Genetik: Riesige DNA-»Borg«-Strukturen verblüffen Wissenschaftler
Die Borg sind gelandet – oder zumindest wollen Forschende ihre Gegenstücke hier auf der Erde entdeckt haben. Ein Team hat bei der Analyse von Schlammproben im Westen der USA auffällige DNA-Strukturen gefunden, die scheinbar Gene von Mikroorganismen in ihrer Umgebung aufspüren und »assimilieren«, ähnlich wie die fiktiven Borg aus Star Trek, die das Wissen und die Technologie anderer Spezies übernehmen.
Die extralangen DNA-Stränge, die die Wissenschaftler zu Ehren der Aliens so benannt haben, reihen sich in eine vielfältige Sammlung genetischer Strukturen ein – etwa zirkuläre Plasmide –, die als extrachromosomale Elemente (ECEs) bekannt sind. Die meisten Mikroben haben ein oder zwei Chromosomen, die ihren primären genetischen Bauplan codieren. Aber sie können viele verschiedene ECEs beherbergen und teilen sie oft untereinander. Diese tragen nichtessentielle, jedoch nützliche Gene, wie die für Antibiotikaresistenz.
Die Borg seien eine bisher unbekannte, einzigartige und »absolut faszinierende« Art von ECEs, sagt Jill Banfield, Geomikrobiologin an der University of California, Berkeley. Sie und ihre Kollegen beschreiben ihre Entdeckung der Strukturen in einem Preprint, veröffentlicht auf dem Server bioRxiv. Die Arbeit muss noch von Experten begutachtet werden.
Anders als alles bisher Gesehene
Borg seien DNA-Strukturen, »wie man sie noch nie gesehen hat«, sagt Brett Baker, Mikrobiologe an der University of Texas in Austin. Weitere Wissenschaftler stimmen zu, dass der Fund aufregend ist, haben aber in Frage gestellt, ob Borg wirklich einzigartig sind, da sie Ähnlichkeiten mit anderen großen ECEs festgestellt haben.
In den vergangenen Jahren »hat man sich an Überraschungen im Bereich der ECEs gewöhnt«, sagt Huang Li, ein Mikrobiologe an der Chinesischen Akademie der Wissenschaften in Peking. »Aber die Entdeckung der Borg, die das Konzept der ECEs zweifellos bereichert, hat viele auf dem Gebiet fasziniert.«
Ihre enorme Größe, die zwischen mehr als 600 000 und etwa einer Million DNA-Basenpaaren liegt, unterscheidet die Borg von zahlreichen anderen ECEs. Tatsächlich sind Borg so riesig, dass sie bis zu einem Drittel der Länge des Hauptchromosoms in ihren Wirtsmikroben ausmachten, sagt Banfield.
Banfield untersucht, wie Mikroben den Kohlenstoffkreislauf beeinflussen – einschließlich der Produktion und des Abbaus von Methan, einem starken Treibhausgas. Im Oktober 2019 machten sie und ihre Kollegen in kalifornischen Feuchtgebieten Jagd auf ECEs, die Gene enthalten, die am Kohlenstoffkreislauf beteiligt sind. Dort fanden sie die ersten Borg und identifizierten später 19 verschiedene Typen von diesem und ähnlichen Standorten in Colorado und Kalifornien.
Borg scheinen mit Archaeen assoziiert zu sein, einzelligen Mikroorganismen, die sich von Bakterien unterscheiden. Insbesondere diejenigen, die Banfield und ihr Team entdeckt haben, haben mit Methanoperedens zu tun, die Methan verdauen und zerstören. An diesem Prozess scheinen Borg-Gene beteiligt zu sein, sagt Banfield.
Noch lassen sich Methanoperedens nicht im Labor kultivieren. Daher basieren die Schlussfolgerungen des Teams, dass die Borg von den Archaeen für die Methanverarbeitung genutzt werden könnten, allein auf Sequenzdaten.
Die Sequenzierung von Hunderten von Borg-Genen dauert an
»Sie haben eine interessante Beobachtung gemacht«, sagt der Systembiologe Nitin Baliga vom Institute for Systems Biology in Seattle, Washington. Aber er warnt vor fehlerhaften Messungen, wenn Forscher Fragmente vieler Genome durchsiebten und zusammensetzten, wie es Banfields Team getan hat. Der Nachweis von Borg in kultivierten Methanoperedens sei notwendig, um die Ergebnisse zu bestätigen, fügt er hinzu.
