Geologie: Wie gefährlich ist Afrikas explosiver See?
Am 22. Mai 2021 begann der Nyiragongo, einer der aktivsten Vulkane Afrikas, Lava in Richtung der dicht besiedelten Stadt Goma in der Demokratischen Republik Kongo (DR Kongo) auszustoßen. Der Ausbruch zerstörte mehrere Dörfer, forderte Dutzende Todesopfer und zwang geschätzt etwa 450 000 Menschen zur Flucht.
Seitdem hat sich der Vulkan wieder beruhigt und die direkte humanitäre Krise hat sich gelegt. Behörden und Wissenschaftlern bereitet jedoch noch etwas anderes Sorgen, und das könnte gefährlicher sein als der Nyiragongo.
Goma liegt am Ufer des Kivu-Sees, der eine geologische Besonderheit darstellt: Er enthält 300 Kubikkilometer gelöstes Kohlendioxid, 60 Kubikkilometer Methan und dazu noch giftigen Schwefelwasserstoff. Der zwischen der DR Kongo und Ruanda liegende, malerische See könnte diese Gase in einer so genannten limnischen Eruption, einem seltenen Phänomen, explosionsartig freisetzen. Dadurch würde schlagartig eine riesige Menge an Treibhausgasen in die Atmosphäre gelangen: Der See enthält umgerechnet 2,6 Gigatonnen CO2, was in etwa fünf Prozent der jährlichen globalen Treibhausgasemissionen entspricht. Doch es droht direkt ein noch größeres Unglück: Wird das Tal der Umgebung mit den erstickenden, giftigen Gasen geflutet, könnten dadurch Millionen von Menschen sterben. »Das könnte eine der schlimmsten, wenn nicht die schlimmste, humanitäre Katastrophe der Geschichte auslösen«, sagt der Ingenieur Philip Morkel. Er ist Gründer des in Vancouver ansässigen Unternehmens Hydragas Energy und versucht Gelder einzuwerben, um das Gas aus dem See zu entfernen und nutzbar zu machen.
Der 2021 erfolgte Vulkanausbruch löste keine Massenentgasung des Sees aus und am 1. Juni erklärte die ruandische Umweltbehörde Rwanda Environment Management Authority (REMA), es bestehe keine unmittelbare Gefahr. Man geht jedoch davon aus, dass durch unterirdische Spalten unter der Stadt Goma und dem Kivu-See Lava geflossen ist. Einen Tag nach dem Ausbruch ließ offenbar ein Beben eine Sandbank am See teilweise einbrechen, was dort möglicherweise eine kleine Menge Gas freigesetzt hat. Einigen Berichten zufolge schien es, als würde das Wasser in Ufernähe eines prominenten Hotels kochen.
»Das könnte eine der schlimmsten, wenn nicht die schlimmste, humanitäre Katastrophe der Geschichte auslösen«
Philip Morkel
Der See scheint momentan fürs Erste stabil. Er enthält zwar eine Menge Gase, aber im Bereich mit der höchsten Konzentration müsste sich diese Menge noch einmal verdoppeln, um den Sättigungspunkt zu erreichen. Ein starkes Erdbeben oder ein Vulkanausbruch könnte jedoch die geschichtete Struktur des Sees zerstören oder die Gaskonzentrationen erhöhen und so zu einem Ausgasen führen. Einige Forscher fürchten zudem, dass zudem menschliche Aktivitäten eine Katastrophe herbeiführen könnten.
Methan wird auch genutzt
Derzeit wird bereits Methan aus den Tiefen das Sees heraufgepumpt und zur Erzeugung dringend benötigter Elektrizität verbrannt. Die meisten Menschen sind sich einig, dass dies eine sinnvolle Nutzung der natürlichen Ressourcen vor Ort darstellt und gleichzeitig den See durch das Entfernen des Gases sicherer macht. Es geht um viel Geld: Forscher schätzen, das Methan am Grunde des Kivu-Sees könnte über einen Zeitraum von 50 Jahren 36 Milliarden Euro einbringen.
