Selektionsprozesse: Gen-Erbe der Grüppchenbildung
Attacken auf bösartige Eindringlinge sollte unser Immunsystem nicht übertreiben, um Kollateralschäden zu vermeiden. An der nötigen Feinabstimmung feilten auch die Lebensumstände unserer Ahnen.
Die Genvarianten-Jäger und -Sammler der Wissenschaft häuften in den letzten zehn Jahren Erfolgsmeldung auf Erfolgsmeldung: Immer schneller isolierten sie schädliche Genvarianten, die eindeutig mit dem Auftreten bestimmter Krankheiten einhergehen – sie fanden "ein Gen für" erhöhtes Diabetesrisiko, Autismus, Schwermut oder Malariaanfälligkeit und vieles mehr. In gründlicheren Studien lieferten sie zudem Kausalzusammenhänge: Hinweise darauf, warum ein bestimmter genetischer Störfall eigentlich zu den charakteristischen Symptomen der Betroffenen führt. Ganz einfach ist das leider selten, denn oft beteiligt sich ein undurchdringlicher Dschungel voneinander abhängiger Mechanismen am Krankheitsgeschehen. "Ein Gen" spielt da selten die tragende Rolle. Meist ist es eher noch komplizierter und ein Gen spielt, je nach Umständen, gleich mehrere Rollen.
Zum Beispiel CARD8. Auf den ersten Blick schien es nur gut zu sein, so fassen Samuel Miller von der University of Washington und seine Kollegen die Erkenntnisse ihrer Arbeit zusammen, wenn dieses Gen einfach ersatzlos ausfällt. Denn aus der Bauanleitung CARD8 stellen menschliche Zellen ein Protein her, das ein zweites Eiweiß, die Caspase-1, hemmt. Diese Caspase-1 aber spielt eine wichtige Rolle beim Kampf von Zellen gegen bedrohliche Eindringlinge wie Salmonella-Bakterien: Das Caspase-Enyzm sorgt unter anderem dafür, dass bakterieninfizierte Zellen sich schnell und schmerzlos selbst töten, bevor die Keime sich vermehrt haben und größeren Schaden anrichten können. Mäuse ohne Caspase-1 infizieren sich dementsprechend auch viel leichter ernsthaft mit Salmonellen und anderen Bakterien. Und da CARD8 die Bakterienbremse Caspase-1 hemmt, sollte der Ausfall des CARD-Proteins die Abwehrkraft einer Zelle noch weiter steigern.
Scharfe Waffe gegen Eindringlinge
Genau das geschieht auch, wie Miller und Co bestätigten: Mit Salmonella konfrontierte lymphoblastoide Zelllinien (LCL) sterben schneller, wenn ihr CARD8-Gen eine bestimmte Mutation trägt und daher nicht funktioniert. Dieser rasche Tod der Einzelzelle wäre gut für einen Gesamtorganismus, weil die Bakterien darin wohl nicht genügend Zeit für ihre Ausbreitung haben. Sobald die Zellen von außen aber wieder funktionsfähige CARD8-Genprodukte geliefert bekamen, starben sie wieder bedrohlich langsam. Demnach schadet also ein funktionierendes CARD8 nur. Müsste sich solch ein Gen nicht eigentlich langsam, aber sicher im Verlauf der Evolution selbst abschaffen – weil seine Träger insgesamt etwas häufiger von Bakterieninfektionen getötet wurden, bevor sie sich selbst fortpflanzen konnten?
Millers Team machte sich daran, genau dies zu überprüfen. Zunächst testeten sie, wie häufig in der menschlichen Population defekte und funktionsfähige CARD8-Varianten vorliegen – und stießen auf die nächste Auffälligkeit. In LCL von Europäern etwa findet sich deutlich häufiger eine funktionslose Variante des Gens als in Zellen, die aus Angehörigen des Yoruba-Stammes in Westafrika isoliert worden waren. Dementsprechend effizienter begingen die europäischen Zellen auch Selbstmord, sobald sie mit Salmonella konfrontiert wurden. Könnte es sein, dass die Vorfahren aller Yoruba im Laufe der Entwicklung einfach seltener mit Salmonellen in Berührung gekommen sind und sich deswegen die noch funktionierende Form des CARD8-Gens eher leisten können als die Ahnen der Europäer?
Kaum störende Altlast?
