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Psychotherapie von Straftätern: »Gefährliche Straftäter waren oft schon als Kinder Systemsprenger«

Die Psychologin Gilda Giebel hat mit den gefährlichsten Männern Deutschlands gearbeitet. Im Interview berichtet sie vom Alltag in der Sicherungsverwahrung.
Es ist ein Treppenhaus eines deutschen Gefängnisses zu sehen mit vielen Gitterstäben
Was treibt jemanden dazu, andere Menschen zu vergewaltigen, zu quälen oder zu ermorden? Als Psychologin in der Sicherungsverwahrung hat Gilda Giebel Straftäter behandelt, die weder Empathie noch Reue empfinden.

Frau Giebel, schauen Sie gern Thriller?

Eigentlich nicht, aber als 18-Jährige habe ich mir zusammen mit meinem damaligen Freund ›Funny Games‹ angesehen. Darin geht es um zwei Männer, die eine Familie stundenlang brutal quälen. Das hat mich ziemlich beschäftigt, und ich habe mich gefragt: Wie können Menschen derart böse sein?

Haben Sie deshalb Psychologie studiert?

Zumindest spielte eine Rolle, dass ich Menschen und deren Verhalten verstehen wollte. Gefährliche Straftäter lernt man ja normalerweise zum Glück nicht kennen. Wenn man von schrecklichen Verbrechen hört, fragt man sich manchmal, was im Kopf der Täter vorgegangen ist oder ob man ihnen selbst hätte zum Opfer fallen können. Als forensische Psychologin an der Universität habe ich hunderte Akten von Gewaltstraftätern gelesen, bin solchen Menschen aber nur selten begegnet. Ich war sehr neugierig darauf, wie sie auf mich wirken würden. Deshalb habe ich mich um eine Stelle in der Sicherungsverwahrung beworben …

… wo Sie sechs Jahre gearbeitet haben. Wie sieht es dort aus?

Die Bedingungen sind besser als im Gefängnis: Jeder hat sein eigenes Zimmer und Bad. Manche haben Haustiere, zum Beispiel Fische oder Vögel. Es gibt eine Gemeinschaftsküche und ein Außengelände, und tagsüber können sich die Verwahrten drinnen und draußen frei bewegen. Außerdem werden verschiedene Beschäftigungsmöglichkeiten angeboten. Bei uns waren das zum Beispiel Kochgruppen, Sport und Tonarbeiten. Morgens haben sich Mitarbeitende und Verwahrte manchmal zum Frühstück getroffen und jeder hat etwas mitgebracht.

Gilda Giebel | Die Psychologin hat in ihrer Promotion an der Universität Konstanz untersucht, warum Frauen Liebesbeziehungen mit inhaftierten Männern eingehen. Anschließend erforschte sie die Risikofaktoren von Jugendgewalt wie Amokläufen. Von 2016 bis 2022 arbeitete sie als systemische Therapeutin in einer deutschen Sicherungsverwahrung. In ihrem Buch »Triebhaft« schildert sie die Erfahrungen, die sie dort mit gefährlichen Sexualstraftätern gesammelt hat, und ordnet deren Auffälligkeiten systematisch ein.

Das klingt nach harmonischer Wohngemeinschaft. Was haben die Menschen in Sicherungsverwahrung verbrochen?

Dorthin kommen nur die gefährlichsten Menschen. Zum Schutz der Gesellschaft werden sie nach der Strafhaft verwahrt. Das sind unbelehrbare Wiederholungstäter, die keine Einsicht zeigen und die im Gefängnis keine Therapie wollten oder bei denen die Behandlung nicht erfolgreich war. Die Delikte, die zur Anordnung einer Sicherungsverwahrung führen, sind schwere Gewalt- und Sexualstraftaten, wobei Letztere einen Anteil von etwa 75 Prozent ausmachen. Diese Verwahrten haben Kinder missbraucht oder Frauen vergewaltigt.

Das hört sich so an, als seien die meisten männlich.

2022 gab es in Deutschland 602 männliche Verwahrte und nur zwei weibliche. Daran dürfte sich wenig geändert haben.