Sie sind sich jedoch nicht darüber einig, mit welcher Methode sich das Gas am besten fördern lässt und ob solche Aktivitäten den See so stören könnten, dass das Risiko steigt und nicht sinkt. Trotz der herrschenden Debatte wird die Methanförderung ausgebaut. Es gibt bereits Pläne, die Stromerzeugung in den kommenden Jahren oder Jahrzehnten um das Fünffache zu steigern.
»Viele Wissenschaftler sind nicht einverstanden«, sagt der Biochemiker Eric Ruhanamirindi Mudakikwa. Er leitete frühere das ruandische Überwachungsprogramm für den Kivu-See, das Lake Kivu Monitoring Program (LKMP), dessen Aufgaben von der Rwanda Environment Management Authority’s Environment Analytics and Lake Kivu Monitoring Division übernommen wurden. »Was wir am See machen, ist noch ganz neu. Wir haben keine Ahnung, wie er reagieren könnte.«
Unter Druck
Der Kivu-See ist der größte einer kleinen Gruppe von Seen weltweit, bei denen man die Möglichkeit einer limnischen Eruption vermutet. Zwei wesentlich kleinere Seen liegen einige tausend Kilometer weiter westlich in Kamerun und ein weiterer, der Albaner See, befindet sich in Italien.
Diese Seen liegen alle oberhalb von tektonisch aktiven Regionen, in denen vulkanische Gase wie CO2 aus dem Erdinneren aufsteigen. Sie sind tief und ihre Wasserschichten werden nicht durch jahreszeitliche Temperaturschwankungen von oben nach unten durchmischt. Stattdessen sammeln sich die gelösten Gase in den dichteren unteren Schichten und werden durch den von oben herrschenden Wasserdruck wie durch einen Korken gehalten. Wenn sich so viel Gas ansammelt, dass es Blasen bildet, können diese Seen buchstäblich hochgehen wie eine geschüttelte Champagnerflasche. Auch ein externes Ereignis kann den »Korken knallen« lassen. Ein sinkender Wasserspiegel auf Grund einer Dürre könnte den Druck auf die tieferen gasgefüllten Wasserschichten verringern. Durch einen Erdrutsch, ein Erdbeben oder am Grund des Sees ausbrechende Lava könnten die Schichten sich verlagern oder so viel Wärme aufnehmen, dass Gasblasen aufsteigen.
Das schreckliche Potenzial solcher Seen zeigte sich im August 1986, als der Nyos-See in Kamerun mit einem derartigen Schlag ausbrach, dass einige Anwohner einen Atomwaffentest vermuteten. Die umliegenden Regionen wurden mit einem Kubikkilometer Kohlendioxid geflutet. Da es schwerer ist als Luft, erstickten daran über 1700 Menschen und 3500 Nutztiere.
»Wir haben keine Ahnung, wie er reagieren könnte«
Eric R. Mudakikwa
Nach diesem Ausbruch startete man ein Projekt, das solche Ereignisse am Nyos-See in Zukunft verhindern soll: 2001 pumpte der Physiker und Ingenieur Michel Halbwachs, der damals an der Université Savoie im französischen Chambéry tätig war, zusammen mit seinem Team gasgefülltes Wasser aus der Tiefe des Sees. Dazu senkten sie von einer schwimmenden Plattform aus ein langes Rohr bis in die tiefen Wasserschichten. So entstand eine selbsterhaltende Fontäne, durch die das Gas in einer kleinen, kontrollierten Version einer limnischen Eruption austreten konnte. 2011 fügte das Team zwei weitere Rohre hinzu und 2019 betrachteten Halbwachs und seine Kollegen den Nyos-See als »so gut wie völlig befreit von riskanten Mengen an gelöstem Kohlendioxid«.
Nach der ersten Installation kümmerte sich Halbwachs um das kleinere Gegenstück zum Nyos-See, den Manoun-See, an dem sich 1984 eine wesentlich kleinere Eruption ereignet hatte. Nach Installation der Entlüftungsrohre gilt dieser See seit 2009 als gasfrei.
