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21. Berliner Kolloquium der Daimler und Benz Stiftung: Gefährliche Strahlung

Unsere Sonne und andere Sterne feuern ständig geladene Teilchen und Atomkerne ins All. Für die bemannte Raumfahrt stellen diese ein großes Risiko dar.
Sonneneruption

Wir schreiben das Jahr 1961. Dem 27-jährigen Russen Juri Gagarin steht eine spektakuläre Mission bevor: Als erster Mensch soll er in den Weltraum fliegen. Am 12. April ist es so weit. Ein Raumschiff befördert ihn über die international anerkannte Grenzhöhe von 100 Kilometern, wo er in etwas mehr als 100 Minuten einmal um die Erde fliegt. Alles verläuft reibungslos – das Zeitalter der bemannten Raumfahrt ist eingeleitet, die Menschheit bereit für neue Ziele. Seither sind mehr als 550 Personen ins Weltall gereist.

Bei bemannten Weltraummissionen setzen die Verantwortlichen alles daran, die Gesundheit der Astronauten zu schützen. Auch für künftige Expeditionen ins All hat diese Devise oberste Priorität. Denn die Risiken werden nicht geringer – im Gegenteil: Die Reisen der Zukunft führen womöglich zu anderen Planeten unseres Sonnensystems und dauern sehr lange, was die potenziellen Gefahren für die beteiligten Raumfahrer erhöht. Um das Gesundheitsrisiko solcher Missionen besser beurteilen zu können, erforschen Wissenschaftler, wie sich die Umweltparameter im All auf den menschlichen Körper auswirken. Zwei Faktoren sind dabei nach heutigem Kenntnisstand besonders relevant: die im Vergleich zur Erde fehlende beziehungsweise reduzierte Schwerkraft und die mitunter sehr starke extraterrestrische Strahlung. Gefährlich für den Menschen ist dabei jener Teil der Strahlung, dessen Energie ausreicht, um Elektronen aus einem Atom oder Molekül herauszulösen. Experten sprechen in diesem Fall von ionisierender Strahlung.

Sonnensturm, Supernovae und Co

Sie besteht hauptsächlich aus zwei Komponenten: der galaktischen kosmischen Strahlung und der solaren kosmischen Strahlung. Die galaktische Komponente entsteht außerhalb unseres Sonnensystems; ihre genauen Quellen sind aber nicht abschließend identifiziert. Mögliche Kandidaten sind Supernova-Ausbrüche oder kosmische Gasströme von Schwarzen Löchern. Die Energie dieser Strahlung umspannt mehr als 15 Größenordnungen, von knapp einem Megaelektronvolt – also 106 Elektronvolt – bis zu mehr als 1021 Elektronvolt. (Ein Elektronvolt ist die Energie, die ein Teilchen mit der Ladung eines Elektrons gewinnt, wenn es im Vakuum durch die Spannung von einem Volt beschleunigt wird. 1021 Elektronvolt entsprechen dabei der Energie eines Fußballs mit einer Geschwindigkeit von rund 130 Kilometern pro Stunde.)

Die hochenergetische galaktische Strahlung

Der Ursprung der solaren kosmischen Strahlung ist im Gegensatz zu demjenigen der galaktischen bekannt. Die Strahlung setzt sich zusammen aus dem Sonnenwind – Partikel mit niedriger Energie, die konstant von der Sonne emittiert werden – und den hochenergetischen Partikeln aus Sonneneruptionen, so genannten "solar flares", die aus magnetisch instabilen Regionen unseres Zentralgestirns stammen. Die Stärke der Strahlung variiert in bestimmten Zyklen und hängt von Zahl und Heftigkeit der Eruptionen ab. Bei starken Ausbrüchen kann sie Werte von annähernd bis zu hundert Millionen Elektronvolt erreichen, was bei der vorherrschenden hohen Partikeldichte im freien Weltraum für einen ungeschützten Astronauten sofort tödlich wäre.