Sicherungsverwahrung: Schutzmaßnahme für die Gesellschaft

In einer Sicherungsverwahrung leben Menschen, die ihre Haftstrafe bereits abgesessen haben, jedoch weiterhin als sehr gefährlich gelten. Das soll dem Schutz der Bevölkerung dienen. Die Einrichtung ist oft an eine Justizvollzugsanstalt (JVA) angegliedert, aber Verwahrte und Inhaftierte müssen nach dem so genannten Abstandsgebot räumlich und sozial voneinander getrennt sein. Die Sicherungsverwahrung unterscheidet sich auch von einer forensischen Klinik, in der Personen behandelt werden, die auf Grund einer psychischen Störung als vermindert schuldfähig gelten.

In Ihrem neu erschienenen Buch »Triebhaft« beschreiben Sie die typischen Persönlichkeitsstörungen von Sicherungsverwahrten. Was sind das für Menschen?

Die meisten haben eine Cluster-B-Persönlichkeitsstörung. Sie haben oft eine besondere Ausstrahlung, sind aber dramatisch und emotional. Dazu zählen Narzissten, Histrioniker, Borderliner und Menschen mit dissozialer Persönlichkeitsstörung. Zu letzterer Kategorie dürften schätzungsweise 80 Prozent der Verwahrten gehören. Diese Störung kann natürlich unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Diejenigen, denen ich begegnet bin, waren typischerweise impulsiv, haben immer wieder Regeln und Normen missachtet und dabei weder Reue noch Empathie gezeigt. Viele haben neben den Gewalt-und Sexualstraftaten viele weitere Delikte unterschiedlichster Art begangen: Fahren ohne Führerschein, Betrug, Diebstähle, Drogenkonsum.

Ich hätte in der Sicherheitsverwahrung vor allem Psychopathen vermutet.

Ja, die gibt es dort auch. Psychopathie ist jedoch keine offizielle Diagnose nach den Klassifikationssystemen ICD-10 und DSM-5, sondern ein forensisches Konzept. Psychopathische Eigenschaften lassen sich aber mit der vom Kriminalpsychologen Robert D. Hare entwickelten Psychopathie-Checkliste ermitteln. Diese Menschen ticken anders und zeigen in Hirnscans Auffälligkeiten. Zwischen dissozialer Persönlichkeitsstörung und Psychopathie gibt es große Überlappungen – nur stechen bei Psychopathen das kaum vorhandene Gewissen, die Gefühlsarmut und die mangelnde Empathie besonders hervor. Menschen mit dissozialen Eigenschaften sind zwar oft ebenso impulsiv, rücksichtslos und gefährlich, jedoch empfinden sie teilweise noch das gesamte Spektrum an Gefühlen.

Die vier Cluster-B-Persönlichkeitsstörungen

Menschen mit Cluster-B-Persönlichkeitsstörungen neigen zu impulsivem, dramatischem oder emotionalem Verhalten. Das US-amerikanische Klassifikationssystem für psychische Störungen DSM-5 unterscheidet vier Haupttypen: Menschen mit narzisstischer Persönlichkeitsstörung haben in der Regel ein grandioses Selbstbild und ein übermäßiges Bedürfnis nach Bewunderung. Typisch für die histrionische Persönlichkeitsstörung ist die ständige Suche nach Aufmerksamkeit und Bestätigung. Merkmale der Borderline-Persönlichkeitsstörung sind ein schwankendes Selbstbild, intensive und wechselhafte Gefühle sowie instabile Beziehungen. Kennzeichnend für die anti- oder dissoziale Persönlichkeitsstörung sind kriminelle Handlungen und die Missachtung gesellschaftlicher Normen. Das in Deutschland geltende internationale Klassifikationssystem für Krankheiten ICD-11 verzichtet in seiner neuesten Version weitestgehend (mit Ausnahme der Borderline-Persönlichkeitsstörung) auf die Unterteilung in verschiedene Typen von Persönlichkeitsstörungen. Stattdessen wird der Schweregrad der Beeinträchtigung und die Ausprägung von bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen wie Dissozialität erfasst.

Gibt es Verhaltensauffälligkeiten, die sich schon bei Kindern zeigen und auf spätere Gewaltbereitschaft hindeuten, Tiere quälen zum Beispiel oder Feuer legen?

