Geothermie: Energie aus der Tiefe der Erde
An einem Wochentag im Dezember 1973, so berichtete der »Spiegel« in einer Rückschau, blickte der Besitzer einer Tankstelle im Westerwald in die Mündung einer gezückten Pistole, als er dem Fahrer eines Mercedes 280 SE nur noch 15 Liter Benzin überlassen wollte. Der Treibstoff war rationiert worden, weil die Ölstaaten beschlossen hatten, den Rest der Welt mit einem Lieferboykott zu bestrafen. Autofahrer kamen auf die Idee, Treibstoff aus fremden Tanks mit Hilfe von Schläuchen abzusaugen. Eine Hamsterwelle ging durchs Land.
Was war geschehen? Ägyptische und syrische Truppen waren am jüdischen Feiertag Jom Kippur überraschend auf dem Sinai und den Golanhöhen einmarschiert. Israel drohte mit dem Einsatz von Kernwaffen. Als die Sowjetunion begann, die arabische Seite militärisch zu unterstützen, griffen auch die Vereinigten Staaten ein und versetzten ihre nuklearen Einsatzkräfte in Alarmbereitschaft. Gerade noch rechtzeitig konnte ein Waffenstillstand ausgehandelt werden.
Die Folgen des Krieges bekam der gesamte Westen zu spüren. Algerien, der Irak, Katar, Kuwait, Libyen, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate fuhren aus Protest ihre Ölförderung herunter. Der Ölpreis stieg in kurzer Zeit um 70 Prozent. Der Deutsche Bundestag beschloss ein »Energiesicherungsgesetz«. An vier aufeinander folgenden Sonntagen wurde ein generelles Fahrverbot verhängt. Autohersteller meldeten Kurzarbeit an, Fabriken wurden geschlossen. Und die Prognosen waren düster. Der Club of Rome hatte schon im Jahr davor die »Grenzen des Wachstums« prophezeit.
Immer noch abhängig von importierter Energie
Haben wir daraus gelernt? Nicht allzu viel, wie es scheint. Wieder ist die Welt mit einem Krieg konfrontiert, der vor Augen führt, wie abhängig die meisten Staaten von importierter Energie sind. Deutschland bezog vor der russischen Invasion der Ukraine mehr als die Hälfte seines Erdgases und ein Drittel seines Erdöls aus Russland. Der Hauptlieferant hat gewechselt, die Erpressbarkeit ist geblieben. Und es ist noch eine Dimension hinzugekommen. Der Klimawandel zwingt dazu, den Ausstoß von CO2 zu reduzieren. Öl, Gas, aber auch Kohle und selbst Holz dürfen immer weniger verfeuert werden, soll die Erderwärmung in Grenzen gehalten werden.
Alternativen gibt es. Aber keine ist ohne Pferdefuß. Nach dem Ölschock setzte die Bundesrepublik in den 1970er Jahren auf Kernkraft. 40 neue Meiler sollten gebaut werden, um das Land wenigstens in der Stromversorgung autark zu machen. »Atomkraftgegner überwintern bei Dunkelheit mit kaltem Hintern« hieß es auf damals erhältlichen Aufklebern. Der schwere Störfall mit Kernschmelze im US-amerikanischen Harrisburg 1979 konnte den Glauben ans Atom noch nicht erschüttern. Aber Tschernobyl 1986 wurde bereits zum Menetekel erklärt. Fukushima 2010 brach der Kernkraft hier zu Lande dann das Genick.
Und nun? Will Deutschland den gesamten Energiesektor auf den Kopf stellen. Das hat es so noch nie gegeben. Nach dem Atomausstieg will man sich bis spätestens 2038 ebenfalls von der Kohle verabschieden. Gas sollte den Übergang sichern. Seit Russland in die Ukraine einmarschiert ist, steht wieder alles auf dem Prüfstand. Heimische Braunkohle hätten wir noch, auch wenn es die schmutzigste aller Ressourcen ist. Die drei verbliebenen Atomkraftwerke länger laufen lassen? Brächte eine Menge logistischer Probleme und würde obendrein teuer. Aber teuer ist alles, was zurzeit an Vorschlägen auf dem Tisch liegt. Einigkeit herrscht nur darüber, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien rapide beschleunigt werden muss. Das sind im Wesentlichen Sonnen- und Windenergie, Biomasse und in geringem Umfang Wasserkraft. Sonne und Wind sind mal mehr, mal weniger verfügbar. Sie beanspruchen große Flächen sowie neue, hart umkämpfte Leitungstrassen. Biomasse kann in größerem Maßstab nur in Monokulturen erzeugt werden. Und das Potenzial an Wasserkraft ist in Deutschland so gut wie ausgeschöpft.
