Direkt zum Inhalt

Gentechnik: Manipulierte Insekten gegen Schädlinge

In Zukunft sollen Schädlinge verstärkt mit ihresgleichen bekämpft werden - über gentechnisch veränderte Artgenossen. In Malaysia, Amerika und Brasilien haben Freisetzungsversuche mit solchen Insekten bereits stattgefunden. Europa folgt wohl bald, um seine Oliven zu retten.

Olivenbauern weltweit fürchten sie: Die Olivenfruchtfliege Bactrocera oleae, kurz Olivenfliege genannt. Sie legt ihre Eier in die reifenden Früchte, die daraus schlüpfenden Larven zerfressen das Fleisch. Jahr für Jahr verursachen die Schädlinge enorme wirtschaftliche Schäden. In Zukunft soll die Ernte mit Hilfe der Gentechnik gerettet werden: Genetisch manipulierte (GM) Olivenfliegen sollen ihre freilebenden Artgenossen nach und nach zurückdrängen.

Das britische Biotechnologie-Unternehmen Oxitec hatte bereits im September 2013 bei der spanischen Biosicherheitskommission einen entsprechenden Freilandversuch beantragt. Die GM-Fliegen sollten in der Nähe der Stadt Tarragona auf einem mit Netzen gesicherten Testgelände freigelassen werden. Hätte Spanien den Antrag bewilligt, wäre es der erste Freilandversuch mit entsprechend veränderten Kerbtieren in Europa gewesen, doch das Land lehnte vorerst ab. Die Behörden fordern erst weitere Studien – unter anderem soll Oxitec prüfen, wie sich die GM-Fliegen auf Fressfeinde wie Spinnen auswirken.

Aufgeschoben ist aber nicht aufgehoben. Denn die Firma ist bereits dabei, die geforderten Experimente nachzuholen. Und auch in anderen Laboren tüfteln Molekularbiologen unter Einsatz der Gentechnik an neuartigen Methoden der Schädlingsbekämpfung. Bis in 50 Jahren, so glauben viele Experten, wird es selbstverständlich sein, dass Heerscharen genmanipulierter Insekten in Olivenhainen und Bananenplantagen oder auch in Ballungsräumen durch die Lüfte schwirren. Wie gewagt ist diese Zukunftsvision?

Geburtenkontrolle für Schädlinge

"Ich hätte es begrüßt, wenn Spanien die Versuche genehmigt hätte", sagt Wolfgang Nentwig vom Institut für Ökologie und Evolution der Universität Bern, "es ist eine sehr sichere Methode und derzeit wohl die beste der Welt, um gezielt eine bestimmte Insektenart zu bekämpfen." Bei Oxitecs Methode handelt es sich um eine Art Geburtenkontrolle für Schädlinge: Wissenschaftler fügen Olivenfliegenmännchen eine bestimmte Gensequenz ein. Paart sich ein solches Männchen mit einem wild lebenden Weibchen, sorgt das eingeschleuste DNA-Stück dafür, dass der weibliche Nachwuchs noch im Larvenstadium stirbt – die Embryonen produzieren ein Protein, mit dem sie sich selbst "vergiften". Bei den männlichen Nachkommen bleibt das DNA-Stück ausgeschalten, sie überleben und geben das tödliche Tochtergen bei einer Paarung erneut weiter. Mit der Zeit schrumpft also die Zahl der Weibchen und damit der Nachkommen. Theoretisch ließe sich damit die Schädlingsart auslöschen.