Halbwachs' Unternehmen Limnological Engineering konnte sich nun einen Auftrag im Wert von knapp 4,5 Millionen Euro sichern. Es geht um die Entgasung des Golfs von Kabuno, einem kleinen nördlichen Ausläufer des Kivu-Sees, der schon in geringer Tiefe eine hohe CO2-Konzentration aufweist. Das Unternehmen arbeitet bereits seit 2017 an einem Pilotprojekt.
Gigant unter den Gas-Seen
Der ungleich größere Kivu-See stellt jedoch ein ganz anderes Problem dar. Der Kivu-See ist geologisch älter als der Nyos-See und der umliegende Boden enthält mehr organische Materie. Dadurch beherbergt er im Gegensatz zum Nyos-See erhebliche Mengen Methan, erklärt der Biogeochemiker George Kling, der an der University of Michigan im US-amerikanischen Ann Arbor limnische Eruptionen untersucht. Mikroorganismen, die organische Substanzen abbauen, erzeugen Methan, und Methan oder Wasserstoff vulkanischen Ursprungs kann direkt aus den unteren Felsschichten in den See gelangen. Die Löslichkeit von Methan liegt weit unter der von Kohlendioxid, so dass es viel schneller zu aufsteigenden Blasen kommt. »Das Methan ist das eigentliche Problem. Das ist anders als beim Nyos-See«, sagt der Seephysiker Alfred John Wüest von der Schweizer Eidgenössischen Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz, kurz Eawag, in Kastanienbaum.
»Das Methan ist das eigentliche Problem«
Alfred John Wüest
Der See könnte ohne Sicherheitsrisiko beträchtliche Mengen CO2 beinhalten, würde das Methan nicht zum Gasdruck beitragen. Wissenschaftler gehen davon aus, dass das Kohlendioxid kein Problem mehr ist, wenn man das Methan als Energieträger ausleitet.
Geheimnisvolle Gase
Trotz des Gefahrenpotenzials des Kivu-Sees gibt es bezüglich der Grundlagen beträchtliche Differenzen, etwa darüber, wo das Gas herkommt, ob es mehr wird und sogar, ob der Kivu-See früher bereits ausgebrochen ist. Robert Hecky, im Ruhestand befindlicher Seeökologe der US-amerikanischen University of Minnesota Duluth, hat den Kivu-See untersucht. Er sagt, dass die Sedimente zwar neun braune Schichten aufweisen, die auf Durchmischungen in den letzten 2000 Jahren schließen lassen, dass er aber für die letzten 12 000 Jahre keine Belege für ein so gewaltiges Ereignis wie eine limnische Eruption gefunden habe. Eine andere Deutung der Sachlage besagt, dass es zumindest vor 4000 Jahren zu einer Eruption kam.
Einige Fakten sind eindeutig. Die oberen Wasserschichten des Sees sind relativ kühl und reich an Fischen. Etwa 260 Meter tiefer kommt es zu einer drastischen Änderung. Das Wasser ist dort auf Grund von Hydrothermalquellen viel wärmer und salzhaltiger. Hier liegen die tiefen »ressourcenhaltigen Wasserschichten«, die reich an gelösten Gasen sind.
In einer Untersuchung von 2005 verglichen der Umweltforscher Martin Schmid von Eawag und seine Kollegen, darunter auch Halbwachs, die Gasgehalte in dieser tiefen Schicht mit Messungen von 1975. Sie kamen zu dem Schluss, dass die Methankonzentration um 15 Prozent gestiegen war. Bei einem gleich bleibenden Anstieg wären die tieferen Schichten um 2090 gesättigt und würden eine Eruption auslösen. Eine weitere Veröffentlichung von 2020, bei der Schmid als Mitautor fungierte, besagte jedoch, dass die Gaskonzentrationen gar nicht gestiegen seien.
