Antisense-Wirkstoffe: Neue Hoffnung bei unheilbaren Gehirnerkrankungen
Susan erinnert sich noch gut an die ersten Zeichen, die sie bei ihrer Mutter beobachtete. An das Gefühl, dass etwas nicht stimmte. An die Tassen oder Teller, die der Mutter beim Tischdecken auf den Boden fielen. »Sie nannte es ›ungeschickt‹, aber sie war nicht wirklich ungeschickt«, sagt Susan. »Sie hat ihre Hände auf eine wunderschöne, besondere Art bewegt. Jetzt sehe ich darin die ersten Anzeichen von HD.«
Die Huntington-Krankheit (HD) – auch Chorea Huntington genannt - ist eine Erbkrankheit, die das Gehirn schädigt. Sie beginnt in der Regel in der Lebensmitte mit subtilen Veränderungen wie Stimmungsschwankungen und Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren. Im weiteren Verlauf entwickeln die Betroffenen eine Demenz und können immer schlechter sprechen oder sich bewegen.
Susan, die zum Schutz ihrer Privatsphäre darum gebeten hat, ihren Nachnamen nicht zu nennen, erinnert sich noch lebhaft an den Tag, an dem sie erfuhr, dass ihre Mutter die Krankheit hatte. Es war im Frühjahr 1982, und ihre Mutter war wegen ihrer extremen Erschöpfung, häufiger Stürze und zuckender Bewegungen in ein Krankenhaus eingeliefert worden. Damals gab es noch keinen Gentest für die Krankheit, also unterzog die Mutter sich einer Reihe von Untersuchungen. Ihr Neurologe versammelte die gesamte Familie in einem Raum, um ihnen die Nachricht zu überbringen. »Er sagte uns, dass unsere Mutter die Huntington-Krankheit hat«, erinnert sich Susan. »Und dass es keine Behandlung gibt und dass die Krankheit nur dann ausgelöscht werden kann, wenn man sich nicht fortpflanzt.«
Bereits eine Kopie der Mutation reicht für die Huntington-Krankheit
Die Nachricht hatte einen tief greifenden Einfluss auf das Leben von Susan und ihren Geschwistern: Ihr Bruder beschloss, niemals zu heiraten, und ihre Schwester entschied, sich sterilisieren zu lassen. Susan jedoch hatte diese Optionen nicht mehr: Sie war schwanger, als sie die Nachricht erhielt. Es sei unglaublich schwer gewesen zu entscheiden, was nun zu tun war, sagt sie heute. Ein Gedanke ließ sie nicht los: »Wenn wir das Kind bekommen, dann wird dieses Kind eines Tages die gleiche Entscheidung treffen müssen«, sagt sie. »Und das schien so grausam.« Das Paar hat die Schwangerschaft schließlich abgebrochen.
Das an der Huntington-Krankheit beteiligte Gen, HTT genannt, codiert für ein Protein namens Huntingtin. Die fehlerhafte Version des Gens wiederholt ein kurzes Stück seiner Sequenz – die Nukleotidkombination CAG – zu oft. Im Gegensatz zu anderen genetischen Erkrankungen, bei denen eine Person nur dann erkrankt, wenn sie zwei fehlerhafte Kopien eines Gens besitzt, reicht bereits eine Kopie der HTT-Mutation aus, um die Huntington-Krankheit auszulösen. Träger der Mutation haben ein 50-prozentiges Risiko, sie an ihre Kinder weiterzugeben. Jahre nach dem Tod von Susans Mutter entdeckten die drei Geschwister, dass sie alle die Krankheit geerbt hatten.
Es gibt keine Behandlungsmöglichkeiten, um das Fortschreiten der Huntington-Krankheit aufzuhalten oder zu verlangsamen, obwohl die genetische Ursache seit 1993 bekannt ist. Auch für die meisten anderen neurodegenerativen Erkrankungen gibt es keine wirksamen Therapien. Zwar sind ihre genetischen Ursachen weniger eindeutig als bei Chorea Huntington. Doch auch bei der amyotrophen Lateralsklerose (ALS), bei der Alzheimer- und der Parkinsonkrankheit kennt die Forschung Gene, die mit den Erkrankungen in entscheidendem Zusammenhang stehen.
