Artenschutz: Gefährliche Reise
Jetzt sind sie wieder nach Hause unterwegs - Star und Stieglitz, Kiebitz und Wachtel, Storch und Schnepfe. Doch die Zugvögel werden nicht nur als Frühlingsboten erwartet: Zehntausende Jäger lauern ihnen mit Flinte, Netz und Leimrute auf. Der Widerstand gegen das alljährliche Massaker wächst aber erfolgreich.
100 Millionen Vögel: So viele Fasane, Tauben, Rallen, Enten, Gänse und Limikolen fallen jährlich mindestens in 25 Staaten der Europäischen Union, der Schweiz und Norwegen der Jagd zum Opfer – genug, um 7000 Lastwagen mit 66 000 Tonnen Wildbret zu füllen.
Keine Schonung für Seltenheiten
Insgesamt erlaubt die EU nach den Vorschriften der Europäischen Vogelschutzrichtlinie, dass 82 Arten gejagt werden. Nicht alle davon sind Zugvögel: Fasan und Ringeltaube belegen mit zusammen knapp vierzig Millionen geschossenen Exemplaren die beiden ersten Plätze der Rangliste. Doch dann folgt mit 15 Millionen Opfern die Singdrossel und damit ein Singvogel, der den deutschen Winter im Süden verbringt. Alle diese Arten sind relativ häufig, und der Fasan wird sogar noch jagdlich im Bestand gestützt, da ihn Jäger züchten und auswildern.
Gleiches gilt für den Kiebitz, der früher typisch war für Deutschlands Feuchtwiesen: "Er steht in Deutschland auf der Roten Liste, wird aber in Frankreich legal bejagt", moniert Schneider-Jacoby. 435 000 Abschüssen in unserem Nachbarland stehen hierzulande nur noch maximal 104 000 Tiere gegenüber. Kaum verwunderlich also, dass auf Grund eines derart massiven Aderlasses manche Vogelspezies auf breiter Linie verschwinden: Mehr als ein Viertel der jagdlich "erlaubten" Arten muss nahezu europaweit sinkende Zahlen hinnehmen.
Heißes Pflaster Malta
Besonders verwerflich finden Ornithologen und Naturschützer, dass nicht nur im Herbst geballert wird, wenn zahlreiche Jungvögel die Bestände auffüllen: "Der Frühlingszug beschränkt sich vor allem auf die Vögel, die den Winter und die anstrengende Reise überlebt haben. Sie bilden den Kernbestand, den Tiere brauchen, um ihre Population zu erhalten", erklärt Schneider-Jacoby.
Archaische Fangmethoden
Ebenfalls beliebt sind neben feinmaschigen Netzen, in denen sich kleinere Singvögel verheddern sollen, klebrige Ruten, wie sie etwa in Katalonien eingesetzt werden.
Gewalt gegen Vogelschützer
Nicht nur die Angst vor Stimmenverlusten bei Wahlen erklärt vielleicht die zögerliche Haltung von Politik und Behörden. Bisweilen gehen manche Jäger auch sehr aggressiv gegen Opponenten vor: Am 17. Februar beispielsweise setzten Unbekannte die Autos freiwilliger Helfer von Birdlife Malta in Brand – einer Organisation, die sich stark gegen die Jagd engagiert. Gleichfalls auf Malta zerstörten Vandalen Reservate von Birdlife, indem sie junge Bäume absägten und Öl in Tümpel gossen.
Zu verdanken haben die Vogelschützer dies auch ihrer beharrlichen Überzeugungsarbeit, die vor allem in Italien gewirkt hat: "Mittlerweile hat wohl auch der letzte Vogelfänger realisiert, dass wir eng mit den Behörden kooperieren und dass ein Angriff auf uns eine ganze Armada von Polizisten auf den Plan ruft." Überhaupt Italien: Einst war die Halbinsel der Inbegriff der Vogeljagd, doch können sich die Erfolge sehen lassen. "Italien hat eine 15 000 Mann starke Forstpolizei, die die Wilderei sehr effektiv bekämpft", lobt Heyd.
Erfolgreicher Widerstand
In den letzten dreißig Jahren ist die Zahl der Jäger vor Ort auf ein knappes Viertel gefallen, die Zahl der Fanganlagen reduzierte sich um 99 Prozent, ein Fünftel der Landesfläche ist für die Jagd gesperrt, tote Singvögel dürfen nicht mehr verkauft werden und der Import von gefrorenen Singvögeln wurde verboten.
