Leben im Himalaja: Genanalyse enthüllt Höhenlufttricks der Murmeltiere
Das Leben in dünner Höhenluft verlangt vom Körper einige physiologische Anpassungen: Man kennt solche etwa von Menschen in Tibet oder Streifengänsen, die über den Himalaja fliegen. Nun haben Forscher auch die in größeren Höhen lebenden Vertreter von Murmeltieren unter die Lupe genommen – und festgestellt, dass Gründe für Höhentoleranz auch an Stellen im Erbgut versteckt sein können, wo man sie zunächst nicht vermutet hätte.
Den chinesischen Munggenforschern um Enqi Liu von der Xi'an Jiaotong University kam bei ihren in »iScience« veröffentlichten Genvergleichen zugute, dass – anders als bergerfahrene europäische Wanderer denken könnten – die meisten Murmeltierarten gar nicht in größeren Höhen leben, sondern in den eher flachen Grassteppen der Nordhalbkugel von Asien bis Amerika. Ein Erbgutvergleich der im Himalaja bis in einer Höhe von fünf Kilometer lebenden Art, ihrer nur in den Tälern vertretenen nächsten Schwesterspezies und vier entfernter verwandten Flachlandbewohnern hat die Wissenschaftlern dabei vor allem auf zwei Gene und besondere RNA-Regulationsmechanismen gestoßen, die sich nur bei den asiatischen Bergmurmeltieren im Lauf ihrer Evolution schnell verändert haben.
Anders als vermutet haben die auffälligen Gene – Slc25a14 und ψAamp – allerdings nicht direkt etwas mit der Sauerstoffversorgung oder der Transportkapazität des Blutgefäßsystems zu tun, was bei physiologisch an die Höhe angepassten Tieren oder dem Menschen typisch ist. Gerade ψAamp ist ein interessanter Fall, so die Forscher: Alle Murmeltiere haben eine Variante dieses Gens, seit sich die Gruppe in der Evolution von der Eichhörnchenlinie abgespaltet hat. Die Himalajamurmler verfügen allerdings sämtlich über eine Pseudogenvariante, die nicht länger Proteine codiert, sondern mit seiner RNA offenbar andere Gene reguliert.
Besonderen Einfluss hat ψAamp dabei auf die Angiogenese, also die Neubildung von Blutgefäßen, so die Forscher weiter: Diese wird dann gebremst, wenn die Tiere nicht aktiv sind. Das könnte eine Anpassung an den sehr tiefen und ausdauernden Winterschlaf sein, den die Tiere im Himalaja in bis zu zehn Meter tiefen Erdhöhlen notgedrungen halten müssen. Ohne Bewegung und bei niedriger Sauerstoffversorgung reagiert der Körper normalerweise mit Gegenmaßnahmen, um einer drohenden Sauerstoffunterversorgung vor allem des Gehirns entgegenzuwirken: Er bildet vermehrt neue Gefäße aus, um mehr Blut und Sauerstoff zu den Neuronen zu bringen. Dies würde allerdings die Hirnzellen stärker schädigen als der fehlende Sauerstoff, spekulieren die Wissenschaftler – weshalb ψAamp der Angiogenese bei Höhentieren engere Grenzen setzt als bei Flachlandbewohnern.
Zu dieser Überlegung passt, dass Slc25a14, das zweite auffällige Gen der Himalaja-Murmeltiere, eine Schutzfunktion bei Neuronen ausübt. Vielleicht sorgt die Genvariante dafür, dass die Hirnnerven trotz niedriger Sauerstoffversorgung keinen Schaden nehmen. In früheren Untersuchungen war bereits herausgekommen, dass gerade ein langer Winterschlaf bei niedrigen Temperaturen und wenig Luftsauerstoff lebensgefährlich werden kann, weil das Blut unter diesen Bedingungen leichter verklumpen kann. Hier setzen vielleicht die typischen RNA-Regulatoren ein, die die Forscher in Höhenmurmeltieren ausgemacht haben: Sie könnten die Hirnstammzellen darauf vorbereiten, im Fall eines Falles schneller beschädigte Neurone zu reparieren, spekulieren Liu und Kollegen.
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