Es gäbe jedoch eine weitere Quelle, die uns buchstäblich zu Füßen liegt: die Geothermie. Über ein Dasein in der Nische ist sie nie hinausgekommen. Dabei könnte sie eine Schlüsselrolle spielen. Lobbyorganisationen wie der Bundesverband Geothermie werben seit Jahren dafür, mit der Nutzung der Erdwärme voranzukommen. Schön wäre es.
Die Hoffnung
Der Gedanke liegt eigentlich nahe, die theoretisch verfügbare Energie zu gewinnen, die im heimischen Untergrund schlummert. Besonders dort, wo es mit zunehmender Tiefe schnell warm wird: Im Alpenvorland, in großen Teilen West- und Norddeutschlands und vor allem am Oberrhein. Zwischen Basel und Frankfurt steigt die Temperatur lokal um mehr als 100 Grad Celsius pro Kilometer Tiefe an. Poröse Schichten aus Muschelkalk und Sandstein würden die Förderung erleichtern. Aber genutzt wird diese Energiequelle bislang wenig. Drei geothermische Kraftwerke sind auf deutscher Seite in Betrieb. In Insheim und Landau in der Pfalz wird Strom erzeugt, in Bruchsal Wärme. Doch bei den Anlagen in der Pfalz gab es immer wieder Probleme, und die Forschungsanlage bei Karlsruhe liefert gerade einmal Wärme für 1200 Menschen.
Das soll sich jetzt ändern. Rund um die Ökohauptstadt Freiburg plant der regionale Energieversorger eine Anlage, die 40 000 Menschen versorgen könnte. Damit wäre es eines der größeren Projekte in Deutschland. Doch ob die Rechnung aufgeht, ist unklar. Erst einmal muss man in der Tiefe genügend heißes Thermalwasser finden. Und vorher noch die Zustimmung der Bürger einholen. Beides echte Herausforderungen.
Eine, die über das Projekt mitentscheiden soll, ist Diana Bauchinger aus Bad Krozingen, einem beschaulichen Kurort 15 Kilometer südlich von Freiburg. Anfang März sitzt sie in ihrem Garten, mit Blick auf das Haus, die Sonne spiegelt sich in den Solarmodulen auf dem Dach. »Ich bin sehr für erneuerbare Energien«, sagt die 47-Jährige, gerade erst hat sie sich ein Angebot für eine Luftwärmepumpe eingeholt. Man müsse jetzt was tun, allein schon wegen des Klimawandels, sagt Diana Bauchinger. Aber ist sie auch für Geothermie?
Was viele Einwohner hier nicht mehr wissen: Die Erdwärme hat das Städtchen reich gemacht. Zunächst wollte man im Jahr 1911 durch eine Bohrung Erdöl erschließen, zu Tage kam jedoch nur heißes Wasser. Also baute man ein Heilbad, legte einen Kurgarten an, aus Krozingen wurde Bad Krozingen.
Schon ihr ganzes Leben wohnt Diana Bauchinger hier. Ihr Elternhaus steht am Ortsrand. Wenn sie zum Schwarzwald blickt, kann sie auf den Höhen einzelne Windräder entdecken. Wind gibt es dort oben genug, aber kaum Turbinen. Seit Jahren wehren sich Bürgerinitiativen erfolgreich gegen den Ausbau der Windkraft, organisiert in Verbänden wie der »Vernunftkraft«, die zu den Klimawandelleugnern gehören. Auch die Photovoltaik wird bekämpft, von der Geothermie hält man genauso wenig. Stattdessen warben die Windkraftgegner bis vor Kurzem noch für russisches Gas, Kohle und Kernkraft und fanden in regionalen Unternehmern und bei prominenten Politikern Unterstützung.