In der Nähe von Planeten kommt eine dritte Strahlenkomponente hinzu: hochenergetische geladene Partikel, die in planetaren Magnetfeldern, den so genannten Strahlungsgürteln, eingefangen sind. Bei der Erde heißt dieser Bereich Van-Allen-Gürtel, benannt nach seinem Entdecker. Üblicherweise bewegen sich in solchen Regionen große Ströme an geladenen Teilchen.

Strahlenbelastung im Weltraum | Von besonderem Interesse für lang dauernde Raumfahrtmissionen und deren Strahlenbelastung sind die galaktische kosmische Strahlung und die solare kosmische Strahlung.

Die Vorhersage ist schwierig

Im Weltraum wirken auf den gesamten Körper des Astronauten kontinuierlich diese verschiedenen Arten der Strahlung. Wie auf der Erde auch können sie je nach Dosis entweder sofort oder verzögert Effekte auslösen. Treten akute Beschwerden auf, sprechen Mediziner von der so genannten Strahlenkrankheit. Zu ihr kommt es vor allem dann, wenn man innerhalb eines Zeitraums von einigen Minuten bis wenigen Tagen einer hohen Strahlenmenge ausgesetzt ist. Die Symptome reichen von Übelkeit, Hautrötungen, Kopfschmerzen und Erbrechen bis zum Tod. Wenn der Betroffene überlebt, kann das chronische Strahlensyndrom auftreten, das komplexe Beschwerden hervorruft. Dazu zählen etwa Störungen des Schlaf- und Essverhaltens, allgemeine Schwäche sowie Unruhe, Konzentrations- und Gedächtnisverlust. Bei nur leicht erhöhten Strahlendosen leiden die Betroffenen nicht unter akuten Symptomen, jedoch können Jahre oder sogar Jahrzehnte später Tumoren oder eine Trübung der Augenlinse auftreten. Solche Spätfolgen erfolgen insbesondere dann, wenn die Strahlung über einen längeren Zeitraum wirkt. Sie können unter Umständen selbst dann auftreten, wenn die Dosis eigentlich gar nicht erhöht war. Denn nach derzeitigem Kenntnisstand gibt es für ionisierende Strahlung keine konkrete Schwellendosis.

Bereits auf der Erde ist es schwierig, genau zu prognostizieren, welche Wirkung eine bestimmte Strahlendosis auf den menschlichen Körper hat. Das gilt vor allem für nur leicht erhöhte Mengen. In diesen Fällen existieren keine ausreichenden Daten, weil die Beschwerden mitunter erst Jahrzehnte später auftreten. Zudem ist es schwierig, Probanden zu finden, die in ihrem Leben nur leicht erhöhte, aber definierte Dosen abbekommen haben. Und für einen Tumor zum Beispiel lässt sich die Ursache nie eindeutig bestimmen, da viele Faktoren den Krebs ausgelöst haben können. In der Regel beruht die Risikoabschätzung für eine Strahlenbelastung deshalb auf Erfahrungen, die Ärzte mit höheren Dosen gemacht haben. Mittels Näherungsmethoden versuchen sie daraus Schlüsse bezüglich geringerer Dosen zu ziehen.

Allerdings ist unklar, ob sich diese Erkenntnisse direkt auf den Weltraum übertragen lassen. Dort ist die Zusammensetzung der Strahlen sehr komplex und kann je nach Zeitraum und Ort variieren, was die Prognose zusätzlich erschwert. Und auf Grund der kleinen Stichprobe von bisher nur rund 550 Raumfahrern sind zuverlässige Erkenntnisse auch in absehbarer Zeit nicht realistisch.

Wegen der Erfahrungen auf der Erde ist jedoch klar, dass sich das Strahlenrisiko für Astronauten in zwei Kategorien aufteilen lässt: die unmittelbare Wirkung und Spätfolgen. In beiden Fällen steigt das Risiko mit zunehmender Strahlendosis. Dementsprechend sind die Strahlungsstärke und die Missionsdauer ausschlaggebende Faktoren. Ferner müssen Mediziner auch die so genannte relative biologische Wirksamkeit (abgekürzt RBW; englisch: relative biological effectiveness) in eine Risikoabschätzung mit einbeziehen. Dieser Faktor unterscheidet die verschiedenen Strahlenarten hinsichtlich ihrer biologischen Effekte. Denn die gleiche physikalische Strahlendosis kann bei verschiedenen Strahlenarten eine unterschiedliche biologische Wirksamkeit entfalten. Die RBW hängt von der Beschaffenheit des biologischen Gewebes ab sowie der Art und Energie der jeweiligen Strahlen.

