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News: Gefrorenes Leben

Amerikanische und russische Wissenschaftler hoffen, in den tiefen Eisschichten der Antarktis Beweise dafür zu finden, daß Pilze, Bakterien und sogar Diatomeen auf gefrorenen Himmelskörpern innerhalb des Sonnensystems überleben können.
"Wir können davon ausgehen, daß durch frühere Einschläge von Asteroiden auf der Erde Boden, Steine und Seewasser mitsamt darin enthaltenen irdischen Mikroorganismen in den Weltraum geschleudert worden sind, und daß sie auf diesem Wege vielleicht andere Orte des Sonnensystems erreicht haben", erklärt Richard Hoover vom Raumfahrtzentrum der NASA in Marshall. Hoover ist ein Röntgenastronom, der auch durch sein Werk über Diatomeen (Kieselalgen) international bekannt ist, und der fest daran glaubt, daß Mikroorganismen in Eis lange lebensfähig bleiben können. Er und sein Kollege S. S. Abyzov von der Russian Academy of Sciencesuntersuchten Proben, die an der Station Vostok genommen wurden, welche etwa 1000 Kilometer vom Südpol entfernt liegt.

"Neuere Untersuchungen zeigen, daß die extremen Bedingungen in kosmischer Umgebung nicht die Möglichkeit ausschließen, daß Mikroorganismen in anabiotischen Stadien [Ruhestadien] im interplanetaren Raum existieren könnten", erläuterte Abyzov.

Der Glauben an die Existenz von Leben außerhalb der Erde wurde jetzt verstärkt, als die NASA neue Bilder und Daten von Jupiters größtem Mond Europa veröffentlichte. Die neuen Ergebnisse lassen auf die Anwesenheit von Schneematsch und möglicherweise flüssigem Wasser nahe der Oberfläche schließen. Dies verstärkt die aufregende Möglichkeit, daß Europa Leben beherbergen könnte.

In den letzten Jahren zeigten Entdeckungen auf der Erde, daß Leben durchaus auch unter "feindlichen" Bedingungen gedeihen oder bewahrt werden kann: angefangen bei vulkanischen Schloten tief in ozeanischen Gräben über 400 000 Jahre altes Eis bis zu mehr als fünf Millionen Jahre altem sibirischen Permafrost.

1975 entdeckte Abyzov auf der Station Vostok Bakterien, Pilze, Diatomeen und andere Mikroorganismen, die durch Winde aus niederen Breiten nach Antarktika getragen wurden. Die Zahl der Organismen, die in verschieden tief gelegenen und damit unterschiedlich alten Schichten des Eises eingefroren sind, verändert sich mit bedeutenden Klimaänderungen der Erde. So dient das Eis auch als Zeitkapsel, indem es Muster des Lebens bis zu 500 000 Jahre aufbewahrt hat. Dadurch ist es möglich zu erforschen, wie sich das genetische Material über die Jahrhunderte hinweg veränderte.

Abyzov untersuchte seine Proben mit dem Environmental Scanning Electron Microscope (ESEM) der NASA, einem relativ neuen Instrument, mit dem man sonst in Marshall analysiert, wie Materialien ermüden und brechen. Es wurde ursprünglich entwickelt, um biologische Proben in ihrer natürlichen Umgebung zu untersuchen, ohne sie mit einem Überzug aus Gold versehen zu müssen, um sie sichtbar zu machen. Und das ist gerade für in Eis enthaltene Proben ideal. Das Gerät verwendet außerdem ein Röntgenraster, um die Probe in ihrer Zusammensetzung der chemischen Elemente zu analysieren, ein wichtiger Schritt für die Entscheidung, ob das Objekt als organisch anzusehen ist.

Die von den Wissenschaftlern im Eis gefundene große Spannbreite an Lebensformen von Pilzen, Algen und Bakterien bis zu Diatomeen beinhaltete zum Teil Exemplare mit exotischem Aussehen. "Wir haben einige wirklich bizarre Dinge gefunden – Dinge, die wir nie zuvor gesehen haben", sagt Hoover. Die Objekte haben phantasievolle Namen – basierend auf flüchtigen Ähnlichkeiten. Hoover erwartet, daß die meisten den schon bekannten Kategorien von Mikroorganismen zugeordnet werden können, wenn er und Abyzov erst einmal die Abbildungen gründlich studieren. "Wir erforschen eine neue Welt", meint Hoover. "Bis wir eine Menge mehr Erfahrung haben, werden wir die ganze Zeit zunächst brandneue Dinge sehen."

"Es wird eine lange und herausfordernde Arbeit, alles zu identifizieren und zu klassifizieren, was im Eis ist", sagt Hoover. Dann wird es möglich sein, Organismen wie Klingon's forehead einzuordnen, ein faltiges Objekt, daß an ein Wesen aus Star Trek erinnert. Im Moment haben einige Objekte nur Spitznamen, bis Hoover, Abyzov und ihre Kollegen die aufregenden Bilder analysiert und die mikroskopischen Biester aus der gefrorenen Unterwelt identifiziert haben.

Das Eis, das diese Funde enthält, ist – abhängig von der Tiefe – bis zu 400 000 Jahre alt. Russische Wissenschaftler vom St. Petersburg Mining Institute entwickelten eine Bohrtechnik mit der man Proben aus Eiskernen entnehmen kann, ohne diese zu kontaminieren. Seit 1974 arbeiten sie in der Station Vostok und haben dabei Material aus noch größeren Tiefen geborgen.

