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Ernährung: Ganz oder gar nicht

Gut gegessen über Weihnachten? Vielleicht zu viel und etwas zugelegt? Mehr als Ihnen gut tut? Dann allerdings kann Ihnen dieser Artikel auch nicht weiterhelfen - das müssten Sie schon selbst erledigen.
Schmeckt und macht dick
Was der denkbar erfolgreichste Arzt wäre, ist leicht zu beantworten: arbeitslos. Schließlich sollte er im ultimativen Erfolgsfall alle Krankheiten besiegt – und sich somit selbst überflüssig gemacht haben. Nicht sehr realistisch, leider.

Und was zum Beispiel wäre die erfolgreichste denkbare Frauenzeitschrift? Vielleicht ziemlich dünn, weil ganz ohne Diätempfehlungen. Ein kurzer, nicht repräsentativer, aber im Januar 2005 aktueller Überblick: Die neue Brigitte (derzeit auf dem Cover: "Die neue Brigitte-Diät"), Freundin ("Abnehmen, ohne zu hungern"), Bild der Frau ("Aktiviert Schlank-Hormone: Expressdiät") und Journal für die Frau ("Schnell 10 Pfund runter") wissen derzeit lautstark, wie es geht. Und verraten es uns in der Titelstory ihrer Januarausgaben. Sollten die Blätter diesmal schaffen, was sie sich vornehmen – und alle Leserinnen und "nur-beim-Friseur-oder-im-Wartezimmer"-Leser "dauerhaft schlank" (Woman) machen? Auch nicht sehr realistisch. Woran liegt eigentlich das ständige Ausbleiben der avisierten Kilopurzelei?

Die Antwort ist profan, langweilig, und es kennt sie im Prinzip jeder. Also dazu später. Zunächst wäre ja immerhin auch denkbar, dass bislang stets die wirklich richtige Diät einfach noch nicht vorgestellt worden ist. Aber: Gibt es sie überhaupt, die eine, die immer wirksame Diät? Forscher um Michael Dansinger vom Tufts-New England Medical Center wollten es herausfinden.

Die Forscher testeten vier ziemlich unterschiedliche Diätansätze über den Zeitraum eines Jahres an 160 übergewichtigen Patienten im Alter zwischen 22 und 72 Jahren. Aufgeteilt in vier Gruppen à 40 Teilnehmern befolgten die Probanden dabei die Empfehlungen der Atkins-Diät, der Sears-Diät, des Ornish-Programms oder der Weight Watcher zunächst sehr strikt über zwei Monate hinweg. Nach dieser anstrengenden Anfangszeit sollten die Probanden ihre jeweiligen Diäten dann weiterführen – dabei aber selbst entscheiden, wie strikt sie die jeweils zu absolvierenden Vorgaben erfüllten.

Unterschiedlicher als die vier getesteten Ernährungsvorschriften können Diäten kaum sein – ihre Adepten sind sich teilweise spinnefeind und behaupten exakt gegensätzliches. Sehr umstritten etwa ist mittlerweile die Atkins-Diät, bei der Fett soviel man will, Kohlenhydrate aber kaum zu sich genommen werden. Während Kritiker den notgedrungen resultierenden Kohlenhydratmangel anprangerten, schienen tatsächlich manche vorläufige Studien zu bestätigen, dass Atkins-Diäteure schneller und dauerhafter abnehmen. Als wissenschaftlich fundierter gilt aber etwa der Ansatz von Dave Ornish: Er plädiert für sehr wenig Fett, während mit Kohlenhydraten nicht unbedingt gegeizt werden muss. Verzicht auf Koffein, Entspannungstraining und Änderungen des Verhaltensrepertoires unterstützen den Ansatz.

Komplexer noch die Theorie von Robert Sears, der gleich ein ganze biochemisches Gedankengebäude um seine auch "Zone-Diät" genannte Vorstellung errichtet hat. Demnach nimmt kurz zusammengefasst ab, wer bei seiner Ernährung eine ausgewogene Balance von genau umrissenen Nährstoffgruppen erzielt – hormonelle Umstellungen bewirken den dauerhaften Erfolg. Nahe liegend und alltagsverständlich der Ansatz der Weight Watcher: Generell werden hier weniger Kalorien und kleinere Portionen angestrebt, und es wird auf Gruppenarbeit gesetzt.

Soviel zur Charakterisierung der Teilnehmer am wissenschaftlich überwachten Vergleichswettkampf der unterschiedlichen Diät-Ansätze. Und wer war nun Sieger? Nun, keiner. Oder alle vier Teilnehmer. Kurz: Statistisch gesehen nahmen alle jene Teilnehmer der Studie knapp zwei bis gut drei Kilo ab, die ihr jeweiliges Diätprogramm auch wirklich über ein Jahr lang befolgt hatten. Irrelevant war allerdings, welchen Diätplan sie dabei verfolgt hatten. Nur Personen, die bei der Umsetzung ihrer Vorgaben irgendwann begonnen hatten zu schludern, hatten dann entsprechend weniger Erfolg bei ihrer Gewichtsreduzierung.

So simpel (und, wie gesagt, profan und langweilig) also ist das: Dranbleiben ist viel entscheidender als die Entscheidung für eine bestimmte Diätvariante. Gesundheitlich kann Abnehmen bei Übergewicht nur Vorteil haben, wie die Studie erneut bestätigt: Der Blutdruck und -zuckerspiegel änderten sich zwar bei den Teilnehmer nicht innerhalb eines Jahres, immerhin aber verschob sich bei erfolgreichen Studienteilnehmern das Verhältnis der Cholesterinwerte erfreulich hin zu mehr HDL-Cholesterin, der gerne als "gut" charakterisierten Form körpereigener Blutfetttransporter. Auch dabei war allerdings unerheblich, mit welchen diätären Mitteln Gewichtsverlust und Cholesterinwert-Korrektur erreicht worden waren.

Demnach also gibt es eben nicht die richtige Diät schlechthin – eine Diät wird richtig, wenn sie der zu ihr passende Abnehmewillige sie anwendet, kommentiert etwa Robert Eckel von der Universität Colorado. Und, ganz wichtig, sie auch durchhält.

Ein zwar irgendwie vorhersehbares, aber dennoch auch schönes Ergebnis – für die versammelte Armada der Frauenzeitschriften ebenso wie für die Leser und Leserinnen. Die schön viele Frauenzeitschriften bieten allmonatlich glücklicherweise reichlich Auswahl, irgendwann einmal bei Bedarf die perfekt auf einen selbst zugeschnittene Abnehmvorschrift zu finden. Gut also, wenn es "Die neue XY-Diät" auch im Januar 2006 geben wird, angepriesen wahrscheinlich auf dem Titelblatt. Vermutlich versehen mit dem Hinweis auf angesammelten Weihnachts-Leckereien-Speck, dem irgendwo eingeschmuggelten Wort "Pölsterchen" und einem in sommerliche Zukunft weisenden Verweis auf hoffentlich einmal zu erwartendes Bikiniwetter. Auch gut, das diese Beiträge gelesen und von manchen Abnehmewilligen ausprobiert werden. Allerdings werden sich – soviel ist zu befürchten – viele ein halbes Jahr später an gleicher Stelle auch wieder über "Der Jojo-Effekt – endlich gestoppt mit YZ" informieren.

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