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Florida: Gentech gegen Gelbfiebermücken

Eine dreiviertel Milliarde genetisch veränderter Mückenmännchen könnten 2021 in Florida frei gelassen werden. Sie schleusen ein tödliches Gen in die Population ein.
Gelbfiebermücke bei der Blutmahlzeit

Nicht nur Touristen lieben den »Sunshine State«. Auch für Stechmücken ist Florida ein Paradies, dank seines ganzjährig warmen und feuchten Klimas. Seit jeher haben die Einwohner unter den Plagegeistern zu leiden. Allerdings vermehrt sich dort auch die aus den Tropen eingewanderte Gelbfiebermücke Aedes aegypti prächtig. Und sie ist mehr als nur lästig, denn sie kann Viruserkrankungen wie Gelbfieber, Zika, Chikungunya und Denguefieber übertragen. Gegen diese mitunter tödlichen Infektionen gibt es keine Medikamente, man kann nur versuchen, ihre Symptome abzuschwächen.

Um Krankheitsausbrüche zu verhindern, werden nicht nur in Florida seit Jahrzehnten regelmäßig Insektizide gesprüht. Dennoch kommt es immer wieder zu Krankheitsübertragungen. So verzeichnet Florida für das laufende Jahr 22 Dengue-Fälle. »Die Resistenzen gegen Insektizide nehmen bei zahlreichen Mückenarten weltweit zu. Manche Arten sind mittlerweile multiresistent«, sagt Marc Schetelig vom Institut für Insektenbiotechnologie der Universität Gießen. Hinzu kommen ökologische Bedenken, da der weit verbreitete Einsatz synthetischer Insektizide wie Pyretroide und Organophosphate mit dem weltweiten Rückgang von Insekten in Verbindung gebracht wird.

Vor diesem Hintergrund haben die Umweltschutzbehörde der Vereinigten Staaten sowie der Bundesstaat Florida kürzlich ihre Genehmigung für ein gleichermaßen raffiniertes wie umstrittenes Experiment erteilt: Das britische Unternehmen Oxitec darf mehrere Millionen gentechnisch veränderte (gv) Gelbfiebermücken freisetzen. Sie sollen die Population ihrer wild lebenden Artgenossen drastisch reduzieren.

Extreme Geburtenkontrolle

Bei Oxitecs Methode handelt es sich um eine extreme Form der Geburtenkontrolle: Freigesetzt werden ausschließlich männliche Gelbfiebermücken des Produktstamms OX5034. Ihnen wurden zwei neue Gene ins Erbgut eingefügt: DsRed2 ist ein Markergen, das ein fluoreszierendes Protein herstellt. Bei Bestrahlung mit Fluoreszenzlicht leuchten gv-Larven und -Mücken farbig auf, wodurch sich die Ausbreitung der freigesetzten Tiere kontrollieren lässt.

Das Gen Tetrazyklin-Transaktivator (tTAV) führt zum Tod der weiblichen Tiere noch im Larvenstadium, denn die Zelle liest es so häufig ab, dass sich das damit verbundene tTAV-Protein so stark anreichert, dass die Zellmaschinerie zusammenbricht – die Tiere sterben. Unterdrücken kann man diesen Vorgang, wenn man den Larven das Antibiotikum Tetrazyklin verabreicht. Ohne einen solchen Ausschalter würden sich die Tiere im Labor andernfalls gar nicht vermehren lassen.

Mittels Gentechnik lässt sich das weibliche Geschlecht quasi ausknipsen

In männlichen Tieren ist tTAV hingegen nicht aktiv, weil bei ihnen das Gen anders abgelesen wird, ein Vorgang, den Biologen geschlechtsspezifisches Spleißen nennen. Paaren sich OX5034-Mücken mit wild lebenden Weibchen, überlebt also nur der männliche Nachwuchs. Da der Weibchenanteil mit jedem Paarungszyklus schrumpft, reduziert sich die Mückenpopulation mit der Zeit erheblich.

»Grundsätzlich ist das eine umweltfreundliche und sehr gezielte, weil artspezifische Methode der Schädlingsbekämpfung«, sagt Ernst Wimmer von der Universität Göttingen.

750 Millionen genetisch veränderte Mückenmännchen

Oxitec hat seit 2009 nach eigenen Angaben über eine Milliarde Mücken auf den Kaimaninseln und in Teilen Panamas und Brasiliens frei gelassen. Die Populationen der frei lebenden Gelbfiebermücken brachen in der Folge um mehr als 90 Prozent ein.

