Geologie: Mit Chiplabors den Untergrund verstehen
Im Jahr 1990 erlebte die Gemeinde Erstein im Elsass eine böse Überraschung. Bei Trinkwasseranalysen im Förderrohr eines Grundwasserbrunnens wurde Tetrachlormethan (CCl4) entdeckt – ein sehr giftiges Lösungsmittel, dessen Konzentration mit 30 bis 65 Mikrogramm pro Liter den zulässigen Grenzwert um das 15- bis 30-Fache überstieg! Wie sich bald herausstellte, war das kontaminierte Gebiet etwa zehn Kilometer lang und einen Kilometer breit. Aber woher rührte diese Verschmutzung? Modellierungen brachten die Grundwasserverunreinigung mit dem Unfall eines Tankwagens in Verbindung, der sich am 11. Dezember 1970 bei Benfeld, sechs Kilometer flussaufwärts von Erstein, ereignet hatte. Aus dem umgekippten Fahrzeug waren fast 4000 Liter Tetrachlormethan ausgetreten.
Erst 20 Jahre nach dem Unfall und mehrere Kilometer entfernt trat die Verschmutzung zu Tage. Warum hat sich die Substanz so langsam ausgebreitet? Die Antwort hängt mit der Struktur des Untergrunds und den dort ablaufenden Prozessen zusammen. Doch die beteiligten Mechanismen sind bisher kaum erforscht. Sie besser zu verstehen ist unerlässlich, denn der Untergrund steht im Fokus zahlreicher menschlicher Aktivitäten: Wir nutzen ihn zur Energiegewinnung, etwa durch Tiefengeothermie und bei der Ölförderung; wir bauen Metalle ab; und schließlich soll er uns eines Tages als dauerhafte Lagerstätte dienen – für Atommüll, Kohlenstoffdioxid oder Wasserstoff. Wenn diese Eingriffe nicht perfekt kontrolliert ablaufen, können sie unbeabsichtigte Verschmutzungen nach sich ziehen, die wiederum die Qualität des Grundwassers beeinträchtigen, unseres wichtigsten Reservoirs für Trinkwasser.
Um die Dynamik des Untergrunds besser zu verstehen, hat die Hydrogeologie seit einigen Jahren die Techniken der Mikrofluidik übernommen, die zu Beginn der 1980er Jahre in die Biotechnologie Einzug gehalten haben. Mit dem Konzept des »lab-on-a-chip« (deutsch: »Labor auf einem Chip« oder »Chiplabor«) lassen sich Strömungen im Untergrund sehr gut untersuchen. Die Miniaturlabore simulieren die Bedingungen im Gestein und bieten die Möglichkeit, unterirdische Mikroströmungen und hydraulische Prozesse darzustellen.
Aber warum muss man sich bei der Untersuchung von Grundwasserspeichern mit Ausdehnungen von mehreren hundert Kilometern auf Mechanismen konzentrieren, die sich im mikroskopischen Bereich abspielen? Im Unterschied zur gelegentlich anzutreffenden Vorstellung, Grundwasser würde unterirdische Seen bilden, sind die meisten Wasser führenden Schichten vielmehr poröse geologische Formationen, also Gesteine aus festem mineralischem Material mit Zwischenräumen, durch die Wasser fließt. Typischerweise sind diese Poren etwa zehn Mikrometer breit. Die unterirdischen Strömungen spielen sich in einem Netzwerk aus haarfeinen Röhrchen ab. Auch wenn die Bewegung der Wassermassen hier sehr langsam – mit Geschwindigkeiten von etwa einem Meter pro Tag – vonstattengeht, so ist ihre Dynamik doch alles andere als vernachlässigbar. Sie erklärt zudem, wie sich die Schadstoffe im Benfelder Grundwasser ausgebreitet haben.
Nur wenn man die Prozesse in den Poren und feinen Kanälen genau analysiert, lassen sich die komplexen und zumeist miteinander gekoppelten Mechanismen im Untergrund entschlüsseln. Es gilt, Mikroströmungen, Mineralbildung und die Veränderung der Wasserzusammensetzung durch geochemische Reaktionen zu berücksichtigen und gleichzeitig die in den Poren lebenden Mikroorganismen im Blick zu haben. Wenn wir diese Wechselwirkungen detailliert erfassen, können wir langfristig die Entwicklungen im Untergrund vorhersagen und die verschiedenen Prozesse kontrollieren. So lassen sich dann wirksame und gezielte Maßnahmen ergreifen, etwa zum Sanieren verschmutzter Böden in einem verunreinigten Gebiet.
