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Gentechnik: Die neue CRISPR-Welt

Das CRISPR-Cas9-Verfahren revolutioniert die Biotechnologie. Doch die Technik steht noch am Anfang. Genauer und effektiver soll die Genschere werden – und ganze Genome auf einen Schlag verändern können.
Eine stilisierte DNA-Helix unter einer stilisierten Lupe

Glutenfreier Weizen? Die Banane vorm Killerpilz retten? Pappeln, die trotz Trockenheit, hoher Temperaturen und nährstoffarmen Böden schnell wachsen für einen nachhaltigen Biokraftstoff?

Anspruchsvolle Forderungen, die für den Biochemiker Holger Puchta vom Karlsruher Institut für Technologie noch vor einem Jahrzehnt völlig unrealistisch geklungen hätten. Aber seit es CRISPR-Cas9 gibt, macht die Pflanzenzuchtforschung atemberaubende technologische Fortschritte, schrieb er im Februar 2020 in einem Übersichtsartikel.

Mit dem 2012 entwickelten biotechnologischen Werkzeug sollen Nutzpflanzen noch nützlicher für uns Menschen werden. Doch auf dem Weg dahin sind einige Hürden zu überwinden – die Technik bietet nicht nur großes Verbesserungspotenzial, Fachleute sehen auch einige Schwächen. Inzwischen aber ist CRISPR auf dem Weg, das erhoffte Allzweckwerkzeug der Biotechnik zu werden. Nicht nur in der Pflanzenzucht.

Dort allerdings zeigen sich die Fortschritte am deutlichsten. Als historischen Durchbruch rühmt Puchta die Multiplexing-Technik, die es erstmalig möglich macht, eine Wildpflanze innerhalb nur einer Pflanzengeneration in eine Kulturpflanze umzuwandeln. Dazu verändert man mehrere Stellen im Erbgut gleichzeitig statt nur eine einzige.

Die Pflanzenzucht als Vorreiter

So konnten Wissenschaftler in bloß einem Schritt aus einer unscheinbaren Ausgangspflanze eine nahrhafte, ertragreiche und wohlschmeckende Kulturtomate erzeugen. Das sei attraktiv, so Puchta, weil Wildpflanzen natürliche Widerstandsfähigkeiten haben, die sich in eine domestizierte, genetisch verarmte Tomate kaum zaubern lassen. »Die Möglichkeiten mit CRISPR sind schier grenzenlos, wir können sehr schnell alles tun, was in der Natur in langen Zeiträumen entstanden ist«, schwärmt der Forscher.

Der Bedarf an neuen Sorten ist groß. Beispielsweise ist die Existenz der nach Europa importierten Banane zunehmend von dem Pilz Fusarium oxysporum TR4 bedroht, der weltweit ganze Plantagen vernichtet. »Es darf aber auch nichts Übernatürliches erwartet werden – CRISPR ist ein Teil der Natur«, fügt Puchta hinzu. »Jegliche mit CRISPR erzeugte Resistenz gegen Pathogene kann genauso leicht von der Natur unterlaufen werden wie eine natürliche Resistenz.«

Nutzpflanzen sollen zudem nicht nur widerstandsfähiger gegen schädliche Pilze werden, sondern auch gegen zu erwartende Auswirkungen des Klimawandels. Man forscht, um sie ertragreicher zu machen und um einer wachsenden Weltbevölkerung mit steigendem Energiebedarf neue Energieträger zu bieten wie möglicherweise die Pappel in naher Zukunft.

Das Prinzip dahinter ist sehr alt. Seit tausenden Jahren nutzt der Mensch, dass sich die Genome von Lebewesen im Lauf der Zeit verändern. Bei der Züchtung steuert er diese Veränderung, indem er auswählt: Sorten mit unterschiedlichen vorteilhaften Merkmalen werden gekreuzt, um neue Sorten zu generieren, die die besten Eigenschaften beider Elternteile vereinen.

Am Ziel vorbeigeschossen

Es ist jedoch sehr zeitaufwändig, die gewünschten Pflanzen zu finden. Zudem können unabsichtlich erzeugte nachteilige Merkmale in die Pflanzen gelangen. So gingen etwa der über Jahrzehnte gezüchteten Tomate auf der Suche nach immer größeren Früchten viele der Geschmackstoffe verloren, weswegen moderne Tomatensorten weniger aromatisch sind als ältere Sorten.

CRISPR ermöglicht im Gegensatz dazu und zur Mutagenesezüchtung, bei der Strahlung oder Chemikalien ungezielt Schäden im Erbgut verursachen, genetische Veränderungen nur an einzelnen, vorbestimmten Stellen im Genom der Pflanze. Hierbei wird eine spezielle RNA konstruiert, deren Basenabfolge zum Ziel im Genom passt.

