Radiokarbonmethode: Gab es doch kein Neandertalerrefugium?
Während überall in Europa schon vor mehr als 40 000 Jahren das letzte Stündchen der Neandertaler schlug, konnte sich eine vergleichsweise kleine Population im Süden Spaniens halten. Das legten jedenfalls zahlreiche Studien der Vergangenheit nahe. Der Neandertaler soll hier bis in eine Zeit vor rund 36 000 Jahren überdauert und womöglich gar zeitgleich mit dem aus Norden eingewanderten Homo sapiens gelebt haben.
Erhebliche Zweifel an dieser Theorie äußert nun ein Team um den Datierungsexperten Thomas Higham von der University of Oxford. Die meisten bisherigen Radiokarbondatierungen, so die Wissenschaftler, seien nicht ausreichend sorgfältig durchgeführt worden. Verunreinigung mit jüngerem Material könnte daher die Altersbestimmung systematisch verzerrt haben.
Higham und Kollegen unterzogen Tierknochenfunde einer erneuten Altersbestimmung. Dabei kommen sie zu dem Ergebnis, dass die Fundstücke mindestens 10 000 Jahre älter sind als gedacht. Das lege nahe, dass die südiberischen Neandertaler nicht länger lebten als ihre Artgenossen aus nördlicheren Landstrichen.
Für ihre Studie wählten sie aus den fraglichen Schichten südspanischer Neandertalerhöhlen diejenigen Tierknochen aus, die Spuren einer Bearbeitung mit Steinwerkzeugen trugen und daher wahrscheinlich nicht von Raubtieren in die Höhlen eingebracht wurden. Diese überprüften sie anschließend auf ihren Gehalt an Kollagen, das sich hervorragend für die C-14-Datierung eignet. Lediglich zwei von elf untersuchten Höhlen erbrachten Fundstücke mit einer ausreichenden Menge des Knochenstrukturproteins.
Anschließend reinigten sie die Proben mit Hilfe eines Filtrationsverfahrens und datierten sie. Sowohl das Material aus der andalusischen Zafarraya-Höhle als auch das aus der Höhle Jarama VI in der Provinz Guadalajara erbrachten das unerwartet hohe Alter von rund 50 000 Jahren. Beide Fundplätze hätten bislang als Kronzeugen einer lang dauernden Neandertalerbesiedlung auf der Iberischen Halbinsel gegolten.
Die Erhaltungsbedingungen in Spanien seien leider alles andere als zuträglich für eine Kohlenstoffdatierung, meinen die Forscher. Das könne womöglich erklären, warum gerade hier ein letzter Zufluchtsort der Neandertaler vermutet wurde.
Auch João Zilhão, Neandertalerforscher von der Universität Barcelona und prominenter Vertreter der These vom längeren Überleben der Frühmenschen in Spanien, bestätigt die Schwierigkeiten bei der Datierung von Proben aus dieser Zeit, hält jedoch aus genau diesem Grund die Schlussfolgerungen der Forscher für wenig überzeugend. Man könne nicht aus zwei Neudatierungen schließen, dass die Ergebnisse aller anderen Forschergruppen falsch seien – zumindest liefere die Studie keinerlei Anhaltspunkt dafür.
Zilhão kritisiert außerdem die Auswahl der Proben: Im Fall der Höhle Jarama VI stamme der datierte Knochen nicht aus der jüngsten Schicht, bei Zafarraya sei die Schichtabfolge so durchmischt, dass man sie weder zur Bestätigung noch zur Widerlegung der Refugiumstheorie heranziehen könne, meint der Forscher.
Ob die Theorie eines spanischen Neandertalerrefugiums fortan ad acta gelegt gehört, wird sich wohl erst erweisen, wenn weitere, mindestens ebenso sorgfältige Neudatierungen die These von Higham und Kollegen stützen.
Dieser Artikel wurde am 05.02.2013 um den Kommentar von Zilhão ergänzt, der uns leider erst nach Redaktionsschluss erreichte. Red/jd
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