Widersprüchliche Messungen
Dies beruhigte viele Forscher, aber die Ergebnisse bleiben widersprüchlich. So wurden bei der Datenerhebung zum Beispiel unterschiedliche Gasmessmethoden angewandt. Ob die Gaskonzentrationen nun gestiegen sind oder nicht, ändert jedoch nichts daran, dass die Zukunft ungewiss ist; sie könnten jederzeit ohne Vorwarnung drastisch ansteigen. »Die unterirdischen Verzweigungen im vulkanischen System der Riftzone, die den Kivu-See umgibt, sind weitgehend unbekannt«, sagt Kling. »Es ist gut möglich, dass die Gaszufuhr durch stärkere unterirdische vulkanische oder geologische Aktivitäten drastisch ansteigt.«
Die gleichen Vulkanausbrüche und Erdbeben könnten theoretisch zudem eine Eruption auslösen. »Bei einem gasreichen See in der Nähe eines Vulkans gibt es ein großes Potenzial an Auslösern«, so Hecky. Es fragt sich nur, wie stark sie sein müssten. »Der See ist außergewöhnlich stabil. Eine Umwälzung bedürfte einer riesigen Menge an Energie«, sagt er. Der in Ruanda tätige Vulkanologe Dario Tedesco von der italienischen Hochschule Università degli Studi della Campania Luigi Vanvitelli erklärt, seine Daten über den Vulkanausbruch von 2021 zeigen, dass keine Gase aus Spalten um Goma oder aus dem See ausgetreten seien. Seiner Aussage zufolge gab es entweder kein unterirdisches Magma oder die Ströme waren so klein oder so tief, dass sie keine Auswirkungen hatten.
Die meisten der etwa ein Dutzend von »Nature« angesprochenen Wissenschaftler zeigen sich jedoch angesichts der geologischen Aktivitäten in der Region weiterhin besorgt über den Methangehalt des Sees. Würden über etwa 50 Jahre 90 Prozent des Methans ausgeleitet, argumentiert Morkel, dann könnte dies die Wahrscheinlichkeit einer limnischen Eruption in den ersten zehn Jahren um 90 Prozent senken. »Im besten Fall wird es niemals dazu kommen«, so Morkel.
Das Methan wird angezapft
Seit Jahrzehnten pumpt man bereits in kleinen Mengen Methan aus dem Kivu-See, um damit Energie zu erzeugen. Diese Aktivitäten wurden erheblich verstärkt, als 2016 das Kraftwerk KivuWatt des Londoner Unternehmens ContourGlobal den Betrieb aufnahm. Das 170-Millionen-Euro-Projekt liefert derzeit 26 Megawatt Strom. Vertraglich vereinbart ist eine Steigerung auf 100 Megawatt. Dies wird merklich zur Abdeckung der Grundlast in Ruandas auf 200 Megawatt ausgelegtem Stromnetz beitragen.
Bisher hat KivuWatt den Vorrat im See nur relativ geringfügig verkleinert: Bei der derzeitigen Entnahmerate wird das Unternehmen in 25 Jahren weniger als fünf Prozent des Methans abbauen. »Dieses Tempo reicht mit Sicherheit nicht aus, das Risiko einer limnischen Eruption deutlich zu verringern«, sagt der am KivuWatt tätige Limnologe Francois Darchambeau. »Also müssen wir die Kapazität vergrößern.« Die Erweiterungspläne müssen jedoch warten, bis die Nachfrage nach Strom mit dem Angebot gleichzieht, so das Unternehmen. Bei KivuWatt überlegt man zudem, Kohlendioxid aus dem See zu pumpen und als kommerzielles Produkt zu verkaufen.
In der Zwischenzeit hat das ruandische Unternehmen Shema Power Lake Kivu die kleine Pilotanlage KP-1 aufgekauft, die 2006 begann, Methan aus dem See zu pumpen. Dort errichtet man derzeit eine Anlage, die 56 Megawatt liefern soll. Auf der Website des Unternehmens heißt es, dass die Bauphase Anfang 2022 enden soll. Shema Powers Projektleiter Tony de la Motte wollte »Nature« gegenüber jedoch keine Fragen zum Zeitplan für die Anlage oder zu ihrem Betrieb beantworten.
Alle diese Projekte folgen generell dem Prinzip, dass Wasser aus der Tiefe heraufgefördert wird, so dass sich das Methan aus dem Wasser löst und es gereinigt und zu einem Kraftwerk gepumpt werden kann. Das entgaste Wasser wird dann wieder dem See zugeführt. Die Fragen drehen sich darum, wie man dies am besten erreicht, und die Pläne variieren je nach Firma und Angebot.