In Florida könnten 2021 über 750 Millionen Mückenmännchen freigesetzt werden. Das Experiment selbst läuft unspektakulär ab: Mitarbeiter deponieren Aufzuchtboxen mit einer bekannten Anzahl Eiern an vorher festgelegten Orten und fügen Wasser hinzu, so dass sich die Insektenmännchen entwickeln können. Menschen kommen mit den gv-Mücken nicht in Kontakt, da die Mückenmännchen nicht stechen können und sich von Pflanzensaft ernähren.

Die Methode kann als Weiterentwicklung der so genannten Sterilen-Insekten-Technik (SIT) betrachtet werden, die weltweit seit rund 70 Jahren bei verschiedenen Insektenarten zum Einsatz kommt. Dabei sterilisieren Biologen gezüchtete Insektenmännchen durch radioaktive Strahlung. Farmer setzen die sterilen Männchen in Massen frei, um die wild lebenden männlichen Artgenossen zu verdrängen. Paaren sich die Weibchen mit den sterilen Männchen, produzieren sie keinen Nachwuchs und die Schädlingspopulation schrumpft.

Die klassische SIT ist eine überaus erfolgreiche Methode, mit der etwa die Tsetsefliege auf Sansibar ausgerottet wurde und die bis heute täglich bei der Bekämpfung der Mittelmeerfruchtfliege zum Einsatz kommt. Diese stammt ursprünglich aus Kenia, hat sich mittlerweile aber auf allen fünf Kontinenten verteilt und ist ein gefürchteter Schädling im Gemüse- und Obstanbau. »Die größte Zuchtanlage befindet sich in Guatemala, dort werden jede Woche bis zu vier Milliarden Männchen gezüchtet. Das sind rund 20 Tonnen Insekten«, erklärt Schetelig. In den USA würden an Hotspots wie Flughäfen und Häfen täglich Millionen Tiere freigesetzt, um Ausbrüchen vorzubeugen. Auch in Europa werden täglich sterile Mittelmeerfruchtfliegenmännchen freigesetzt, die Zuchtanlagen befinden sich in Israel und Spanien.

»Die Frage ist doch: Was haben wir für Alternativen?«
Marc Schetelig

»Das Problem bei dieser Methode ist, dass ein Teil der bestrahlten Männchen nicht völlig steril ist. Die Strahlendosis lässt sich aber nicht beliebig erhöhen, weil dann die Schäden zunehmen. Man bestrahlt ja das ganze Tier, auch das Gehirn, und wenn das Verhalten der Fabrikmännchen von der Norm abweicht, wollen Freilandweibchen nichts mehr von ihnen wissen« erklärt Wimmer.

Mit der Zeit verschwindet das manipulierte Genom von selbst

Ein weiterer Haken ist, dass die klassische SIT sich nicht bei jeder Insektenart so gut anwenden lässt wie beim Paradebeispiel Mittelmeerfruchtfliege. »Man braucht ein geeignetes System, um ausschließlich Männchen in Massen züchten zu können«, erklärt Schetelig. Hier kommt die Gentechnik ins Spiel, mit der sich das weibliche Geschlecht mit genetischen Tricks wie dem tTAV-System quasi ausknipsen lässt.

Oxitecs OX5034-Mücken unterscheiden sich in einem wesentlichen Punkt von den klassischen SIT-Tieren: Die verwendeten OX5034-Männchen sind eben gerade nicht steril. Sie sollen das Weibchen tötende tTAV-Gen ja an die nächste Generation vererben. Das ist erwünscht, um die Population im Verlauf mehrerer Paarungszyklen zu reduzieren, ohne kontinuierlich weitere Männchen freisetzen zu müssen – was bei der klassischen SIT zwingend erforderlich ist. Nach einigen Generationen verschwinden die OX5034-Männchen aus der Natur, da die mendelschen Regeln greifen, also immer nur die Hälfte der männlichen Nachkommen das OX5034-Genom erbt.

Oxitecs Freisetzungsplänen schlägt in Florida Misstrauen verschiedener Umweltgruppen entgegen. Erst im Herbst 2019 hatte eine Publikation im Fachblatt »Scientific Reports« weltweit für Negativ-Schlagzeilen gesorgt: Oxitecs transgene Mücken würden sich in Brasilien ausbreiten, war in etlichen Medien zu lesen. »Die Arbeit war irreführend«, sagt Wimmer und steht mit seiner Kritik – auch an der undifferenzierten Darstellung in seriösen Medien – nicht allein. Die Studie hatte keine negativen oder unerwarteten Auswirkungen auf Mensch oder Umwelt gefunden, sich aber in Spekulationen ergangen. Die Redaktion von »Scientific Reports« hat in der Zwischenzeit reagiert: Mitte Mai 2020 veröffentlichte sie eine Stellungnahme. Sechs der zehn Autoren der umstrittenen Studie stimmten den in ihrem »Letter of Concern« aufgeführten Richtigstellungen zu.