Diana Bauchinger hat sich noch keine abschließende Meinung gebildet. Sie ist Trompeterin von Beruf, mit Erdwärme hat sie sich nie auseinandergesetzt. Doch nun gehört sie zu den 40 zufällig ausgewählten Bürgerinnen und Bürgern in der Region, die über das Geothermiewerk mitentscheiden sollen. Sie arbeitet sich ein. An einem Abend im Februar sitzt sie vor dem Computer und nimmt an der ersten Anhörung teil. Sie stellt in der Zoom-Konferenz Fragen, hört zwei Stunden lang zu. Experten stehen Rede und Antwort. Das gehört zum so genannten Umsetzungsprozess. Die Bürger sollen mitgenommen werden, heißt es.
Das ist die eine Hürde. Die technische Nutzung eine andere. Bis die unterirdische Energie in Südbaden tatsächlich gefördert werden kann, ist es ein weiter Weg. Nur wenn das Gestein ausreichend durchlässig ist und genügend Wasser führt, rentiert es sich. Mindestens 50 Liter heißes Wasser pro Sekunde sollten es schon sein.
Anfang des Jahres sind deshalb drei schwere Fahrzeuge im Breisgau vorgefahren, die Vibrationswellen in die Erde schicken. Je nachdem, wie der geologische Untergrund beschaffen ist, werden solche Schwingungen unterschiedlich reflektiert. So entstehen Aufzeichnungen, die ein dreidimensionales Bild liefern und dabei helfen sollen, den besten Standort zu finden. Am Ende müssen sich beide Seiten zu einer Meinung durchringen, die Laien wie die Experten. Man wird sehen, wie es ausgeht.
Das Versprechen
Unter Fachleuten findet sich kaum jemand, der prinzipiell gegen Geothermie wäre. Wissenschaftler aus sechs Einrichtungen der Fraunhofer-Gesellschaft und der Helmholtz-Gemeinschaft haben kürzlich ein Strategiepapier vorgelegt. Darin schlagen sie vor, in den kommenden zehn Jahren eine Infrastruktur zu schaffen, mit der sich ein Viertel des gesamten Wärmebedarfs der Bundesrepublik Deutschland decken ließe. Und sie fahren ein ganzes Arsenal von Argumenten auf, welche die Geothermie aus ihrem Schattendasein hinaus ins schönste Licht rücken sollen.
Geothermie sei unerschöpflich, heißt es da. Die Energiereserve, die sich bereits mit der heutigen Technik erschließen lasse, werde weltweit auf das 30-Fache sämtlicher fossiler Rohstoffe geschätzt. Und anders als diese erneuere sie sich beständig. Geothermie sei immer und überall verfügbar. Im Gegensatz zu anderen nachhaltigen Quellen wie Sonnen- und Windenergie sei sie weder von der Tageszeit noch vom Wetter oder vom Klima abhängig und praktisch an jedem Ort der Erde vorhanden. Sie brauche keine Vorratslager. Die Erde selbst sei der Speicher. Sie könne in vorhandene und zukünftige Fernwärmenetze eingespeist werden, die Transportwege seien um ein Vielfaches kürzer als bei fossilen Energieträgern. Sie spare Platz und verschandele nicht die Landschaft, denn der größte Teil der Anlagen befinde sich unter der Erde. Sie sei klimaneutral. Sie sei billig, weil keine Brennstoffe beschafft werden müssen. Sie könne als einzige erneuerbare Energie gleichzeitig Strom, Wärme und Kälte liefern. Damit sei sie sogar grundlastfähig.
Und was spricht gegen die Geothermie? Dass sie irrsinnig gefährlich ist, sagen die Gegner. Jeder, der bei Verstand sei, sollte die Finger davon lassen.
Bohrende Fragen
So in etwa dachte auch Diana Bauchinger, als sie zum ersten Mal von dem Großprojekt hörte. »Meine spontane Reaktion war: Oh Gott, nein!«, erzählt sie. Denn ihr kam sofort das Desaster in den Sinn, das sich in Staufen, einem Nachbarort von Bad Krozingen, ereignet hatte. Die Fachwerkstadt, einst angeblich Wirkungsstätte des legendären Alchemisten Doktor Faust, wollte vor 15 Jahren ihr Rathaus sanieren und entschied sich für eine Erdwärmepumpe. Also bohrte man, 140 Meter wurden angepeilt. Das wäre nicht allzu tief gewesen. Erdwärmepumpen zählen zur oberflächennahen Geothermie. »Akupunktur« nennt man das in der Branche.
