News: Gehupft ist nicht wie gesprungen
Dies zeigt, daß Drehungen, wenn sie um dieselbe Achse erfolgen (eindimensional), ebenfalls kommutativ sind. Da man bis vor wenigen Jahren Hirnfunktionen im allgemeinen und Körperbewegungen im besonderen meist nur in einer Dimension untersuchen konnte, ging man bisher stillschweigend davon aus, daß auch alle Hirnprozesse kommutativ ablaufen. Auf dieser Vorstellung beruhen auch die meisten mathematischen Modelle, die versuchen, Hirnfunktionen zu beschreiben.
Nun ist in der Physik und Mathematik aber seit langem bekannt, daß Drehungen, wenn sie nicht um dieselbe Achse erfolgen, nicht-kommutativ sind. Das heißt, daß zwei Drehungen um unterschiedliche Achsen, wenn die Reihenfolge der Drehungen verändert wird, zu verschiedenen Endpositionen führt. Dies läßt sich leicht verdeutlichen, wenn man einen beliebigen Gegenstand (zum Beispiel eine Schachfigur) aus derselben Ausgangslage zunächst 90 Grad um eine vertikale Achse nach rechts und dann 90 Grad um eine horizontale Achse im Uhrzeigersinn, oder erst um eine horizontale Achse im Uhrzeigersinn und dann um eine vertikale Achse nach rechts dreht. Die Gesamtdrehung der Figuren führt zu unterschiedlichen Endstellungen.
Da wir in der Lage sind, zum Beispiel unseren Kopf oder unsere Extremitäten um nahezu beliebige Achsen in beliebiger Reihenfolge zu bewegen, ist eine entscheidende Frage, ob das Gehirn, entgegen den bisherigen gängigen kommutativen Modellen der Hirnfunktion, in der Lage ist, die dafür erforderlichen nichtkommutativen Verarbeitungsschritte durchzuführen. Mittels eines einfachen Experimentes konnten der kanadische Mathematiker und Mediziner Douglas Tweed, sowie der Neurologe Michael Fetter und der Physiker Thomas Haslwanter vom Klinikum der Universität Tübingen zeigen, daß das Gehirn tatsächlich zu einer solchen Leistung in der Lage ist (Nature vom 20. Mai 1999).
Sie haben freiwillige Versuchspersonen im Dunkeln um verschiedene Achsen in unterschiedlicher Reihenfolge gedreht, während die Versuchspersonen versuchten, einen zuvor sichtbaren raumfesten Fixierpunkt während der Rotationen im Dunkeln weiter anzusehen, also ihre Blicklinie im Raum stabil zu halten (sogenannter vestibulo-okulärer Reflex). Das Gehirn berechnete dabei sehr korrekt die erforderliche Augenpositionssignale im Kopf, wie man es von einem nicht-kommutativen System erwarten würde.
Man würde nach dieser grundlegenden Entdeckung nun auch annehmen, daß andere Kontrollsysteme des Gehirns, zum Beispiel für Kopf- oder Gliedmaßenbewegungen, aber auch unser Seh- und Hörsystem sowie höhere Hirnprozesse, wie zum Beispiel die Vorstellung von Drehungen von Gegenständen im Raum nicht-kommutative Verarbeitungsprozesse benutzen. Dies wollen die Tübinger Wissenschaftler in weiteren Experimenten untersuchen. Dabei soll unter anderem durch die Untersuchung von Patienten mit umschriebenen Schädigungen bestimmter Gehirnteile, wie zum Beispiel des Kleinhirnes, herausgefunden werden, wo diese Verarbeitungsprozesse stattfinden.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.