News: Gehirnentwickler-Gene
Im Laufe der Evolution halfen immer größere Gehirne den Menschen auf die Sprünge. Als Sprungfedern der Größenzunahme dienen offenbar Gene, die auch in Fliegen- und Mäusehirnen regulierend eingreifen.
Die evolutionäre Erfolgsgeschichte des Menschen beruht in vielerlei Hinsicht auf den hochentwickelten Fähigkeiten seines Gehirns. Die zunehmende Koordinationsfähigkeit der Gehirne unserer baumlebenden Vorfahren lieferte beispielsweise ideale Voraussetzungen für die Perfektionierung solch komplexer Bewegungsabläufe wie dem Gehen und Stehen auf zwei Beinen. Den Händen, dadurch mehr und mehr von allen Aufgaben der Fortbewegung befreit, ermöglichte dies den Gebrauch nützlicher Werkzeuge: Werkzeuge, die nur noch erdacht werden mussten, was Erfindungsreichtum und Denkvermögen forderte. Diese Fähigkeiten wuchsen parallel mit der zunehmenden Größe und Komplexität des menschlichen Großhirns – bis zum heutigen "denkenden Menschen" Homo sapiens. Die Notwendigkeit zur stetigen Zunahme der menschlichen Gehirngröße lässt sich auf diese Weise rein logisch nachvollziehen. Ein Forscherteam um Geoffrey Woods von der University of Leeds und Christoph Walsh von der Harvard University machte sich nun auf die Suche nach einer genetischen Grundlage für die Regulation der Gehirngröße. Es suchte mögliche Gehirngrößen-Gene dort, wo sie offenbar defekt und daher auffälliger sind: im Erbgut von Mikrocephalie-Patienten. Bei dieser erblichen Krankheit ist die normale Ausbildung der Großhirnrinde während der Embryonalentwicklung gehemmt – Betroffene sind meist leicht bis mäßig geistig retardiert und besitzen kleinere, dabei aber weitgehend normal aufgebaute Gehirne. Die Forscher entdeckten nach umfangreichen Sequenzierungen der Gene von Mikrocephalie-Patienten eine Mutation des so genannten ASPM-Gens. Den Genprodukten des mutierten ASPM fehlten wesentliche Abschnitte – wodurch es funktionsunfähig wurde. Das ASPM-Protein wird, wie weitergehende Analysen der Forscher in verschiedenen embryonalen Gewebezellen von Mäusen zeigten, nur in jenen Vorläuferzellen gebildet, aus denen später die Nervenzellen der Großhirnrinde entstehen.
Rückschlüsse auf die genaue Funktion des ASPM-Proteins für die Größenregulation des Gehirns ziehen die Forscher aus Versuchen an der Taufliege. Hier, im Lieblings-Versuchskaninchen der Insekten-Genetikern, ist die Funktion der Fliegenvariante des ASPM-Gens bereits gründlicher erforscht: ASPM organisiert dort den Aufbau des Spindelapparats, der bei der Teilung einer Nerven-Vorläuferzelle an der exakten Verteilung des Erbgutes auf die zwei entstehenden Tochterzellen mitwirkt. ASPM-Funktionsstörungen verhindern normale Nervenzellteilungen – und begrenzen das Wachstum des sich bildenden Nervengewebes.
Offenbar, vermutet Walsh, besitzen auch Mikrocephalie-Patienten weniger Großhirn-Nervenzellen, weil das defekte ASPM-Protein die Teilung neuronaler Vorläuferzellen stört. Durch die Regulation der Teilungsspindel-Aktivität lässt sich letztlich also die Größe des Gehirns beeinflussen. Dieser Zusammenhang veranlasste die Forscher zu noch weiterreichenden Überlegungen: Sie verglichen die ASPM-Genprodukte von Maus, Mensch und Fliege mit denen anderer Organismen – und meinen einen Zusammenhang zwischen der Komplexität von ASPM-Proteinen und Gehirnen der einzelnen Spezies erkennen zu können. Evolutionssprünge, die zur Ausbildung größerer Gehirne geführt haben könnten durchaus, so Woods, durch Mutationen des ASPM-Gens hervorgerufen worden sein: Diese hätten dann letzlich zu einer effektiverern Nervenzellbildung beigetragen und damit zu größeren, leistungsfähigeren Gehirnen.
Eine Theorie, die die Wissenschaftler nun in der Praxis testen möchten: Sie arbeiten bereits daran, das menschliche ASPM in Mäuse einzuschleusen und erwarten dadurch eine Vergrößerung der Mäusehirne.
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