Strömen Fluide durch das Gestein, verstopfen dadurch häufig die Porenräume. Das kann hydraulisch geschehen, wenn sich eine Luftblase oder ein Öltröpfchen durch Kapillarwirkung im Porenraum verfängt, oder mechanisch, wenn sich Sandkörner oder Tonpartikel am Eingang einer Pore festsetzen. Auch chemische Vorgänge können die Poren verschließen, etwa wenn Kalzit ausfällt und die kleinen Hohlräume verfüllt; oder biologische Prozesse, wenn sich in bakteriellen Biofilmen Kolonien von Mikroorganismen entwickeln. Diese Verkleinerung des Raums, durch den die Fluide strömen, hilft unterirdische Lagerreservoirs abzudichten. Allerdings mindert sie ebenso die Fördermenge von Brunnen und behindert das Beseitigen von Schadstoffen, die in den Poren eines kontaminierten Untergrunds eingeschlossen sind.
Um die beteiligten Phänomene im Gestein vollständig zu verstehen, reicht es nicht aus, die physikalisch-chemischen Prozesse zu kennen, die sich auf der Ebene einer einzelnen Pore abspielen. Tatsächlich vernetzen sich in durchlässigen Materialien sehr viele solche Röhrchen und treten zueinander in Konkurrenz. Dabei weisen sie unterschiedliche Geometrien und Größen auf und sind nicht gleichermaßen von Blockaden betroffen. Ein verstopfter Kanal zwingt die Strömung, sich einen anderen Weg zu suchen. Manche Wege sind schneller und andere langsamer, vergleichbar einem Straßennetz mit Autobahnen und unterschiedlich großen Landstraßen. Weil die Porengrößen so uneinheitlich sind, entstehen manchmal komplexe Phänomene, die sich nicht einfach durchschauen lassen.
So benötigen etwa Bakterien Nährstoffe und mitunter Sauerstoff, um zu wachsen. Diese Substanzen zirkulieren – vorrangig mit den schnellen Mikroströmungen – also auf den »Autobahnen«. Bakterienkolonien gedeihen demnach vor allem in den größten Poren, bis sie sie verstopfen und damit die Zufuhr gerade jener Nährstoffe abstellen, die sie für ihr Wachstum benötigen. Letztere gelangen dann zu anderen Poren, wo sich neue Kolonien etablieren. Von der Nahrungszufuhr abgeschnitten, sterben die älteren Besiedlungen ab, wodurch sich dort wieder der Weg für Mikroströmungen öffnet, bis eine weitere Kolonie entsteht. Diese Form der Rückkopplung beobachtet man ebenfalls, wenn eine Mikroströmung eine Substanz transportiert, die Minerale in den Poren ausfällt und dadurch an solchen Stellen eine undurchlässige Barriere aufbaut.
Da Gestein nicht durchsichtig ist, lassen sich die verschiedenen Strömungs- und Transportmechanismen eines Porennetzwerks nur schwer untersuchen: Wie soll man dynamische Phänomene beobachten und beschreiben, die sich innerhalb der Mikrostruktur des Gesteins abspielen, ohne deren Entwicklung zu behindern? Zum einen gelingt das durch zerstörungsfreie Bildgebung, etwa die Röntgen-Mikrotomografie. Mit ihr kann man die Struktur einer Gesteinsprobe dreidimensional darstellen, die Verteilung der Flüssigkeiten in den Poren erfassen und bewerten, wie sich die Mineralstruktur durch geochemische Reaktionen verändert.