Diese führt das Protein Cas9 zu der ausgesuchten Zielstelle in der DNA, das dort beide Stränge der Doppelhelix durchschneidet. Die natürlichen Reparaturmechanismen der Zelle fügen den Strang wieder zusammen – so kann man Gene inaktivieren oder gezielt verändern. Denn die Zelle nutzt die mit den gewünschten Veränderungen konstruierte RNA, um ihr Erbgut nach diesem Vorbild zu reparieren. Sie kann sogar ihre abgeschnittenen Gensequenzen mit einer externen DNA ersetzen, sofern eine passende hinzugegeben wurde. Die RNA wird abgebaut, und kein fremdes Gen verbleibt in der Zelle – nach Ansicht der Fachleute einer der entscheidenden Vorteile der Technik.

»Es darf aber auch nichts Übernatürliches erwartet werden – CRISPR ist ein Teil der Natur«
Holger Puchta

So weit die Theorie. In der Praxis hat die Sache einige Haken. Der wichtigste sind so genannte Off-Target- oder Off-Site-Effekte: unbeabsichtigte Mutationen, die entstehen können, wenn Cas9 Gene beschädigt, indem es inakkurat schneidet oder das an unbeabsichtigten Gensequenzen tut. Das kann zu Reparaturfehlern an der geschnittenen DNA und infolgedessen zu unerwünschten Mutationen führen.

Pflanzennachkommen mit solchen ungewollten Veränderungen muss man derzeit aussortieren. Immerhin ist das schon viel weniger als bei der klassischen Zucht oder gar der technischen Erzeugung von Mutationen, erklärt Puchta. »Doppelstrangbrüche passieren natürlich genauso bei der Mutagenesezüchtung mit radioaktiver Strahlung.«

Weniger unerwünschte Mutationen

Das führe sogar zu tausenden unerwünschten Mutationen im Vergleich zu einigen wenigen bei CRISPR. Auch natürliche Mutationen würden meist häufiger auftreten als die mit CRISPR erzeugten Off-Site-Mutationen in den behandelten Pflanzen. So unterscheiden sich beispielsweise die Genome zweier Roggenähren aus demselben Feld natürlicherweise an 100 Stellen.

Dennoch forschen Fachleute mit Hochdruck an Strategien, um Off-Target-Effekte weiter zu reduzieren. Darunter beispielsweise besser konzipierte RNA-Sequenzen, die die Genschere zu ihrem Ziel führen. Oder Entwicklung von CRISPR-Techniken mit erhöhter Spezifität. Laufend werden Komponenten und Technik verbessert, die Methoden werden ausgeklügelter.

Weiter als die Verbesserungen an einzelnen Komponenten des Systems geht das von Puchta genannte Multiplexing in Tomatenpflanzen. Anfangs beschränkte sich die CRISPR-Anwendung nur auf die Modifikation einzelner Gene. Jetzt können Forscher das Erbgut weit reichend verändern, indem sie CRISPR eine Art Multitasking beibringen und das Cas9-Protein an mehreren Stellen in unterschiedlichen Proteinsequenzen gleichzeitig schneiden lassen. Puchta hält dieses Verfahren für die derzeit größte Errungenschaft in der grünen Biotechnologie.

Einen prominenten Multiplexing-Erfolg bei der Umwidmung einer Wildtomatenpflanze beschreiben Wissenschaftler in »Nature Biotechnology«. Nachdem sie fünf wichtige Schlüsselcharakteristika zur Domestizierung identifizierten – Wachstumsverhalten, Form, Größe, Anzahl der Früchte und Ernährungsqualität –, konstruierten sie fünf passende RNAs zu den spezifischen DNA-Sequenzen. Das Ergebnis: Von der Wildpflanze zum Gemüse gelangten sie in einem einzigen Sprung.

Fünf auf einen Streich

»Mit klassischen Züchtungsmethoden hatte es viele Jahrzehnte gedauert, um eine Wildtomate zu kultivieren«, bemerkt Gabi Krczal, Leiterin des dem rheinland-pfälzischen Ministerium unterstehenden Instituts für Pflanzenforschung AIPlanta. »Das Tolle an CRISPR ist, dass es schnell und präzise ist. Man muss aber den Organismus, den man verändern will, gut kennen. Die Grenzen von CRISPR beginnen da, wo es Wissenslücken bezüglich des Genoms des Organismus gibt.«

Die Biotechnologie-Professorin forscht an Züchtungsmethoden für die Ackerbohne, eine mögliche Futterpflanze. Das soll Sojaimporte aus Übersee reduzieren, doch dazu muss die Bohne resistenter gegen Pilze und Trockenheit werden und mehr Ertrag liefern.

Für ihre Ackerbohnenforschung wird der CRISPR-Komplex aus Protein, RNA und der Vorlage für den neuen Erbgutstrang in Teile von reifen Ackerbohnensamen mittels Partikelbeschuss eingebracht. Diese Samenteile haben das Potenzial, neue Ackerbohnenpflänzchen zu bilden, die dann die gewünschte Mutation und die damit verbundene Eigenschaft besitzen.