Das entgaste Wasser enthält immer noch hohe Konzentrationen an Nährstoffen und giftigem Schwefelwasserstoff. Wird es dem See zu nah an der Oberfläche wieder zugeführt, so könnte das einigen Forschern zufolge zu einem Fischsterben und schädlichen Algenblüten führen. Zudem ist es salzig und reich an CO2, so dass es eine relativ hohe Dichte besitzt. Bei einer Einleitung in zu geringer Tiefe würde das methanfreie Wasser also absinken und könnte dabei womöglich den maßgeblichen Dichtegradienten in 260 Metern Tiefe stören, welcher das gasreiche Wasser in der Ressourcenzone darunter gesichert hält. »Das würde nicht unbedingt zu einem Ausbruch führen«, sagt Morkel, »aber die Gefahr eines Ausbruchs würde steigen.«
Schwierige Förderung
Eine Aufwärtsverlagerung dieses Gradienten könnte ebenfalls problematisch sein, weil dadurch der Druck auf das gasreiche Wasser sinken würde. Und ein Verdünnen der Ressourcenschicht mit entgastem Wasser könnte die Gaskonzentration so weit senken, dass eine kommerzielle Verwertung nicht mehr möglich wäre. In diesem Falle verbliebe eine große Menge des gefährlichen Gases im See, ohne dass man es sinnvoll entfernen könnte. Es gäbe nur noch die Möglichkeit, es an die Oberfläche abzuleiten, doch dadurch würden starke Treibhausgase freigesetzt und das Oberflächenwasser kontaminiert.
2009 veröffentlichte eine Gruppe internationaler Wissenschaftler, darunter auch Morkel, Wüest und Schmid, »Bewirtschaftungsvorschriften« (BV), in denen sie bewährte Methoden zur Extraktion des Methans aus dem See zusammenfassen. Die Mehrzahl der Experten favorisiert die so genannte Methode zur Erhaltung der Dichtezone. Dabei wird die Dichte des entgasten Wassers über den CO2-Gehalt gesteuert, so dass es vorsichtig in den See zurückgeleitet werden kann, ohne eine Durchmischung anzustoßen. Das ist eine technische Herausforderung, würde jedoch die derzeitige Struktur des Sees bewahren.
KivuWatt hat sich für eine andere Strategie entschieden: Das entgaste Wasser wird knapp oberhalb des Hauptgradienten zurückgeleitet. Das ist einfacher zu erreichen und sollte die Ressourcenzone nicht verdünnen, wird aber wohl die Struktur des Sees verändern.
Sarchambeau erklärt, dass KivuWatt täglich das Oberflächenwasser überwacht und wöchentliche Analysen erstellt, um zuverlässige Daten über die Stabilität des Sees zu erhalten. Er sagt, dass sich nach fünfjährigem Betrieb erwartungsgemäß eine Schwächung der Stabilität abzeichnet, jedoch nur eine leichte. »Wenn wir die derzeitige Gasentnahme weitere 50 Jahre fortsetzen«, sagt Sarchambeau, »dann verringert das die Stabilität des Sees um ein Prozent.« Dieser Wert liegt deutlich unter den Empfehlungen der BV, die besagen, dass die Stabilität nicht um mehr als 25 Prozent reduziert werden darf, gemessen an der Energie, die für eine vollständige Durchmischung des Sees benötigt würde.
Es gibt jedoch Stimmen, die KivuWatts Ansatz für problematisch halten. »Dieser Weg führt in die Katastrophe«, sagt der Ingenieur Finn Hirslund vom Beratungsunternehmen COWI im dänischen Lyngby. Er gehört zu den Verfassern der BV und hat von Experten geprüfte Arbeiten zum Kivu-See veröffentlicht. Hirslund argumentiert, dieses Projekt werde »den Hauptgradienten zerstören« und ist besorgt, dass Fortsetzung und Ausbau der Gasentnahme aus dem See mit ähnlichen Methoden langfristige Folgen haben können, die erst nach Jahrzehnten deutlich werden.
