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Gentechnik: Gene für den Weltrekord

Mit gentherapeutischen Verfahren wollen Mediziner Patienten helfen, deren Muskeln auf Grund von Alter oder Krankheit zurückgegangen sind. Aber auch Spitzenathleten haben ein Auge darauf geworfen, um so ihre Leistung zu steigern. Wann wird Gen-Doping die Natur des Sports verändern?
Gen-Doping
Am 10. Februar ist es wieder so weit: Die XX. Olympischen Winterspiele werden feierlich in Turin eröffnet. Während die weltbesten Individuen in Sachen Fitness die äußersten Grenzen menschlicher Stärke, Schnelligkeit und Beweglichkeit austesten, mögen sich manche von ihnen vielleicht auch auf eine neuere, weniger begeisternde olympische Tradition einlassen: den Gebrauch von leistungssteigernden Medikamenten. Ungeachtet der wiederholten Skandale bleibt Doping für viele Athleten unwiderstehlich – und sei es nur, um mit Konkurrenten Schritt zu halten, die es ebenfalls tun. Dort wo nur der Sieg zählt, werden Sportler jede Gelegenheit ergreifen, um wenige zusätzliche Sekundenbruchteile an Geschwindigkeit zu gewinnen oder ihre Ausdauer ein wenig zu steigern.

Turin 2006 | Vom 10. bis 26. Februar 2006 finden in Turin die XX. Olympischen Winterspiele statt.
Doch inzwischen mehren sich die Befürchtungen, dass eine neue Art des Dopings auf uns zukommt, die nicht nachweisbar und daher viel schwieriger zu verhindern sein wird. Behandlungsstrategien, die Muskeln regenerieren, ihre Stärke steigern und sie vor dem Abbau schützen, um Muskelschwunderkrankungen zu therapieren, werden bald das Stadium klinischer Studien beim Menschen erreichen. Darunter sind auch Therapieansätze, bei denen die Patienten ein künstliches Gen bekommen, das über Jahre im Körper bleiben kann und große Mengen natürlicher Proteine produziert, die dem Muskelaufbau dienen.

Alles für den Sieg

Diese Art der Gentherapie soll Menschen helfen, die an Muskeldystrophien leiden. Doch auch für Athleten, die sich dem Doping verschrieben haben, könnte damit ein Traum wahr werden: Die Moleküle lassen sich nicht von ihren natürlichen Gegenstücken unterscheiden und entstehen nur lokal in den Muskelgeweben. Sie gelangen nicht in die Blutbahn, sodass sie auch in einer Urinprobe nicht nachgewiesen werden können. Die internationale Anti-Doping-Behörde (WADA) hat bereits Wissenschaftler aufgefordert, Verfahren zu finden, mit denen sich Gentherapie als neueste Variante des Dopings verhindern lässt. Aber sobald gentherapeutische Behandlungsstrategien die klinischen Studien verlassen und sich immer weiter etablieren, könnte es unmöglich werden, Athleten den Zugriff darauf zu verweigern.

Dabei sind die Methoden, welche die Muskulatur genetisch verbessern sollen, nicht für Spitzensportler entwickelt worden. Mit ihnen wollte man vielmehr einen alters- oder krankheitsbedingten Abbau der Skelettmuskulatur verhindern. So fehlt auf Grund einer Genmutation bei einer der häufigsten und schwersten Muskelschwunderkrankungen – der Duchenne-Muskeldystrophie – das Protein Dystrophin. Es schützt Muskelfasern vor Verletzungen, die während der normalen Bewegung auftreten können. Fehlt das Protein, dann sterben die Muskelfasern ab und werden durch Bindegewebe und Fett ersetzt.

