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Mecklenburg-Vorpommern: Auf Kriegszug gen Norden

Um 1250 v. Chr. gingen an der Tollense zwei Heere aufeinander los. Es war eine Schlacht zwischen Einheimischen und Fremden.
Schädel und Skelettteile vom Tollense-Schlachtfeld

Vom Hang aus können die Angreifer die Talsenke gut überblicken. Dort, wo sich der Fluss durch die sumpfigen Auen schlängelt, marschieren hunderte Krieger auf die alte Holzbrücke zu. In ihrem Hinterhalt warten die Angreifer ab, bis sich das Heer und ihre Anführer zu Pferd der Talquerung nähern – dann schlagen sie los. Sie lassen Pfeile auf das feindliche Heer regnen, strecken Dutzende nieder und treiben so die Kämpfer auseinander. Die stapfen auf dem schmalen Geländestreifen zwischen Hang und Ufer flussabwärts und versuchen sich dort, wo der Fluss flacher wird, in eine bessere Stellung zu bringen. In diesem Moment stürmen die Kämpfer aus dem Hinterhalt. Alles in allem 2000 junge Männer, vielleicht auch 5000, gehen mit Holzkeulen, Bronzeschwertern, Lanzen, ja selbst mit Messern aufeinander los. Ein gnadenloses Schlachtengetümmel entbrennt.

Der Angriff aus dem Hinterhalt hat den Kriegern einen Vorteil verschafft. Sie haben viele Gegner getötet, so dass die verbliebenen nun zahlreich zu fliehen versuchen. Die Angreifer strecken viele von ihnen mit Pfeilen nieder oder erschlagen sie auf der Flucht. Wer es dennoch schafft, jagt davon.

Als die Schlacht vorüber ist, sind hunderte junge Männer tot. Ihre Leichen säumen das Ufer. Die meisten sind durch Pfeilschüsse in Kopf und Brust gefallen. Dutzende waren bereits zu Beginn der Schlacht von Pfeilen getroffen ins Wasser gestürzt, ihre leblosen Körper zu Boden gesunken. Andere liegen erschossen oder mit eingeschlagenem Schädel am Flussufer. Die Sieger bergen ihre Toten und schreiten jeden gefallenen Gegner ab, nehmen alles, was wertvoll erscheint, an sich. Ihre Leichen überlassen sie dem Fluss.

Grabungen | Archäologen haben etwas abseits des Flusses Tollense zahlreiche menschliche Überreste, Bronzewaffen und Schmuckteile gefunden.

Woher kamen die Kämpfer?

Nach allem, was Archäologen wissen, könnte sich so vor mehr als 3250 Jahren die Schlacht im Tollensetal abgespielt haben. Dort, wenige Kilometer nordöstlich von Altentreptow bei Weltzin im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte, legten Forscher das älteste bekannte Schlachtfeld in Mitteleuropa frei. Seit 2009 arbeiten Archäologen im Tollensetal unter der Leitung von Detlef Jantzen vom Landesamt für Kultur und Denkmalpflege in Mecklenburg-Vorpommern und Thomas Terberger von der Universität Göttingen. Aus den bronzezeitlichen Funden haben die Forscher bereits zahlreiche Facetten des Schlachtgeschehens erschlossen. Wer jedoch damals an der Talquerung aufeinandertraf, woher die beiden Heere kamen und weshalb sie überhaupt diese Schlacht schlugen, ist längst noch nicht geklärt.

Durch neue Funde sind die Forscher des Rätsels Lösung aber nähergekommen. 2016 fischten Grabungstaucher ein Fundensemble aus 31 Bronzeobjekten vom Grund der Tollense – ungefähr 300 Meter flussabwärts vom Fundplatz Weltzin 13, wo die Reste eines mit Steinen und Holzbohlen befestigten Flussübergangs ans Licht kamen. Die Metallfunde, die Archäologie-Doktorand Tobias Uhlig zusammen mit Terberger, Jantzen und anderen Tollense-Forschern im Oktober 2019 in der Fachzeitschrift »Antiquity« veröffentlicht hat, liefern Hinweise auf die Herkunft einiger Kämpfer. Auch über das Tollensetal hinaus haben Bronzezeitspezialisten neue Erkenntnisse gewonnen. Und die zeigen, dass die Schlacht im Tollensetal nur eine Momentaufnahme aus einer Zeit ist, in der Europa von Krieg und Gewalt gezeichnet war.

