Europas GPS-Konkurrent: Galileos Uhren verwirren die ESA-Ingenieure
Galileo tickt nicht richtig. Das europäische Satellitennavigationssystem, benannt nach dem italienischen Universalgelehrten, hat Probleme mit seinen Zeitgebern. Eigentlich sollen hochpräzise Atomuhren in mehr als 23 000 Kilometer Höhe den Takt vorgeben, der nötig ist, um am Boden auf wenige Meter genau zu navigieren. Doch mittlerweile sind zehn Uhren auf mindestens fünf verschiedenen Satelliten ausgefallen.
Noch kann Europas Raumfahrtagentur ESA, die im Auftrag der Europäischen Union die Galileo-Konstellation betreibt, die Pannen durch den Wechsel auf alternative Uhren kompensieren. Weitere Defekte auf den bereits betroffenen Satelliten würden diese allerdings nutzlos machen. Was die ESA-Ingenieure noch mehr wurmt: Sie konnten bislang keine Ursache für die Fehler finden, und sie konnten die Defekte bei Tests am Boden auch nicht reproduzieren. Das macht es umso schwerer, die Probleme zu beheben und künftige Satelliten gegen Ausfälle zu wappnen. Der weitere Aufbau des europäischen GPS-Rivalen, der ohnehin viele Jahre dem Zeitplan hinterherhinkt, gerät dadurch in Gefahr.
Das Fehlerbild, das sich den Ingenieuren bietet, ist verworren: Zwei Generationen von Galileo-Satelliten sind bereits im All, gebaut von zwei unterschiedlichen Firmen. Jeder Satellit hat zudem vier Atomuhren an Bord – jeweils zwei Paare, die mit zwei unterschiedlichen Technologien arbeiten. Einerseits sind so genannte Rubidium-Atomuhren im Einsatz, eine seit Langem bewährte Technik in der Raumfahrt. Der Übergang zwischen zwei Energieniveaus in der Elektronenhülle des radioaktiven Alkalimetalls Rubidium-87 wird dabei genutzt, um die Frequenz der Uhr möglichst präzise festzulegen. Durch diesen Trick liegen die Rubidium-Atomuhren an Bord der Galileo-Satelliten in einer Million Jahren um lediglich drei Sekunden daneben.
Haupt- und Nebenuhren der Galileo-Satelliten
Noch viel genauer, allerdings auch größer und komplexer, sind die beiden anderen Taktgeber der Satelliten: die so genannten passiven Wasserstoff-Maser. Darin werden Wasserstoffmoleküle gespalten und dann mit Mikrowellen bestrahlt, die auf die Resonanzfrequenz der Atome abgestimmt sind. Daraus lässt sich die Zeit ermitteln – in Galileos Fall mit einer Genauigkeit von 0,3 Sekunden in einer Million Jahren. Die ESA bezeichnet die beiden Maser daher auch als "Hauptuhr der Satelliten".
Sie bereiten allerdings auch die meisten Probleme. Gleich sieben Maser sind in den vergangenen Jahren an Bord der inzwischen 18 Galileo-Satelliten ausgefallen. Die meisten Defekte musste die ESA dabei auf den vier Satelliten der ersten Generation registrieren, intern auch IOV genannt: Bei der so genannten "In-Orbit Validation" wollten die Galileo-Ingenieure überprüfen, ob die Satelliten gemäß den Vorgaben arbeiten und ob ihre Signale die nötige Präzision besitzen, um eine hochgenaue Ortung am Boden möglich zu machen.
An einen Langzeittest wurde nicht gedacht – und er war auch nicht möglich: Als die ersten IOV-Testsatelliten 2011 gestartet wurden, war die Entwicklung der Einsatzvariante bereits in vollem Gang. Zwischen dem Start der beiden Generationen sollten, da der Zeitplan schon damals gehörig durcheinandergeraten war, nur 18 Monate liegen. Es wurden wegen allerlei technischer Probleme schließlich fast zwei Jahre.
Wirklich getestet wurde früher. Bereits im Dezember 2005 startete die ESA mit Giove-A den ersten Galileo-Vorgänger; an Bord tickte eine Rubidium-Uhr. Zweieinhalb Jahre später folgte Giove-B, der erstmals die Maser-Technologie testen sollte und auf keine Probleme stieß. Im Gegenteil: Der neuartige Zeitgeber habe sich "als die stabilste Uhr erwiesen, die jemals für eine fliegende Navigationsanwendung genutzt wurde", ließ die ESA damals verlauten. Auch die Rubidium-Variante zeigte keinerlei Auffälligkeiten. Sie lief sogar problemlos an, als sie nun, elf Jahre nach dem Start, im Zuge der Fehlersuche nochmals eingeschaltet wurde.