Muskelfaser | Eine Muskelfaser ist mit dicht gepackten Myofibrillen gefüllt, welche der Länge nach aus einer Folge von Sarkomeren bestehen, die jeweils von zwei Z-Scheiben begrenzt werden. Jede Myofibrille ist von Längskanälen des sarkoplasmatischen Reticulums (Longitudinal- oder L-Tubuli) umsponnen. Quer zu diesen durchziehen in regelmäßigen Intervallen tubuläre Plasmalemma-Einstülpungen die Faser und bilden das erregungsleitende Netzwerk der Transversal- oder T-Tubuli. An den Berührungsflächen zwischen T- und L-Tubuli liegen der Erregungsübertragung dienende Membrankontakte, die Triaden.
Doch auch mit Dystrophin werden die Muskelfasern beim normalen Gebrauch verletzt. Tatsächlich gehen Wissenschaftler davon aus, dass mikroskopisch kleine Risse in den Fasern, die während des Trainings entstehen, für den Körper ein Signal darstellen, neue Muskelmasse aufzubauen. Dabei spielen sowohl wachstumsfördernde als auch wachstumshemmende Faktoren eine wichtige Rolle.

Einer davon ist der Wachstumsfaktor IGF-1 (insulin like growth factor). Unsere Arbeitsgruppe an der Universität von Pennsylvania versuchte zusammen mit Nadia Rosenthal und ihren Mitarbeitern von der Harvard-Universität, mit IFG-1 die Muskelfunktion zu verändern. Wir wussten, dass das IGF-Protein innerhalb von Stunden abgebaut wird, wenn wir es einfach in den Muskel injizieren. Wenn aber das entsprechende Gen erst einmal in einer Zelle eingebaut ist, dann sollte es für die Lebensdauer dieser Zelle weiter funktionieren – und Muskelfasern erweisen sich als äußerst langlebig. Eine einmalige Gabe des IFG-1-Gens könnte möglicherweise bei älteren Menschen für den Rest ihres Lebens ausreichen.

Viren als Gentaxi

Doch wie bringt man ein ausgewähltes Gen in das gewünschte Gewebe? Wie viele andere Forscher wählten wir ein Virus als Transportvehikel. Das zu den Parvoviren gehörende Adeno-assoziierte Virus (AAV) infiziert menschliche Muskelzellen, löst aber keine bekannten Krankheiten aus. Ein zusätzliches künstliches Gen bewirkte, dass IGF-1 nur im Skelettmuskel produziert wurde. Tatsächlich stieg in jungen Mäusen nach Injektion dieser AAV-IGF-1-Kombination die Wachstumsrate der Muskulatur um 15 bis 30 Prozent – obwohl sich die Mäuse kaum bewegten. Und als wir das Gen in die Muskeln ausgewachsener Mäuse injizierten und sie alt werden ließen, nahm ihre Muskulatur nicht mehr ab.

Im nächsten Schritt stellte Rosenthal genetisch veränderte Mäuse her, die IGF-1 im gesamten Skelettmuskel überproduzierten. Abgesehen von ihrer zwischen 20 bis 50 Prozent größeren Muskulatur entwickelten sie sich vollkommen normal. Auch im Alter behielten die Nager ihre Fähigkeit zur Muskel-Regeneration, wie sie für jüngere Tiere typisch ist. Und der IGF-1-Spiegel war nur in den Muskeln erhöht – nicht im Blutstrom. Dies ist wichtig, da hohe Mengen an zirkulierendem IGF-1 Herzprobleme verursachen und das Krebsrisiko erhöhen können. Weitere Experimente zeigten, dass die Überproduktion an IGF-1 die Muskelreparatur beschleunigt – selbst in Mäusen mit einer schweren Form von Muskeldystrophie.

Genetisch fitte Ratten

Die gesteigerte lokale IGF-1-Produktion bringt uns dem zentralen Ziel einer Gentherapie zum Kampf gegen Muskelschwunderkrankungen näher: Die enge Verbindung zwischen Muskeleinsatz und seiner Größe wird durchbrochen. Dass dieses simulierte Muskeltraining auf Spitzensportler anziehend wirkt, ist nahe liegend – könnten doch die gleichen gentherapeutischen Methoden dazu benutzt werden, die Leistung gesunder Muskeln zu steigern. Gemeinsam mit dem Sportphysiologen Roger Farrar von der Universität von Texas haben wir diese Theorie überprüft [1].