Fundplatz Tollensetal | Die Talsenke im heutigen Verlauf mit den Fundschichten (rot hervorgehoben) und den wichtigsten Fundplätzen. Bei Weltzin 13 fanden sich die Reste einer Holzbrücke. Die meisten Skelettreste kamen in Weltzin 32 und Weltzin 20 ans Licht. Der neue Fund eines »Portmonees« lag in der Tollense bei Weltzin 28.

Pfeilspitzen, Holzkeulen, zertrümmerte Schädel

Am Anfang war es ein Oberarmknochen, der die Archäologen auf die Fährte des Schlachtfelds führte. Der Knochen steckte im Uferbereich der Tollense. Und in dem Knochen steckte eine Pfeilspitze aus Feuerstein. Im Sommer 1996 hatte Ronald Borwardt, ehrenamtlicher Helfer des Landesamts für Kultur und Denkmalpflege, den Armknochen entdeckt. Er barg am Ufer noch weitere vorgeschichtliche Funde: zahlreiche Skelettreste und eine Holzkeule, die einem modernen Baseballschläger ähnelt. Es waren nicht die ersten Knochen, die aus dem Fluss gefördert wurden. Seit den 1980er Jahren kamen bei Baggerarbeiten immer wieder alte Gebeine ans Licht. Nur lieferte dieses Mal ein Knochen auch ein ungefähres Alter: Die Pfeilspitze aus Feuerstein musste der Form nach jungsteinzeitlich oder bronzezeitlich sein.

Noch 1996 fingen Archäologen des Landesamts in Weltzin 20, dem Fundplatz von Knochen und Keule, zu graben an. Einige Meter abseits des heutigen Flusslaufs entdeckten sie dabei ein Schädelstück mit eingeschlagenem Stirnbein, einige Jahre später eine weitere Holzkeule. Bei den Forschern regte sich der Verdacht, dass an der Tollense einst Menschen gewaltsam zu Tode gekommen waren. Könnte es sich um einen Opferplatz gehandelt haben, oder hatte man vielleicht doch »nur« ein Gräberfeld angeschnitten?

Die Fundplätze im Tollensetal bezeugen das älteste bekannte Schlachtfeld in Mitteleuropa

2009 begannen Thomas Terberger und Detlef Jantzen, den Ort systematisch zu erforschen. Ihr Team grub entlang des Ufers, Taucher bargen Funde vom Grund des Flusses, und auch Metallsondensucher durchkämmten die Bereiche. Die Archäologen stießen neben dem Fluss bei Weltzin 20 und Weltzin 32 auf eine einheitliche Fundschicht mit menschlichen Knochen und Waffenteilen. An den Gebeinen entdeckten sie keine Spuren von Verbiss, und kaum ein Skelett war vollständig. Die Toten scheinen im Fluss verwest zu sein. Als sich die Körperteile irgendwann lösten, wurden sie ein kleines Stück weit nach Norden flussabwärts geschwemmt.

Die Archäologen haben auf einer Länge von 2,5 Kilometern entlang der Tollense bisher rund 12 000 menschliche Knochen geborgen, die sie ungefähr 140 Individuen zuordnen. Einige wenige Knochen gehörten zu mindestens fünf Pferden. Zudem zählten sie zahlreiche Waffen und Bronzeobjekte, darunter auch Schmuck wie Ringe aus Gold und Zinn. Reste von Pfeilschäften, die Holzkeulen und die Knochen ließen die Forscher mit Hilfe der Radiokarbonmethode datieren. Alle Daten stimmen weitgehend überein – irgendwann zwischen 1300 und 1250 v. Chr. hatte sich ein gewaltiges Gemetzel ereignet. Für ein Gräberfeld, an dem normalerweise Tote über längere Zeiträume beigesetzt wurden, sprach demnach nichts mehr. Auch als Opferplatz dürfte der Ort in erster Linie nicht genutzt worden sein. Es war ein Schlachtfeld, an dem schätzungsweise 2000 bis 5000 Männer gekämpft hatten.