Zum Quälen von Tieren besteht ein wissenschaftlich erwiesener Zusammenhang, und auch Feuer legen steht mit antisozialem Verhalten in Verbindung. Gefährliche Straftäter waren oft schon als Kinder Systemsprenger. Sie reagierten kaum oder gar nicht auf Bestrafung und fielen immer wieder auf, etwa durch Schuleschwänzen, Prügeleien oder Diebstähle. Einige meiner Klienten haben mir berichtet, in ihrer Kindheit Furchtbares erlebt zu haben, beispielsweise extreme Vernachlässigung oder Missbrauch. Allerdings neigen gerade Menschen mit psychopathischen Eigenschaften zum Lügen und Manipulieren. Vielleicht wollten manche von ihnen einfach Mitleid erzeugen.

Psychopathen gelten als besonders charismatisch. Können Sie das bestätigen?

Auf jeden Fall. Viele hatten einen hohen Unterhaltungswert, wirkten schillernd, dominant und selbstbewusst. Oft haben sie spannende Geschichten aus ihrem Leben erzählt – auch wenn einiges vermutlich frei erfunden war. Das sind Sensation Seeker, die ständig auf der Suche nach Grenzerfahrungen und Nervenkitzel sind. Da wird es nie langweilig. Ich erinnere mich hier besonders an einen Klienten, der mehrere Frauen vergewaltigt hatte. Er wirkte auf mich abenteuerlustig, kumpelhaft, unterhaltsam. Nie hat er mir gegenüber eine anzügliche Bemerkung gemacht. Hätte ich seine Akten nicht gekannt und wären wir uns irgendwo auf der Straße begegnet, wäre ich vielleicht mit ihm einen Kaffee trinken gegangen.

»Einerseits habe ich Sympathie für meine Klienten empfunden, und ich wollte sie dabei unterstützen, ein Leben in Freiheit führen zu können, ohne rückfällig zu werden. Andererseits war ich schockiert und angewidert von ihren Taten«

Wie therapiert man diese Menschen?

Oberstes Ziel ist es, die Gefährlichkeit zu reduzieren, so dass die Personen keine Straftaten mehr begehen, wenn sie entlassen werden. Das soll mit einer so genannten Milieutherapie erreicht werden. Dabei werden Umfeld und Alltag derart gestaltet, dass Entwicklungsprozesse möglich sind und die Verwahrten lernen, ihr soziales und kommunikatives Verhalten zu verbessern.

Wie geht man da genau vor?

Das gesamte Team ist einbezogen, also Psychologen, Sozialpädagogen und der Allgemeine Vollzugsdienst. Es geht darum, dass alle Mitarbeitenden Feedback geben, wenn Verwahrte sich in alltäglichen Aktivitäten unpassend oder besonders vorbildlich verhalten haben. Es gibt auch deliktorientierte Gruppen für Sexualstraftäter oder Anti-Aggressions-Übungen. Häufig sind auch Gruppentherapien, in denen mit Impact-Techniken gearbeitet wird. Das sind Methoden, die möglichst viele Sinne ansprechen und Emotionen erzeugen. Dazu zählen Rollenspiele, in denen Verwahrte am eigenen Leib erfahren, wie es sich anfühlt, jemandem körperlich unterlegen und ausgeliefert zu sein. Darüber hinaus hat jeder einmal pro Woche die Möglichkeit zur Einzeltherapie bei einem Psychologen oder einer Psychologin. Hier kann die Vergangenheit aufgearbeitet, Ziele gesetzt und an Verhaltensänderungen gearbeitet werden. Der Prozess ist schwierig und langwierig, man muss viel ausprobieren.

Wird ein Verwahrter mit Cluster-B-Persönlichkeitsstörung diese überhaupt jemals los?