Die ersten untersuchten Proben stammen aus einer Tiefe von 386 Metern bis zu 1249 Metern, Eis aus einer Tiefe von 3610 Metern ist auf dem Weg von Vostok zum Russia Institute of Microbiology der Russian Academy of Sciences in Moskau. Laut Abyzov wird ein Teil davon später im Jahr nach Marshall gebracht.

1996 wurde mit seismologischen und anderen Instrumenten die Existenz eines Sees nachgewiesen. Der Vostok-See ist von einer 3710 Meter dicken Eisschicht bedeckt und könnte 500 000 bis eine Million Jahre alt sein. Seit dieser Entdeckung werden die Bohrungen nur langsam fortgeführt, während Arbeitsweisen entwickelt werden, um den See rein zu halten. Weder hat jemand diesen See bisher gesehen oder Proben daraus entnommen – die tiefste Probe stammt aus einer Tiefe 100 Meter über der Wasseroberfläche –, noch weiß man, warum er flüssig ist. Bislang ist das eine wissenschaftliche Kuriosität.

Der See hat eine Ausdehnung von 48 x 224 km – etwa die Größe des Ontario-Sees – und ist 484 Meter tief. Neue Daten weisen auf eine 50 Meter dicke Sedimentschicht am Boden hin. Der Vostok-See stellt ein gutes Modell für die Bedingungen auf dem Mond Europa dar.

Inzwischen wecken die Eisproben aus den Schichten oberhalb der unberührten Seeoberfläche das Interesse der wissenschaftlichen Welt. Bereits in den 70er Jahren entdeckte Abyzov Mikroorganismen – und belebte sie in einigen Fällen wieder – in dem Eis, von dem der gesunde Menschenverstand annahm, daß es steril sei. Nun führt die Entdeckung von Matsch und Eis auf dem Mond Europa, die große Wahrscheinlichkeit für Wasser auf dem frühen Mars und auf unserem eigenen Mond Wissenschaftler dazu, die Möglichkeiten von Leben irgendwo im Universum neu zu überdenken.

In den Eisproben fanden die Wissenschaftler eine Menge atmosphärischen Staub und Geröll und eventuell etwas kosmischen Staub. "Es sind einige Staubpartikel mit unüblichen Spektren dabei", sagt Hoover, "die vielleicht kosmische Staubpartikel sein könnten." Mit dem ESEM kann man einen einzelnen Punkt der Probe bestimmen und mit Röntgenstrahlen abtasten, um die vorhandenen Elemente zu bestimmen. Das in einigen Staubpartikeln gefundene Verhältnis der Materialien zueinander deckt sich nicht mit den Verhältnissen, die man in irdischen Staubkörnern erwartet.

Mickey Mouse und andere Kolonien kleiner Mikroben weisen ein ungewöhnliches Erscheinungsbild auf. Es handelt sich um flockige, weiße Objekte mit einer Größe von einem Mikrometer, die an Baumwollbälle erinnern. Hoover hat entdeckt, daß "diese kleinen kokkoiden Körper mit einer unglaublich faserigen Struktur bedeckt sind." Die Filamente scheinen zwischen 30 und 40 Nanometer groß zu sein (was ungefähr einem Zehntel der Wellenlänge sichtbaren Lichts entspricht).

"Es ist schwer für mich zu sagen, was es ist", sagt Abyzov, "aber ich neige zu der Annahme, daß es biologisch ist." Hoover meint dazu: "Es gibt alle möglichen Arten von Mikroorganismen im Eis, einige konnten bereits als Cyanobakterien, Bakterien, Pilze, Sporen, Pollenkörner und Diatomeen identifiziert werden, aber einige sind nicht als etwas, was wir schon gesehen haben, identifizierbar." Nach Hoovers Meinung werden sich viele der Organismen als bereits bekannt herausstellen. Es sei nur so, daß sie unter dem ESEM anders aussehen, weil es Details zeigt, die unter anderen Mikroskopen nicht zu erkennen sind. Bekannte Gegenstände sind kleine Teile von Schwämmen und Federn sowie Bruchstücke von Diatomeen. Außerdem fanden die Wissenschaftler einige große Cyanobakterien mit angehefteten Nanobakterien.

"Was beim Einfrieren von Mikroorganismen offensichtlich stattfindet, ist, daß sie ihren Stoffwechsel einstellen und sich in einen anabiotischen Zustand begeben", erklärt Hoover. Anabiotisch bedeutet lebendig aber inaktiv – wie eine vorübergehende Leblosigkeit. Russischen Wissenschaftlern ist es gelungen, im Eis gefundene Bakterien, Hefen, Pilzen und andere Mikroben wiederzubeleben und zu kultivieren.

"Einer der wirklich aufregenden Funde war, daß viele der Cyanobakterien aus 1243 Metern Tiefe viel Antimon enthalten", sagt Hoover. Das Röntgenspektrum zeigt Kohlenstoff, Sauerstoff, Zink, Silizium, Aluminium und Kalium, Elemente, die auch gewöhnlich mit Leben assoziiert sind. Aber es zeigt außerdem einen außergewöhnlich hohen Gehalt an Antimon, einem toxischen Schwermetall.

Der ESEM-Operator Gregory Jerman zeigte, daß der Metallgehalt je nach Tiefe variiert. In einigen Schichten enthielten die Mikroorganismen große Mengen von Antimon, während in anderen Zink vorherrscht.

Mit mehr als 150 ESEM-Bildern und etwa genauso vielen Spektren werden sich Hoover und Abyzov zum Jet Propulsion Laboratory in Pasadena, Californien, begeben. Dort wird Ken Nealson versuchen, genetisches Material der Mikroorganismen zu gewinnen.

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