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Geköpfte Königin: Was Maria Stuart in ihren geheimsten Briefen schrieb

Ein Bündel Papiere mit Geheimschrift entpuppt sich als Briefe der inhaftierten Königin. Was schrieb die Schottin in den Jahren vor ihrer Enthauptung?
Maria Stuart in einem Gemälde von François Clouet (1510-1572)

Ein mysteriöses Bündel verschlüsselter Briefe hat sich als Korrespondenz von Maria Stuart entpuppt. Die Briefsammlung hatte die Zeiten in der Französischen Nationalbibliothek (BnF) überdauert – Verfasser, Sprache und Inhalt unbekannt. Nun gelang es einem Wissenschaftlerteam, die Schreiben zu dechiffrieren.

Die insgesamt 57 Briefe, verfasst zwischen 1578 und 1584, geben einen nie da gewesenen Einblick in die diplomatischen Bemühungen der abgesetzten Königin von Schottland. Zur Zeit, als sie die Briefe aufsetzte, war sie in Gefangenschaft unter der Obhut des Earl of Shrewsbury.

Die schottische Königin hatte als Stuart-Erbin Ansprüche auf den englischen Thron erhoben, ein Umstand, der ihr eine 18 Jahre währende Gefangenschaft einbrachte, die mit ihrer Hinrichtung im Jahr 1587 endete. Ihren Untergang besiegelte ein späterer Brief, der nicht Teil dieses Archivs ist: Sir Francis Walsingham, ein Spion der englischen Königin Elisabeth, hatte sie glauben gemacht, dass ihre Korrespondenz sicher vor fremden Zugriff sei. Dann aber fing er ein Schreiben ab, in dem Maria die Ermordung Elisabeths unterstützte. Ein Jahr später wurde sie wegen Hochverrats enthauptet.

Nun hat ein Team um den Verschlüsselungsexperten George Lasry die lange verlorene Korrespondenz aufgespürt. Er ist Mitglied des DECRYPT-Projekts, einer Zusammenarbeit mehrerer Universitäten, die nach verschlüsselten historischen Dokumenten fahndet und sie zu entziffern versucht. Bei ihrer Suche in der Französischen Nationalbibliothek stießen die Fachleute auf Dokumente aus dem Italien des frühen 16. Jahrhunderts, unter die auch jene Briefe in Geheimschrift gemischt waren.

Lasry und seine Kollegen Norbert Biermann und Satoshi Tomokiyo machten sich an die Arbeit – zunächst in der Annahme, dass auch die verschlüsselten Schreiben auf Italienisch verfasst waren.

Die Forscher erklären in einer Studie, die am 8. Februar 2023 im Journal »Cryptologia« veröffentlicht wurde, dass die Briefe eine so genannte homophone Verschlüsselung verwendeten. Das Verfahren umgeht ein Grundproblem der simplen Substitutionsmethode, bei der jeder Buchstabe durch genau ein Geheimzeichen ersetzt wird. Dieses simple Verfahren hat nämlich den Nachteil, dass manche Buchstaben, wie das »e«, viel häufiger vorkommen als andere. Dementsprechend kommt auch das Geheimzeichen viel häufiger vor. Mit diesem Wissen lässt sich der Code verhältnismäßig leicht knacken.

Homophone Verschlüsselungen dagegen verwenden für Buchstaben mit großer Häufigkeit mehrere Symbole, erklärt Lasry. Und um die Dinge noch komplizierter zu machen, nutzte Maria für häufige Wörter und -bestandteile jeweils eigene Zeichen.

»Die Arbeit an der Dechiffrierung war wie das Schälen einer Zwiebel«, erklärt Lasry. »Das Verschlüsselungsverfahren war äußerst komplex, wir haben in Phasen daran gearbeitet.«

Diplomatie aus dem Hausarrest

Was in den Briefen steht, kam erst nach und nach ans Licht: Zunächst erkannte das Team, dass sie gar nicht auf Italienisch verfasst waren. Dann folgte die Entdeckung französischer Phrasen wie »ma liberté« (meine Freiheit), was darauf hindeutete, dass die Schreiberin nach Freiheit strebte. Schließlich tauchte ein verräterischer Name auf: Walsingham, Königin Elisabeths berüchtigter Meisterspion.

Verschlüsselter Brief | In ihrem Code zur Kommunikation mit Castelnau nutzte Maria Stuart für 16 Buchstaben des Alphabets jeweils zwei Symbole. Hinzu kommen noch diverse Symbole, die für wichtige Persönlichkeiten, Monate sowie gebräuchliche Wörter standen.

Die meisten der 57 Briefe waren vor der Entdeckung durch Lasry und seine Kollegen noch nie gesehen worden. Aber sieben von ihnen waren von Walsinghams Netzwerk abgefangen und entschlüsselt worden, so dass Klartextkopien im Nationalarchiv des Vereinigten Königreichs vorlagen. Diese übereinstimmenden Kopien halfen laut Lasry dabei, ohne jeden Zweifel zu bestätigen, dass Maria Stuart die Verfasserin war.

Die neu entschlüsselten Briefe sind vorrangig an Michel de Castelnau Mauvissière adressiert, den französischen Botschafter in England. In den Schreiben sorgt sich Maria um ihre Gesundheit und versucht den Botschafter dazu zu bewegen, Anfragen an Elisabeth in ihrem Namen zu stellen. Sie äußert auch Vermutungen, dass die Verhandlungen über ihre Freilassung mit Hintergedanken geführt wurden.

Die Briefe sind weitgehend diplomatischer Natur. Von Marias persönlichen Gefühlen würden sie nicht viel preisgeben, sagt Lasry. Für Historiker sei ein solcher Einblick in die Diplomatie umso spannender, erklärt Susan Doran, Geschichtswissenschaftlerin an der University of Oxford, die an einem Projekt über Maria Stuart arbeitet, aber nicht an der neuen Studie beteiligt war. Ein Großteil des Inhalts der Briefe beziehe sich auf weiter gefasste diplomatische Angelegenheiten als nur ihren Versuch, den Thron Schottlands zurückzugewinnen oder einen Anspruch auf den Thron Englands zu erheben.

»Sie verhandelt mit den Spaniern, natürlich mit den Franzosen, wie diese Briefe zeigen, mit Schottland und mit Elisabeth. Dadurch erscheint sie uns umso mehr als politisches Wesen, nicht nur als gefangene Königin«, sagt Doran. »In Maria steckt viel mehr als nur eine Verschwörerin.«

Die Fachwelt werde die Briefe nun analysieren und in den Kontext von Marias Leben und dessen Verlauf stellen müssen, sagt Lasry. Das Material dafür umfasst etwa 50 000 Wörter – im Grunde ein ganz neues Buch aus der Feder von Maria Stuart: »Wir haben gerade einmal an der Oberfläche gekratzt.«

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