Kosmologie: Weltformel im Gammablitz-Test
Es war der »Hellste aller Zeiten«: Am 9. Oktober 2022 erreichte die Erde ein Gammablitz; mehr als 64 000 Photonen mit einer noch nie zuvor gemessenen Energie von bis zu 18 Teraelektronvolt prasselten minutenlang auf die Teleskope ein. »Ein einmaliges Ereignis in 10 000 Jahren«, urteilten Fachleute. Und nun haben Forschende des chinesischen Large High Altitude Air Shower Observatory die aufgezeichneten Daten genutzt, um Abweichungen von Albert Einsteins Relativitätstheorie zu suchen – allerdings erfolglos. Doch die Ergebnisse ermöglichen es, Theorien der Quantengravitation besser einzugrenzen, berichtet das Forschungsteam in einer bei »Physical Review Letters« erschienenen Veröffentlichung.
Vor etwa zwei Milliarden Jahren starb weit entfernt von der Erde ein Stern. Er hatte seinen Treibstoff verbraucht und konnte dem enormen Druck seiner eigenen Masse nicht mehr standhalten: Er stürzte in sich zusammen und verwandelte sich in ein Schwarzes Loch. Während das galaktische Ungetüm die umgebende Materie verschlang, beschleunigte es Teilchen auf nahezu Lichtgeschwindigkeit, wodurch sie extrem energiereiche Röntgen- und Gammastrahlen aussandten. Dieser Gammablitz ließ sich 2022 auf der Erde detektieren. Die hochenergetischen Photonen hatten einen sehr langen Weg hinter sich; sie sind etwa 1,9 Milliarden Jahre lang quer durch das All gereist. Daher können sie Aufschluss über die Struktur unserer Raumzeit geben – selbst kleine Störungen könnten sich über diese Distanz zu merklichen Effekten aufsummieren.
Solche Stolpersteine in der Raumzeit sagen viele Ansätze zur Quantengravitation voraus. Dabei handelt es sich um Theorien, welche die allgemeine Relativitätstheorie mit der Quantenphysik in Einklang bringen wollen; es sind Kandidaten für eine lang ersehnte Weltformel. Dafür gibt es viele verschiedene Ansätze: Stringtheoretiker führen beispielsweise winzige Fäden und seltsame Membranen ein, die auf kleinster Skala schwingen und so alle bekannten Kräfte und Elementarteilchen erzeugen. Andere Modelle gehen davon aus, dass Raum und Zeit auf kleinster Ebene nicht mehr kontinuierlich sind, sondern gestückelt – ähnlich wie zusammenhängende Materie in Wirklichkeit aus einzelnen Atomen besteht. Auch wenn sich die Beschreibungen stark unterscheiden, haben sie eine Gemeinsamkeit: Die Gesetze der allgemeinen und der speziellen Relativitätstheorie, die unser Universum bisher so gut beschrieben haben, treffen nicht mehr immer zu.
Nicht alles ist relativ
Anders als der Name suggeriert, ist eine der größten Errungenschaften der speziellen Relativitätstheorie eine Konstante: die Lichtgeschwindigkeit. Unabhängig davon, ob man sich auf eine Lichtquelle zu- oder von ihr wegbewegt, das Licht ist im Vakuum immer gleich schnell. Wenn es sich hingegen durch ein Medium bewegt, etwa durch eine optische Faser, dann wird es unter Umständen verlangsamt. Zudem hängt die Geschwindigkeit der Photonen in diesem Fall von ihrer Energie ab; so bewegen sich rote Wellenlängen in Medien schneller als blaue. Im Vakuum sollten hingegen alle Photonen, unabhängig von ihrer Energie, gleich schnell sein: exakt 299 792 458 Meter pro Sekunde – so zumindest die Theorie, die bisher von allen Experimenten bestätigt wurde.
Einige Quantengravitationstheorien sagen allerdings etwas anderes voraus. Wenn die Raumzeit beispielsweise nicht kontinuierlich ist, dann könnte das Photonen mit extrem hohen Energien beeinflussen. Auch die Membranen aus der Stringtheorie könnten hochenergetische Lichtteilchen abbremsen. In diesen Fällen würde sich Licht auch im Vakuum so verhalten, als würde es sich durch ein Medium bewegen, und die Geschwindigkeit der Photonen würde je nach Energie unterschiedlich ausfallen.
»Die große Entfernung kann kleine Effekte bis zu einem messbaren Niveau aufschaukeln«Ping He, Bo-Qiang Ma, Physiker
Um solche Effekte nachzuweisen, muss man allerdings in Energiebereiche vordringen, die außerhalb der Möglichkeiten aktueller Labore liegen. Allerdings haben mehrere Fachgruppen bereits in der Vergangenheit erkannt, dass hochenergetische kosmische Strahlung – gerade von Gammablitzen – zumindest Hinweise auf Abweichungen von Einsteins Theorien liefern könnten. »Die große Entfernung kann kleine Effekte bis zu einem messbaren Niveau aufschaukeln«, schrieben die Physikerin Ping He und ihr Kollege Bo-Qiang Ma von der Universität Peking in einer 2022 erschienenen Veröffentlichung.
Der 2022 verzeichnete hellste Gammablitz aller Zeiten (GBR 221009A) schien dafür besonders geeignet. Zu diesem Zweck hat die Forschungsgruppe des Large High Altitude Air Shower Observatory die aufgezeichneten Daten unter die Lupe genommen. Sie haben untersucht, wie sich das Energiespektrum der Photonen mit der Zeit veränderte und nach Abweichungen von Einsteins Relativitätstheorien gesucht – ohne Erfolg. Die Aufzeichnungen stimmten mit der klassischen Gravitationstheorie überein. Damit sind die Quantengravitationstheorien jedoch nicht ausgeräumt, aber sie lassen sich besser eingrenzen. Die Ergebnisse der Forschenden erlauben es, einen fünf- bis siebenmal genaueren Schwellenwert festzulegen, ab welchen Energien es zu Abweichungen von der Relativitätstheorie kommen kann.
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