Die Geschichte der Mikrofluidik begann 1979, aber erst zehn Jahre später nahm das Forschungsfeld richtig Fahrt auf
Trotz aller Fortschritte der letzten Jahre sind die Aufnahmegeschwindigkeiten dieser Technologien aber noch zu gering, um dynamische Phänomene zu erfassen, die für viele geowissenschaftliche Fragen zentral sind. Wenn etwa Flüssigkeiten ins Gestein eindringen, werden Tröpfchen durch Kapillarkräfte festgehalten. Solche Vorgänge laufen innerhalb von Millisekunden ab. Gleichermaßen erfordert es Visualisierungsmethoden mit hoher räumlicher und zeitlicher Auflösung, um darzustellen, wie sich Viren, Bakterien oder Nanopartikel an Minerale anheften. Genau das sind die Stärken der Mikrofluidik. Sie erlaubt es, Mikroströmungen im Inneren von Gesteinen mit bisher unerreichter Präzision zu beobachten.
Die Geschichte der Mikrofluidik begann 1979, als Stephen Terry und seine Kollegen von der Stanford University in den USA ein System zur gaschromatografischen Analyse miniaturisierten. Aber erst zehn Jahre später nahm das Forschungsfeld richtig Fahrt auf.
Letztlich geht es darum, Flüssigkeiten im Mikrometerbereich zu handhaben. Dazu baut man ein regelrechtes Netzwerk aus Mikrorohren auf Siliziumchips auf, mit Mikroventilen, -pumpen, -mischern und -sensoren, um chemische oder biologische Proben zu untersuchen. Diese »Chiplabors« oder »Westentaschenlabors« sollen herkömmliche große Geräte ersetzen, die oft unbequem zu bedienen und weniger effizient sind.
Dank der Miniaturisierung lässt sich unter anderem höchst genau kontrollieren, wie Tropfen und Emulsionen entstehen. Forschung und Industrie haben die vielfältigen neuen Anwendungsmöglichkeiten in vielen Bereichen bereits aufgegriffen. So profitieren etwa Bluttests von der Mikrofluidik, um rote Blutkörperchen abzutrennen. Pharma- und Kosmetikindustrie erzeugen dank der Technik mit sehr wenig Flüssigkeit – manchmal nur mit Pikolitern, also milliardstel Millilitern – neue Produkte. Bei den gängigen Urin-Schwangerschaftstests handelt es sich ebenfalls um Westentaschenlabors. Das sind nur einige Beispiele. Manche Fachleute gehen davon aus, dass die Mikrofluidik Biowissenschaften, Medizin, Chemie und Ökologie revolutionieren wird, ähnlich wie Mikroprozessoren im 20. Jahrhundert Elektronik und Datenverarbeitung umgekrempelt haben.
Dank der Miniaturisierung lässt sich unter anderem höchst genau kontrollieren, wie Tropfen und Emulsionen entstehen
Seit den 2010er Jahren haben sich mikrofluidische Geräte in den Geowissenschaften etabliert, um Mikrostrukturen im Boden und Gesteinsuntergrund zu simulieren. Mit solchen geologischen Chiplabors lassen sich natürliche Prozesse in einer kontrollierten Umgebung nachstellen, beobachten und beschreiben mit dem Ziel, sie anschließend zu modellieren. In Kombination mit modernen bildgebenden Verfahren können Fachleute mit Mikrofluidik-Experimenten Transportmechanismen und chemische Reaktionen im Porenraum direkt sichtbar machen und quantitativ messen.
Um die komplexen Vorgänge zu entschlüsseln, die sich in Gesteinsporen abspielen, verfolgt die aktuelle Forschung zwei Ansätze. Zum einen arbeitet sie daran, Gesteinsproben mit den Chiplabors nachzubilden, um die unterschiedlich geformten Porenräume sowie die physikalischen und chemischen Eigenschaften der Mineraloberflächen so originalgetreu wie möglich darzustellen. Damit lässt sich untersuchen, wie die komplexen Phänomene sich gegenseitig beeinflussen – beispielsweise, welche Rolle die Porenstruktur bei der räumlichen Verteilung der Vorgänge innerhalb des Gesteins spielt. Beim zweiten Ansatz nutzen die Hydrogeologen die Mikrofluidik, um bestimmte Prozesse in einer kontrollierten Umgebung isoliert zu betrachten. Indem sie die Vorgänge von anderen Mechanismen entkoppeln, die sich mit ihnen überlagern oder mit denen sie in natürlichen Umgebungen interagieren, können sie diese besser verstehen und beschreiben.