Neue Hoffnung auf Behandlungsmöglichkeiten
Nun jedoch könnte sich das Blatt wenden. Viele Forscherinnen und Forscher setzen ihre Hoffnung auf Medikamente, die als Antisense-Oligonukleotide (ASOs) bekannt sind. Dabei handelt es sich um kurze Stränge aus DNA oder RNA, die so konzipiert sind, dass sie sich an andere RNA-Sequenzen anlagern, etwa jene der krank machenden Gene. Sie stellen das Gleichgewicht der produzierten Proteine wieder her – indem sie erwünschte Proteine verstärken oder fehlerhafte unterdrücken.
Die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) hat 2016 das erste ASO für eine neurologische Erkrankung zugelassen. Seitdem ist auf dem Feld ein ungebrochenes Wachstum zu beobachten: Etwa ein Dutzend klinischer Studien laufen aktuell für verschiedene neurodegenerative Erkrankungen – und einige stehen kurz vor dem Abschluss. Andere ASO-Forscher befassen sich sogar mit Erkrankungen, die komplexere genetische Grundlagen haben. Das weckt Hoffnungen auf eine große Zukunft der Technologie. Don Cleveland, Neurowissenschaftler an der University of California in San Diego (UCSD) und einer der ersten Wissenschaftler, der den Einsatz von ASOs bei neurologischen Erkrankungen untersuchte, sieht dies erst als Anfang: »Es wird noch viel, viel mehr kommen.«
Allerdings gab es auch Rückschläge: Ende Februar 2021 wurde eine große Phase-III-Studie unvermittelt abgebrochen, weil der Nutzen des Medikaments für die Patienten die Risiken nicht überwog. Einige Fachleute mahnen zudem seit Langem zur Vorsicht bei ASOs, da man noch wenig über ihre Wirksamkeit weiß und sie zudem recht invasiv – oft durch eine Injektion in den Wirbelkanal – verabreicht werden müssen.
Das enttäuschende Ergebnis sei noch lange kein Grund, die Hoffnung aufzugeben, sagt Chris Boshoff, wissenschaftlicher Projektleiter für Gentherapien am US National Institute of Neurological Disorders and Stroke in Bethesda, Maryland. »Es gibt immer noch genügend Gründe für Optimismus und Enthusiasmus.«
Durchbruch bei der Behandlung einer seltenen Krankheit
Bei seiner Geburt im Jahr 2011 erbte Blakely, das erste Kind von Elliot und Janell Lewis, eine neurodegenerative Krankheit, die als spinale Muskelatrophie (SMA) bekannt ist. Menschen mit SMA haben eine mutierte Form von SMN1, einem Gen, das für die Produktion eines Proteins namens Survival Motor Neuron (SMN) verantwortlich ist. Der daraus resultierende Mangel an dem Protein SMN verhindert, dass das Gehirn mit dem Körper kommunizieren kann. Muskelschwäche und -schwund sind die Folge, die sich mit der Zeit immer weiter verschlimmern. Es gibt vier Typen von SMA; die häufigste Form, SMA1, ist auch die schwerste. Menschen mit SMA1 haben typischerweise kurz nach der Geburt erste Symptome, und viele werden nicht älter als zwei Jahre.
Bei Blakely wurde die Krankheit im Alter von drei Monaten diagnostiziert. »Das hat uns ziemlich erschüttert«, sagt Elliot. Zu dieser Zeit gab es keine Behandlung, und Blakely starb im Alter von 21 Monaten. Im Frühjahr 2017 bekam das Paar eine weitere Tochter, Evie. Evie hatte ebenfalls SMA, aber sie hatte mehr Glück – ein paar Monate vor ihrer Geburt genehmigte die FDA ein ASO mit dem Namen Nusinersen, die erste Behandlung gegen SMA selbst. Evie erhielt ihre erste Dosis, als sie zwölf Tage alt war.
Dass sich ASOs an eine RNA-Sequenz anheften können, ist seit 1978 bekannt. Doch bis die Wirkstoffe ihr klinisches Potenzial unter Beweis stellten, vergingen noch Jahrzehnte. Schon bald bremsten Probleme wie Toxizität und mangelnde Wirksamkeit den Fortschritt, viele Pharmafirmen verloren das Interesse. In der Forschungsabteilung von Ionis Pharmaceuticals (ursprünglich Isis Pharmaceuticals) mit Sitz in Kalifornien gelang es allerdings, entscheidende Modifikationen am chemischen Grundgerüst der Medikamente einzuführen. Das machte sie wirksamer und stabiler: Die ASOs erreichten ihren Bestimmungsort im Körper, ohne vorher abgebaut zu werden.