Das genetische Profil der Kämpfer

Aus den Funden versuchen Terberger und Jantzen in Zusammenarbeit mit anderen Experten noch weitere Informationen über die Kämpfer zu gewinnen. Vor allem eine Frage brennt den Forschern auf den Nägeln: Woher kamen die Krieger? War es ein lokales Scharmützel oder eine Schlacht von überregionalem Ausmaß? Eine DNA-Analyse von 21 Knochenproben ergab, dass sich die Kämpfer genetisch nicht stark voneinander unterschieden hatten. Wie bei anderen Bevölkerungsgruppen der Bronzezeit ähneln die Tollense-Männer genetisch der heutigen Bevölkerung in der Fundregion. Genetiker Christian Sell von der Universität Mainz, der die Erbgutanalysen 2017 durchführte, hat zwar einige genetische Ausreißer identifiziert, doch selbst die weichen nicht von den bekannten bronzezeitlichen Gen-Signalen Mitteleuropas ab. Sell vermutet, dass die Krieger aus dem Großraum »Deutschland« stammten und populationsgenetisch eng verwandt waren. »Vielleicht so ähnlich wie die Menschen aus Hessen im Vergleich mit den Menschen aus Rheinland-Pfalz im heutigen Deutschland«, schreibt Sell.

»Portmonee« eines Kriegers | An einer Stelle fischten Taucher 31 Bronzeobjekte aus dem Fluss, darunter einen Meißel, einen Pfriem, ein Messer und vor allem Altmetall. Die Blechzylinder (oben Mitte) deuten die Ausgräber als Verschlussteile einer Holzschachtel.

Die anthropologische Knochenanalyse lieferte den Archäologen mehr Daten über die Krieger. Die Gebeine stammten ausschließlich von Männern, die im Alter zwischen 20 und 40 Jahren gestorben waren. Bislang ließ sich kein Knochenstück als eindeutig »weiblich« identifizieren. Das Anthropologenteam um Ute Brinker vom Landesamt für Kultur und Denkmalpflege dokumentierte zudem an den Knochen und Schädeln zahlreiche tödliche Verletzungen, die von Pfeilen, Keulen, Schwertern und Lanzen herrührten. An kaum einem Knochen fanden sich jedoch Verletzungsspuren, wie sie bei der Verteidigung entstehen. Fast ausnahmslos stellten die Forscher fest: stumpfe Schläge auf den Kopf, Stiche in den Brustkorb und vor allem Pfeilschüsse in Kopf und Oberkörper. Scheinbar, so rätseln die Archäologen, trugen die Krieger keine Helme, Brustpanzer oder Schilde. Bei den Grabungen haben die Forscher auch keine Schutzwaffen entdeckt.

Die meisten Krieger, das ergab die anthropologische Untersuchung, waren von Bogenschützen aus der Distanz getötet worden. Im Tollensetal bietet einzig der Talhang entlang des Flusses eine geeignete Position, um Distanzwaffen einzusetzen. Dieses Szenario macht es wahrscheinlich, dass die Angreifer aus dem Hinterhalt zugeschlagen haben. Zudem belegen die Knochen, dass die Gegner die tödlichen Treffer ebenso oft von vorne wie von hinten landeten. Daraus schließt Archäologe Thomas Terberger: Die Unterlegenen der Schlacht waren auf der Flucht erschossen oder auf kurze Distanz erschlagen worden.