Ein Chiplabor ist nur ein zweidimensionales Abbild der Wirklichkeit – will man das dreidimensionale Gestein beschreiben, muss man daher vorsichtig vorgehen
Die beiden Ansätze ergänzen sich. So kann man die Entwicklung von Bakteriengemeinschaften im Untergrund nur vollständig begreifen, wenn man einerseits Wachstum, Zusammenballung und Anlagerung der Bakterien an feste Mineraloberflächen im Porenbereich beschreiben kann und andererseits in der Lage ist, die Zufuhr von Nährstoffen und Sauerstoff durch Mikroströmungen im hydraulischen Netzwerk zu bestimmen.
Je nach Verwendungszweck kann das auf dem Chiplabor eingravierte Muster variieren: vom einzelnen Kleinstkanal zur Fokussierung auf ein Phänomen bis hin zu Mustern, die ein poröses geologisches Milieu repräsentieren. Letztere lassen sich aus dem mikrotomografischen Bild einer Mineralprobe erhalten. Natürlich ist ein Chiplabor stets nur ein zweidimensionales Abbild der Wirklichkeit – will man das dreidimensionale Gestein auf Grundlage von Mikrofluidik-Experimenten beschreiben, muss man daher vorsichtig vorgehen. Um diese Einschränkung zu umgehen, haben Anthony Kovscek von der Stanford University und sein Team 2017 eine Vorgehensweise entwickelt, mit der sie unterschiedliche Gravurtiefen in den Chiplabors erreichten. So konnten sie immerhin bestimmte dreidimensionale Effekte erfassen.
Oft kostet ein einziges Chiplabor an die 1000 Euro, wobei es meist nur einmal verwendet werden kann
Die Chiplabor-Herstellung ist ein schwieriges Unterfangen und findet unter rigorosen Bedingungen statt, vergleichbar denen bei der industriellen Fertigung mikroelektronischer Chips (siehe »Mikrofabrikation«). Diese Hightech-Prozesse sind sehr empfindlich gegenüber kleinsten Verunreinigungen. Daher sind Reinraumumgebungen erforderlich, also Produktionsräume, in denen Temperatur, Druck und Luftqualität kontrolliert werden und wo mit Schutzanzügen ausgestattetes Personal ein striktes Protokoll befolgt, um jedwede Kontaminierung durch Staub oder Tröpfchen zu vermeiden. Die Prozesse sind obendrein sehr teuer, was ihre breite Anwendung in geowissenschaftlichen Laboren begrenzt. Oft kostet ein einziges Chiplabor an die 1000 Euro, wobei es meist nur einmal verwendet werden kann, da es keine wirksamen Reinigungsverfahren gibt. Man versucht allerdings zunehmend, auf kostengünstigere Herstellungsarten auszuweichen, etwa den Abguss von Silikonkautschuk (PDMS) oder 3-D-Druck. Noch gibt es dabei einige Probleme, aber da sich die Oberflächenbehandlungen und die Auflösung des Drucks in letzter Zeit stark verbessert haben, könnten sie in ein paar Jahren effizient genug sein.
In natürlichen Gesteinsporen liegen ständig verschiedene Flüssigkeiten oder Gase nebeneinander vor: Oft strömen etwa Luft und Wasser durch oberflächennahes Gestein, und Erdöllagerstätten sind regelmäßig mit Wasser, Öl und manchmal auch Gas vollgesaugt. Weil die Fachleute viele Phänomene dabei noch nicht begreifen, sind solche Gegebenheiten sehr schwer zu modellieren. Dank Mikrofluidik versteht man heute solche Mehrphasenströmungen in porösen Milieus besser.
Das Besondere an Mehrphasenströmungen sind die abrupten Übergänge an der Grenzfläche von einem Fluid zum nächsten, etwa an der Oberfläche eines Luftbläschens in Wasser. Beim Fließen wandern die Grenzflächen durch den Porenraum und verformen sich, verschmelzen mit anderen Tröpfchen oder teilen sich – immer bestrebt, den Zustand geringster Energie zu finden. Gleichzeitig gibt es andere Beschränkungen, etwa die Größe der Poren oder die Fähigkeit eines Materials zur Benetzung.