Wir injizierten AAV-IGF-1 in jeweils ein Bein von Laborratten und unterzogen die Tiere einem achtwöchigen Training. Danach hatten die mit AAV-IGF-1 behandelten Muskeln beinahe doppelt so viel an Stärke gewonnen wie die unbehandelten. Außerdem büßten sie ihre Stärke viel langsamer ein als die normalen Muskeln. Selbst bei ruhenden Ratten sorgte AAV-IGF-1 für einen 15-prozentigen Muskelzuwachs – ähnlich wie wir es in den früheren Mausexperimenten gesehen hatten. Bis jedoch Muskeldydtrophien beim Menschen tatsächlich mit AAV-IGF-1 gentherapeutisch behandelt werden, dürfte noch mindestens ein Jahrzehnt vergehen. Es gibt jedoch noch einen weiteren Ansatz, um das Muskelwachstum zu fördern: Medikamente, die das Protein Myostatin blockieren. Dieses Protein scheint während der gesamten Embryonalentwicklung sowie beim Erwachsenen das Muskelwachstum zu hemmen und fördert möglicherweise den Schwund, wenn der Muskel weniger beansprucht wird. Experimente mit gentechnisch veränderten Mäusen weisen darauf hin, dass die Abwesenheit dieses Antiwachstumsfaktors zu erheblich gesteigerter Muskelmasse führt – sowohl durch übermäßige Vergrößerung als auch durch Vermehrung der Muskelfasern.

Blockierte Blockade

Pharmazeutische und biotechnologische Unternehmen arbeiten bereits an einer Reihe von Myostatin-Inhibitoren – schließlich erregt die Möglichkeit, Masttiere mit höherem Fleischgehalt zu züchten, ein erhebliches kommerzielles Interesse. Die Natur hat bereits mit Rinderrassen wie dem "Belgian Blue" und dem Piemonteser-Fleischrind Beispiele geliefert, die den Effekt einer Myostatin-Blockade zeigen. Beide Rassen produzieren auf Grund einer Mutation eine verkürzte, nutzlose Myostation-Variante. Ihre schier maßlose Muskulatur wirkt noch beeindruckender, weil die Abwesenheit von Myostatin auch die Fetteinlagerung beeinträchtigt.

Obwohl sie noch in den Kinderschuhen steckt, birgt die Gentechnik sicherlich ein schreckliches Potenzial – sowohl für den Sport als auch für unsere Gesellschaft
Als erste Myostatin blockierende Medikamente wurden Antikörper gegen Myostatin entwickelt, wovon einer demnächst in klinischen Studien mit Muskeldystrophie-Patienten getestet werden soll. Ein anderer Ansatz ahmt die Mutation der Rinder nach: Eine kleinere Variante des Myostatins dockt zwar an die entsprechenden Bindungsstellen an – und verdrängt damit normales Myostatin –, bleibt aber ansonsten wirkungslos. Mäuse, denen dieses synthetische Protein injiziert wird, entwickeln eine Skelettmuskel-Hypertrophie.

Myostatin blockierende Substanzen haben auch eine nahe liegende Anziehung auf gesunde Menschen, die ihre Muskulatur schneller wachsen lassen möchten. Sie können leicht verabreicht werden – und lassen sich sofort wieder absetzen –, sie sind aber auch für Sportaufsichtsbehörden leicht mit einem Bluttest nachzuweisen.

Schwerer Nachweis

Anders sieht es dagegen bei einem gentherapeutischen Ansatz aus: Das Genprodukt kann ausschließlich im Muskel gefunden werden – nicht im Blut oder Urin – und wäre identisch zu seinem natürlichen Gegenstück. Nur mit einer Muskelbiopsie ließe sich ein spezifisches künstlich hergestelltes Gen oder ein Virus als Genfähre nachweisen. Jedoch sind viele Menschen natürlicherweise mit Adeno-assoziierten Viren infiziert, sodass ein Test keinen Aufschluss über Doping geben könnte. Außerdem dürften die wenigsten Sportler vor einem Wettkampf einer invasiven Biopsie zustimmen, weshalb diese Art von genetischer Verbesserung praktisch unsichtbar bleiben müsste.

Und wie verkraftet der Körper ein rapides Muskelwachstum von 20 bis 40 Prozent? Könnte ein Athlet, der mit genetisch aufgeblasener Muskulatur in den Wettkampf steigt, genügend Kraft ausüben, um seine eigenen Knochen zu brechen oder seine Sehnen zu zerreißen? Wahrscheinlich nicht. Hier ist die Gefahr bei älteren Menschen, deren Knochen durch Osteoporose geschwächt sind, viel größer. Bei gesunden jungen Menschen sollte ein sich über mehrere Wochen oder Monate erstreckendes Muskelwachstum den stützenden Skelettelementen Zeit geben, ebenfalls zu wachsen, um ihren neuen Anforderungen gerecht zu werden.