Sollten die Borg echt sein, wäre es für Methanoperedens extrem aufwändig, sie zu erhalten, sagen Banfield und seine Kollegen. Die DNA-Strukturen müssten demnach einen gewissen Nutzen bieten. Um herauszufinden, welcher das sein könnte, analysierten die Forscher die Sequenzen von Hunderten von Borg-Genen und verglichen sie mit bekannten Genen.
Borg scheinen viele Gene zu beherbergen, die für komplette Stoffwechselprozesse nötig sind, einschließlich der Verdauung von Methan, sagt Banfield. Sie beschreibt diese Sammlungen als »einen Werkzeugkasten«, der Methanoperedens besondere Fähigkeiten verleihen könnte.
Was macht einen Borg zu einem Borg?
Neben ihrer bemerkenswerten Größe haben Borg mehrere strukturelle Merkmale gemeinsam: Sie sind linear, nicht kreisförmig wie viele ECEs; sie haben gespiegelte, sich wiederholende Sequenzen an jedem Ende des Strangs; und sie haben zahlreiche weitere repetitive Regionen sowohl innerhalb als auch zwischen den mutmaßlichen Genen.
Individuell können sich solche Merkmale der Borg mit denen anderer großer ECEs überschneiden. Dazu zählen beispielsweise Elemente in bestimmten Salz liebenden Archaeen, so dass laut Baliga die Neuartigkeit der Borg in diesem Stadium noch fraglich ist. Borg würden auch riesigen linearen Plasmiden ähneln, die in Actinobakterien vorkommen, sagt Julián Rafael Dib, ein Mikrobiologe an der Pilotanlage für mikrobiologische Industrieprozesse in Tucumán, Argentinien.
Banfield entgegnet, dass die einzelnen Merkmale der Borg zwar schon einmal gesehen wurden, aber »die Größe, die Kombination und die metabolische Genlast« mache sie besonders. Sie spekuliert, dass sie einst ganze Mikroben waren und von Methanoperedens assimiliert wurden, ähnlich wie eukaryotische Zellen Energie erzeugende Mitochondrien durch die Assimilation frei lebender Bakterien erhielten.
Jetzt, da die Wissenschaftler wissen, wonach sie suchen müssen, könnten sie weitere Borg finden, indem sie alte Daten durchforsten, sagt Baker, der früher in Banfields Labor gearbeitet hat. Er ist davon überzeugt, einige Kandidaten in seiner eigenen genetischen Datenbank entdeckt zu haben, seit der Preprint veröffentlicht wurde.
Borg – so nützlich wie CRISPR?
Bei der Analyse des Borg-Genoms sahen Banfield und Kollegen auch Merkmale, die darauf hindeuten, dass die Borg Gene aus verschiedenen Quellen assimiliert haben, darunter das Hauptchromosom von Methanoperedens, sagt Banfield. Dieses Potenzial veranlasste ihren Sohn dazu, beim Thanksgiving-Essen 2020 den Namen Borg vorzuschlagen.
Banfields Team untersucht nun die Funktion der Borg und die Rolle ihrer DNA-Wiederholungen. Wiederholungen sind wichtig für Mikroben: Unterschiedlich strukturierte Wiederholungen, genannt CRISPR, sind Schnipsel des genetischen Codes von Viren, die Mikroben in ihre eigene DNA einbauen, um sich an die Krankheitserreger zu »erinnern«, damit sie sich in Zukunft gegen sie verteidigen können.
CRISPR und die damit verbundenen Proteine waren ein Segen für die Biotechnologie, weil Forschende sie zu einer leistungsfähigen Gen-Editing-Technik ausbauen konnten. Dementsprechend könnten auch Borg-Genome nützliche Werkzeuge liefern. »Es könnte genauso wichtig und interessant sein wie CRISPR, sagt Banfield, die mit ihrer Koautorin des Preprints, Jennifer Doudna, einer Pionierin des CRISPR-basierten Gene Editing an der Universität von Kalifornien, an zukünftigen Untersuchungen zusammenarbeitet.
Eine mögliche Anwendung: Borg als Hilfsmittel im Kampf gegen den Klimawandel. Die Förderung des Wachstums von Mikroben, die sie enthalten, könnte vielleicht die Methanemissionen reduzieren, die von bodenbewohnenden Archaeen erzeugt werden und die sich weltweit auf etwa eine Gigatonne pro Jahr summieren. Es wäre riskant, dies in natürlichen Feuchtgebieten zu tun, sagt Banfield, aber es könnte an landwirtschaftlichen Standorten sinnvoll sein. Als ersten Schritt jagt ihre Gruppe daher jetzt Borg in kalifornischen Reisfeldern.
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