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Geburtshilfe: Der Reiz des Sanften

Beifußzigarre, Himbeerblättertee, Globuli – viele Hebammen schwören auf »alternative« Heilmethoden. Warum neigen Geburtshelferinnen oft zur Esoterik und weshalb sind werdende Eltern so empfänglich dafür?
Eine schwangere Frau läuft durch ein Lavendelfeld
Schwangerschaft und Geburt sind sensible Lebensphasen. Angebote der Naturheilkunde fallen hier auf besonders fruchtbaren Boden.

Worauf gilt es beim Milchabpumpen zu achten? Was zieht man seinem Baby bei Minusgraden an? Und ist der schmierige Stuhl des Kleinen noch normal? Mit solchen Fragen wollen viele junge Eltern nicht gleich einen Arzt oder eine Ärztin behelligen oder gar in eine Notaufnahme gehen. Wie gut, dass eine Vertraute fast immer ein offenes Ohr hat, selbst für womöglich banale Dinge: die Hebamme. Sie ist oftmals rund um die Uhr erreichbar und kommt persönlich vorbei, wenn Not am Mann oder besser an der Frau ist.

»Deutschland ist das einzige Land auf der Welt mit einer Hinzuziehungspflicht – das bedeutet, dass bei jeder Geburt eine Hebamme anwesend sein muss. Die ärztliche Begleitung liegt in der Entscheidung der Schwangeren«, erklärt Lea Beckmann, Bildungsbeauftragte des Deutschen Hebammenverbands. »Es werden immer wieder Forderungen laut, diesen Passus aus dem Gesetz zu streichen. Doch es gibt ihn immer noch.«

Seit Jahrhunderten sind Hebammen wichtige Ratgeberinnen von werdenden Müttern und inzwischen auch Vätern. Nicht ohne Grund wurde das Hebammenwesen 2023 von der UNESCO in die Liste des Immateriellen Kulturerbes der Menschheit aufgenommen. Zu kaum einem anderen Gesundheitsberuf haben Eltern eine ähnlich intensive Beziehung. Hebammen sind Vertrauenspersonen, mit denen man auch intimste Themen wie Dammriss, Sex nach der Geburt oder postnatale Depression bespricht. Die »hevanna« (althochdeutsch für »Ahnin, die das Neugeborene hält«) steht einem bei – nicht nur körperlich, sondern besonders auch mental.

So tritt in der sensiblen Phase rund um die Geburt häufig etwas ins Leben der werdenden Eltern, das diese – nicht selten gut ausgebildet oder sogar studiert – sonst nie an sich heranließen: alternativmedizinische Verfahren wie Homöopathie, Kräuterkunde oder Energieberatung. Oft bieten Hebammen sie von sich aus an, manchmal fragen die Schwangeren selbst danach, weil sie möglichst natürliche, risikoarme Heilmittel suchen.

Rund um die Geburt sind risikoarme Heilmittel gefragt

So auch Katja*, die als Wissenschaftsredakteurin beim Fernsehen arbeitet. Sie probierte eine Moxibustion unter der Fußsohle aus: Beim Moxen brennt man eine Zigarre aus Beifußkraut nahe der Haut ab. Das soll helfen, das Ungeborene zu drehen, indem es angeblich über den »Blasen-Nieren-Meridian« eine positive Wirkung auf die Uterusmuskulatur ausübt. Einer anderen Schwangeren, der Geologin Melanie, half Akupunktur gegen ihre Rückenschmerzen; jetzt denkt sie darüber nach, per Handauflegen intensiveren Kontakt zu ihrem Ungeborenen herzustellen.

Weil solche Methoden Linderung für allerlei Beschwerden und Sorgen versprechen, wird die Schwangerschaft häufig zum Einfallstor der Alternativmedizin. Hartnäckigen Kinderhusten behandelt man mit Ipecacuanha-Globuli D12-Potenz oder lässt Mandarinenöl neben dem Bett verdampfen. »Viele Hausmittel können die klassische Schulmedizin durchaus unterstützen«, glaubt Redakteurin Katja. »Warum gleich die Chemiekeule auspacken, wenn es sanfte Alternativen gibt?«