Effektive Strahlendosis | Wie ionisierende Strahlung wirkt, hängt von der Strahlenart, der Energie sowie den betroffenen Organen ab. Um die effektiven Dosen zu ermitteln, nutzt man dimensionslose Multiplikatoren, so genannte Wichtungsfaktoren. In der Raumfahrtmedizin sind darüber hinaus so genannte Qualitätsfaktoren üblich. So lässt sich das Schädigungspotenzial unterschiedlicher Strahlungsarten vergleichen.

Beschuss durch Protonen und Heliumkerne

Um die Menge und Art der Strahlung abzuschätzen, die ein Astronaut im Weltraum erwartet, hat der Biophysiker Stanley B. Curtis von der University of California genauere Berechnungen angestellt: Befindet sich ein Mensch hinter einer Abschirmung von vier Gramm Aluminium pro Quadratzentimeter, so wird jede Zelle seine Körpers während einer dreijährigen Marsmission etwa jeden dritten Tag von einem Proton (dem Atomkern des Wasserstoffs) getroffen, einmal pro Monat von einem Heliumatomkern (einem so genannten Alphateilchen) und rund einmal im Jahr von einem schwereren Atomkern. Drei Prozent aller Zellen machen dabei wenigstens einmal in den drei Jahren Bekanntschaft mit einem hochenergetischen Eisenion.

Diese von Curtis beschriebenen Strahlungsarten eint, dass sie allesamt biologisch wirksam sind, also viel Energie auf kleinem Raum auf das Gewebe übertragen. Man spricht in diesen Fällen von dicht ionisierender Strahlung – im Gegensatz zu dünn ionisierender Strahlung wie Röntgenstrahlen. Beim Durchqueren eines Materials gibt die dicht ionisierende Strahlung fast kontinuierlich Energie ab, da sie besonders effektiv Elektronen aus Atomen und Molekülen entfernt. Im Gewebe kommt es daher zu vielen Ionisationsvorgängen pro Wegstrecke des Teilchens. Damit erhöhen sich die Treffer pro Zelle, und das Risiko für Schäden und Mutationen ist höher als bei einer gleichen Dosis an dünn ionisierender Strahlung.

Letztere dagegen wirkt auf die Zellen eher wie eine Ladung Schrotkugeln auf einen Vogelschwarm: Zwar werden viele getroffen, tragen aber nur leichte Verletzungen davon. Die Ionisationsdichte und somit das Mutationsrisiko sind also geringer. Dicht ionisierende Strahlung wäre – um bei dem Bild mit der Munition zu bleiben – dann vergleichbar mit einer Salve Gewehrkugeln: Sie erwischt weniger Vögel, verletzt diese aber schwerer. Extrem ionisierende Strahlung hätte schließlich die Wirkung einer Kanonenkugel: Nur ein oder allenfalls wenige Ziele werden getroffen, die Zerstörung ist aber enorm. Die massive Kugel schießt gewissermaßen ein Loch in den Schwarm, während Vögel am Rand der Formation gar nichts mitbekommen.

Die Überlebensstrategie der Zellen

Treffer mit dicht ionisierender Strahlung tangieren besonders das Erbgut der Zelle. Den Schaden registriert diese zunächst mittels unterschiedlicher Sensoren. Daraufhin liest sie die Information von unterschiedlichen Genen ab, um Maßnahmen einzuleiten, die der Beschädigung entgegenwirken. Eine der Überlebensstrategien der Zelle ist zum Beispiel der so genannte Zyklusarrest, der die Zellvermehrung pausieren lässt. Damit gewinnt die Zelle Zeit und kann die DNA vor einer Zellteilung unter Umständen fehlerfrei reparieren.