Drei treibende Kräfte sind für die Wanderung von Fluiden und ihren Grenzflächen verantwortlich: Druck, Schwerkraft und Kapillarkräfte. Druckunterschiede setzen eine Flüssigkeit durch äußere Kräfte in Bewegung, etwa durch Pumpen. Die Schwerkraft bewegt ein Fluid in vertikaler Richtung – also nach unten, wenn es eine hohe Dichte hat, oder durch den archimedischen Schub nach oben, wenn es leicht ist. Kapillarkräfte verkleinern die Grenzfläche und minimieren damit deren Energie. Sie unterstützen das Eindringen eines Fluids in die Poren oder wirken dem entgegen, je nach Beschaffenheit der Porenwand.
In den 1980er Jahren zeigte Roland Lenormand mit seinen Kollegen vom Institut de Mécanique des Fluides de Toulouse (Institut für Fluidmechanik in Toulouse) durch bahnbrechende Mikrofluidik-Experimente, dass unterschiedliche Strömungsmuster herrschen können, wenn man ein Fluid in Poren einspritzt, die mit einem anderen Fluid gefüllt sind: Entweder füllen sich die Poren gleichmäßig entlang einer stabilen Front, die sich in Fließrichtung ausbreitet, oder das neue Fluid dringt bevorzugt in bestimmte Bereiche ein. Im letzteren Fall bleiben große, isolierte Taschen des ursprünglichen Fluids erhalten.
Damals waren Westentaschenlabors noch einfache Netzwerke aus rechteckigen, über 100 Mikrometer breiten Kanälen. Heute können wir Chiplabors gravieren, die Gestein mit wenigen Mikrometer großen Poren darstellen. Nur dadurch lassen sich die Kapillarkräfte korrekt erfassen, die feine Tröpfchen von Kohlenwasserstoffen oder chlororganischen Verbindungen im Gestein festhalten. Aktuelle Chiplabors geben somit die Mechanismen der Grundwasserverunreinigung gut wieder.
Das Schwierige beim Sanieren belasteter Böden ist es, die Schadstofftröpfchen, die durch Kapillarkräfte in den Poren festgehalten werden, wieder in Bewegung zu versetzen. Weil sich die Tröpfchen nur sehr langsam auflösen, verunreinigen sie das Grundwasser dauerhaft. Sie lassen sich aber beseitigen, indem man ihre Oberflächeneigenschaften verändert und so die Kräfte, die sie in der Pore festhalten, aus dem Gleichgewicht bringt. Das gelingt mit Tensidmolekülen oder metallischen Nanopartikeln. Mit Mikrofluidik kann man rasch verschiedene solcher Produkte testen. Dank Chiplabors wissen Fachleute mittlerweile mehr darüber, wie die Reinigungsmittel zu den Grenzflächen gelangen, und können dadurch besser ermitteln, wo genau sie in den Boden einzubringen sind, damit sie am richtigen Ort landen.
Ein weiterer Vorteil von Chiplabors ist die unübertroffene visuelle Prozesskontrolle. Suspendiert man mikrometergroße Partikel in den Flüssigkeiten, lassen sich die Strömungen in den Poren in Echtzeit beobachten und abbilden. So hat man Phänomene enthüllt, die bis dahin noch nicht in den theoretischen Modellen vorkamen. Beispielsweise haben wir im Labor beobachtet, wie Flüssigkeit innerhalb von Tropfen, die durch Kapillarkräfte festgehalten wurden, zurückfloss. Auf den ersten Blick ist das unnötiger Energieeinsatz und widerspricht dem Grundsatz, möglichst wenig Energie aufzubringen. Doch andererseits beeinflusst diese Bewegung, wie schnell sich die chemischen Verbindungen im Tropfen mischen – und damit letztendlich, wie rasch sich Verunreinigungen im Gestein ausbreiten. Solche bisher ignorierten Prozesse könnten außerdem helfen, Konzepte zur unterirdischen CO2-Speicherung zu finden, denn hier will man eine möglichst große Menge des Gases in Form von Bläschen im Gestein einschließen.