Vielleicht schon, so Millers Team, nachdem sie zum Vergleich auch die CARD8-Sequenzen verschiedener Säugetiere aus Gendatenbanken geklaubt und angeschaut haben. Hier fallen Unterschiede zwischen Tieren auf, die in größeren Gruppen leben und solchen, die eher in Klein- und Kleinstgruppen oder als Einzelgänger ihr Dasein bestreiten: Herdentiere wie Rinder oder in engem Sozialkontakt aufwachsende Mäuse oder Rhesusaffen tragen tatsächlich typischerweise kein funktionsfähiges CARD8. Elefanten zum Beispiel, die in viel kleineren, überschaubaren Herden leben, dagegen schon.
Miller und Co glauben eine Erklärung zu haben: die funktionierende CARD8-Immunbremse störe besonders bei Organismen, die stärker durch Infektionskrankheiten bedroht werden. Dieses Risiko steige, wenn man häufiger mit Artgenossen in Kontakt kommt und dabei angesteckt werden kann – und sei daher bei Herdentieren bedrohlicher als bei Einzelgängern. Tatsächlich hatten andere Forscher schon statistische Korrelationen zwischen Gruppengrößen und Infektionsgefahren ermittelt. Lässt sich derlei aber auch auf Menschen übertragen?
Homo sapiens gehöre zunächst einmal eigentlich in die Schublade "Kleinstgruppen-Angehöriger", denn über fast die gesamte Zeit seiner Evolution streifte er ja mit relativ wenigen Clanmitgliedern als Jäger- und Sammler durch die Vor- und Frühgeschichte. Ganz ähnlich wie auch heute noch die Yoruba, so Miller: Diese Ethnie war bis heute wohl nicht unbedingt dem Druck ausgesetzt, auf CARD8 zu verzichten, weil ihre Angehörigen eben auch nicht häufig von vielen nahen Artgenossen angesteckt werden konnten.
Weitere Genvergleiche sollten die Theorie stützen. Millers Team analysierte zu diesem Zweck die Infektionsanfälligkeit der Zellen von Volksgruppen, deren Ahnen schon seit langer Zeit auf den Terrassenfeldern Amerikas Ackerbau betrieben hatten: Nachkommen der Maya und Inka. Zum Vergleich zogen sie die Gendaten von Jägerkulturen aus dem Dschungel Südamerikas heran. Ganz eindeutig war das Ergebnis wegen der kleinen Stichprobenzahl nicht, gibt Miller zu – insgesamt aber erwiesen sich die Zellen der Ackerbauernachfahren um vier Prozent besser gegen Salmonella gerüstet. Für die Forscher steht fest: Die Lebensweise bestimmte über das Risiko von Infektionen – und lieferte Selektionsdruck genug, um immunsystemschwächende Gene wie CARD8 nach und nach abzuschaffen.
Und wirklich: "Schärfere Waffen gegen bakterielle Infektionen haben wahrscheinlich ihren Preis", schreibt Millers Kollege Dennis Ko. Genauer gesagt: Der mäßigende Einfluss, den funktionierendes CARD8 auf das zum Zellselbstmord aufrufende Caspase-1-Enzym hat, dürfte immer dann vorteilhaft sein, wenn nicht gerade eine Salmonella-Infektion den totalen Einsatz der Zellabwehr fordert.
So könnte eine ungebremste Caspase sich zum Beispiel gelegentlich bei Unterbeschäftigung gegen den eigenen Körper wenden, obwohl dafür kein wirklicher Anlass besteht: Eine fatale Autoimmunreaktion wäre womöglich die Folge, zumindest aber dürften innere Entzündungen stärker ausfallen. Vielleicht manchmal zu stark? Analysen von Millers Team legen auch das nahe: Sie untersuchten die Gene von Patienten, die bei intensivmedizinischen Eingriffen ein SIRS gezeigt hatten, ein systemisches inflammatorisches Response-Syndrom, das mit starken inneren Entzündungsreaktionen einhergeht. Tatsächlich deuten die Daten an, dass diese Patienten seltener ein funktionsfähiges CARD8-Gen trugen als gesunde Probanden.
Wie gesagt: Oft gehen genetische Umbauten mit Vor- und Nachteilen einher. Die gesunde Kontrollgruppe mit intaktem CARD8 dürfte demnach mehr Probleme bekommen, wenn sie auf Salmonellen stoßen, um die Millerschen Resultate zusammenfassen. Dass sie seltener von alten Ackerbauern abstammen, ist zwar denkbar, statistisch dann aber doch nicht belegbar: An dieser Stelle hat auch das fleißige Forscherteam der University of Washington die Arbeit abbrechen müssen.