Im besten Fall stellt sie den Ausgangszustand wieder vollständig her; manchmal bleibt ihr aber nur das Selbstmordprogramm, die Apoptose. Zwischen einer vollständigen Regeneration und dem Tod liegen allerdings noch viele weitere Möglichkeiten. Im Lauf der Evolution entwickelten Zellen zahlreiche Übergangsstrategien, die es ihnen ermöglichen, auch mit bleibenden Schäden zu überleben. Dazu zählen vor allem Mutationen des Erbguts und die Anti-Apoptose, die den Zelltod verhindert.

Mit Blick auf Weltraummissionen möchten Experten verstehen, welche Art von Strahlung welche Mechanismen auslöst. Zu Röntgenstrahlung liegen bereits zahlreiche experimentelle Daten vor, anhand derer Experten das Wechselspiel der unterschiedlichen körperlichen Reaktionen allmählich verstehen. Über die genaue Wirkung der im All vorherrschenden stark ionisierenden Strahlung weiß man weniger. Dies liegt zum einen daran, dass sich im Weltraum nur schwierig Experimente durchführen lassen. Zum anderen kommt im niedrigen Erdorbit, wo sich zum Beispiel die Internationale Raumstation ISS aufhält, nur noch ein kleiner Teil der kosmischen Strahlung an.

Schwerionen aus dem Beschleuniger

Die meisten Erkenntnisse gewinnen Wissenschaftler deshalb im Labor. Dort bestrahlen sie Zellen mit Schwerionen aus Beschleunigeranlagen und erforschen potenzielle Effekte kosmischer Strahlung auf biologisches Material. In Deutschland betreibt das GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt eine solche Anlage; weitere befinden sich in Frankreich, Japan und den USA. Bei Experimenten an diesen Anlagen zeigte sich schon vor vielen Jahren, dass die Bestrahlung mit Schwerionen nachweislich Krebs erregend ist. Und in den vergangenen Jahren haben die Forscher weitere Phänomene entdeckt, etwa epigenetische Veränderungen der Zellen, eine Instabilität des Erbguts von Nachfolgegenerationen bestrahlter Zellen sowie so genannte Bystander-Effekte. Darunter verstehen Fachleute Auswirkungen auf Nachbarzellen bestrahlter Zellen.

Im Vergleich zu Röntgenstrahlen töten Schwerionen Zellen deutlich effizienter. Auf dieser Tatsache beruht die Schwerionentherapie, bei der Tumoren gezielt beschossen und bestenfalls zerstört werden. Für Raumfahrer hat diese Effektivität der Strahlung auch Vorteile. Denn erstens lässt sich dicht ionisierende Strahlung besser abschirmen – etwa durch Wassertanks –, da sie beim Durchqueren ihre Energie zügig verliert. Und zweitens bereitet eine von einem Schwerion zerstörte Zelle in Zukunft keine Probleme mehr. Solange solche Ereignisse nicht zu oft vorkommen, sind sie hinsichtlich des Strahlenschutzes im Weltraum deshalb nicht relevant. Etwas anders sieht es bei denjenigen Zellen aus, die einen Treffer überleben. Ihr Erbgut ist unter Umständen geschädigt und kann dem Astronauten im weiteren Verlauf seines Lebens zum Verhängnis werden, da das sein Krebsrisiko erhöht.

Christine Hellweg, Leiterin der Abteilung Strahlenbiologie am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), und ihre Kollegen untersuchen, welche Mechanismen dabei eine Rolle spielen. Sie zeigten beispielsweise, wie die Aktivierung bestimmter Erbgutsequenzen nach einer Bestrahlung mit Schwerionen im weiteren Verlauf zu Tumorbildung und Metastasierung beitragen kann. Die Aktivierung dieser Gene konnte Hellwegs Team allerdings lediglich bis zu einer gewissen Schwelle in der Strahlenenergie beobachten: War die Energie größer, ließ die Wirkung nach, sogar so deutlich, dass die RBW unterhalb derjenigen von Röntgenstrahlung lag. Was dieses Ergebnis für den Strahlenschutz im Weltraum bedeutet, ist noch ungewiss.