Die Technik gehört längst zum Standardrepertoire jeder Bohrfirma. Allein in Baden-Württemberg zählt man inzwischen an die 43 000 solcher Anlagen. Alle laufen einwandfrei. Doch ausgerechnet in Staufen kam es zu einem folgenschweren Fehler. Bereits bei der zweiten Bohrung drang, so wurde später rekonstruiert, Wasser von unten in den lokalen Anhydrit, eine Gipsschicht, die aufquillt, wenn sie in Kontakt mit Wasser kommt. Die Bohrfirma hatte das Loch nicht richtig abgedichtet. Monate später bildeten sich im Rathaus und in einigen umliegenden Fachwerkhäusern erste Risse. Nach und nach hob sich die ganze Stadt, bis zu einen Zentimeter pro Monat. »Eine Katastrophe in Zeitlupe«, sagt einer, der mit den Vorgängen vertraut ist. Überall begann es zu bröseln und zu krachen, Leitungen barsten, Zwischenwände fielen zu Boden, es war ein einziger Albtraum. Bis zum heutigen Tag wurden 268 Häuser in Mitleidenschaft gezogen. Der Schaden lässt sich nicht genau beziffern, wird jedoch auf mehr als 60 Millionen Euro geschätzt. Keine Frage: Die Geothermie hat die Stadt Staufen ernsthaft beschädigt. Aber das Gleiche lässt sich auch umgekehrt behaupten.
Hinzu kam, dass es wenige Monate zuvor bei Basel ein kleineres Erdbeben gegeben hatte. Wie sich herausstellte, war das ebenfalls die Folge einer Geothermie-Bohrung. Anders als in Staufen reichte sie allerdings bis zu fünf Kilometer in den Untergrund. Die Betreiber dieses »Deep Heat Mining«-Projekts wollten mit einem noch unerprobten Verfahren Wasser in tiefe Gesteinsschichten pressen. Dabei lösten sie Erschütterungen bis zu einer Stärke von 3,4 aus. Das Projekt wurde ein Fall für den Staatsanwalt – und später eingestellt.
Die Schweizer haben sich davon nicht beirren lassen und die Geothermie weiter vorangetrieben. In St. Gallen kam es zu ähnlichen Erdstößen, aber die Bevölkerung stand beharrlich hinter dem Projekt. Trotz dieses Vertrauensbeweises wurde es am Ende beerdigt; die Kosten standen offenbar in keinem Verhältnis zum erwarteten Erlös. Weniger Schlagzeilen schrieb ein anderes eidgenössisches Geothermie-Vorhaben, das seit 1994 einwandfrei läuft. Im Dorf Riehen bei Basel werden heute 9000 Menschen mit klimafreundlicher Wärme aus hydrothermalen Quellen versorgt. Von 2025 an soll dort die Leistung von 9 auf 15 Megawatt gesteigert werden.
Die Deutschen dagegen haben eine regelrechte Phobie gegen jede Art von Eingriff in den Untergrund entwickelt. Nicht ganz ohne Grund, muss man sagen. Ein Jahr nach den Ereignissen in Staufen kam beispielsweise ans Licht, dass ein Endlager für radioaktiven Abfall im niedersächsischen Salzbergwerk Asse jahrzehntelang unter falschen Voraussetzungen betrieben worden war. Standsicherheit für die Ewigkeit hatten die Verantwortlichen versprochen; in Wahrheit drohte die Grube bereits abzusaufen.
Hinzu kamen bedrohliche Berichte aus den Vereinigten Staaten. Dort war die Praxis, neue Gasvorräte unter Einsatz von Chemikalien und mit Hilfe des so genannten Frackings zu erschließen, massiv vorangetrieben worden. Horrorbilder machten die Runde. Von brennendem Trinkwasser, das aus den Hähnen schoss, von vergifteten Brunnen, von Explosionen in Wohngebäuden. Das hatte zwar nur wenig mit der eingesetzten Fracking-Technik zu tun, wie Geologen später nachwiesen. Die Wasserhähne brannten beispielsweise, weil sich Erdgas entzündet hatte, das vor Ort auf natürlichem Wege austrat. Nur wollte das keiner mehr hören. Die Botschaft des Schreckens ging um die Welt und wird wohl nie mehr auszurotten sein.