Erster Erfolg nach elf Jahren Forschung
Die Arbeit, die schließlich zum Medikament Nusinersen führte, begann im Jahr 2000 am Cold Spring Harbor Laboratory in New York, wo der Biochemiker und Molekulargenetiker Adrian Krainer die Mechanismen hinter einem merkwürdigen Umstand untersuchte. Menschen besitzen noch ein weiteres Gen, das für SMN codiert: SMN2. Bei Kranken wie bei Gesunden produziert es im Allgemeinen eine weniger stabile Variante des Protein als sein Gegenstück SMN1. Die Überlegung des Teams war: Wenn es gelänge, SMN2 dazu zu bringen, mehr Protein zu produzieren, könnte es den Wegfall von SMN1 bei Menschen mit einer krank machenden Mutation in diesem Gen kompensieren. Ein instabiles Protein produziert das SMN2 deshalb, weil dort bei fast allen Menschen ein Fehler beim Spleißen auftritt – das ist jener Prozess, durch den RNA-Stränge geschnitten und zu Anweisungen für die Proteinproduktion verarbeitet werden. Falsches Spleißen hat zur Folge, dass ein Teil des Codes von SMN2 übersprungen wird.
Krainers Team untersuchte die Prozesse, die für das falsche Spleißen verantwortlich sind, in der Hoffnung, sie stilllegen zu können. 2004 begann er dann seine Zusammenarbeit mit Frank Bennett, einem Pharmakologen und einem der Gründungsmitglieder von Ionis Pharmaceuticals. Gemeinsam fanden sie ein ASO, das sich an den zu spleißenden Strang anheftet und ihn unsichtbar macht für das Protein, das den Vorgang normalerweise stoppen würde. Auf diese Weise machten sie die Produktion von funktionellem SMN wieder möglich.
»Heutzutage enden Gespräche nicht mehr mit ›Wir werden alles tun, was wir können, aber Ihr Baby wird sterben‹«Russell Butterfield, pädiatrischer Neurologe
Der Wirkstoff, Nusinersen, kam 2011 in die klinische Erprobung. Die Ergebnisse waren so viel versprechend, dass die Phase-III-Studie bei Säuglingen mit SMA vorzeitig abgebrochen wurde. Diesmal aber aus erfreulichen Gründen: Bei jenen Patienten, die das Medikament erhalten hatten, war die Wahrscheinlichkeit zu überleben und wichtige motorische Entwicklungsstationen zu erreichen, deutlich höher als in der Placebogruppe.
Bislang haben mehr als 10 000 Menschen weltweit Nusinersen (Spinraza) erhalten, das Ionis 2016 an den Arzneimittelhersteller Biogen mit Sitz in Cambridge, Massachusetts, lizenziert hat. Das Medikament hat den Verlauf der Krankheit drastisch verändert: Säuglinge mit SMA, die es kurz nach der Geburt erhalten, sterben nicht mehr innerhalb der ersten Lebensjahre. Heutzutage »enden Gespräche [mit Familien] nicht mehr mit ›Wir werden alles tun, was wir können, aber Ihr Baby wird sterben‹«, sagt Russell Butterfield, ein pädiatrischer Neurologe an der University of Utah in Salt Lake City (Butterfield hat Beratungszahlungen von Biogen erhalten).
Evie Lewis, jetzt vier Jahre alt, erhält alle paar Monate eine Dosis Spinraza durch eine Lumbalpunktion, vor Kurzem hatte sie ihre 15. Injektion. Obwohl sie immer noch mit einigen Problemen zu kämpfen hat und beispielsweise durch eine Magensonde essen muss, kann sie gehen, laufen und klettern – Dinge, die Blakely nie tun konnte, sagt Elliot.