"Die Gesamtsumme der in Europa legal getöteten Vögel dürfte die 120 Millionen übersteigen – dazu kommen schätzungsweise 30 bis 100 Millionen gewilderte"
(Alexander Heyd)
Diese Zahlen des Komitees gegen den Vogelmord aus Bonn sind jedoch nur die offiziellen Angaben. Es fehlen Daten vom Balkan, aus der Ukraine, Weißrussland und Russland, wo es ebenfalls eine aktive Jägerschaft gibt. "Die wenigen Feuchtgebiete an der östlichen Adriaküste werden für Arten, die in Kroatien, Montenegro, Bosnien und Albanien ankommen, zur Todesfalle", beschreibt Martin Schneider-Jacoby von Euronatur, einer Organisation, die sich ebenfalls für den Zugvogelschutz stark macht, die "alarmierende" Situation vor Ort. (Alexander Heyd)
Doch selbst wenn diese Staaten erfasst würden, wäre es noch nicht die gesamte Beutestrecke: "Gewilderte Tiere sind nicht enthalten, auch fehlen Zahlen über angeschossene und später verendete Vögel. Schließlich muss hinterfragt werden, ob die Jäger tatsächlich die richtigen Zahlen nennen", schränkt Alexander Heyd vom Komitee ein. Und es geht noch weiter, denn in Italien beispielsweise dürfen Arten wie Buch- und Bergfink geschossen werden, die nach EU-Recht eigentlich nicht jagdbar sind: Sie tauchen in keiner Statistik auf. Gleiches gilt für – legal – in Katalonien mit Leimruten gefangene Vögel oder in Frankreich in Netzen oder Schlingen erbeutete Tiere. "Die Gesamtsumme der in Europa legal getöteten Vögel dürfte die 120 Millionen übersteigen – dazu kommen schätzungsweise 30 bis 100 Millionen gewilderte", fasst Heyd die traurige Sachlage zusammen.
Keine Schonung für Seltenheiten
Insgesamt erlaubt die EU nach den Vorschriften der Europäischen Vogelschutzrichtlinie, dass 82 Arten gejagt werden. Nicht alle davon sind Zugvögel: Fasan und Ringeltaube belegen mit zusammen knapp vierzig Millionen geschossenen Exemplaren die beiden ersten Plätze der Rangliste. Doch dann folgt mit 15 Millionen Opfern die Singdrossel und damit ein Singvogel, der den deutschen Winter im Süden verbringt. Alle diese Arten sind relativ häufig, und der Fasan wird sogar noch jagdlich im Bestand gestützt, da ihn Jäger züchten und auswildern.
Manche Nimrode machen aber auch vor seltenen und im Bestand abnehmenden Spezies nicht halt: Jedes Jahr fallen – auch in Deutschland – beispielsweise mehrere Millionen Waldschnepfen, Wachteln und Turteltauben der zweifelhaften Leidenschaft zum Opfer, obwohl diese Arten seit Jahren im Bestand sinken. Bekassinen, Brachvögel und Goldregenpfeifer stehen vielerorts bereits auf der Roten Liste, und dennoch holen Jäger sie zu Hunderttausenden vom Himmel. Vielerorts sind nach massiven Einbrüchen die Feldlerchen aus der Kulturlandschaft Deutschlands oder der Niederlande verschwunden. Die EU hindert es trotzdem nicht daran, jährlich den Abschuss von 2,5 Millionen Individuen freizugeben.
Gleiches gilt für den Kiebitz, der früher typisch war für Deutschlands Feuchtwiesen: "Er steht in Deutschland auf der Roten Liste, wird aber in Frankreich legal bejagt", moniert Schneider-Jacoby. 435 000 Abschüssen in unserem Nachbarland stehen hierzulande nur noch maximal 104 000 Tiere gegenüber. Kaum verwunderlich also, dass auf Grund eines derart massiven Aderlasses manche Vogelspezies auf breiter Linie verschwinden: Mehr als ein Viertel der jagdlich "erlaubten" Arten muss nahezu europaweit sinkende Zahlen hinnehmen.