Auch Morkel steht KivuWatts Ansatz kritisch gegenüber. Er wendet ein, das entgaste Wasser des Unternehmens enthalte zu viel Kohlendioxid und habe eine zu hohe Dichte. Dadurch, so denkt er, werde es den Hauptgradienten durchstoßen. Morkel ist dafür, Wasser zu entnehmen und es in anderen Tiefen als KivuWatt zurückzuführen. Er geht davon aus, dass die Schichtung des Sees dadurch bei der Gasentnahme zur Energiegewinnung besser erhalten bleibt. Daher versucht er Fördergelder für diesen Ansatz einzuwerben.
Es gibt jedoch auch Wissenschaftler, die nicht besorgt sind. »In Sachen Sicherheit bin ich absolut zuversichtlich«, sagt Wüest, der ebenfalls zu KivuWatts unabhängigem Expertenrat gehört. »Ich sehe das Ganze absolut positiv«, betont der Physiker Bertram Boehrer vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Magdeburg, der an dem See gearbeitet hat. »Bei unerwarteten Entwicklungen bleibt immer noch genug Zeit zum Handeln.«
Was bringt die Zukunft
Der einzige Ausweg aus der Debatte um mögliche Folgen für den See ist wahrscheinlich eine genaue Beobachtung, ob und wie sich die Dichteschichten verändern. Die Lake Kivu Monitoring Division (LKMD) überwacht die Tiefen des Sees und prüft die Gas fördernden Unternehmen. Mudakikwa erklärt, die wöchentlichen Analysen zeigten, dass der See bisher stabil bleibt. »Der Hauptgradient verändert sich nicht«, sagt er. »Sollte der See instabil werden, dann sind wir die Ersten, die es sorgt.«
KivuWatt stellt klar, dass die Richtlinien des LKMD verbindlich seien und man sich daran hält. Zudem habe der unabhängige Expertenrat des Unternehmens, dem auch Hecky und Wüest angehören, Zugriff auf KivuWatts Daten und prüft seinen jährlichen Bericht an die ruandische Regierung. »Wir stehen der Wissenschaft sehr aufgeschlossen gegenüber«, sagt Sarchambeau, obwohl einige Informationen, wie etwa der Aufbau der maßgeschneiderten Sensoren für die Gaskonzentration, geheim bleiben. »Jeder möchte KivuWatts Daten«, sagt der Unternehmensleiter Priysham Nundah. »Ich kann Wettbewerbern nichts zukommen lassen, aber wir geben [dem LKMD] das, wozu wir vertraglich und gemäß Vereinbarung verpflichtet sind.«
»Gegen Mutter Natur kommen wir im Zweifelsfall nicht an«
Eric R. Mudakikwa
Einige von »Nature« angesprochene Forscher beklagten, dass sie Schwierigkeiten haben, an solche Daten heranzukommen. »In unseren [BV-]Richtlinien haben wir klar vorgegeben, dass diese Daten öffentlich sein müssen«, so Wüest. »Meines Wissens hat die ruandische Regierung dem nie Folge geleistet.« Mudakikwa erklärt, dass die Daten der Gas fördernden Unternehmen vertraulich seien. Die Analysedaten des Sees können Forscher erhalten, wenn sie dem Generaldirektor der REMA schreiben, was sie benötigen und warum.
Die Kombination aus dem wirtschaftlichen Wert des Kivu-Sees, seinem explosiven Potenzial und der zahlreichen abweichenden Meinungen, wie man am besten damit umgehen solle, erhitzt die Gemüter unter den dort tätigen Wissenschaftlern. »Ich bin geradezu davon besessen, zu verstehen, was in diesem See vor sich geht«, sagt Hirslund. »Am Kivu-See zu arbeiten, ist eine Leidenschaft«, stimmt Augusta Umutoni, Leiterin der LKMP, zu.
Gas aus dem See zu fördern, sollte ihn sicherer machen, sagt Mudakikwa. Aber es gibt Dinge wie etwa Vulkanausbrüche, die weder Wissenschaftler, Unternehmen noch Regulierungsbehörden abwenden oder verhindern können. »Gegen Mutter Natur kommen wir im Zweifelsfall nicht an.«
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