»Mit einem Mal war der Weg frei für Antisense-Studien bei anderen neurodegenerativen Erkrankungen«Sarah Tabrizi, Neurologin
Nach dem Erfolg von Nusinersen begannen die Forscher, sich mit anderen Krankheiten zu beschäftigen, die mit klar definierten genetischen Mutationen einhergehen, wie Chorea Huntington. Das führte zu dem Medikament Tominersen, das von Ionis entwickelt und für klinische Tests an das Pharmaunternehmen Roche in Basel lizenziert wurde. Es heftet sich an die CAG-Wiederholungen auf dem RNA-Strang an, der von den fehlerhaften HTT-Genen produziert wird, und markiert diese so zur Zerstörung durch ein Enzym namens RNase H1. Die Ergebnisse einer klinischen Studie der Phase I/II, die 2019 veröffentlicht wurden, zeigten, dass Tominersen die Konzentrationen der mutierten Version von Huntingtin in der Gehirn-Rückenmarks-Flüssigkeit senkte, ohne ernsthafte Nebenwirkungen zu verursachen.
Dass die erste Huntington-Studie so gute Ergebnisse zeigte, weckte das Interesse der Neurodegenerationsforscher. Bei vielen dieser Erkrankungen spielen verklumpte Proteine eine wichtige Rolle. »Die Begeisterung war groß, weil mit einem Mal der Weg frei war für Antisense-Studien bei anderen neurodegenerativen Erkrankungen«, sagt Sarah Tabrizi, eine Neurologin am University College London, die die Phase-I/II-Studie mit Tominersen leitete.
Überwiegt der Nutzen die Risiken?
Doch eine unerwartete Ankündigung Ende März versetzte der Huntington-Forschergemeinschaft einen schweren Schlag. Eine Phase-III-Studie mit Tominersen, an der 791 Teilnehmer aus 18 Ländern teilnahmen, wurde auf Anraten eines unabhängigen Expertenkomitees nach einer geplanten Überprüfung der Daten vorzeitig abgebrochen. In einer Stellungnahme von Roche heißt es, dass keine neuen Sicherheitsbedenken aufgetreten seien, der potenzielle Nutzen des Medikaments aber die Risiken nicht überwiege. Bis weitere Details veröffentlicht sind, könne man nicht sagen, was schiefgelaufen sei, sagt Tabrizi.
Medikamente, die ähnlich wie Tominersen wirken, sind auch für andere Erkrankungen mit ähnlichen Ursachen im Gespräch. Einige Fälle von ALS zum Beispiel werden dadurch verursacht, dass zu viel eines mutierten Proteins vorhanden ist. Auch hiergegen könnten ASOs wirken, von denen sich einige aktuell unter klinischer Prüfung befinden. Am weitesten fortgeschritten ist Tofersen, ein ASO, das von Ionis zur Behandlung einer vererbten Form von ALS entwickelt wurde. Tofersen wird jetzt in einer von Biogen gesponserten Phase-III-Studie getestet.
Laut der Neurologin Claudia Testa von der Virginia Commonwealth University in Richmond ist es schwieriger, die Menge eines mutierten Proteins zu reduzieren, als die Produktion eines erwünschten Proteins hochzufahren. Bei Tominersen und Tofersen stehen die Fachleute also vor ganz anderen Herausforderungen als bei Nusinersen. Vielfach passiert es, dass dabei die Menge sowohl von der guten als auch von der schlechten Version des Proteins reduziert wird. Was das langfristig für den Krankheitsverlauf bedeutet, weiß man nicht. Möglicherweise steckt dieses Problem hinter dem schlechten Abschneiden der Phase-III-Studie mit Tominersen. Das Medikament für SMA tue etwas grundlegend anderes, »und es ist eine schmerzhafte Wahrheit«, sagt Testa, dass sein Erfolg im Grunde nichts darüber aussage, ob es auch bei anderen Krankheiten wirke.
Hilfe bei Alzheimer und Parkinson?
Um dieses Problem zu umgehen, zielen einige ASOs direkt auf mutierte Proteine. Ein Biotechnologie-Unternehmen – Wave Life Sciences in Cambridge, Massachusetts – testet eine Strategie, die auf winzige Mutationen abzielt, die manchmal neben den CAG-Wiederholungen nur in der mutierten Kopie von HTT auftreten. Das Ziel ist es, die Menge an gesundem Huntingtin relativ intakt zu lassen. Aber das Medikament würde lediglich bei einer Untergruppe von Menschen mit Huntington wirken, die diese Mutationen tragen. Laut Claudia Testa kann dieser Unterschied außerdem nur mit einer umfassenden Sequenzierungsmethode identifiziert werden, die in der Klinik nicht routinemäßig durchgeführt wird (sie hat Beratungshonorare von Wave Life Sciences erhalten).