In Deutschland kursierte damals die Idee, das Treibhausgas Kohlendioxid mittels CCS-Technik (Carbon Capture and Sequestration) nach »unter Tage« zu befördern. Erste Versuche wurden geplant. Man hätte sich das schenken können. Die Wut der Bürger war einfach zu groß. Im Endeffekt wurden beide Techniken beerdigt. Insbesondere das Fracking ist in Deutschland so mausetot, dass nicht einmal die glühendsten Verehrer der Geothermie damit in Verbindung gebracht werden möchten.
Eine traurige Geschichte
In Deutschland hat die Nutzung der Erdwärme ohnehin nie eine große Rolle gespielt. Mit Staunen nahm das Publikum einen Aufsatz über das »erste Vulkankraftwerk der Welt« zur Kenntnis, der 1953 im »Neuen Universum« erschien, einem damals weit verbreiteten »Jahrbuch für die reifere Jugend«. Beschrieben wurde darin eine Anlage, die italienische Ingenieure Anfang des 20. Jahrhunderts im toskanischen Larderello in der Nähe von Volterra errichtet hatten. Bis heute wird dort aus kochend heißem Wasser Strom erzeugt.
Oskar Kappelmeyer, ein damals 27-jähriger Angestellter des Hannoveraner Amtes für Bodenforschung, gehörte zu den wenigen Deutschen, die sich seinerzeit für diese Technik begeistern konnten. 1954 machte er sich mit einem kleinen Trupp von Mitarbeitern auf, um in Larderello Temperaturmessungen vorzunehmen. Doch auf übergroßes Interesse stießen die Pionierarbeiten nicht. Kohle und Öl gab es in Deutschland genug, Geothermie konnte da nicht konkurrieren.
Die Idee, Deutschlands Untergrund näher auf sein Wärmepotenzial zu untersuchen, kam erst 20 Jahre später zum Tragen. Die Ölkrise von 1973 brachte die Dinge ins Rollen. Im schwäbischen Bad Urach gab es eine erste Tiefenbohrung mit einer Endteufe von mehr als 3000 Metern. Man stieß auf 142 Grad Celsius heißen Gneis, der freilich kaum Wasser führte. Also entschloss man sich, das Gestein durch Einpumpen von Flüssigkeit unter hohem Druck aufzubrechen. Die Methode war Anfang der 1970er Jahre in Amerika unter dem Kürzel HDR (hot dry rock) entwickelt worden. In Bad Urach wurde bis 2004 experimentiert, mit dem Ziel, ein Wärmekraftwerk zu errichten. Das Projekt fand letztlich ein Ende, weil es technische Probleme gab und die Kosten aus dem Ruder liefen.
Im Jahr 1986 wurde ein weiteres, deutsch-französisches HDR-Projekt mit internationaler Beteiligung im elsässischen Soultz-sous-Forêts in Angriff genommen. Fünf Kilometer weit bohrte man in die Tiefe und schuf einen künstlichen Wasserkreislauf. Weil das für den Betrieb einer konventionellen Dampfturbine nicht reichte, kam ein Verfahren zum Einsatz, das der schottische Physiker William Rankine im 19. Jahrhundert erfunden hatte. Dabei verdampfen organische Flüssigkeiten in einem sekundären Kreislauf bei niedrigeren Temperaturen. 2008 ging ein Forschungskraftwerk in Betrieb, das später durch eine zehnmal so große kommerzielle Anlage ersetzt wurde, die jährlich rund 15 Megawatt ins französische Stromnetz einspeiste, was in etwa der Leistung von drei modernen Windrädern entspricht.