Daneben gibt es Hinweise darauf, dass die fehlende Schwerkraft die körpereigenen Immunzellen in ihrer Arbeit beeinträchtigt. Das spielt offenbar eine Rolle bei der Wundheilung oder bei Infektionen. Zusätzlich könnte es aber auch bedeuten, dass Abwehrmaßnahmen des Körpers gegen entartete Zellen im Weltraum schlechter funktionieren als auf der Erde. Genaue Erkenntnisse liegen hierzu jedoch noch nicht vor.

Puppe im Weltall

Die beste Methode, die Strahlenbelastung im Weltall zu bestimmen, sind Versuche direkt vor Ort. Die Arbeitsgruppe von Thomas Berger am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt nutzt dazu die Weltraumexperiment-Plattform Matroschka. Dabei handelt es sich um eine Nachbildung des menschlichen Oberkörpers, der in Scheiben aufgebaut ist. Namensgeber ist die russische Holzpuppe, in deren Innerem sich immer kleinere Version ihrer selbst verstecken. Matroschka enthält echte menschliche Knochen und spezielle Kunststoffe, die das Absorptionsverhalten menschlicher Organe nachahmen. Umhüllt ist das Ganze von einer Karbonfaserstruktur. Geeignete Sensoren in den einzelnen Scheiben messen die genauen Strahlungsdosen: zum einen mehrere tausend passive Detektoren aus gewebeäquivalentem Material und zum anderen aktive Sensorköpfe für die verschiedenen Organe an den entsprechenden Körperregionen.

Erfassung der Strahlenbelastung | Der deutsche Astronaut Thomas Reiter tauscht während der Mission Astrolab die Strahlendosis-Sensoren an einer Matroschka aus. Bei ihr handelt es sich um eine in Scheiben aufgebaute Nachbildung des menschlichen Oberkörpers (links). Wertet man die von den Sensoren gemessenen Daten aus, ergibt sich die Tiefendosisverteilung der Strahlung innerhalb der Matroschka. Daraus lassen sich Rückschlüsse ziehen, wie sehr die Weltraumstrahlung bestimmte Bereiche des menschlichen Körpers belasten würde.

Im Weltraum fanden bislang vier Experimente mit Matroschka statt: an der Außenwand der Internationalen Raumstation ISS, im russischen Kopplungs- und Ausstiegsmodul Pirs, im russischen habitablen Modul Zvezda und im japanischen Experimentiermodul Kibo. Die Messungen zeigen, dass im freien Weltraum in Erdnähe, außerhalb der ISS-Hülle, die Strahlenbelastung in erster Linie durch den Strahlungsgürtel der Erde verursacht wird. Im Inneren der Module dominiert die energiereichere Strahlung der galaktischen kosmischen Strahlung, da sie die Stationswand durchdringt. Die Messwerte ergeben je nach Experiment eine Dosis für die Haut von 0,2 bis 2,4 Milligray pro Tag und von 0,1 bis 0,2 Milligray pro Tag für die inneren Organe. Die Einheit Gray gibt die durch ionisierende Strahlung verursachte Energiedosis an; im Detail beschreibt sie die pro Masse absorbierte Energie, also wie viele Joule pro Kilogramm deponiert werden.

Für Gesamtdosen unterhalb von 500 Milligray sind für gewöhnlich keine direkten Effekte auf die Gesundheit zu erwarten. Allerdings hängen die Auswirkungen unmittelbar von der Zeitdauer ab, in der man die Dosis aufgenommen hat. Experten sprechen in diesem Zusammenhang von der Dosisleistung. Je kürzer der Zeitraum, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass Beschwerden auftreten. Und auch bei niedrigen Mengen kann es durchaus zu Spätfolgen kommen. Ferner ist die biologische Wirksamkeit der Weltraumstrahlung ungewöhnlich hoch. Eine sinnvolle Gefährdungsabschätzung beachtet deshalb, dass verschiedene Strahlungsarten den Körper unterschiedlich stark schädigen und unterschiedliche Organe verschieden auf sie reagieren.