Von Männerbünden und Kriegerverbänden

Die Anthropologen entdeckten an den Knochen aber auch Verwundungen, die verheilt waren. Offenbar, so nehmen Terberger und Jantzen an, waren die jungen Männer geübte Kämpfer gewesen. Für eine Kultur, die weder eine Schrift kannte noch komplexe Bilder fertigte, ist es schwierig, den »geübten Kämpfer« genauer zu charakterisieren. Wie waren solche Männer im spätbronzezeitlichen Mitteleuropa organisiert, hatten sie einen Anführer? Beschützten sie Siedlungen, oder überfielen sie Dörfer und Burgen? Solche Fragen lassen sich mit archäologischen Mitteln zwar nicht eindeutig beantworten, aber man kann zumindest eine Vorstellung gewinnen. Und zwar rund 800 Kilometer entfernt vom Tollensetal, in Neckarsulm bei Heilbronn.

Tödlicher Treffer | Das Schädelfragment entdeckten die Archäologen bei den Grabungen im Tollensetal. Im Schädeldach steckt noch eine Pfeilspitze aus Bronze. Der Treffer dürfte tödlich gewesen sein.

Dort haben Archäologen ein spätbronzezeitliches Gräberfeld frei gelegt, das Ausgräber Steffen Knöpke als »Sonderfriedhof« bezeichnet. Sonderbar ist nämlich, dass in den 32 Gräbern nur Männer bestattet wurden, zusammen mit wenigen Beigaben wie Tongefäßen und Schwertern. Einige der Toten lagen zu zweit, dritt oder fünft in der Grabgrube. Aus den Mehrfachbestattungen schließt Knöpke, dass die Toten vom Neckarsulmer Männerfriedhof Krieger waren und einst in kleineren Männerbünden oder Gefolgschaften organisiert waren. Auch wenn sich letztlich nicht sicher sagen lässt, was genau diese Männer verbunden hat, waren sie angesichts der gemeinsamen Beisetzung offenbar eng verbunden – und sie trugen Schwerter.

Der lange Weg ins Tollensetal

Thomas Terberger sieht in den Männergräbern von Neckarsulm einen guten Vergleich für die ausschließlich männliche Kriegermeute vom Tollensetal. Um mehr über die Herkunft der Tollense-Kämpfer zu erfahren, haben Terberger und Jantzen zusammen mit dem naturwissenschaftlichen Archäologen T. Douglas Price von der University of Wisconsin-Madison Isotopenanalysen an 52 Zähnen durchgeführt. Price ermittelte die Isotopenwerte für Blei, Strontium, Sauerstoff und Kohlenstoff. Dort, wo ein Mensch aufwächst, nimmt sein Körper verschiedene Isotope über die Nahrung und das Wasser auf und lagert sie in den Zahnschmelz ein. Aus dem Verhältnis der Isotopenmengen lässt sich also erschließen, wo ein Mensch groß geworden ist – wenn man die entsprechenden Werte einer Region kennt und sie sich nicht durch die moderne Düngung verändert haben. Im Fall der Toten aus dem Tollensetal fand Price heraus, dass die meisten wahrscheinlich aus der Großregion rund um das Schlachtfeld stammten, also aus dem heutigen Nordosten Deutschlands. Price stellte aber auch fest, dass mehr als ein Drittel woanders aufgewachsen waren. Deren Strontiumisotopenwerte stimmen mit Daten überein, wie sie aus Böhmen und den östlichen Mittelgebirgen bekannt sind.

Die Isotopenanalysen allein können jedoch nicht als Herkunftsbeweis herhalten, findet Thomas Terberger. Auch wenn sich die Werte aus dem Zahnschmelz und die Daten aus einer Region ähneln, ist das kein klarer Beleg. Denn die Isotopenwerte aus anderen Gegenden stimmen womöglich ebenfalls überein, wurden aber schlicht noch nicht gesammelt. Terberger und seine Kollegen haben die Funde deshalb auch mit den bewährten archäologischen Methoden untersucht. So entdeckten sie im Fundgut Waffen und Schmuckteile, die sie aus den nordischen Bronzezeit-Kulturen und dem Umfeld der Tollense nicht kennen. Dazu gehört ein Schwert vom Typ Riegsee, ein Beil, Pfeilspitzen aus Bronze und mehrere Gewandnadeln. Schwerter dieses Typs fanden Archäologen in Süddeutschland, Tschechien, Österreich und Ungarn. Auch die Pfeilspitzen verweisen nach Süddeutschland, das Beil und die Nadeln nach Böhmen.