Heißes Pflaster Malta
Damit aber noch nicht genug. Selbst stark bedrohte Vögel fallen Schrot und Korn zum Opfer – illegal. Ein ganz heißes Pflaster ist diesbezüglich Malta, das europaweit wohl mit die höchste Dichte an Jägern aufweist. Auf dem kleinen Eiland warten stets im Frühling und Herbst mindestens 15 000 Waidmänner auf die ziehenden Schwärme, die Malta als wichtigen Rastplatz bei der Mittelmeerquerung nutzen möchten. "Frühjahr für Frühjahr werden tausende Rohrweihen, Wespenbussarde, Stelzenläufer oder Purpurreiher abgeschossen. Natürlich ist das selbst nach maltesischem Recht verboten. Aber wie sollen wir diese Verstöße effektiv aufdecken und verfolgen, wenn gleichzeitig auf der ganzen Insel legal hunderttausendfach Schüsse auf Tauben und Wachteln knallen?" klagt Joseph Mangion, Vorsitzender von BirdLife Malta. Auch Fisch- und Schreiadler, Blauracken, Löffler, Flamingos und Falken fallen diesem Gemetzel immer wieder zum Opfer.
Besonders verwerflich finden Ornithologen und Naturschützer, dass nicht nur im Herbst geballert wird, wenn zahlreiche Jungvögel die Bestände auffüllen: "Der Frühlingszug beschränkt sich vor allem auf die Vögel, die den Winter und die anstrengende Reise überlebt haben. Sie bilden den Kernbestand, den Tiere brauchen, um ihre Population zu erhalten", erklärt Schneider-Jacoby.
"Die wenigen Feuchtgebiete an der östlichen Adriaküste werden für Arten, die in Kroatien, Montenegro, Bosnien und Albanien ankommen, zur Todesfalle"
(Martin Schneider-Jacoby)
Die Regierungen auf dem Balkan hindert das aber nicht daran, genau gegenteilig zu handeln: "In Kroatien dürfen Bekassinen bis Ende Februar geschossen werden und in Montenegro Knäkenten sogar bis Mitte März. Beides betrifft eindeutig Vögel, die auf dem Rückweg in ihre Brutgebiete und bei uns bedroht sind. Leider wird die lange Jagdsaison in den Frühling hinein dann auch genutzt, um andere Arten abzuschießen." (Martin Schneider-Jacoby)
Archaische Fangmethoden
Häufig widersprechen die angewandten Jagdmethoden jeglichem Jagdethos, wie er sonst Wild eigentlich zuteil wird: Auf Malta dürfen Jäger Enten und Gänsen mit Schnellbooten auf hoher See nachstellen, wo sich die Tiere erschöpft zur Rast niederlassen wollen. In Frankreich erlaubten die Behörden 2005 wieder lokal den Einsatz von so genannten Steinquetschfallen – eine besonders qualvolle Methode. Sie besteht aus einer Kalksteinplatte, die von kleinen Stöckchen gehalten und mit verlockendem Futter bestückt wird. Wollen Vögel an die Beeren gelangen, werfen sie die Stützen um und lösen den Fallmechanismus aus. Haben sie Glück, erschlägt der Stein sie sofort, doch Beobachtungen durch Helfer des Komitees gegen Vogelmord zeigen eher, dass die Tiere verbluten, ersticken, verdursten oder am Stress der Gefangennahme verenden.
Ebenfalls beliebt sind neben feinmaschigen Netzen, in denen sich kleinere Singvögel verheddern sollen, klebrige Ruten, wie sie etwa in Katalonien eingesetzt werden.
"Wie sollen wir Verstöße effektiv aufdecken und verfolgen, wenn gleichzeitig auf der ganzen Insel legal hunderttausendfach die Schüsse auf Tauben und Wachteln knallen?"
(Joseph Mangion)
Mit Gezwitscher vom Band locken die Fallensteller die Tiere in ein Gewirr aus klebrigen Zweigen und Ästen in extra dafür zurechtgeschnittenen Bäumen. Obwohl seit 1979 verboten, sind die perfiden Fallen etwa im Hinterland von Valencia weiterhin allgegenwärtig – trotz einer Verfügung des Europäischen Gerichtshofs von 2004, die Fanganlagen zu schließen. (Joseph Mangion)
Überhaupt die Umsetzung: Zwar leistet die Vogelschutzrichtlinie der EU von 1979 einen wichtigen Schritt zur Bewahrung der Zugvögel, doch hapert es in einzelnen Ländern wie Frankreich oder Malta noch immer an dessen wirksamer Durchsetzung oder durchlöchern Ausnahmeregelungen das Gesetzeswerk. Der Grund: "Der Einfluss der Jagdlobby ist erheblich. Gerade dort, wo sie sehr stark ist wie in Frankreich, Malta, Zypern oder Deutschland, ist eine Änderung der Jagdgesetze fast unmöglich. Das gilt auch für die EU-Ebene, auf der sich der Jägerzusammenschluss FACE sehr dafür einsetzt, dass die Vogelschutzrichtlinie nicht verbessert wird", erläutert Alexander Heyd.