Dies sind nur wenige der vielen Fragen, die mit Tierversuchen geklärt werden müssten, bevor genetische Methoden für eine reine Leistungssteigerung bei Gesunden auch nur in Betracht gezogen werden kann. Dennoch: Wenn die Gentherapie kurz davor steht, sich zu einer echten medizinischen Behandlungsstrategie zu entwickeln, ist es bis zum Gen-Doping nicht mehr weit. Dabei stellt die Vergrößerung der gesamten Muskulatur nur einen möglichen Weg dar. Bei Sportarten wie Sprinten könnten regulierende Gene, die Muskelfasern in den schnellen Typ umwandeln, ebenso begehrenswert erscheinen. Für Marathonläufer wäre dagegen eine Steigerung der Ausdauer ausschlaggebend.

Mit Epo zum Erfolg?

Aller Wahrscheinlichkeit nach wird der Muskel das erste Ziel für genetische Verbesserung sein, aber andere könnten schließlich folgen. Die Ausdauer wird zum Beispiel auch durch die Sauerstoff-Menge beeinflusst, welche die Muskeln erreicht. Erythropoietin ist ein natürlich vorkommendes Protein, das die Entwicklung Sauerstoff transportierender roter Blutkörperchen anregt. Seine synthetische Form, ein Medikament namens Epoietin oder kurz Epo, wurde entwickelt, um Blutarmut zu behandeln. Vielfach haben es jedoch Sportler missbraucht – am offensichtlichsten bei der Tour de France 1998: Ein komplettes Team musste damals vom Rennen ausgeschlossen werden. Trotzdem geht der Epo-Missbrauch im Sport weiter.

Bei Tieren wurde bereits versucht, per Gentransfer die Erytropoietin-Produktion anzuregen – mit Ergebnissen, die vor Augen führen, welche potenziellen Gefahren hier lauern: 1997 und 1998 hatten Wissenschaftler künstliche Erythropoietin-Gene bei Affen eingebaut. In beiden Experimenten verdoppelte sich die Zahl der roten Blutkörperchen der Tiere innerhalb von zehn Wochen. Dadurch wurde das Blut so dick, dass es regelmäßig verdünnt werden musste, um ein Herzversagen zu verhindern.

Fluch oder Segen?

Die britische Firma Oxford Biomedica produziert bereits eine Arznei namens "Repoxygen", die sowohl die genetische Bauanleitung für Epo als auch virales Erbgut als Genvektor enthält. Die Befürchtungen werden daher immer lauter, dass hier ein großer Markt für gentechnische Manipulationen am Menschen heranwächst – so wie technisch versierte Personen sich der Herstellung und dem Verkauf so genannter Designerdrogen verschrieben haben. Einen solchen Missbrauch zu überwachen, wird sich auf Grund mangelnder Nachweismethoden als deutlich schwerer erweisen denn bei herkömmlichen Medikamenten.

Allerdings werden einige dieser Gentherapien in den kommenden Jahrzehnten als sicher gelten und für alle zur Verfügung stehen. Falls in Zukunft gentechnische Verbesserungen umfassend eingesetzt werden, um die Lebensqualität zu steigern, dann wird die ethische Haltung der Gesellschaft zur Manipulation unserer Gene wahrscheinlich ganz anders aussehen als heute. Manche Sportfunktionäre räumen bereits ein, dass muskelregenerierende Therapien durchaus nützlich sein könnten, damit sich Sportler von Verletzungen erholen können.

Werden wir also eines Tages dank Gentransfer aus der ganzen Menschheit Superathleten machen? Obwohl sie noch in den Kinderschuhen steckt, birgt die Gentechnik sicherlich ein schreckliches Potenzial – sowohl für den Sport als auch für unsere Gesellschaft. Die ethischen Streitfragen rund um die genetische Verbesserung sind vielfältig und komplex. Wir sollten darüber debattieren, bevor diese Macht eingesetzt wird.

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