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Geologie: Was einen gigantischen Unterwasserrutsch auslöste

Auch im Meer kann es an Hängen zu Erdrutschen kommen. Vor Marokko haben Forscher die bislang größte bekannte Schlammlawine vermessen. Die Dimensionen sind gewaltig.
Wellen branden an einen Küstenabschnitt von Marokko, einzelne Palmen sind zu sehen. Der Sonnenuntergang taucht alles in ein gelbliches Licht
Die Idylle kann trügen: Vor der Küste von Agadir in Marokko fällt ein Canyon steil im Meer ab - Schauplatz heftiger Erdrutsche.

Vor rund 60 000 Jahren ereignete sich vor der Küste Marokkos ein Erdrutsch, der klein begann und schließlich riesige Dimensionen erreichte. Das »Bed 5« genannte Ereignis ist die längste Unterseerutschung, die Wissenschaftler bislang vermessen und erforscht haben. Sie riss mehr als 160 Kubikkilometer über 2000 Kilometer weit in den Atlantik hinaus, berichtet ein Team um Christoph Böttner von der Universität Kiel in »Science Advances«. Der Rutsch übertrifft den bisherigen Rekordhalter im Kongo-Canyon vor der Mündung des gleichnamigen Flusses um mehrere hundert Kilometer.

»Bed 5« entstand im Agadir-Canyon vor der marokkanischen Küste, der mit rund 450 Kilometer Länge und bis zu 30 Kilometer Breite zu den größten Unterseecanyons der Erde zählt. Er hat sich tief in den afrikanischen Kontinentalabhang eingeschnitten und zieht sich bis in 1200 Meter Tiefe in den Atlantik. Immer wieder kam es hier in der Vergangenheit zu teils riesigen Rutschungen, von denen »Bed 5« eine der jüngsten ist. Um sie genauer zu untersuchen, zog Böttners Arbeitsgruppe mehr als 300 Sedimentbohrkerne aus den Ablagerungen und vermaß den Canyon mit Hilfe von Sonar.

Die Dimensionen des Rutsches beeindruckten auch die Forscher. »Diese Schlammlawine besaß die Höhe eines Wolkenkratzers und raste mit mehr als 65 Kilometern pro Stunde den Hang hinunter«, sagt Koautor Christopher Stevenson von der University of Liverpool in einer Mitteilung. Am Ende bedeckte sie eine Fläche größer als Großbritannien unter gut einem Meter Sand und Schlamm. Die Erosionsspuren sind auf einer Fläche von rund 4500 Quadratkilometern entlang der gesamten Länge des Canyons erkennbar.

Begonnen hatte der Rutsch aber relativ klein im südlichen Teil des Canyons in einem Seitental. Dort löste sich ein 1,5 Kubikkilometer großes Schlammpaket, das rasch anwuchs und schließlich den gesamten Meeresgrund des Bereichs mit sich riss: eine bis zu 30 Meter dicke Schicht, die immer weiteres Material akkumulierte, bis der Rutsch schließlich 200 Meter mächtig war. Im Lauf ihres Weges vergrößerte die Schlammlawine ihr Volumen um das 100-Fache. Da es sich vor allem um Feinmaterial mit guten Fließeigenschaften handelte, legte sie eine riesige Strecke bis weit in den Atlantik hinaus zurück.

Auch heute können derartige Rutschungen noch stattfinden und sich aus kleinen »Schlammbrettern« gewaltige Lawinen entwickeln, die eine Gefahr für menschliche Infrastruktur wie Tiefseekabel darstellen. Der Rutsch im Kongo-Canyon 2020 etwa zerstörte zwei Unterwasserkabel und behinderte dadurch Internetverbindungen auf dem gesamten afrikanischen Kontinent.

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