Die bereits erwähnte relative biologische Wirksamkeit trägt diesem Umstand mit der Einheit Sievert Rechnung. Der Gray-Wert wird dazu mit so genannten Wichtungsfaktoren multipliziert. Das soll gleiche Dosen unterschiedlicher Strahlung bezüglich ihres Schädigungspotenzials auf die verschiedenen Organe vergleichbar machen. Es fließt also nicht nur die Quantität, sondern auch die Qualität der Strahlung mit ein.

Die Strahlenbelastung auf dem Mars ist 300-mal größer als auf der Erde

Messungen während der Mission des Mars-Rovers "Curiosity", an denen die Arbeitsgruppe von Berger beteiligt war, ergaben zum Beispiel eine Dosisleistung von 77 Mikrosievert pro Stunde während des Flugs. Auf der Oberfläche des Mars betrug der Wert 26 Mikrosievert pro Stunde. Zum Vergleich: Auf der Erde bekommt man üblicherweise Dosen von ungefähr 0,05 bis 0,2  Mikrosievert pro Stunde ab; die Strahlenbelastung ist also 100-mal niedriger als auf dem Mars. Dauerhafte Strahlendosen von mehr als zehn Mikrosievert pro Stunde gelten bereits als bedenklich.

Weiteres Strahlenrisiko: Sonnenstürme

Neben der stetigen Belastung durch die galaktische kosmische Strahlung stellen auch Sonneneruptionen ein hohes Risiko für die bemannte Raumfahrt dar. In kurzer Zeit würden sie einige hundert Millisievert in den Organen der Astronauten deponieren. Sogar hinter einer relativ dicken Aluminiumabschirmung oder im speziellen Schutzraum könnten Dosen erreicht werden, welche die akute Strahlenkrankheit auslösen. Und selbst leichtere Symptome dieser Krankheit würden in bestimmten Situationen womöglich gefährlich werden. So könnte beispielsweise Erbrochenes der Astronauten während Außeneinsätzen die Versorgungsleitungen des Raumanzugs verstopfen, was tödlich enden könnte.

Ein starker Sonnenausbruch wäre für einen ungeschützten Astronauten tödlich

Bisher waren bemannte Missionen außerhalb des geomagnetischen Felds der Erde auf wenige kurze Mondbesuche beschränkt. Während der Apollo-Ära registrierten die Besatzungen der NASA-Raumfähren sechs solare Stürme, die enorme Strahlungswerte erreichten. Legendär ist der solare Sturm vom 2. August 1972, genau zwischen den Apollo-Missionen 16 und 17. Wäre zu dieser Zeit ein Astronaut auf der Mondoberfläche gewesen, hätte er eine Strahlendosis von etwa vier Gray abbekommen – eine Dosis, die er ohne rasche Behandlung nicht überlebt hätte.

Das Risiko minimieren

Für jegliche Missionen auf der Raumstation ISS gilt das so genannte ALARA-Prinzip ("as low as reasonably achievable"). Das bedeutet, dass die Strahlenbelastung so gering wie möglich gehalten werden soll. Ein konkretes Ziel etwa ist, das zu erwartende lebenslange zusätzliche Krebsrisiko unter drei Prozent zu halten. Bisherige bemannte Langzeitmissionen wie Skylab oder Aufenthalte auf den Raumstationen MIR und ISS profitieren dabei wie gesagt davon, dass der Erdorbit noch relativ gut abgeschirmt ist.

Um den Mond oder den Mars zu kolonisieren, muss der Mensch jedoch den schützenden Bereich des Erdmagnetfelds verlassen. Bei solchen Missionen werden es die Raumfahrer zum einen vermehrt mit der sehr energieintensiven galaktischen kosmischen Strahlung zu tun bekommen, zum anderen mit der Strahlung aus der Sonne, deren Einfluss unvorhersehbar ist. Gesundheitliche Spätfolgen wie Tumoren würden die Mission nicht direkt beeinträchtigen, den beteiligten Raumfahrern aber selbstverständlich schaden.