Generell gelten Menschen mit schweren Persönlichkeitsstörungen als äußerst therapieresistent. Einer bekannten Studie zufolge kann eine Therapie Psychopathen sogar noch gefährlicher machen. Womöglich lernen sie dadurch, wie sie Empathie und Reue noch besser vortäuschen. Eine neuere Veröffentlichung von 2023 ist weniger pessimistisch und besagt, dass sich Verhalten und Symptome durch eine Schematherapie bessern. Allerdings hat das Forschungsteam um David P. Bernstein noch nicht überprüft, ob die Behandlungsgruppe nach der Entlassung seltener rückfällig wurde als die Kontrollgruppe. In den sechs Jahren, die ich in der Sicherungsverwahrung gearbeitet habe, hat keiner meiner Klienten eine Entwicklung durchgemacht, von der man hätte sagen können: Das ist bemerkenswert! Nur ein einziger wurde entlassen.

Ist das nicht deprimierend?

Ich wusste ja, worauf ich mich einlasse. Für Menschen, die Erfolgserlebnisse brauchen, ist der Job vermutlich nichts.

»Bis heute weiß ich nicht, ob er mir sein Mitgefühl mit den Opfern nur vorgespielt hat«

Wie bereitet man einen Verwahrten auf seine Entlassung vor?

Wenn jemand an den Therapiesitzungen teilnimmt, keine Drogen konsumiert und sich an die Regeln hält, können die Sicherheitsmaßnahmen schrittweise reduziert werden. Am Anfang dürfen die Verwahrten viermal im Jahr nach draußen, begleitet von zwei Beamten. Läuft alles gut, reicht ein Beamter und sie können häufiger raus. Irgendwann können sie die Einrichtung auch für einige Stunden und später sogar Tage ganz allein verlassen. Meiner Erfahrung nach scheitern viele. Nicht, weil sie gleich wieder schlimme Straftaten begehen. Das sind eher Kleinigkeiten. Einer hatte Alkohol getrunken, der andere eine Unterschrift gefälscht. Die hart erarbeiteten Freiheiten wurden deshalb wieder entzogen. Lockerungen müssen von externen Gutachtern befürwortet werden, die auch regelmäßig überprüfen, ob die Gefährlichkeit noch vorhanden ist und die Verwahrung fortgesetzt werden muss.

Wie prüft man, ob jemand gefährlich ist?

Bei Prognosegutachten beantwortet ein Sachverständiger – meist ist das ein forensisch erfahrender Psychologe oder Psychiater – eine gezielte Fragestellung vor Gericht. Es geht darum einzuschätzen, welche Gefahr für die Bevölkerung im Fall einer Entlassung von dem Verwahrten ausgeht. Dafür liest der Gutachter unter anderem Akten, führt ausführliche Gespräche und nutzt Instrumente zur Risikobewertung. Dazu zählt auch die Psychopathie-Checkliste. Es werden aber nicht nur risikoerhöhende Faktoren wie beispielsweise psychopathische Eigenschaften oder Suchterkrankungen berücksichtigt, sondern auch Behandlungsfortschritte und Ressourcen des Untergebrachten. Außerdem stellt der Gutachter spezifische Szenarien auf, die die Entwicklung des Untergebrachen vorhersagen sollen. Zum Beispiel überlegt er sich in einem Worst-Case-Szenario, unter welchen Umständen ein Sexualstraftäter wieder ein Kind missbrauchen würde, beispielsweise bei starken Einsamkeitsgefühlen und Selbstwertproblemen nach einem Arbeitsplatzverlust. Diese Szenarien werden in der Therapie mit dem Untergebrachten besprochen, damit er kritische Situationen frühzeitig erkennt und einen alternativen Handlungsplan entwickeln kann.

»Durch Tätertherapie leistet man einen großen Beitrag zum Opferschutz«

Die Betreuung von Verwahrten kostet mehrere hundert Euro pro Tag. Wäre das viele Geld nicht besser in die Therapie für Opfer investiert?

Dass man die Opfer therapeutisch bestmöglich unterstützen muss, steht außer Frage. Aber durch Tätertherapie leistet man einen großen Beitrag zum Opferschutz, indem man potenzielle Täter daran hindert, ihre destruktiven Triebe an anderen Menschen auszuleben. Ethisch und rechtlich ist es nicht möglich, Menschen vorsorglich zu verwahren – ihre Strafe haben sie ja bereits abgesessen –, ohne dass man es ihnen ermöglicht, sich zu bessern.