Eines der Speicherkonzepte sieht vor, die Kohlenstoffdioxidbläschen durch Kapillarkräfte im Gestein festzuhalten. Kürzlich haben wir mit Kollegen an der Stanford University dazu Chiplabors untersucht, die eine einzelne Pore darstellten. Wie wir herausfanden, kann sich ein eingeschlossenes Bläschen wieder mit der Strömung verbinden, nachdem es von ihr getrennt wurde. Unseren neuen Daten zufolge lässt sich dadurch möglicherweise weniger CO2 unterirdisch durch Kapillarkräfte lagern als veranschlagt. Die anvisierten Szenarien sollten daher gründlich überprüft werden.
Chiplabors lassen sich noch in vieler Weise verbessern. Seit Neuestem nutzt man bei der Fertigung geologische Materialien, um beispielsweise die Auflösung oder Ausfällung von Mineralen besser abzubilden – Phänomene, die Wege für Flüssigkeiten und Gase versperren oder neue eröffnen können.
Beherrscht man diese Prozesse, kann man etwa in abgegrenzten Bereichen geologischer Formationen künstliche Barrieren errichten und so Verunreinigungen in Schach halten oder ein Speicherreservoir abdichten. Wie Anthony Kovscek betont, ist die Mikrofluidik mehr als nur ein Werkzeug zur Messung von Gesteinseigenschaften. Sie wird vor allem dazu beitragen, die großen gesellschaftlichen und ökologischen Herausforderungen zu bewältigen, die sich auftun, je intensiver wir den Untergrund nutzen.
Mikrofabrikation
Mikrofluidik-Modelle lassen sich auf verschiedene Arten herstellen. Bei der herkömmlichen Technik fertigt man die Mikrokomponenten auf einem Silizium- oder Glassubstrat (Wafer), ähnlich wie in der Chipindustrie. Das Verfahren ist allerdings schwierig zu handhaben und teuer. Einfacher und günstiger geht es mit Abgüssen in Polydimethylsiloxan (PDMS, ein Polymer auf Siliziumbasis) oder 3-D-Druck.
Zunächst druckt man die zu untersuchende Mikrostruktur auf eine Fotomaske, um die Porenstruktur eines Gesteins sehr genau abzubilden. Dabei lassen sich Kanäle mit wenigen Mikrometern oder in manchen Fällen sogar nur rund zehn Nanometern Durchmesser herstellen. Dank dieser Methode können Fachleute mittlerweile auch Transport- und Speichermechanismen in nanoporösen Gesteinen wie Schiefer oder Tonstein untersuchen.
Anschließend bringt man ein lichtempfindliches Harz auf einem Wafer aus (Schritt 1 in der Grafik). Darauf drückt man die Fotomaske und bestrahlt das Ganze mit ultraviolettem Licht (2). Die Strahlen dringen nur durch die transparenten Bereiche der Maske und wandeln das Harz dort chemisch um: Es wird – je nach seiner Beschaffenheit – entweder wasserlöslich oder unlöslich. Anschließend wird der Wafer in ein Entwicklerbad getaucht und das lösliche Harz entfernt. Nun befindet sich das Muster der Mikrostruktur auf dem Wafer (3).
Danach gibt es zwei Möglichkeiten: Gravur oder Abguss. Bei der Gravur dient das verbliebene Harz als Schutz, und das Silizium- oder Glassubstrat wird mittels chemischer Prozesse, Plasmatechnik oder reaktiver Ionen eingeritzt oder eingeätzt (4a). Um später Flüssigkeiten zu injizieren, bohrt man Löcher. Durch eine chemische Behandlung entfernt man anschließend das verbliebene Harz und die restlichen Verunreinigungen (5a). Das Mikromodell wird mit einer Glasplatte dicht verschlossen (6a).
Beim Abguss dient der gravierte Wafer als Formgeber. Zunächst bringt man flüssiges PDMS oder ein anderes Polymer auf ihm aus (4b). Nach weiterer Polymerisation löst man den Abguss ab, bohrt die Löcher für die Injektion der Flüssigkeiten und montiert eine Glasplatte oder einen weiteren PDMS-Film auf dem Abguss (5b).