Der beste Schutz – übrigens nicht nur im All – ist es, die Strahlung so gut es geht zu vermeiden. Vor allem die niederenergetischen Bestandteile lassen sich sehr effizient abschirmen. Bei den hochenergetischen Partikeln der galaktischen Komponente wird es schon schwieriger. Das für Flugzeuge und Raumfahrzeuge heute gebräuchliche Aluminium kann maximal 30 Prozent dieser Strahlung zurückhalten. Leichte Materialien mit einer Vielzahl an Wasserstoffbindungen, etwa Polyethylen, sind in dieser Hinsicht wesentlich effektiver. Aber selbst mit ihnen lässt sich höchstens die Hälfte der Strahlung abfangen, da man die Menge des Materials wegen des zusätzlichen Gewichts nicht unbegrenzt erhöhen kann. Jeder weitere Schutz ist nur mit erheblichem technischem und finanziellem Aufwand realisierbar. Daher lässt sich das gesundheitliche Risiko durch kosmische Strahlung nicht beseitigen, sondern nur reduzieren.

Die passende Crew

Aber es gibt andere Wege: Ein effektiver Strahlenschutz besteht beispielsweise darin, die Aufenthaltszeiten der Crew im All so gering wie möglich zu halten. Daneben sollte man einen Missionszeitraum wählen, in dem die Wahrscheinlichkeit für solare Eruptionen möglichst klein ist. Aus medizinischen Gesichtspunkten kann auch die Wahl der jeweiligen Astronauten helfen, gesundheitliche Risiken zu verringern. Bei älteren Besatzungsmitgliedern ist der zu erwartende Verlust an gesunder Lebenszeit zum Beispiel geringer als bei jüngeren. Und Raumfahrer, die keine Kinder mehr zeugen können oder wollen, geben eventuelle genetische Schäden nicht an ihre Nachfahren weiter.

Auch die individuelle Strahlenempfindlichkeit kann variieren, wie das für verschiedene Hauttypen hinsichtlich UV-Licht bereits demonstriert wurde. Inwiefern Menschen unterschiedlich auf ionisierende Strahlung reagieren, ist allerdings noch offen. Man weiß, dass es Erbkrankheiten gibt, bei denen die Betroffenen eine höhere Strahlenempfindlichkeit aufweisen. Gleichwohl ist die individuelle Vorhersage schwierig, und entsprechende Tests der Kandidaten im Vorfeld werden aus ethischen Gründen meist abgelehnt.

Medizin gegen Strahlenfolgen?

Ferner könnten Medikamente oder bestimmte Diäten Maßnahmen eines Strahlenschutzpakets sein. Mediziner erwägen zum Beispiel, die Nahrung mit Radikalfängern und Antioxidanzien anzureichern. Diese Zusatzstoffe könnten die Besatzung vor reaktiven und gefährlichen Sauerstoffverbindungen schützen, die durch die Strahlenschäden entstehen. Experten diskutieren auch die Gabe anderer Mittel – etwa so genannter Zytokine, die das Wachstum von Zellen regulieren. Allerdings sind die Erkenntnisse diesbezüglich noch zu wenig aussagekräftig, als dass derartige Maßnahmen in absehbarer Zeit in Frage kommen würden.

Es ist also noch einige Forschungsarbeit nötig, um die Sicherheit der Astronauten auf einer Marsmission gewährleisten zu können. Und klar ist natürlich auch, dass nicht nur die Strahlung eine Raummission gefährlich macht. Jegliche Expedition ins Weltall birgt Risiken – ja sogar Manöver im irdischen Luftraum sind nicht frei davon. Das musste tragischerweise auch Juri Gagarin erfahren: Seinen Raumflug überlebte er, nicht aber einen irdischen Trainingsflug: Im Alter von nur 34 Jahren stürzte er mit einem Jagdflugzeug ab.

Prof. Dr. Christa Baumstark-Khan leitet die Arbeitsgruppe "Zelluläre Biodiagnostik" am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt in Köln.

(Beitrag zum 21. Berliner Kolloquium der Daimler und Benz Stiftung: »Überleben im Weltraum – Auf dem Weg zu neuen Grenzen«, 24. Mai 2017)

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