Bei der Methode handelt es sich um die Weiterentwicklung der so genannten Sterilen-Insekten-Technik (SIT), die weltweit seit über 60 Jahren bei verschiedenen Insektenarten angewendet wird. Dabei machen Biologen gezüchtete Insektenmännchen durch radioaktive Strahlung unfruchtbar. Farmer setzen die sterilen Männchen dann in Massen frei, um die wild lebenden Artgenossen zu verdrängen. Paaren sich die Weibchen mit den sterilen Männchen, produzieren sie keinen Nachwuchs, die Schädlingspopulation schrumpft. "Das Problem bei dieser Methode ist, dass ein Teil der bestrahlten Männchen nicht völlig steril ist. Die Strahlendosis lässt sich aber nicht beliebig erhöhen, weil dann die Tiere zu stark geschädigt werden. Dann sind sie für die Freilandweibchen nicht mehr attraktiv und sie paaren sich nicht mit ihnen", erklärt Nentwig. Das Verfahren gelte insgesamt als teuer und als der gentechnischen Methode unterlegen.

Da die SIT nicht sicher genug wirkt, sprühen Olivenbauern zusätzlich Gift. Das ist einfach und wirksam, aber nicht gerade umweltfreundlich: Insektizide wirken unspezifisch, das heißt, es sterben nicht nur Olivenfliegen, sondern auch viele andere Insekten, darunter auch nützliche. Hinzu kommt, dass die Schädlinge mit der Zeit resistent werden gegen das Gift, die Bauern also immer mehr Gift sprühen müssen – was wenig wünschenswert ist.

Besonders umweltfreundlich?

Oxitec bewirbt seine Methoden daher auch als "besonders umweltfreundlich", weil sie giftfrei ist. Dennoch wird es das Unternehmen schwer haben, die GM-Fliegen in Europas Olivenhainen zu etablieren. Denn ein großer Teil der europäischen Bevölkerung lehnt Gentechnik in der Landwirtschaft kategorisch ab. Der Widerstand gegen die grüne Gentechnik etwa, also den Anbau genetisch veränderter Nutzpflanzen wie Mais und Soja, ist so massiv, dass große Unternehmen wie Monsanto und Bayer sich aus Deutschland und der Schweiz zurückgezogen haben. Produkte aus genetisch veränderten Organismen (GVO) – etwa eine transgene Kartoffel, die Industriestärke produziert –, gelten als nicht vermarktbar.

"Die GVO-Industrie verhält sich oft mehr als ungeschickt. Bei so viel Lobbyarbeit und aggressivem Vorgehen entsteht leicht der Gedanke, dass man etwas zu verbergen hat", erklärt Nentwig, "Dabei gehören einige GM-Nutzpflanzen inzwischen zu den bestuntersuchten Arten der Welt. Dort wo sie großflächig und lange angebaut werden, müsste man inzwischen negative Auswirkungen festgestellt haben." Ein Risiko für Mensch und Umwelt kann Nentwig auch bei den manipulierten Olivenfliegen nicht erkennen.

Im Gegensatz zu ihm tun die Gentechnikgegner dies schon. So warnt die britische Nichtregierungsorganisation GeneWatch vor unkalkulierbaren Umweltschäden: Die GM-Insekten könnten sich unkontrolliert ausbreiten beziehungsweise könnte ihre Ausrottung dazu führen, dass andere Schädlinge oder Krankheitsüberträger sich vermehren. Und die Organisation Testbiotech warnt, dass sich GM-Larven in den Oliven befinden könnten und die Ernte dadurch unverkäuflich werden könnte.

Bei näherer Betrachtungsweise gibt es aber wesentliche Unterschiede zwischen Pflanzen und Fliegen: Genmais oder Gensoja werden mit Eigenschaften ausgestattet, die ihnen einen Überlebensvorteil verschaffen. So schützt ein zusätzliches Bakteriengen Maispflanzen vor Fressfeinden wie dem Maiszünsler, dessen Raupen spezifisch an dem Getreide fressen. "Den Olivenfliegen wird aber ein nachteiliges Merkmal eingebaut. Wie soll sich ein tödlich wirkendes Transgen denn ausbreiten?", fragt Ernst Wimmer, Entwicklungsbiologe an der Universität Göttingen.

Folgen für Natur und Mensch?