An Bord der operativen Galileo-Satelliten sieht das anders aus. Drei Rubidium-Uhren haben in den vergangenen Monaten – offenbar ohne Vorwarnung – den Geist aufgegeben. Sie alle tickten auf Satelliten der zweiten Generation. Mit Details zu den Fehlern hält sich die ESA allerdings zurück und bleibt auffallend vage. Von "möglichen Kurzschlüssen" ist die Rede, von einer "bestimmten Testprozedur" vor dem Start, von "möglichen Schwachstellen im Design der Rubidium-Uhren".
"Diese Uhren müssen nicht zwangsläufig ausfallen"
Javier Benedicto
Bei den sieben defekten Masern zeigt sich ein anderes Bild. Vier sind nicht mehr angesprungen, nachdem sie in gesundem Zustand abgestellt worden waren. Ein weiterer konnte nach Startschwierigkeiten wieder in Gang gebracht werden. Die beiden anderen defekten Wasserstoff-Maser scheinen sich hingegen im Weltall nicht wohlzufühlen. Eine "geringe Fehlertoleranz bei einem bestimmten Parameter" führe zum Ausfall, so die ESA kryptisch. Ob es sich dabei um Temperatur, Stromstärke, Spannung oder andere Betriebseigenschaften handelt, lässt die Agentur offen.
"Diese Uhren müssen nicht zwangsläufig ausfallen", sagt Javier Benedicto, Leiter des Galileo-Programms der ESA, im Gespräch mit dem Branchendienst "SpaceIntelReport". "Unter bestimmten Bedingungen, wenn bestimmte Werte in die falsche Richtung laufen, wenn wir wirklich viel Pech haben, dann kann allerdings etwas passieren." Verantwortlich dafür sei womöglich nicht die Uhr an sich, die von der Schweizer Firma SpectraTime gebaut werde, sondern eine periphere, unscheinbare Komponente.
Die ESA will nun versuchen, die Satelliten so zu betreiben, dass die problematischen Bedingungen nicht mehr auftreten. Noch müssten die entsprechenden Prozeduren aber überprüft werden. Bei den Rubidium-Uhren seien die schädlichen Tests vor dem Start hingegen schon geändert worden, so dass das Risiko eines Ausfalls reduziert werden konnte. Trotzdem müssten die Uhren an Bord von acht Galileo-Satelliten, die auf ihren Start warten, technisch überholt werden.
Noch hat die ESA Glück. Bei keinem der derzeit 18 Satelliten im All sind mehr als zwei Uhren ausgefallen. Theoretisch könnte jeweils ein weiterer der insgesamt vier Zeitgeber streiken, ohne dass die 30 bis 40 Millionen Euro teuren Satelliten nutzlos würden. Ganz ohne Atomuhren geht es allerdings nicht: Nur durch sie können Empfänger am Boden die exakte Entfernung zu mehreren Satelliten ermitteln und so die eigene Position auf wenige Meter genau bestimmen. Doch die Genauigkeit könnte leiden, wenn nur noch die weniger genauen Rubidium-Atomuhren betriebsbereit sind und nicht mehr die hochpräzisen Wasserstoff-Maser.
Starten oder testen?
Viel Spielraum haben die Betreiber nicht, nachdem es bereits in der Vergangenheit immer wieder zu Rückschlägen gekommen ist: Einer der ersten Satelliten hat Probleme mit seiner Antenne und steht nur eingeschränkt zur Verfügung. Zwei weitere Satelliten wurden in einer falschen Umlaufbahn ausgesetzt. Sie lassen sich nur mühsam und mit eingeschränkter Erreichbarkeit in die Konstellation integrieren.
Für die ESA und die EU kommen die Ausfälle zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Gerade hatte sich das gut sieben Milliarden Euro teure Galileo-Programm berappelt. Es schien, nach vielen Rückschlägen in der Vergangenheit, auf Kurs zu sein – hin zur kompletten Einsatzbereitschaft im Jahr 2020. Mit insgesamt 30 Satelliten soll Galileo dann ständig und überall auf der Welt verfügbar sein. Eigentlich hätte es schon 2008 so weit sein sollen.
Dafür drückt die EU nun umso mehr aufs Tempo. Um den für 2016 versprochenen vorläufigen Betrieb nicht zu gefährden, für den mindestens 18 Satelliten benötigt werden, wurde noch im November ein weiterer Viererpack ins All bugsiert – obwohl die Probleme mit den Uhren damals bereits bekannt waren. Die Zeitgeber seien vor dem Start allerdings intensiv untersucht worden, versichert ESA-Manager Benedicto.
Was mit den künftigen Galileo-Satelliten passieren soll, ist hingegen offen. Acht sind bereits in Auftrag gegeben, über den Bau von vier bis sechs weiteren soll demnächst entschieden werden. Der nächste Start war eigentlich für August geplant. Was tun? Trotzdem fliegen und weitere Ausfälle riskieren? Oder warten, bis die Fehlerursache gefunden ist, auch wenn das dauern kann? Bislang sei keine Entscheidung gefallen, sagt ESA-Chef Johann-Dietrich Wörner: "Wir stecken noch mitten in den Diskussionen." Die Zeit tickt.
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