Zum Beispiel CARD8. Auf den ersten Blick schien es nur gut zu sein, so fassen Samuel Miller von der University of Washington und seine Kollegen die Erkenntnisse ihrer Arbeit zusammen, wenn dieses Gen einfach ersatzlos ausfällt. Denn aus der Bauanleitung CARD8 stellen menschliche Zellen ein Protein her, das ein zweites Eiweiß, die Caspase-1, hemmt. Diese Caspase-1 aber spielt eine wichtige Rolle beim Kampf von Zellen gegen bedrohliche Eindringlinge wie Salmonella-Bakterien: Das Caspase-Enyzm sorgt unter anderem dafür, dass bakterieninfizierte Zellen sich schnell und schmerzlos selbst töten, bevor die Keime sich vermehrt haben und größeren Schaden anrichten können. Mäuse ohne Caspase-1 infizieren sich dementsprechend auch viel leichter ernsthaft mit Salmonellen und anderen Bakterien. Und da CARD8 die Bakterienbremse Caspase-1 hemmt, sollte der Ausfall des CARD-Proteins die Abwehrkraft einer Zelle noch weiter steigern.
Scharfe Waffe gegen Eindringlinge
Genau das geschieht auch, wie Miller und Co bestätigten: Mit Salmonella konfrontierte lymphoblastoide Zelllinien (LCL) sterben schneller, wenn ihr CARD8-Gen eine bestimmte Mutation trägt und daher nicht funktioniert. Dieser rasche Tod der Einzelzelle wäre gut für einen Gesamtorganismus, weil die Bakterien darin wohl nicht genügend Zeit für ihre Ausbreitung haben. Sobald die Zellen von außen aber wieder funktionsfähige CARD8-Genprodukte geliefert bekamen, starben sie wieder bedrohlich langsam. Demnach schadet also ein funktionierendes CARD8 nur. Müsste sich solch ein Gen nicht eigentlich langsam, aber sicher im Verlauf der Evolution selbst abschaffen – weil seine Träger insgesamt etwas häufiger von Bakterieninfektionen getötet wurden, bevor sie sich selbst fortpflanzen konnten?
Millers Team machte sich daran, genau dies zu überprüfen. Zunächst testeten sie, wie häufig in der menschlichen Population defekte und funktionsfähige CARD8-Varianten vorliegen – und stießen auf die nächste Auffälligkeit. In LCL von Europäern etwa findet sich deutlich häufiger eine funktionslose Variante des Gens als in Zellen, die aus Angehörigen des Yoruba-Stammes in Westafrika isoliert worden waren. Dementsprechend effizienter begingen die europäischen Zellen auch Selbstmord, sobald sie mit Salmonella konfrontiert wurden. Könnte es sein, dass die Vorfahren aller Yoruba im Laufe der Entwicklung einfach seltener mit Salmonellen in Berührung gekommen sind und sich deswegen die noch funktionierende Form des CARD8-Gens eher leisten können als die Ahnen der Europäer?
Kaum störende Altlast?
Vielleicht schon, so Millers Team, nachdem sie zum Vergleich auch die CARD8-Sequenzen verschiedener Säugetiere aus Gendatenbanken geklaubt und angeschaut haben. Hier fallen Unterschiede zwischen Tieren auf, die in größeren Gruppen leben und solchen, die eher in Klein- und Kleinstgruppen oder als Einzelgänger ihr Dasein bestreiten: Herdentiere wie Rinder oder in engem Sozialkontakt aufwachsende Mäuse oder Rhesusaffen tragen tatsächlich typischerweise kein funktionsfähiges CARD8. Elefanten zum Beispiel, die in viel kleineren, überschaubaren Herden leben, dagegen schon.
Miller und Co glauben eine Erklärung zu haben: die funktionierende CARD8-Immunbremse störe besonders bei Organismen, die stärker durch Infektionskrankheiten bedroht werden. Dieses Risiko steige, wenn man häufiger mit Artgenossen in Kontakt kommt und dabei angesteckt werden kann – und sei daher bei Herdentieren bedrohlicher als bei Einzelgängern. Tatsächlich hatten andere Forscher schon statistische Korrelationen zwischen Gruppengrößen und Infektionsgefahren ermittelt. Lässt sich derlei aber auch auf Menschen übertragen?
Homo sapiens gehöre zunächst einmal eigentlich in die Schublade "Kleinstgruppen-Angehöriger", denn über fast die gesamte Zeit seiner Evolution streifte er ja mit relativ wenigen Clanmitgliedern als Jäger- und Sammler durch die Vor- und Frühgeschichte. Ganz ähnlich wie auch heute noch die Yoruba, so Miller: Diese Ethnie war bis heute wohl nicht unbedingt dem Druck ausgesetzt, auf CARD8 zu verzichten, weil ihre Angehörigen eben auch nicht häufig von vielen nahen Artgenossen angesteckt werden konnten.