Gibt es heute mehr gefährliche Straftäter als früher?

Nein, die Zahl der Untergebrachten in der Sicherungsverwahrung schwankt in Deutschland zwischen 500 und 600 Personen, wobei ein leichter Anstieg zu verzeichnen ist. Vom Internet gehen allerdings Gefahren aus, die es früher nicht gab, etwa im Kontext von Cyber Grooming. Also wenn Erwachsene versuchen, das Vertrauen von Minderjährigen zu gewinnen und diese sexuell ausbeuten oder missbrauchen. Oder nehmen wir das Beispiel Pädophilie: Menschen erleben solche Neigungen häufig als belastend und gehen ihren Fantasien oft zunächst nicht nach, um kein Kind zu schädigen. Aber im Internet gibt es in bestimmten Foren eine Community, die sie darin bestärkt, sich an Kindern zu vergehen. Das wirkt wie eine Gehirnwäsche.

Gab es Situationen in der Sicherungsverwahrung, in denen Sie Angst hatten?

Es gab einen Sexualstraftäter, den ich besonders mochte. Wenn er in der Therapie von seinen Opfern sprach, schien er voller Mitgefühl und Reue, hatte Tränen in den Augen. Ich dachte: Der will sich wirklich verändern. Er wirkte sehr reflektiert und war einer meiner besten Klienten. Wir hatten schon einige Zeit miteinander gearbeitet, als er mich nach einem Streit mit einem anderen Verwahrten um ein Moderationsgespräch bat. Die beiden saßen in meinem Büro, und wieder gab er sich sehr emotional, entschuldigte sich unter Tränen. Nachdem der andere Verwahrte den Raum verlassen hatte, veränderte er sich plötzlich, ballte die Fäuste, schien explodieren zu wollen. Ich fragte ihn, warum er sich entschuldigt habe, obwohl er eigentlich so wütend sei. Er antwortete: Sie wissen doch, dass ich gut lügen kann! Das war richtig unheimlich. Bis heute weiß ich nicht, ob er mir sein Mitgefühl mit den Opfern nur vorgespielt hat und eigentlich völlig gefühlskalt war. Ein paar Stunden später gab es dann eine Situation, in der ich richtig Angst vor ihm hatte.

Was ist passiert?

Da stand er plötzlich ganz nah neben mir, als ich gerade mein Büro aufschließen wollte, und bat mich um ein Einzelgespräch. Wir haben keines geführt und zum Glück ist er wieder gegangen, aber das Erlebnis hat mich sehr verunsichert. Verwahrte können Mitarbeitenden durchaus gefährlich werden. Deshalb habe ich auch immer ein Funkgerät mit Alarmknopf am Hosenbund getragen. Andere schienen den Mann auch nicht einordnen zu können: In einem externen Gutachten hatte er hohe Psychopathie-Werte, im anderen nicht.

Wie verarbeitet man so etwas?

Man muss Widersprüchlichkeiten tolerieren können, sonst hält man das kaum aus. Einerseits habe ich Sympathie für meine Klienten empfunden, und ich wollte sie dabei unterstützen, ein Leben in Freiheit führen zu können, ohne rückfällig zu werden. Andererseits war ich schockiert und angewidert von ihren Taten. Die Qualen der Menschen, denen sie diese furchtbaren Dinge angetan haben, kann man sich nicht vorstellen. Ein Verwahrter hat mal zu mir gesagt, dass er seine Opfer an Schweine hätte verfüttern sollen – und das meinte er vollkommen ernst. Er hat gar nicht gemerkt, wie erschrocken ich über seine Aussage war. In solchen Momenten wollte ich so jemanden für lange Zeit sicher verwahrt wissen. Es ist ungemein wichtig, sich mit Kollegen über schwierige Situationen auszutauschen. Das hilft, die eigenen Gefühle einzuordnen. In meiner Freizeit habe ich versucht, möglichst wenig an die Arbeit zu denken, habe mich mit Freunden getroffen oder Sport gemacht. Aber so einen Job sollte man nicht dauerhaft machen. Er ist emotional belastend und kann einem gefährlich werden.

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