Vor allem Frauen sind dafür offen, wie Umfragen belegen. Laut einer Erhebung der Pronova BKK unter 2000 Frauen aus dem Jahr 2018 haben 55 Prozent bereits einmal Homöopathie ausprobiert, bei Männern waren es nur 32 Prozent. Eine Bachblütentherapie – ein weiterer Dauerbrenner esoterischer Heilkunst, benannt nach dem englischen Arzt Edward Bach (1886–1936) – haben 25 Prozent der Frauen bereits versucht, aber nur 11 Prozent der Männer. In der Schwangerschaft und nach der Geburt wächst der Reiz solcher Ansätze noch einmal deutlich, schließlich will man seinem Kind keine schädigende Medikamentendosis zumuten. So nehmen zirka 70 Prozent der Schwangeren in Deutschland Praktiken abseits der Schulmedizin in Anspruch.

Verbreitete Methoden der Alternativmedizin

Kräuter- und Aromatherapie: Manche Hebammen verwenden Kräuter und ätherische Öle, um Beschwerden während der Schwangerschaft und Geburt zu lindern. Obwohl therapeutische Eigenschaften plausibel sind, gibt es oft nicht genügend Beweise für eine wirksame und sichere Anwendung bei Schwangeren. Im Gegenteil scheint eher Vorsicht geboten: Öle können Allergien auslösen.

Homöopathie: Medizinisch hochumstritten, hat keine seriöse Studie ihre Wirksamkeit je nachgewiesen. Dennoch vertrauen Millionen Menschen in Deutschland auf die extrem verdünnten Tropfen und Globuli.

Akupunktur und Akupressur: traditionelle chinesische Heilmethode zur Schmerzlinderung und Entspannung. Es gibt Hinweise darauf, dass Akupunktur und Akupressur bei bestimmten Schwangerschaftsbeschwerden helfen, aber ihre Wirksamkeit ist nicht sicher belegt.

Energetische Heilmethoden: Dazu gehören Reiki, bei der durch Handauflegen angeblich Energie übertragen wird. Einige Hebammen bieten die Methoden zur Geburtsvorbereitung an, ohne wissenschaftliche Wirksamkeitsbelege.

Visualisierung und Meditation: Manchmal werden mentale Übungen empfohlen, um Schwangere bei der Bewältigung von Schmerzen und Ängsten zu unterstützen. Das kann psychologische Vorteile bieten – die Wirksamkeit von Meditation ist wissenschaftlich bestätigt. Sie ist zudem weitgehend unbedenklich. Direkte Auswirkungen auf den Geburtsprozess sind allerdings fraglich.

»Hebammen haben eine ganzheitliche Arbeitsweise. Sie nehmen einen anderen Blickwinkel auf die Schwangere und Gebärende ein als Ärztinnen und Ärzte, bei denen häufig das medizinische Problem im Vordergrund steht und nicht die Sorgen des Elternwerdens«, so Lea Beckmann vom Hebammenverband. In der Geburtshilfe sei man daher besonders geneigt, »natürliche« Methoden einzusetzen. Manchen Frauen bietet das zusätzlich einen emotionalen oder spirituellen Halt in einer Lebensphase, die von vielen Unsicherheiten geprägt ist.

Leitmaxime für Hebammen sollte sein: Welchen Vorteil hat eine Methode für die Frau, welchen für das Kind? Hierbei ist die subjektive Einschätzung, das Gefühl der Schwangeren zentral. »Wenn sich eine Frau für Akupunktur interessiert, beraten wir sie dazu natürlich«, sagt Beckmann. Es gehe darum, alle Möglichkeiten anzubieten, aber auch Grenzen und Risiken aufzuzeigen – niemals sollten Hebammen von einer bestimmten Methode überzeugen wollen, diese gar predigen. Dass es manchmal dennoch passiert, schließt Beckmann nicht aus.

Ein weiterer Grund für die Beliebtheit alternativer Heilmethoden ist, dass viele Medikamente nicht an Schwangeren und Stillenden getestet wurden und daher für diese nicht zugelassen sind. »Oft bleibt gar nicht viel Spielraum – außerhalb der Klinik fehlen die medizinischen Optionen«, so Beckmann. »Da ist es durchaus ratsam, eine entzündete Brust erst einmal mit Kohl- oder Quarkwickeln zu behandeln oder eine Erkältung mit Ingwertee, bevor man zu Antibiotika greift.« Eine Entscheidung ganz im Interesse von Mutter und Kind, schließlich will man Medikamente mit Nebenwirkungen vermeiden.