DDR als deutscher Vorreiter
Vorreiter in Sachen Geothermie war die alte Bundesrepublik so oder so nicht. In den 1980er Jahren war die DDR dem Westen ein ganzes Stück voraus. Prognosen hatten ergeben, dass die heimische Braunkohle nicht mehr lange reichen würde. Der Ministerrat startete daher ein flächendeckendes Programm zur Erkundung der ostdeutschen Wärmequellen. Heraus kam ein umfangreiches Kartenwerk, das damals als »vertrauliche Dienstsache« eingestuft wurde. 1984 wurde eine erste Heizzentrale in Waren an der Müritz eingeweiht, die später bis zu 1000 Wohneinheiten mit Fernwärme versorgen konnte. Im selben Jahr wurde der VEB Geothermie gegründet, zu dem pikanterweise auch zwei abgetauchte Mitglieder der westdeutschen Roten Armee Fraktion gehörten. Für seine Verdienste um die Zukunft der volkseigenen Energieversorgung wurde der Betrieb mit dem Nationalpreis der DDR ausgezeichnet.
Bei der Wiedervereinigung 1990 waren in Ostdeutschland drei geothermische Heizzentralen in Waren, Neubrandenburg und Prenzlau installiert. In der alten Bundesrepublik gab es zu diesem Zeitpunkt nur eine einzige aussichtsreiche Bohrung bei Bruchsal. Die Treuhand gab dem VEB Geothermie trotzdem zu verstehen, dass sich auch deren Technik am Markt rechnen müsse. Bohrtürme und Fahrzeuge wurden verschrottet, neue Explorationen eingestellt. Von 770 Mitarbeitern blieb lediglich ein Kern. Das kleine Erdwärmekraftwerk, das der damalige grüne Bundesumweltminister Jürgen Trittin 2003 in Neustadt-Glewe in Mecklenburg-Vorpommern einweihte, ist mittlerweile auch wieder geschlossen worden. Aus wirtschaftlichen Gründen, wie es heißt.
Seither sind in Deutschland etwas mehr als zwei Dutzend neue Projekte zur Wärme- und Stromerzeugung aus tiefen Gesteinsschichten in Angriff genommen worden. Ungefähr die Hälfte führte zum Erfolg. Die übrigen Bohrungen gingen entweder ins Leere, wurden wegen technischer Schwierigkeiten abgebrochen oder aus finanziellen Gründen aufgegeben. Einige Vorhaben stecken weiterhin in der Probephase.
Bleibt die oberflächennahe Geothermie. Hier ist die Technik deutlich ausgereifter. Vor allem bei den Wärmepumpen hat sich viel getan. Bei Neubauten ist ihr Einbau sogar zum Standard geworden. Schätzungsweise 1,3 Millionen Häuser werden damit inzwischen beheizt. Wärmepumpen lohnen sich, entgegen landläufiger Meinung, nicht nur für Neubauten. Sie funktionieren auch in alten, schlecht gedämmten Häusern ohne Fußbodenheizung, sofern die Heizkörper groß genug sind. Selbst bei großer Kälte laufen die Anlagen zuverlässig, benötigen dann aber mehr Strom. Grundsätzlich verbraucht eine Wärmepumpe umso weniger Elektrizität, je ergiebiger die Wärmequelle ist, je besser das Haus gedämmt und je sorgfältiger die gesamte Anlage geplant ist.
Ein Blick über die Grenzen zeigt, dass andere Länder schon weiter sind. In Schweden beispielsweise zahlt sich der Einbau einer Wärmepumpe schneller aus, weil dort eine hohe Sondersteuer auf fossile Brennstoffe erhoben wird, die Strompreise aber vergleichsweise niedrig liegen und die Technik stärker subventioniert wird. In Deutschland lassen sich zwar ebenfalls staatliche Fördermittel von bis zu 50 Prozent einstreichen. Doch der benötigte Strom ist in Deutschland viel teurer, zudem fehlt es an ausgebildeten Fachkräften. Nicht jeder Klempner kann eine Wärmepumpe fachgerecht planen und einbauen.