Das zweite Verfahren ist deutlich billiger, weil es nicht im Reinraum stattfinden muss und sich nach Belieben wiederholen lässt. Allerdings eignen sich die so erstellten Mikromodelle nicht immer für die Geowissenschaften. Denn zum einen ist PDMS elastisch und gibt daher die mechanischen Eigenschaften des echten Gesteins nicht gut wieder. Zum anderen lassen sich die Modelle schlechter reproduzieren, da sich zwei aus Abgüssen hergestellte Chips immer leicht voneinander unterscheiden, insbesondere durch Unebenheiten an den Wänden. Deren Oberflächen lassen sich außerdem weniger gezielt behandeln als bei einem Mikromodell aus Silizium oder Glas. Die Rauheit und die elektrostatischen Aufladungszustände der Oberflächen sind jedoch wichtig, um bestimmte Prozesse zu untersuchen. Darüber hinaus ist PDMS für Gas und bestimmte Lösungsmittel durchlässig und eignet sich damit beispielsweise nicht gut dazu, die geologische Speicherung von Kohlenstoffdioxid zu untersuchen.
3-D-Druck als günstige Alternative könnte die geowissenschaftliche Forschung revolutionieren. Bei der Technik entsteht das Objekt, indem fortlaufend Materialschichten aufeinander aufgetragen werden. Eine Fülle von Materialien eignet sich dafür – Kunststoff, Wachs, Metalle, Gips, Keramik, Glas –, und so lassen sich komplexe geologische Objekte fertigen. Gemeinsam mit Julien Maes und seinen Kollegen von der Heriot-Watt University in Edinburgh arbeiten wir an gedruckten Chips für die Forschung. Doch noch sind herkömmliche Mikrofabrikationstechniken der neuen Methode überlegen. Bisher beträgt der Durchmesser der durch 3-D-Druck erhaltenen Kanäle noch um die 100 Mikrometer – das ist zu groß im Vergleich zu echten Gesteinsporen. Darüber hinaus wird die Oberfläche derzeit noch unkontrollierbar rau, was die Strömungen in den Chips stören kann. Die Technik macht jedoch rasante Fortschritte und könnte in wenigen Jahren mit der Mikrofabrikation konkurrieren.
Kohlenstoffdioxid dauerhaft speichern
Forschungsgruppen weltweit untersuchen, ob und wie sich aus der Atmosphäre eingefangenes Kohlenstoffdioxid unterirdisch in geologischen Formationen speichern lässt. Will man die Dichtigkeit der Speicher über Jahrtausende gewährleisten, muss man undurchlässige Barrieren errichten. Doch dazu ist noch nicht genügend darüber bekannt, wie genau sich Minerale in den Gesteinsporen lösen und wieder ausfallen.
Im Jahr 2020 entwickelten wir mit Jenna Poonoosamy und weiteren Kollegen vom Institut für Geowissenschaften in Orléans und vom Institut für Energie- und Klimaforschung in Jülich ein mikrofluidisches System, um die Bildung reaktiver Barrieren mittels Raman-Spektroskopie genau zu untersuchen und zu visualisieren. Das Mikromodell besteht aus Körnern von Coelestin, einem in hydrothermalen Umgebungen ziemlich häufigen Mineral. Wir injizierten kontinuierlich eine Bariumchloridlösung, wodurch sich Coelestin auflöst und das Mineral Baryt (Schwerspat) entsteht. Wir haben also ein Modell für reaktive Einschlussbarrieren mit einer recht einfachen Chemie geschaffen. Damit lassen sich die Rückkopplungen zwischen Strömungen und chemischen Reaktionen gut studieren. Wir haben sowohl ein homogenes Milieu untersucht, in dem die Coelestinkörner gleichmäßig verteilt sind, als auch ein heterogenes, in dem sie ungleichmäßig auftreten. In beiden ermittelten wir, wie viel Baryt entstand. Wie sich zeigte, bildet sich bei ungleichmäßig verteilten Coelestinkörnern wesentlich mehr Schwerspat.
Mit diesem neuen Gerät können Geowissenschaftler in Echtzeit verfolgen, wie sich gesteinsbildende Minerale auflösen und ausfallen. Wenn sie dadurch lernen, wie genau sich Poren auf Mikrometerebene abdichten, können sie gezielt undurchlässige Barrieren in geologischen Formationen errichten und damit unterirdische Speicherreservoirs verschließen.
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