Gewalt gegen Vogelschützer
Nicht nur die Angst vor Stimmenverlusten bei Wahlen erklärt vielleicht die zögerliche Haltung von Politik und Behörden. Bisweilen gehen manche Jäger auch sehr aggressiv gegen Opponenten vor: Am 17. Februar beispielsweise setzten Unbekannte die Autos freiwilliger Helfer von Birdlife Malta in Brand – einer Organisation, die sich stark gegen die Jagd engagiert. Gleichfalls auf Malta zerstörten Vandalen Reservate von Birdlife, indem sie junge Bäume absägten und Öl in Tümpel gossen.
Auch Alexander Heyd kann von Angriffen auf Helfer des Komitees berichten: "Probleme mit aufgebrachten Wilderern sind bei uns an der Tagesordnung, lassen aber an Heftigkeit nach." So wurden die Vogelschützer letztmals im Jahr 2003 beschossen, während es in den Vorjahren regelmäßig der Fall war. Attacken auf Fahrzeuge gehören dagegen noch zum Standard, wenngleich nicht so heftige wie auf Malta: "Uns zersticht man normalerweise nur die Reifen, gelegentlich geht eine Windschutzscheibe zu Bruch. Ansonsten belassen es die Wilderer bei Verbalattacken und Drohgebärden wie Verfolgungsjagden oder Mistgabelschwenken."
Zu verdanken haben die Vogelschützer dies auch ihrer beharrlichen Überzeugungsarbeit, die vor allem in Italien gewirkt hat: "Mittlerweile hat wohl auch der letzte Vogelfänger realisiert, dass wir eng mit den Behörden kooperieren und dass ein Angriff auf uns eine ganze Armada von Polizisten auf den Plan ruft." Überhaupt Italien: Einst war die Halbinsel der Inbegriff der Vogeljagd, doch können sich die Erfolge sehen lassen. "Italien hat eine 15 000 Mann starke Forstpolizei, die die Wilderei sehr effektiv bekämpft", lobt Heyd.
Erfolgreicher Widerstand
In den letzten dreißig Jahren ist die Zahl der Jäger vor Ort auf ein knappes Viertel gefallen, die Zahl der Fanganlagen reduzierte sich um 99 Prozent, ein Fünftel der Landesfläche ist für die Jagd gesperrt, tote Singvögel dürfen nicht mehr verkauft werden und der Import von gefrorenen Singvögeln wurde verboten.
"Mittlerweile hat wohl auch der letzte Vogelfänger realisiert, dass wir eng mit den Behörden kooperieren und dass ein Angriff auf uns eine ganze Armada von Polizisten auf den Plan ruft"
(Alexander Heyd)
Wilderei findet nur noch ausnahmsweise statt. Über Fortschritte auf dem Balkan freut sich Schneider-Jacoby: "Im Januar 2008 stieg die Zahl der überwinternden Vögel im montenegrinischen Teil des Skutari-Sees auf über 150 000 Tiere an – mehr als viermal so viele wie vor drei Jahren, als dort noch gejagt wurde." (Alexander Heyd)
Slowenien darf sich sogar als europaweites Vorbild rühmen, denn es erlaubt nur noch die Jagd auf sechs Vogelarten, Zugvögel aus anderen Ländern sind grundsätzlich geschützt. "Das ist die konsequente Umsetzung der Vogelschutzrichtlinie", so der Euronatur-Experte. Und selbst auf Malta tut sich mittlerweile etwas: Als EU-Mitglied ist die Insel verpflichtet, die Vogelschutzrichtlinie mit allen Konsequenzen anzuwenden. Da dies bislang noch nicht geschah, bereitet die Europäische Komission nun eine Klage gegen den Staat vor dem Europäischen Gerichtshof vor. Zumindest die offizielle Frühjahrsjagd könnte also schon bald Vergangenheit sein.
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