So muss der Häuslebesitzer, der seine Heizung umrüsten will, hier zu Lande tief in die Tasche greifen. Wärmepumpen, die ihre Energie aus der Luft beziehen, kosten locker das Doppelte bis Dreifache eines gewöhnlichen Gaskessels; mit 15 000 bis 20 000 Euro muss man auf jeden Fall rechnen. Außerdem ist die Installation einer Photovoltaikanlage auf dem Dach empfehlenswert, um wenigstens einen Teil des Stroms selbst zu produzieren. Erdwärmepumpen liegen noch ein ganzes Stück darüber, weil zusätzliche Kosten für die Bohrung und die Verlegung der Leitungen anfallen. Dafür sind sie im Betrieb am Ende günstiger und können ein Haus nicht nur heizen, sondern auch kühlen, was angesichts heißerer Sommer an Bedeutung gewinnt.
Weitgehend ungenutzt ist in Deutschland bislang die Technik der Wärmespeicherung im Untergrund. Dabei lässt sich überschüssige Wärme des Sommers im Grundwasser speichern und steht im darauf folgenden Winter zur Verfügung. Die Bundesrepublik ist in dieser Hinsicht Entwicklungsland. Vorreiter sind Schweden und die Niederlande. Dort sind bereits 2500 Aquiferspeicher erschlossen, das entspricht einem Anteil von 90 Prozent am Weltmarkt.
Das Beispiel Erding
Hätte Deutschland die Geothermie nicht schon früher und besser nutzen können? Im Rückblick fällt die Bilanz durchwachsen aus. Wer eine echte Erfolgsstory sucht, muss nach Bayern fahren. Rund um die Landeshauptstadt München sind die geologischen Voraussetzungen besonders günstig. In Freiham, Dürrnhaar, Kirchstockach, Sauerlach, Riem und in München-Sendling werden heute ein halbes Dutzend Anlagen betrieben, die beachtliche Mengen an Wärme und Strom produzieren.
Und dann ist da noch Erding. Ein spezieller Fall. Wer sich der Stadt von oben nähert, erblickt beim Anflug auf den Flughafen »Franz Josef Strauß« den typischen Mix aus Gewerbe- und Neubaugebieten, Äckern und Umgehungsstraßen. Sowie eine Gruppe von Gebäuden, die aussehen, als hätte Elon Musk vorgehabt, eine bemannte Station auf dem Mars zu errichten. Rund 200 Millionen hat das Ensemble gekostet: Kuppeln, Hangars, Parkplätze ohne Ende. Willkommen in der Erlebniswelt Erding, der angeblich größten Therme der Welt. 35 Saunen, 30 Wasserbecken, mehr als 5000 Umkleideschränke, untergebracht auf einer Fläche von 50 Hektar, annähernd so groß wie das Oktoberfest. Den Erdinger Badespaß gönnten sich in der Vergangenheit jährlich bis zu 1,8 Millionen Besucher. Das schaffte nicht einmal Neuschwanstein.
An einem Werktag im März ist der Betrieb morgens noch überschaubar. Im Wellenbad schwappen die ersten Gäste in der Brandung, Mütter, Väter, Kleinkinder, einstweilen gut gelaunt, verteilen sich unter Palmen. In der feuchtwarmen Luft liegt ein Hauch von Chlor, Ozon und Schwefel. Pärchen entern die Whirlpools, man kann sich zur Bar treiben lassen, um schon mal einen Frühschoppen mit dem heimischen Weißbier ins Auge zu fassen. Oder einen Rundgang. Auf verschlungenen Wegen geht es durch tropisch beheizte Hallen, alle 50 Meter ein Imbiss, alle paar Schritte eine neue Attraktion, vom Nebelwald über den venezianischen Palast bis zur oberbayerischen Zirbelstube. Ehe man die Saunalandschaft erreicht, die sich unter einem Glasdach mit den Ausmaßen eines Flughafenterminals ausbreitet, hat man die Orientierung verloren. Und selbst dann hat man noch nicht die russische Banja, das keltische Stonehenge oder den Garten Eden gesehen.
Dass Erding eine große Geschichte werden würde, war ursprünglich nicht abzusehen. Denn am Anfang stand auch hier eine Enttäuschung. Die Firma Texaco hatte vor den Toren der Stadt nach Erdöl gebohrt. Im Februar 1983 wurde sie fündig. Doch hier ebenfalls anders als erhofft. In 2000 Meter Tiefe stieß man im Malmgestein des Oberjura auf schwefelhaltiges Thermalwasser, 65 Grad Celsius heiß, nach faulen Eiern stinkend und auf den ersten Blick zu nichts nütze. Die Bohrfachleute packten ihre Sachen und überließen die Quelle den Bayern. Sechs Jahre dauerte es, bis die Stadt und der Landkreis auf die Idee kamen, das »heiße Gold«, wie es nun genannt wurde, Gewinn bringend zu verwerten. Das ist ihnen gelungen.