An anderen Orten der Welt hat sich das allerdings einmal dramatisch geändert: Beim Übergang vom Wildbeutertum hin zu Ackerbau und Viehzucht, der neolithischen Revolution. Diese wälzte auch die Lebensverhältnisse der Menschen um; sie wurden sesshaft, die Bevölkerungsdichte stieg an. Ebenso das Risiko für epidemische Infektionskrankheiten. Salmonella etwa, die selbst heute noch rund 1,3 Milliarden Menschen pro Jahr infiziert, war vor vier bis zehn Jahrtausenden – als die Menschen auf Ackerbau umschwenkten – wurden eine sehr ernsthafte Dauerbedrohung und verursachte auch später immer wieder massenhaften Schrecken, etwa während der industriellen Revolution. Und eben dieser Selektionsdruck habe sich in den Genen der Europäer niedergeschlagen, so Miller: Ihr CARD8-Gen wurde funktionslos und ihre Bakterienbekämpfung effizienter.
Weitere Genvergleiche sollten die Theorie stützen. Millers Team analysierte zu diesem Zweck die Infektionsanfälligkeit der Zellen von Volksgruppen, deren Ahnen schon seit langer Zeit auf den Terrassenfeldern Amerikas Ackerbau betrieben hatten: Nachkommen der Maya und Inka. Zum Vergleich zogen sie die Gendaten von Jägerkulturen aus dem Dschungel Südamerikas heran. Ganz eindeutig war das Ergebnis wegen der kleinen Stichprobenzahl nicht, gibt Miller zu – insgesamt aber erwiesen sich die Zellen der Ackerbauernachfahren um vier Prozent besser gegen Salmonella gerüstet. Für die Forscher steht fest: Die Lebensweise bestimmte über das Risiko von Infektionen – und lieferte Selektionsdruck genug, um immunsystemschwächende Gene wie CARD8 nach und nach abzuschaffen.
"Schärfere Waffen gegen Infektionen haben ihren Preis"
(Dennis Ko)
Damit wäre die Geschichte fast erzählt gewesen – wenn sich Millers Team nicht noch gefragt hätte, warum das scheinbar so bösartig schwächende Gen CARD8 eigentlich überhaupt einmal entstanden ist. Wäre sein Verschwinden nicht auch in Gruppen wie den Yoruba von Vorteil, die sich vielleicht wirklich seltener als andere, immerhin aber doch auch gelegentlich anstecken? (Dennis Ko)
Und wirklich: "Schärfere Waffen gegen bakterielle Infektionen haben wahrscheinlich ihren Preis", schreibt Millers Kollege Dennis Ko. Genauer gesagt: Der mäßigende Einfluss, den funktionierendes CARD8 auf das zum Zellselbstmord aufrufende Caspase-1-Enzym hat, dürfte immer dann vorteilhaft sein, wenn nicht gerade eine Salmonella-Infektion den totalen Einsatz der Zellabwehr fordert.
So könnte eine ungebremste Caspase sich zum Beispiel gelegentlich bei Unterbeschäftigung gegen den eigenen Körper wenden, obwohl dafür kein wirklicher Anlass besteht: Eine fatale Autoimmunreaktion wäre womöglich die Folge, zumindest aber dürften innere Entzündungen stärker ausfallen. Vielleicht manchmal zu stark? Analysen von Millers Team legen auch das nahe: Sie untersuchten die Gene von Patienten, die bei intensivmedizinischen Eingriffen ein SIRS gezeigt hatten, ein systemisches inflammatorisches Response-Syndrom, das mit starken inneren Entzündungsreaktionen einhergeht. Tatsächlich deuten die Daten an, dass diese Patienten seltener ein funktionsfähiges CARD8-Gen trugen als gesunde Probanden.
Wie gesagt: Oft gehen genetische Umbauten mit Vor- und Nachteilen einher. Die gesunde Kontrollgruppe mit intaktem CARD8 dürfte demnach mehr Probleme bekommen, wenn sie auf Salmonellen stoßen, um die Millerschen Resultate zusammenfassen. Dass sie seltener von alten Ackerbauern abstammen, ist zwar denkbar, statistisch dann aber doch nicht belegbar: An dieser Stelle hat auch das fleißige Forscherteam der University of Washington die Arbeit abbrechen müssen.
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