»Der Hebammenberuf beruht wesentlich auf Erfahrungswissen. Sie fußt teils auf uralten Praktiken, die in der Vergangenheit von Generation zu Generation weitergegeben wurden«, erklärt Nicola Bauer, Leiterin des Instituts für Hebammenwissenschaft an der Medizinischen Fakultät der Universität zu Köln. »Manche Behandlungen und Handgriffe werden seit Jahrhunderten angewandt.« Manches davon sei nie in evidenzbasierten Studien geprüft worden. »Einige alte Methoden wie einen Einlauf vor der Geburt wendet man heute dagegen nicht mehr an«, sagt Bauer. »Neues Wissen löst das alte ab, weil es effektiver und besser erforscht ist.«

Die Kraft der Placebos ist erstaunlich groß

Zudem sei die Kraft der Placebos oft erstaunlich groß. Aromaöle können die Schwangeren vor der Geburt entspannen, Akupunktur kann die Muskulatur lockern und die Moxazigarre zur Drehung des Kindes beitragen – allein schon durch die Macht der Psyche. Inzwischen bieten auch Kliniken für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, etwa das Klinikum Stuttgart oder die Helios-Kliniken, einzelne Therapieansätze wie etwa Kräutermedizin an. Einige Kassen wie die Techniker Krankenkasse raten zu Akupunktur vor der Geburt, um zum Beispiel den Einsatz von Schmerzmitteln zu reduzieren.

Die meisten Alternativmethoden sind dabei harmlos. Sie schaden Mutter und Kind zumindest nicht. Ob sie auch etwas bringen, ist gleichwohl oft nicht belegt. Und die Kosten dafür werden in der Regel nicht erstattet. Doch manche Praktiken können einer werdenden Mutter und ihrem Baby durchaus gefährlich werden: Rizinusöl gilt noch immer als nützlich für die natürliche Geburtseinleitung. Allerdings gibt es keine eindeutigen Studien, die zeigen, dass Rizinus wirklich hilft. Die abführende Wirkung kann jedoch negative Folgen für das Kind haben, da eine überstürzte Geburt Stress bedeutet und die Fruchtwasserqualität darunter leidet.

Schwangere, die als Geburtsvorbereitung Himbeerblättertee trinken, haben laut einigen Studien ein erhöhtes Risiko für einen Kaiserschnitt. Mitunter wird das Gewebe so weich, dass es nach einer Sectio schwerer zu nähen ist. Nelkenöltampons sollen Wehen fördern und den Muttermund weicher machen, aber auch hier ist die Studienlage dünn.

Kritisch wird es, wenn Hebammen von Impfungen abraten: In einer Studie des Robert Koch-Instituts (RKI) von 2008 gaben fast 20 Prozent der befragten Hebammen an, Homöopathie könne eine Impfung überflüssig machen. Die Hälfte der Befragungsteilnehmerinnen meinte, es sei für die Entwicklung des Kindes wichtig, Kinderkrankheiten wie Masern (die tödlich verlaufen können) durchzumachen. Ein Viertel lehnte eine Impfung gegen Masern rundweg ab. »Diese Ergebnisse verdeutlichen, dass die Schwere der Masernerkrankung – insbesondere das Risiko von Spätfolgen bei Infektion im Säuglingsalter – von Hebammen unterschätzt wird«, erklärt das RKI.

Wobei man sich schon fragen kann, wer überhaupt für die Impfberatung zuständig ist: Hebammen oder Mediziner? Nicola Bauer sagt: »Impfberatung gehört in die Hände von Medizinerinnen und Medizinern – hier ist sie gesetzlich auch angesiedelt.«

Hebammen sind ein unverzichtbarer Teil des Gesundheitssystems: In einer Übersicht von 2021 zeigte sich, dass eine kontinuierliche Hebammenbetreuung mütterliche Ängste häufig lindert. Zudem treten weniger Depressionen auf, wenn Frauen während Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett eine Hebamme haben. Etwa 27 000 von ihnen gab es 2021 in Deutschland, das damit, hinter Norwegen, an der europäischen Spitze in Sachen Versorgungsdichte steht.