Rekonstruktion eines Bronzezeit-Portmonees | Durch den Vergleich mit Funden aus Süddeutschland und Nordfrankreich sind die Tollense-Archäologen überzeugt, dass die jüngst entdeckten Bronzezylinder einst zum Verschluss (rot) einer Holzschachtel gehörten.

Eine Holzschachtel mit Hackbronze

Die Archäologen vermuten demnach, dass Krieger aus dem südlichen Mitteleuropa über mehrere hundert Kilometer bis ins Tollensetal gezogen waren. Dieses Szenario stützt nun ein weiterer Fund aus der Tollense. Am Fundplatz Weltzin 28 holte das Team um Cheftaucher Joachim Krüger neben menschlichen Knochen ein Ensemble mit 31 Bronzeobjekten aus dem Fluss, darunter einen daumenlangen Meißel, eine etwas längere Messerklinge, einen Pfriem mit Holzgriff und vor allem Altmetall – so genannte Hackbronze. Das sind Fehlgüsse, Waffenfragmente, Gussreste sowie Stücke von Kupfer- und Bronzebarren. Eine C-14-Datierung ergab, dass die Funde in den Zeithorizont der Schlacht gehören.

In der Spätbronzezeit nutzte man Hackbronze als eine Art Tauschwährung – und mit einem Meißel brachte man das Metall in die gewünschte Stückelung. Das Ensemble war quasi das Münzgeld eines Kriegers. Das Portmonee dazu haben die Tollense-Forscher auch entdeckt: Zwischen den Bronzeobjekten lagen Blechröllchen, die noch von Nägeln zusammengehalten werden. Solche wenige Zentimeter breiten Blechzylinder kennen Archäologen von anderen Fundorten – darunter dem Männerfriedhof von Neckarsulm. Doch nicht nur in Süddeutschland, sondern auch in Nordfrankreich fanden sich solche Bronzeröllchen in Gräbern. Ihre Besitzer waren stets Männer, die meist auch mit ihren Schwertern bestattet wurden. Die Zylinder dienten vermutlich als Verschlussteile, die am Deckel und dem Unterteil einer Holzschachtel befestigt waren. Ähnlich einem Scharnier konnte man einen Stab durch die Ösen führen und so die Schachtel verschließen. Für Thomas Terberger und seine Kollegen ist es plausibel, dass das Portmonee aus der Tollense einst einem Krieger gehörte, der um 1250 v. Chr. mit seinen Kameraden aus dem südlichen Mitteleuropa bis nahe an die Ostsee gezogen war – und dort in einem blutigen Gemetzel den Tod fand.

Die alte Welt bebt

Die Schlacht im Tollensetal ereignete sich zu einer Zeit, als fernab im östlichen Mittelmeerraum die etablierte Welt der späten Bronzezeit zusammenbrach. Im 13. Jahrhundert v. Chr. gingen die Burgen der Mykener in Griechenland unter, das Reich der Hethiter fiel zusammen, Troja brannte, die Ägypter wehrten an ihrer Küste Eindringlinge ab, die so genannten Seevölker. Der Urstoff der »Ilias«, Homers Epos über den mythischen Krieg vor Troja, entstand womöglich in ebenjener Zeit. Warum eine ganze Region erschüttert wurde, die durch Handel, Diplomatie und Konflikte eng verknüpft war, dafür gab es vermutlich verschiedene Ursachen. Archäologen haben Hinweise auf gewaltsame Zerstörungen durch Feuer, aber auch durch Naturkatastrophen wie Erdbeben gefunden. In manchen Regionen hatte sich offenbar das Klima verändert, was zu Ernteausfällen und Hungersnöten geführt haben könnte. Wanderbewegungen und Revolten, Handelseinschnitte oder womöglich das Ausbleiben von dringend benötigten Waren wie Zinn, Kupfer oder Bronze könnten den Systemkollaps bewirkt haben.

