Direkt zum Inhalt

Gentechnik: Wichtige Entscheidung zum CRISPR-Patent wird Streit nicht beenden

Wer CRISPR-Cas9 erfunden hat? Unklar. Gleich zwei Forscherteams reklamieren die Entdeckung für sich. Nun hat ein Team bedeutende Patentrechte zugesprochen bekommen. Diskutiert wird jedoch weiter.
Der CRISPR-Cas9-Komplex (blau) kann DNA (lila) schneiden. Die Streitigkeiten darüber, wer das Gen-Editing-System erfunden hat und wer von wichtigen Patenten profitieren sollte, dauern an.

Forschende können erbittert streiten. Vor allem, wenn es um Ehre, Patente und Geld geht. So auch die zwei Gruppen um Feng Zhang sowie Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier, die jeweils von sich behaupten, die revolutionäre Gene-Editing-Technologie CRISPR-Cas9 erfunden zu haben. Der Disput wird nach Ansicht von Anwälten noch jahrelang andauern – trotz der jüngsten Entscheidung des US-Patentamts, einem der Teams wichtige Patentrechte zuzusprechen.

Der endgültige Ausgang des Patentstreits, der im Jahr 2016 begann, könnte für die Sieger Millionen von Dollar an Lizenzgebühren bedeuten, falls und wenn CRISPR-basierte Therapien auf den Markt kommen.

Ein Ende des Streits ist jedoch nicht in Sicht, und das geistige Eigentum rund um CRISPR wird immer komplexer. Patentämter in anderen Ländern haben unterschiedliche Entscheidungen darüber getroffen, wer was erfunden hat. Weitere Parteien haben sich eingemischt und umkämpfen das Eigentum an entscheidenden frühen CRISPR-Cas9-Patenten. Und die Zahl der Patente auf CRISPR-verwandte Technologien hat sich mit der Entwicklung neuer Techniken weiter erhöht.

»Das könnte noch jahrelang so weitergehen«, sagt Catherine Coombes, Patentanwältin im Büro der Anwaltskanzlei für geistiges Eigentum Murgitroyd in York, Großbritannien. »Viele Jahre.«

Für Patente und Nobelpreise gelten unterschiedliche Kriterien – auch bei CRISPR

In dem fraglichen Patentstreit stehen sich zwei hochkarätige Forschungsteams gegenüber. Das eine Team unter der Leitung des Molekularbiologen Zhang vom Broad Institute of MIT and Harvard in Cambridge, Massachusetts, hat mehrere wichtige Entscheidungen des US-Patent- und Markenamts (USPTO) gewonnen. Dem anderen Team gehören die Biochemikerin Doudna von der University of California, Berkeley, und die Mikrobiologin Charpentier an, die ihre Arbeit an CRISPR an der Universität Wien begann. Im Jahr 2020 teilten sich die beiden Frauen den Nobelpreis für Chemie für die Entdeckung der CRISPR-Cas9-Genbearbeitung, aber Patente und Nobelpreise werden nicht unbedingt nach denselben Kriterien beurteilt.

Das Berkeley-Team – in der jüngsten USPTO-Entscheidung CVC genannt – meldete sein ursprüngliches Patent 2012 an, einige Monate früher als das Broad Institute. Damals vergab das USPTO Patente jedoch auf der Grundlage der Frage, wer eine Technologie als Erster erfand, und nicht, wer das Patent als Erster anmeldete; die beiden Teams streiten sich seit Jahren darüber, wer die CRISPR-Cas9-Genbearbeitung zuerst entwickelt hat. Das USPTO änderte im Jahr 2013 seine Verfahren, und die Vereinigten Staaten, wie ein Großteil der übrigen Welt, vergeben nun Patente danach, wer den Antrag zuerst einreicht.

»Es gibt so viel mehr als dieses eine isolierte und wirklich einzigartige Merkmal des alten US-Rechtssystems – es gibt da draußen eine ganze Welt«Daniel Lim, Patentanwalt

Nach Angaben des Wirtschaftsforschungsunternehmens Centredoc im schweizerischen Neuchâtel gibt es inzwischen mehr als 11 000 Patentfamilien für CRISPR-bezogene Technologien. Die ersten Patente, die das CVC- und das Broad-Team eingereicht haben, gelten jedoch als weit reichend und grundlegend: Viele Unternehmen, die Produkte wie Therapien oder Nutzpflanzen verkaufen wollen, die mit CRISPR-Cas9-Genom-Editierung hergestellt wurden, könnten verpflichtet sein, Lizenzen zu erwerben, unabhängig davon, welches Team diese Kämpfe gewinnt.

»Es war sinnvoll, sich stark auf diese Patente zu konzentrieren: Die Technologie ist so bedeutend«, sagt Daniel Lim, Patentanwalt bei der Anwaltskanzlei Kirkland & Ellis International in London. »Aber es gibt so viel mehr als dieses eine isolierte und wirklich einzigartige Merkmal des alten US-Rechtssystems – es gibt da draußen eine ganze Welt.«

Im Lauf der Jahre hat das USPTO wiederholt zu Gunsten des Broad Institute entschieden, aber das CVC-Team hat eine weitere Bewertung von Patenten veranlasst, die die wahrscheinlich lukrativste Anwendung der Genbearbeitung abdecken: die Veränderung von Genomen in Eukaryoten, einer Gruppe von Organismen, zu der auch Menschen und Nutzpflanzen gehören. Beide Teams behaupteten, die Ersten gewesen zu sein, die die CRISPR-Cas9-Genom-Editierung entsprechend angepasst haben. Für das Verfahren wurden daher Labornotizen und E-Mails durchgesehen, um herauszufinden, wann welche Gruppe erfolgreich war. Am 28. Februar 2022 stellte das USPTO fest, dass das Broad-Team als Erstes den Erfolg erzielt hatte, möglicherweise mit einem Vorsprung von wenigen Wochen.

