Seltsame Fortpflanzungsstrategien: Gen-Roulette bestimmt Geschlecht
Der Einzeller Tetrahymena thermophila kennt sieben verschiedene Geschlechter, und das Geschlecht eines Individuums wird bei der sexuellen Fortpflanzung durch eine Art genetisches Roulette neu festgelegt. Chinesische und US-amerikanische Forscher um Eduardo Orias von der University of California entschlüsselten jetzt den genetischen Hintergrund dieses Zufallsprozesses. Sie entdeckten, dass die Gene für jeden der sieben Fortpflanzungstypen in Form unvollständiger Genpaare vorliegen. Diese werden bei der Fortpflanzung zufällig zerteilt und wieder zusammengesetzt, ein Prozess, bei dem am Ende das komplette Genpaar eines Geschlechts übrig bleibt, während die anderen eliminiert werden.
Tetrahymena durchläuft einen Zyklus aus asexueller Fortpflanzung, bei der sich die Lebewesen durch Zellteilung vermehren, und eine sexuelle Phase, für die das Geschlecht relevant ist, bei der aber keine Zellteilung auftritt. Paaren können sie sich mit allen Partnern eines anderen Geschlechts, die sie an spezifischen Geschlechtsproteinen an der Außenhülle ihrer Artgenossen erkennen. Diese Moleküle sind nach den Erkenntnissen des Forscherteams in fragmentarischer Form auf einem gemeinsamen Erbgutsegment kodiert.
Entscheidend für das Gen-Roulette ist, dass Tetrahymena zwei Zellkerne mit komplettem Genom besitzt: Der größere von beiden, der somatische Zellkern, führt alle lebenswichtigen Vorgänge während des Alltags aus, der andere dagegen ist ausschließlich bei der sexuellen Fortpflanzung wichtig. Bei dieser erzeugt Tetrahymena zwei haploide Fortpflanzungskerne und tauscht einen von diesen mit dem Partner aus. Anschließend verschmelzen die beiden Fortpflanzungskerne, so dass jeder Partner – neben dem alten somatischen Kern – noch einen diploiden Kern mit Erbgut beider Partner erhält.
Dieser Kern wird nun genetisch umarrangiert – eine Umwidmung, bei der es zur Durchmischung und Dezimierung der Geschlechtsgene kommt. Jeder der ursprünglichen Partner hat an diesem Punkt zwei definierte Geschlechter, unter denen das ursprüngliche nicht zwangsläufig vertreten sein muss.
Nach der Trennung der beiden Partner werden aus den umarrangierten ehemaligen kleinen Fortpflanzungskernen nun – durch weitere Zellteilungen – zwei neue somatische Zellkerne, quasi die Arbeitsversion des Genoms. Nachdem sich die beiden Zellen geteilt haben, resultieren so dann insgesamt vier Tochterzellen mit je einem inaktiven Fortpflanzungskern und einem aktivem somatischen Kern. Letzterer trägt ein nach dem Zufallsprinzip ausgewähltes Genpaar, das bestimmt, welches der sieben Geschlechter das Individuum besitzt.
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