Gürteldose aus dem Fluss | Dort, wo die Archäologen das Bronzezeit-Portmonee entdeckt hatten, fanden sie auch diese Gürteldose.

Angesichts dieses Katastrophen-Crescendos im Mittelmeergebiet erscheint das Schlachtfeld im Tollensetal als Ort eines isolierten Gewaltausbruchs. Doch Grabungen in den letzten Jahren haben gezeigt, dass das Gegenteil der Fall gewesen sein dürfte. Archäologen haben inzwischen zahlreiche Festungen untersucht, die zu jener Zeit von den westlichen Mittelgebirgen bis ins Karpatenbecken auf Bergspornen und -kuppen errichtet wurden. Anfang Oktober 2019 stellten die Forscher ihre Ergebnisse auf einer Tagung des Projekts »Prähistorische Konfliktforschung« vor, das die beiden Prähistoriker Svend Hansen vom Deutschen Archäologischen Institut und Rüdiger Krause von der Goethe-Universität Frankfurt am Main leiten. Es zeigt sich, dass am Ende der mittleren und in der späten Bronzezeit, zwischen 1400 und 800 v. Chr., immer mehr Höhensiedlungen befestigt wurden. Für Hansen und Krause bezeugen die Bronzezeitburgen ein »eminentes Schutzbedürfnis«. Und »zugleich waren sie Machtbasen, von denen aus Ressourcen und Verkehrswege kontrolliert werden konnten«.

Die Burgen waren Angriffen ausgesetzt. Das belegen Brandschichten in den Höhensiedlungen und abgebrannte Festungsmauern, ebenso Funde von Waffen, vor allem die Spitzen von verschossenen Pfeilen. Im 2. Jahrtausend v. Chr. hatte sich Europa militarisiert. Das lassen auch neue Waffentypen erkennen wie Lanzen sowie Hieb- und Stichschwerter. Zudem entwickelten die Metallurgen neue Gusstechniken, mit denen sich Schwerter rascher herstellen ließen.

Krieg und Handel

Die mitteleuropäischen Burgherren kontrollierten Handelswege und Siedlungskammern, standen im Austausch miteinander – und offenbar auch im Konflikt. Metalle, Bernstein, Textilien und Nahrungsgüter wurden über kürzere und längere Strecken gehandelt. In der Spätbronzezeit war Europa eingebunden in ein Handelsnetz, das auch Kontakte zu den Kulturen im Mittelmeerraum pflegte. So konnten naturwissenschaftliche Archäologen vom Curt-Engelhorn-Zentrum Archäometrie in Mannheim nachweisen, dass Zinnbarren vom Süden der Britischen Inseln bis in die Levante gelangten.

Hatten sich einige »Häuptlinge« – »Big Men« oder »Warlords« – aus der Region im heutigen Süddeutschland und Böhmen um 1250 v. Chr. zusammengeschlossen? Und waren dann mit ihren Kriegerscharen gen Norden gezogen? Zerstörten sie auf ihrem Marsch Burgen und plünderten Siedlungen – bis sich Widerstand formierte? Und es an der wichtigen Wegkreuzung im Tollensetal zur blutigen Schlacht kam? Es wäre ein mögliches Szenario, meint Thomas Terberger. Der Schlachtort selbst war wohl ein wichtiges Glied im Handelsnetz. Wie C-14-Datierungen ergaben, war die Holzbrücke bereits 500 Jahre vor der Schlacht angelegt und immer wieder ausgebessert worden. Sie könnte eine bedeutende Kreuzung gebildet haben: in Ost-West-Richtung zu Land, in Nord-Süd-Richtung auf der Tollense. An solch einer Stelle würden die Archäologen auch eine Ortschaft oder Siedlung erwarten. Eine solche haben sie aber noch nicht lokalisieren können. Und eine weitere spannende Frage lautet: Wer waren die Sieger und wer die Verlierer? Deshalb, sagt Thomas Terberger, forschen die Archäologen erst einmal weiter.

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