In Brasilien erfahren Oxitecs Versuche einen hohen Grad an Zustimmung. Ausschlaggebend sei der Leidensdruck durch die Zika- und Dengue-Infektionen, sagt Wimmer.

Eine Frage der Resistenzbildung

Wimmer und Schetelig sind nicht unbefangen. Beide forschen an der genetischen Weiterentwicklung SIT-ähnlicher Systeme in verschiedenen Schädlingen, darunter der Kirschessigfliege, die auch hier zu Lande für große Schäden sorgt. »Eine Methode, die gezielt nur diese Art angreift, wäre ein Segen«, sagt Wimmer. Man müsse nicht jede Idee zur genetischen Veränderung von Organismen gutheißen. »Sie aber kategorisch abzulehnen, ist auch nicht der richtige Weg.«

»Die Frage ist doch: Was haben wir für Alternativen? Wollen wir mehr Todesfälle durch Malaria und Denguefieber in Kauf nehmen? Wollen wir noch höhere Konzentrationen unspezifisch wirkender Insektizide tonnenweise versprühen und dabei den Tod anderer Arten und Belastungen für Boden und Umwelt verursachen? Oder wollen wir es mit einer gezielten Methode versuchen?«, fragt Schetelig.

Oxitecs Experimente kritisieren beide Wissenschaftler aber in einem übereinstimmenden Punkt: Statt nur auf einen Tötungsmechanismus zu setzen, sollten zwei verwendet werden. »Das tTAV-System ist sehr gut erforscht und wird von zahlreichen Arbeitsgruppen verwendet. Wenn Insekten dagegen Resistenzen entwickeln, dann wäre damit eine potenziell sehr wirksame Technologie vorschnell für andere Ansätze verbrannt«, erklärt Wimmer.

Dass das möglich ist, legen zwei kürzlich veröffentlichte Arbeiten nahe: Versuche mit der Taufliege Drosophila melanogaster weisen darauf hin, dass Resistenzen gegen das tTAV-System vorhanden sein oder aber durch Mutation spontan entstehen können. Laut Nathan Rose, der bei Oxitec für Regulierungsfragen zuständig ist, sind bislang keine Resistenzen gegen einen Produktstamm von Oxitec dokumentiert worden.

Gentechnik bereitet manchen Einwohnern Unbehagen

Viele Normalbürger plagen andere Sorgen: Ihnen bereitet allein der Gedanke an durch die Luft schwirrende gv-Mücken Unbehagen – das zeigen auch die Kommentare, die zum Genehmigungsantrag von Oxitec bei der US-Umweltbehörde eingingen: 31 174 Kommentare sprachen sich gegen, 56 Kommentare für die Versuche aus. Die Befürworter sahen Vorteile für Gesundheit und Umwelt, vor allem im Einsparen unspezifischer Pestizide. Viele Gegenstimmen sorgen sich um unvorhergesehene ökologische Konsequenzen. Was passiert, wenn andere Tiere genetisch veränderte Mücken fressen? Und was, wenn eine Art gänzlich ausgerottet wird? Was passiert dann mit jenen Tieren, die sich von ihnen ernähren? Schetelig hält diese Sorgen für unbegründet. »Mit der Methode kann man die Gelbfiebermücken nur eindämmen, nicht ausrotten«, sagt der Experte.

Die US-Umweltbehörde hat in einem öffentlich einsehbaren, 150 Seiten starken Papier ausführlich Stellung zu den eingegangen Kommentaren genommen. Dabei kommt sie in ihrer ebenfalls einsehbaren Risikoanalyse zum Ergebnis, dass Oxitecs Versuche »keine unangemessenen nachteiligen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt« haben.

In einem Artikel in »The Conversation« kritisieren aber mehrere Wissenschaftler die fehlende Transparenz bei der Entscheidung der Umweltbehörde und plädieren unter anderem für eine breitere Risikobewertung durch unabhängige Drittforscher. Gerade weil die Methode ein so viel versprechendes Instrument im Kampf gegen Krankheiten sei, wäre eine offene, umfassende und partizipative Entscheidungsfindung erforderlich.

Um die Freisetzungsexperimente in Florida starten zu können, braucht Oxitec noch die Zustimmung der lokalen Behörden. Am 18. August hat das Florida Keys Mosquito Control District (FKMCD) dafür gestimmt.

Update (25.08.2020): Wir haben den Text um die Entscheidung des Florida Keys Mosquito Control District ergänzt.

Update (13.08.2020): In der ursprünglichen Fassung dieses Artikels wurde ein Zitat fälschlicherweise dem Pressesprecher der Firma Oxitec zugeschrieben. Tatsächlich stammte es von Nathan Rose, der dort für Regulierungsfragen zuständig ist. Wir haben den Fehler korrigiert.

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