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Epidemiologie: Gefährliche Mobilität

Die Dörrobstmotte ist der Schrecken der Hausfrau: Hat sie sich erst einmal in den Lebensmittelvorräten breit gemacht, hilft nur noch eins: Alles wegwerfen. Nützlich war das ungeliebte Insekt jetzt immerhin der Wissenschaft. Es half zu klären, unter welchen Bedingungen Viren mehr oder weniger ansteckend sind.
Larve der Dörrobstmotte
Wer sich in anderen einnistet, kann auf einiges verzichten, stellt ihnen doch ihr Wirt normalerweise vor allem Nahrung im Überfluss zur Verfügung. Das eine oder andere Sinnesorgan und einige Verdauungsenzyme kann der Untermieter also oftmals getrost weglassen. Einen Schritt weiter gingen Viren – sie nutzen ihre unfreiwilligen Gastgeber nicht als Futterstelle, sondern als Gebärmaschine. Eine Eigenschaft aber ist für alle absolut lebensnotwendig: die Fähigkeit, in den Wirt hineinzugelangen.

Diese Infektiosität aber kann – so zumindest die Theorie – unterschiedlich stark ausgeprägt sein. So sollte sie besonders groß sein, wenn der Parasit oder Erreger immer wieder auf neue, noch nicht infizierte Wirte trifft, da ihm jeder Kontakt ein neues, reiches Betätigungsfeld bietet. Umgekehrt sollte seine Ansteckungsfähigkeit in einer Wirtspopulation, die untereinander enge Kontakte pflegt, nachlassen. In diesem Fall umgibt sich nämlich ein infizierter Wirt dank der Ansteckung innerhalb kurzer Zeit mit anderen Infizierten – der Eindringling findet daher sehr schnell nur noch bereits belegte Lebensräume vor. Langfristig profitiert er also davon, wenn er nur wenig ansteckend ist und seine Opfer nur langsam erobert: Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, auch nach langer Zeit noch gesunde Opfer zu finden.

Statt grauer Theorie überprüften Michael Boots und Michael Mealor von der Universität Sheffield diese Annahmen nun in der Praxis am lebenden Objekt: der Dörrobstmotte (Plodia interpunctella). Dieses Insekt bot sich an, da sich ihre Larven leicht mit einem artspezifischen Virus (PiGV) infizieren lassen. Außerdem lässt sich ganz einfach ihre Beweglichkeit und darüber auch die Anzahl ihrer Kontakte mit Artgenossen manipulieren – über die Durchlässigkeit ihres Futterbreis, in dem sie leben.

Larven der Dörrobstmotte | An Larven der Dörrobstmotte demonstrierten Wissenschaftler, dass die Ansteckungsfähigkeit von Viren sinkt, wenn der Kontakt zu Artgenossen des Wirts beschränkt ist.
So durfte sich die eine Larvengruppe in einem lockeren Brei aus Haferflocken, Hefe, Honig und Glyzerin tummeln. Darin fanden sie nicht nur üppig Nahrung, sondern konnten sich auch frei bewegen. Dementsprechend große Strecken legten sie zurück, trafen dabei aber nur selten mehrmals auf denselben Artgenossen. Den anderen Mottenlarven wurde zusätzlich Wasser in den Nahrungsbrei gemischt; dadurch verklumpte dieser und schränkte so die Mobilität der Larven ein. Da die Motten ihre Eier in Haufen ablegen, blieben die Larven im festen Nahrungsbrei, in dem sie sich nur kurze Strecken fortbewegten, auch dicht beieinander – diese Exemplare trafen daher recht häufig auf dieselben, in der Nähe lebenden Artgenossen.

In diese derart manipulierten Mini-Ökosysteme legten die Wissenschaftler noch einige mit PiGV infizierte tote Larven, die von ihren Artgenossen bereitwillig vertilgt wurden – wobei sie sich allerdings ansteckten. Nach vierzig Wochen sammelten die Forscher aus dem aktuellen Larvenbestand die infizierten Exemplare heraus, die durch ihre sehr helle Färbung leicht zu erkennen sind, extrahierten aus ihnen das Virus und testeten dessen Infektiosität.

Die Viren, die aus den weit wandernden Larven stammten, hatten ihre ursprüngliche Ansteckungskraft bewahrt. Diejenigen aus den Larven mit eingeschränkter Beweglichkeit hingegen waren – ganz wie von der Theorie vorhergesagt – nach den vierzig Wochen nur noch ein Drittel so ansteckend wie zuvor.

Häufige, lokal begrenzte Kontakte des Wirts reduzieren also tatsächlich die Infektiosität eines Parasiten oder Erregers. Umgekehrt könnte, so vermuten die Wissenschaftler, eine große Mobilität eines Wirts wegen der weit verstreuten Kontakte mit immer wieder fremden Individuen den Schmarotzer mit der Zeit gefährlicher machen.

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