Das Warten auf experimentelle CRISPR-Therapien

Selbst wenn die Entscheidung Bestand hat, könnte es noch einige Zeit dauern, bis das Broad-Team viel an den Lizenzgebühren verdient. Bislang wurde noch keine auf CRISPR basierende Therapie für den Menschen zugelassen, obwohl sich mehrere in der Pipeline befinden. Am 28. Februar 2022 gab Intellia Therapeutics in Cambridge, Massachusetts, bekannt, dass seine experimentelle CRISPR-Cas9-Behandlung für die seltene Krankheit Transthyretin-Amyloidose die Produktion eines fehlerhaften Proteins um bis zu 93 Prozent reduziert hat, wobei die Wirkung mindestens ein Jahr lang anhielt. Und bis Ende 2022 will ein Team aus zwei Unternehmen – CRISPR Therapeutics aus Cambridge und Zug (Schweiz) und Vertex Pharmaceuticals aus Boston (Massachusetts) – bei der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA die Zulassung für eine experimentelle Behandlung der Sichelzellenkrankheit auf der Grundlage von CRISPR-Cas9 beantragen.

Beide Gruppen haben Patente von CVC lizenziert, nicht von Broad. Das bedeutet, dass sie möglicherweise eine Vereinbarung mit dem Broad-Team treffen müssen, das Anspruch auf einen Teil der Gewinne aus den Behandlungen haben könnte.

Der Umstand müsse den Fortschritt der Therapien nicht verzögern, sagt Geulah Livshits, Analystin bei Charden, einer Investmentbank für das Gesundheitswesen in New York City. Zwei Unternehmen beanspruchen die Patentrechte an den Lipid-Nanopartikeln, die Moderna Therapeutics in Cambridge, Massachusetts, zur Umhüllung seines mRNA-basierten Impfstoffs Covid-19 verwendet hat. Dieser anhaltende Streit hat jedoch nicht verhindert, dass der Impfstoff auf den Markt kam, so Livshits.

»Europa hat sich in eine völlig andere Richtung entwickelt als die USA. Das macht die Sache aus Sicht der Lizenzierung interessant«Catherine Coombes, Patentanwältin

Die CRISPR-Cas9-Patentlandschaft bleibt unklar, fügt sie hinzu. CVC könnte gegen die Entscheidung des USPTO vor einem Bundespatentgericht Berufung einlegen, aber es ist unwahrscheinlich, dass der Fall bis vor den Obersten Gerichtshof der USA kommt, sagt Kevin Noonan, Vorsitzender der Gruppe Biotechnologie und Pharmazeutika bei der Anwaltskanzlei McDonnell Boehnen Hulbert & Berghoff in Chicago, Illinois: »Es gibt hier keine große politische Frage, mit der sich das Gericht befassen müsste.«

Es ist auch möglich, dass weder CVC noch Broad die Früchte der grundlegenden CRISPR-Cas9-Patente ernten werden. Beide sind mit Anfechtungen dieser Patente durch zwei andere Unternehmen konfrontiert: ToolGen in Seoul und Sigma-Aldrich, jetzt im Besitz von Merck in Darmstadt, Deutschland.

Und in der Europäischen Union wurden die wichtigsten CRISPR-Cas9-Patente aus dem Broad-Portfolio wegen fehlender Unterlagen insgesamt abgelehnt. Im Zuge der Fertigstellung seiner Patente beschloss das Broad-Team, einen seiner Erfinder aus den Anmeldungen zu streichen – versäumte es allerdings, dessen schriftliche Zustimmung einzuholen, was im EU-System vorgeschrieben ist. Infolgedessen hat CVC in Europa die Oberhand. »Europa hat sich in eine völlig andere Richtung entwickelt als die USA«, sagt Coombes. »Das macht die Sache aus Sicht der Lizenzierung interessant.«

Es gibt längst Alternativen zur Genom-Editierung

Unternehmen haben jetzt auch die Möglichkeit, diese Patente ganz zu umgehen, indem sie andere CRISPR-Systeme verwenden. Solche Systeme kommen natürlicherweise in vielen Bakterien und Archaeen vor und können unterschiedliche Eigenschaften haben. Laut Fabien Palazzoli, leitender Patentanalyst bei Centredoc, hat in den letzten zwei Jahren die Zahl der Patentanmeldungen für neue diagnostische Tests für Viren und Bakterien dramatisch zugenommen, möglicherweise ausgelöst durch die Covid-19-Pandemie.

»CRISPR-Cas9 ist nicht das A und O«Catherine Coombes, Patentanwältin

Relativ wenige davon verwenden CRISPR-Cas9, sagt er; stattdessen benutzen sie alternative Enzyme wie Cas13 oder Cas14, die bemerkenswert klein sind und leicht in menschliche Zellen transportiert werden können. Die Labors haben auch neue CRISPR-assoziierte Enzyme entwickelt, wie Basen-Editoren, die besser in der Lage sind, spezifische Änderungen vorzunehmen. Laut Palazzoli verdoppeln sich die Patentanmeldungen für Basen-Editoren jedes Jahr und belaufen sich inzwischen auf mehr als 730 Stück.

Vor dem Hintergrund so vieler Aktivitäten wird es Jahre dauern, bis klar ist, wie viel die ursprünglichen CVC- und Broad-Patente wert sind, sagt Coombes. »CRISPR-Cas9 ist nicht das A und O«, sagt sie. »Es ist noch viel zu holen.«

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.