoch dringt Wasser, im Gegensatz zu anderen Molekülen, leicht und schnell in die Zelle ein – die Zellmembran ist semipermeabel.
Zunächst gingen die meisten Biologen davon aus, dass die Wassermoleküle klein genug sind, um relativ frei durch die Lipidschicht zu diffundieren. Doch genauere Messungen in den fünfziger Jahren zeigten, dass der Wassertransport durch die Membran viel zu schnell und vor allem zu spezifisch abläuft, um nur mit Diffusion erklärt werden zu können. Also vermutete man auch hier selektive Kanäle – und die Jagd nach diesen Membranlöchern begann.
Diese Jagd erwies sich als äußerst schwierig. Erst 1988 gelang es dem heute 54-jährigen Peter Agre von der Johns Hopkins University in Baltimore in der Zellmembran von roten Blutkörperchen ein Protein zu isolieren, das beim Wassertransport eine Rolle spielen könnte. Mit einem einfachen Experiment konnten Agre und seine Mitarbeiter die Funktion dieses CHIP28 genannten Proteins (für channel forming integral protein) nachweisen: Die Forscher schleusten das Gen für das Protein in Eizellen des Krallenfrosches Xenopus ein und setzten die manipulierten Zellen in Wasser.
Da das Zellinnere höher konzentriert war als das Äußere, gelöste Moleküle aber nicht die Membran passieren konnten, drang Wasser in die Zellen ein, und die Zellen schwollen an – ein Vorgang, der als Osmose bekannt ist. Bei den Zellen, die nicht über CHIP28 verfügten, geschah jedoch – nichts. Agre schlug daher einen neuen Namen für das Protein vor: Aquaporin, zu deutsch "Wasserpore".
Inzwischen sind die unterschiedlichsten Aquaporine von Bakterien, Pflanzen und Tieren bekannt; im menschlichen Körper existieren mindestens elf verschiedene Varianten. Doch wie sehen diese Proteine aus?
Es dauerte bis zum Jahr 2000, bis erste Strukturmodelle der Wasserkanäle vorlagen. Demnach handelt es sich tatsächlich um Poren, welche die Membran überbrücken. Doch diese Poren sind hoch selektiv: Wasser kann hindurch, Protonen dagegen nicht. Denn im Innern der Kanäle sitzen positive Ladungen, welche Protonen, genauer gesagt H3O+-Ionen, abstoßen und damit den Durchtritt verweigern. Diese Auswahl ist für die Zelle entscheidend, denn mit unterschiedlichen Protonenkonzentrationen zwischen innen und außen gewinnt die Zelle ihre Energie. Die Theorie der Chemiosmose – also der Aufbau eines Protonenkonzentrationsgefälles über die Membranen von Chloroplasten und Mitochondrien – bescherte übrigens 1978 Peter Mitchell den Nobelpreis für Chemie.
Ähnlich fundamental für den Zellstoffwechsel wie dieser Protonengradient ist die selektive Trennung weiterer Ionen, wie Natrium, Kalium oder Calcium. Denn diese Ladungstrennung stellt die funktionelle Grundlage der elektrischen Erregbarkeit des Nervensystems und der Muskulatur dar. Bereits in den fünfziger Jahren konnten John Eccles, Alan Hodgkin und Andrew Huxley nachweisen, dass die Zellmembran über spannungsabhängige Ionenkanäle verfügen muss. Sobald sich die Membranspannung ändert, öffnen sich diese Kanäle, lassen zunächst Natriumionen hinein, dann Kaliumionen heraus und erzeugen somit ein Aktionspotenzial – das grundlegende Signal in der Sprache des Nervensystems. Diese Erkenntnis wurde 1963 mit dem Medizin-Nobelpreis gewürdigt.
Doch wie diese Kanäle funktionieren, blieb lange rätselhaft. Besonders merkwürdig war ihre hohe Selektivität, denn der Kaliumkanal lässt nur Kaliumionen passieren, nicht jedoch Natrium, obwohl diese Ionen kleiner sind. Ein schlichtes Loch kann es also nicht sein.
Die Schwierigkeit bestand darin, die gesuchten Kanalproteine zu kristallisieren und damit einer Röntgenstrukturanalyse zugänglich zu machen. Doch 1998 überraschte der heute 47-jährige Roderick MacKinnon von der Rockefeller University in New York die Welt mit dem ersten Strukturmodell eines Kaliumkanals.
MacKinnon und seine Kollegen isolierten zunächst den Kanal aus dem Bakterium Streptomyces lividans. Mit Antikörpern, die spezifisch an das Kanalprotein binden, konnten die Forscher dann das Objekt ihrer Begierde quasi fesseln, sodass schließlich die Kristallisation gelang.
Und die Kristallstruktur, welche bereits die Titelseite der Zeitschrift Nature zierte, offenbarte eine komplizierte Anatomie: Über mehrere Schritte werden die Kaliumionen durch den Kanal geschleust. Dabei verlieren sie zunächst ihre Hydrathülle, von der die Ionen normalerweise umgeben sind, und werden von negativ geladenen Sauerstoffgruppen gepackt, die kleeblattförmig den Kanal auskleiden. Und genau diese Sauerstoffgruppen des Kanalproteins stellen den selektiven Ionenfilter dar. Denn Natriumionen, die sich ebenfalls ihrer Hydrathülle entledigt haben, sind schlicht zu klein, um gebunden und weitergeleitet zu werden.
Am Ende des Kanals sitzt schließlich ein Sensor, der – abhängig von äußeren Reizen wie ansteigender Calciumkonzentration oder einer veränderten Membranspannung – den Kanal öffnen oder schließen kann. Durch unterschiedliche Kanalproteine hat die Natur so verschiedene Kanaltypen geschaffen, die optimal auf ihre Aufgabe eingestellt sind. Manche von ihnen lassen die Ionen sogar nur in eine Richtung durch – sie arbeiten wie eine Diode.
Die frühere Vorstellung schlichter Poren mussten Biologen über Bord werfen. Die Kanäle der Zellmembranen offenbaren sich dank der Arbeiten der beiden Laureaten als komplizierte Strukturen, deren ausgeklügelte Funktion Leben erst ermöglicht.
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