Anthropologie: Genetischer Tonfall
Ihre Entdeckung galt als Markstein in unserer Evolution: Bestimmte Versionen zweier Gene, die in der menschlichen Entwicklung erst "kürzlich" auftauchten, spielen vielleicht eine wichtige Rolle bei der Hirnreifung. Doch auch den Klang der Sprache könnten sie beeinflussen.
Microcephalin und ASPM heißen die neuen Stars der Humangenetik. Dabei haben Forscher nur eine grobe Ahnung, was diese beiden Gene eigentlich tun: Der Erbfaktor ASPM auf Chromosom 1 hat beim Aufbau des Spindelapparats bei sich teilenden Nerven-Vorläuferzellen seine Hände im Spiel; Microcephalin auf Chromosom 8 mischt dagegen bei der DNA-Reparatur neuronaler Zellen mit. Fest steht nur, was passiert, wenn diese Gene defekt sind: Es entwickelt sich das Krankheitsbild der Mikrozephalie, bei der die Hirnentwicklung bei einem Volumen von etwa 400 Kubikzentimetern zum Stillstand kommt.
Dan Dediu und Robert Ladd von der Universität Edinburgh stießen nun auf einen neuen Zusammenhang: die Sprache. Die beiden Forscher verglichen die regionale Häufigkeit der Genversionen mit der weltweiten Verbreitung tonaler Sprachen, bei der die Bedeutung von Wörtern durch die Tonhöhe kodiert wird. Dies ist beispielsweise im Chinesischen der Fall, während die meisten europäischen Sprachen, wie Deutsch, Englisch oder Französisch nontonal sind. Hier betont der Klang lediglich die Wichtigkeit eines Worts oder fungiert als Kennzeichnung eines Fragesatzes. Andere Sprachen wie Japanisch oder Baskisch stellen eine Mischung beider Sprachversionen dar.
Gene für die Sprache? Das klingt ziemlich spekulativ.
Doch die Ergebnisse könnten darauf hindeuten, dass tonale Sprachen in den Frühzeiten der Menschheit viel weiter verbreitet waren als heute. Wenn sich nun Genversionen im Laufe der Evolution – aus welchen Gründen auch immer – durchsetzen, die dem Sprecher die Wahrnehmung von Tonhöhen erschweren, dann sollten Sprachversionen seltener werden, bei denen es gerade auf diese Fähigkeit ankommt.
Irgendeinen Selektionsvorteil nontonaler Sprachen beziehungsweise der Genversionen ASPM-D und MCHP-D können die Forscher jedenfalls nicht ausmachen. Welche Rolle die beiden Stars der Humangenetik wirklich spielen, bleibt somit weiterhin rätselhaft.
Was macht diese beiden Gene dann für Evolutionsbiologen so spannend? Antwort: eine kleine Veränderung in der "jüngsten" Vergangenheit des Menschen. Vor schätzungsweise 37 000 Jahren, so spekulierte 2005 der Genetiker Bruce Lahn von der Universität Chicago, tauchte von dem Microcephalin-Gen eine Variante auf, die sich inzwischen bei siebzig Prozent der Menschheit durchgesetzt hat. Und vor nur 5800 Jahren entstand eine Version des ASPM-Gens, die heute immerhin schon bei einem Drittel der menschlichen Bevölkerung zu finden ist. Diese Mutationen passen zeitlich ziemlich gut zu bedeutenden Entwicklungssprüngen in der Menschheitsgeschichte: dem Aufblühen der prähistorischen Kunst in Europa beziehungsweise der Entstehung erster Städte in Mesopotamien.
Die Versionen – die inzwischen auf die Kürzel MCHP-D und ASPM-D hören – treten vor allem in Europa und im Mittleren Osten auf, während sie in Afrika südlich der Sahara eher selten vorkommen. Warum sie sich so unterschiedlich durchsetzten, bleibt unklar, doch mit Intelligenz – so betonte Lahn ausdrücklich – haben die "modernen" Genvarianten sicherlich nichts zu tun.
Dan Dediu und Robert Ladd von der Universität Edinburgh stießen nun auf einen neuen Zusammenhang: die Sprache. Die beiden Forscher verglichen die regionale Häufigkeit der Genversionen mit der weltweiten Verbreitung tonaler Sprachen, bei der die Bedeutung von Wörtern durch die Tonhöhe kodiert wird. Dies ist beispielsweise im Chinesischen der Fall, während die meisten europäischen Sprachen, wie Deutsch, Englisch oder Französisch nontonal sind. Hier betont der Klang lediglich die Wichtigkeit eines Worts oder fungiert als Kennzeichnung eines Fragesatzes. Andere Sprachen wie Japanisch oder Baskisch stellen eine Mischung beider Sprachversionen dar.
Beim Vergleich von 26 sprachlichen Charakteristika aus 49 Völkern der Erde mit 983 Genversionen zeigte sich nun eine klare Tendenz: Dort, wo die "neuen" Versionen ASPM-D und MCHP-D vorherrschen – wie in Europa, Nordafrika und weiten Gebieten von Asien –, pflegen die Bewohner eher nontonale Sprachen. Die "alten" Genvarianten sind dagegen unter den Sprechern tonaler Idiome wie im südlichen Afrika oder in Südostasien verbreitet.
Gene für die Sprache? Das klingt ziemlich spekulativ.
"Wir können mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass es keine 'Gene für Chinesisch' gibt"
(Dan Dediu und Robert Ladd)
Schließlich kann bekannterweise jedes Kind jede beliebige menschliche Mundart erlernen, wenn es in dem entsprechenden Sprachraum aufwächst. So betonen die beiden schottischen Wissenschaftler auch gleich zu Beginn ihres Artikels, es gebe keine "Gene für Chinesisch". (Dan Dediu und Robert Ladd)
Doch die Ergebnisse könnten darauf hindeuten, dass tonale Sprachen in den Frühzeiten der Menschheit viel weiter verbreitet waren als heute. Wenn sich nun Genversionen im Laufe der Evolution – aus welchen Gründen auch immer – durchsetzen, die dem Sprecher die Wahrnehmung von Tonhöhen erschweren, dann sollten Sprachversionen seltener werden, bei denen es gerade auf diese Fähigkeit ankommt.
Irgendeinen Selektionsvorteil nontonaler Sprachen beziehungsweise der Genversionen ASPM-D und MCHP-D können die Forscher jedenfalls nicht ausmachen. Welche Rolle die beiden Stars der Humangenetik wirklich spielen, bleibt somit weiterhin rätselhaft.
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