In jüngerer Zeit haben Forscherinnen und Forscher begonnen, ASO-basierte Therapien für verbreitete neurodegenerative Erkrankungen wie Parkinson und Alzheimer zu testen. In aller Regel treten dort keine spezifischen genetischen Mutationen als Auslöser auf, gleichzeitig sind diese Störungen viel häufiger als die Erbkrankheiten. Die ASO-Therapie für die Alzheimerkrankheit zielt darauf ab, die Konzentration von Tau zu senken, einem Protein, das sich zu gewebeschädlichen Knäueln im Gehirn zusammenlagert. Bei der Parkinsonerkrankung ist das Ziel, das Protein alpha-Synuclein zu reduzieren, das zu pathologischen Klumpen aggregiert, die als Lewy-Körperchen bekannt sind.
Aber bei neurogenerativen Erkrankungen wie diesen sind wahrscheinlich mehrere Gene in einem Netzwerk beteiligt, sagt Kevin Talbot, ein Neurologe an der University of Oxford, der an einer bevorstehenden Studie mit einem ASO für ALS beteiligt sein wird. Es sei unklar, wie sich eine Veränderung eines Gens im Netzwerk auf den Rest auswirken würde. (Talbot war früher in wissenschaftlichen Beiräten für Roche und Biogen tätig).
Problem invasive Verabreichung
Ein weiteres Problem, so Talbot, ist, dass diese Medikamente derzeit durch wiederholte Lumbalpunktionen an ihren Bestimmungsort im zentralen Nervensystem gebracht werden müssen. Bevor ASOs bei einer breiteren Palette von Krankheiten eingesetzt werden können, sei es wichtig, einen weniger belastenden Weg durch die Blut-Hirn-Schranke zu finden. »Es muss noch eine Menge getan werden«, sagt Talbot. Und man solle sich besser nicht zu siegessicher fühlen.
Studien an Mäusen deuten darauf hin, dass die ASOs der Zukunft vielleicht noch eine ganz andere Leistung im Gehirn zu vollbringen im Stande sind: Sie könnten Nervenzellen heranreifen lassen, die abgestorbene Neurone ersetzen. 2020 haben Xiang-Dong Fu, ein Zellbiologe an der University of California in San Diego, und sein Team gezeigt, dass es möglich ist, mit ASOs nicht neuronale Gehirnzellen, so genannte Astrozyten, in Neurone zu verwandeln. Das Team injizierte ein ASO in eine Region des Mäusegehirns, in der bei Morbus Parkinson Neurone verloren gehen. Dort aktivierte das Medikament ein Gen-Netzwerk, das Astrozyten dazu veranlasst, sich in Neurone zu verwandeln. In Mausmodellen der Parkinsonkrankheit stellte das Team von Fu fest, dass Tiere, die die Behandlung erhielten, eine Verbesserung bestimmter Verhaltensweisen zeigten.
Cleveland, der an Fus Studie beteiligt war, hat mit einem von Ionis gelieferten ASO gearbeitet, um die Idee in anderen Teilen des Gehirns zu testen, und zeigt sich nun begeistert: »Ich werde jetzt den Rest meiner Karriere in diesen Bereich investieren«, sagt er. Die ASOs zur Astrozytenumwandlung befinden sich noch in einem frühen Stadium und müssen laut Fu erst noch an Affen getestet werden, deren Gehirn unserem ähnlicher ist als das von Mäusen.
Im Moment warten die Forscher gespannt auf die Ergebnisse der Phase-III-Studien mit Tominersen bei ALS und auf weitere Informationen darüber, warum die Tominersen-Studie für Chorea Huntington abgebrochen wurde. Susan, eine Krankenschwester im Ruhestand, ist seit der ersten Phase an der Tominersen-Studie beteiligt. Sie sei zwar enttäuscht über die Nachricht, sagt sie, aber dankbar für die Betreuung, die sie als Teilnehmerin erhalten hat. »Ich hatte das große Privileg, vom ersten Tag an bei dieser Studie teilzunehmen. Jetzt brauchen wir Geduld. Es gibt keine Alternative.«
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