Wimmer selbst verbirgt nicht, dass er an einer ähnlichen Methode wie Oxitec forscht und auf diese Weise verschiedene Fruchtfliegenarten, ebenfalls weit verbreitete Schädlinge, bekämpfen möchte. Zu den möglichen ökologischen Folgen sagt Wimmer: "Endemische Schädlinge wird man nur kontrollieren können, da sie Nischen finden werden, um sich immer wieder zu erholen. Viele Schadorganismen sind invasive Arten, die wird man ausrotten können. Aber wo ist da das ökologische Problem, wenn man eine Art aus einem System entfernt, in dem sie vorher nicht vorkam?"

Und was, wenn die eine oder andere GM-Larve im Olivenöl landet? "Wir sprechen über winzige Konzentrationen. Winzige Proteinstückchen. Die werden einfach verdaut", so Wimmer. Einen Kritikpunkt hat der Entwicklungsbiologe aber an den geplanten Freisetzungsversuchen von Oxitec: "Ich halte die Versuche für übereilt. Oxitec hat nur einen Tötungsmechanismus eingebaut. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Insekten mit der Zeit dagegen resistent werden, ist zu groß." Denn dann würde die Geburtenkontrolle nicht mehr funktionieren.

Andere Wissenschaftler kritisieren das Geschäftsgebaren Oxitecs: Außer der Olivenfliege hat Oxitec die Ägyptische Tigermücke (Aedes aegypti) genetisch verändert, ebenfalls mit dem Ziel, die wild lebende Population zu vernichten. Die Mückenart überträgt das Denguefieber, eine Viruserkrankung an der laut WHO jährlich 50 bis 100 Millionen Menschen erkranken und rund 20 000 sterben. Oxitec hat bereits Millionen der manipulierten Mücken auf den karibischen Kaimaninseln und in Teilen Malaysias und Brasiliens freigelassen – und es mit der Aufklärung der Bevölkerung nicht so genau genommen.

Aufklärung das A und O

"Bevor man GM-Tiere freisetzt, muss man die fundamentalen Fragen beantworten, die die meisten Menschen haben. Bei Blut saugenden Mücken etwa: Kann ich gestochen werden? Ist das gefährlich?", fragt Guy Reeves, Biologe am Max-Planck-Institut (MPI) für Evolutionsbiologie in Plön. Gemeinsam mit Kollegen hat er Oxitec 2012 mangelnde Transparenz bei den Freilandversuchen und die ungenügende Aufklärung der betroffenen Menschen öffentlich vorgeworfen. Doch auch die MPI-Wissenschaftler zweifeln nicht den Einsatz transgener Insekten an sich an. Vielmehr sorgen sie sich, dass die Öffentlichkeit die "potenziell sehr nützliche Technologie" von vorneherein ablehnen könnte.

In Brasilien finden seit 2011 groß angelegte Freisetzungsversuche mit den transgenen Tigermücken statt. Laut Oxitec wurde die Mückenpopulation um über 85 Prozent reduziert. Protest der Bevölkerung blieb bislang aus. In Panama sind 2014 ebenfalls Freisetzungsversuche geplant. "Menschen fällt es leichter, die Bekämpfung von Krankheitserregern zu akzeptieren. Stellen Sie sich vor, der Asiatische Tigermücke breitet sich im Rheinland weiter aus und es kommt zu ersten Übertragungen von West-Nil-Fieber oder Dengue! Ich bin mir sicher, dass alle erfolgreichen Methoden eingesetzt werden würden, um ein solches Problem in den Griff zu bekommen", meint Wimmer.

Forscher wie Nentwig und Wimmer wünschen sich daher eine weniger ideologisch geführte Gentechnikdebatte, in der diese Anwendungen nicht pauschal verurteilt, sondern im Einzelfall bewertet werden. Nentwig betont: "Ich bin kein rückhaltloser Vertreter von GM-Techniken. Aber es gibt eine Reihe von Einsatzbereichen, wo diese Methode uns der Vision eines weniger umweltbelastenden Lebens ein Stück näher bringen können."

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.