»Die Grenzen von CRISPR beginnen da, wo es Wissenslücken bezüglich des Genoms des Organismus gibt«
Gabi Krczal

Auf diese Weise wird Cas9 nie Bestandteil der Pflanze – es baut sich nach relativ kurzer Zeit ab. In einem anderen Züchtungsprojekt von Krczals Institut werden Seitenknospen von Versuchspflanzen mit einem CRISPR-Komplex besprüht. Die neuen Seitentriebe tragen dann veränderte Blüten, Früchte und später Samen, aus denen genomeditierte Pflanzen wachsen sollen – ganz ohne die zeitaufwändige Gewebekultur.

CRISPR in der Medizin

Mit dieser Methode kann man vor allem Pflanzenspezies behandeln, bei denen sich die Gewebekultur nur sehr schwierig handhaben lässt oder viel Zeit in Anspruch nimmt – wie etwa bei holzigen Pflanzen. Durch solch »transientes« Einbringen von CRISPR in eine Pflanze lassen sich Off-Target-Schnitte ebenfalls minimieren.

Auch Fachleute in der Medizin forschen besonders intensiv an der Reduzierung von Off-Target-Effekten. Der Trend gehe zu einer weiteren neuen Methodik, der Baseneditierung, sagt Laborleiter Ralf Kühn vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin der Helmholtz-Gemeinschaft. Hierbei nutzt man Cas9 nicht mehr, um das Erbgut zu schneiden; es bindet nur noch an die Ziel-DNA, die Reparatur erfolgt durch ein anderes Enzym.

Biomediziner Kühn forscht schon seit drei Jahrzehnten an Gentherapien. Er findet, dass er vor CRISPRs Entdeckung viel Zeit »verplempert« habe, weil ihm 20 Jahre lang nur embryonale Stammzellen für die Korrektur bestimmter Gendefekte zur Verfügung standen.

Heutzutage entnimmt man einem unter einem Gendefekt leidenden Patienten Stammzellen, behandelt diese mit der CRISPR-Methode und setzt die »geheilten« Stammzellen wieder ein, auf dass sie sich ausbreiten.

So können Forscher Blutkrankheiten wie die Sichelzellanämie effizienter behandeln – oder Kühn und Kollegen die schwere kongenitale Neutropenie vom Typ 1, zumindest an Mäusen. Kühn kennt keinen Genomforscher, der nicht von dem neuen biotechnologischen Werkzeug Gebrauch macht: »Es ist wie der Berliner Marathon, alle laufen in dieselbe Richtung.«

Über 1000 CRISPR-Patente existieren bereits, hauptsächlich aus den USA und China. Eine Studie in »Nature Biotechnology« klassifizierte 2019 45 Prozent aller Patente als generelle technische Verbesserungen, 27 Prozent der Patente stammen aus dem medizinischen Sektor, 13 Prozent aus der Pflanzenforschung.

Die Zukunft: Ungewiss

Pflanzenforscher profitieren von den medizinischen Entwicklungen, denn in der Medizin ist Genauigkeit besonders wichtig. Die Schere könnte ein Gen beschädigen und dadurch Krebs entstehen lassen. Dagegen ist der Weg von der Entwicklung neuer CRISPR-Verfahren in der Pflanzenforschung kürzer. »Off-Site-Effekte bei Pflanzen sind viel unproblematischer: Pflanzen können keinen Krebs kriegen«, sagt Puchta.

Ob solche Forschungsprojekte, wenn sie denn glücken, in Europa zur Anwendung kommen, ist allerdings noch ungewiss: Hier wird jede mit CRISPR behandelte Pflanze nach dem 2018 erlassenen Urteil des Europäischen Gerichtshofs als gentechnisch veränderter Organismus klassifiziert, weil die genomischen Mutationen vom Menschen induziert werden.

Das sei paradox und widerspreche den wissenschaftlichen Erkenntnissen, moniert Puchta. »Es gibt bei CRISPR kein erhöhtes Risiko. Mit Genscheren behandelte Pflanzen haben keine nennenswerten Off-Site-Effekte im Gegensatz zu den mit klassischer Mutagenese behandelten Pflanzen, die seit 70 Jahren breit in der Landwirtschaft angewandt werden.«

Bei diesen macht das Gesetz eine Ausnahme. Wegen deren langjähriger Anwendung fallen Mutagenesepflanzen nicht unter die Regularien des Gentechnikgesetzes. Ob der europaweite Protest der Wissenschaftler zu einer Modifikation dieser stark umstrittenen Regulierung führt, bleibt abzuwarten. Der weltweite CRISPR-Boom hält jedenfalls an.

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