Dennoch suchen viele Eltern vor allem in Großstädten verzweifelt nach einer Obstetrix, so der Fachbegriff für Hebammen. Strenge gesetzliche Auflagen, teure Versicherungen, geringer Verdienst und schlechte Arbeitsbedingungen bedrohen die Existenz des Berufs. Nach Reformplänen vom Oktober 2022 sollten Hebammen ab 2025 aus dem Pflegebudget der Krankenhäuser gestrichen werden. Daraufhin ging ein Aufschrei durchs Land, viele Fachleute und Eltern kämpften für den Fortbestand. Eine Petition sammelte binnen Kurzem 1,5 Millionen Unterschriften, und Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach ruderte zurück: Hebammen bleiben im Pflegebudget.

Bisher genügte eine dreijährige Ausbildung, um Hebamme zu werden. Diese wird seit 2020 nun jedoch akademisiert und durch ein duales Studium ersetzt. Inzwischen kann man vielerorts Hebammenwissenschaft studieren – aktuell gibt es 46 Standorte an Universitäten und Hochschulen für Angewandte Wissenschaften in Deutschland. Nicola Bauer, die bereits 2010 einen entsprechenden Modellstudiengang startete, hat die Inhalte wesentlich mitentwickelt, doch bislang existiert kein einheitliches bundesweites Curriculum. Die staatlichen Abschlussprüfungen werden gesetzlich geregelt, aber die Ausgestaltung fällt von Fall zu Fall unterschiedlich aus.

Immerhin: »Alle Universitäten unterrichten evidenzbasierte Methoden«, so Bauer. Auch der Hebammenverband unterstützt nur wissenschaftlich geprüfte Praktiken. Im Ethikkodex heißt es: »Hebammen nutzen evidenzbasiertes berufliches Wissen, um sichere Geburtshilfe in allen Umgebungen und Kulturen zu ermöglichen.« Das scheint die Ausbildung zur Hebamme wieder attraktiver zu machen: Im Oktober 2023 begannen bundesweit 1600 Erstsemester ein solches Studium – darunter auch immer mehr Männer. Vielleicht doch eine Trendwende für den wichtigen Berufszweig?

Bauer knüpft daran die Hoffnung auf mehr Wissenschaftlichkeit: »Früher waren Lerninhalte wie Aromatherapie, Akupunktur und Homöopathie auf Hebammenkongressen Standard. Seit einigen Jahren wird häufiger hinterfragt, ob das evidenzbasiert ist. Die Hebammen und die Studierenden stellen kritische Fragen.« Dadurch gewinnen die Absolventinnen mehr Selbstvertrauen im Medizinbetrieb: »Studierte Hebammen können selbstbewusst mit Ärztinnen, Ärzten und dem Pflegepersonal interprofessionell zusammenarbeiten. Sie haben den nötigen fachlichen Background.«

»Früher waren Lerninhalte wie Aromatherapie und Homöopathie Standard. Seit einigen Jahren wird das häufiger hinterfragt«Nicola Bauer, Institut für Hebammenwissenschaft der Universität zu Köln

Um die Zukunft des Hebammenberufs zu sichern, wird es auch darauf ankommen, esoterische Praktiken von wissenschaftlich fundierten Methoden zu unterscheiden und die jungen Eltern über Chancen und Risiken aufzuklären. Vielleicht wird dann auch mehr zur Alternativmedizin geforscht, um schlechte Praktiken zu verbannen und hilfreiche zu stärken.

* (Name v. d. Red. geändert)

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  • Quellen

Babbar, S. et al.: Meditation and mindfulness in pregnancy and postpartum: A review of the evidence. Clinical Obstetrics and Gynecology 64, 2021

Bowman, R. et al.: Biophysical effects, safety and efficacy of raspberry leaf use in pregnancy: A systematic integrative review. BMC Complementary Medicine and Therapies 21, 2021

Buchberger, B., Krabbe, L.: Evaluation of outpatient acupuncture for relief of pregnancy-related conditions. International Journal of Gynaecology and Obstetrics 141, 2018

Mathie, R.T. et al.: Randomised, double-blind, placebo-controlled trials of non-individualised homeopathic treatment: Systematic review and meta-analysis. Systematic Reviews 6, 2017

Nordeng, H. et al.: Use of herbal drugs during pregnancy among 600 Norwegian women in relation to concurrent use of conventional drugs and pregnancy outcome. Complementary Therapies in Clinical Practice 17, 2011

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