Der Untergrund lieferte den Erdingern seither nicht nur Energie, die ins städtische Wärmenetz eingespeist wird und rund 6000 Haushalte versorgt, sondern auch jede Menge Thermalwasser für das berühmte Spaßbad, ein paar Jahre lang aufbereitetes Trinkwasser und sogar einen staatlich anerkannten Heilbrunnen. »Ardeo-Quelle« wurde er getauft, nach dem lateinischen Wort für »heiß begehren«.
Oberirdisch ist davon wenig zu sehen. In der Badelandschaft stößt man eher zufällig auf eine vier Meter hohe Glaspyramide. Stahlrohre bündeln den Sprudel aus der Tiefe. Gleich daneben kann man in der Brühe baden. Nicht länger als drei Minuten, wird gewarnt, sonst könnten Haut und Kreislauf leiden. Der Andrang ist freilich nicht ganz so groß wie bei den diversen Honig-, Birkensud-, Klangschalen- oder Meditationsaufgüssen.
Die Wirtschaft
In den Jahren vor Corona war die Therme Erding eine zuverlässige Gelddruckmaschine gewesen. Das konnte man nicht von allen Geothermie-Projekten in Deutschland sagen. Als größter Klotz am Bein der Branche gilt das Risiko, bei einer Bohrung nicht fündig zu werden. Zehn Millionen Euro sind schnell in den Sand gesetzt. »Das kann sich eine normale Gemeinde nicht leisten«, sagt Rolf Bracke von der Fraunhofer-Einrichtung für Energieinfrastrukturen und Geothermie, der das bereits erwähnte Strategiepapier mit herausgegeben hat. Aber gerade die Kommunen spielen eine Schlüsselrolle, wenn es mit der Erschließung der Erdwärme vorangehen soll.
Bracke spürt in jüngster Zeit Rückenwind. Häufiger als früher wird er von Vertretern kommunaler Stadtwerke zu Gesprächen eingeladen. Und es sind inzwischen die Vorstände, mit denen er redet, und nicht mehr die nachgeordneten Referatsleiter, die ihn bei einer Tasse Kaffee höflich abwimmeln. Der Staat müsste die Risiken besser abfedern, sagt Bracke. Ihm schwebt die Gründung spezieller Fonds vor, wie sie zum Beispiel in Lateinamerika angeschoben wurden. Dort werden der Geothermie große Chancen eingeräumt. Erkundungen werden durch internationale Kreditgeber vorfinanziert, eine Rückzahlung wird erst fällig, sobald der Erfolg absehbar ist. »Wenn das in Costa Rica funktioniert«, sagt Bracke, »dann geht das auch in Castrop-Rauxel.«
Die Autoren des Strategiepapiers geben sich selbstbewusst. Für die kommenden zehn Jahre schlagen sie die Installation einer geothermischen Wärmeleistung von 25 Gigawatt vor. Das wäre das 100-Fache dessen, was heute zur Verfügung steht. Der Investitionsbedarf dafür wird auf 60 Milliarden Euro geschätzt. In 20 Jahren sollen es dann 70 Gigawatt werden, was der Leistung aller gegenwärtig vorhandenen Windanlagen entspräche und die Kosten noch einmal verdreifachen würde. Ist das nicht reines Wunschdenken?
»Das ist gar nicht so viel«, sagt Rolf Bracke. Ähnliche Summen seien in Deutschland in den 1950er und 1960er Jahren auf der Suche nach Kohle, Öl und Gas investiert worden. Und nun stünden wir immerhin vor der größten energietechnischen Herausforderung seit Beginn der Industrialisierung. Was das konkret heißt, sprengt trotzdem ein bisschen die Vorstellungskraft. Zur flächendeckenden Erkundung der Geothermie müssten in den kommenden zwei Jahrzehnten landesweit um die 10 000 Probebohrungen niedergebracht werden. Das wären umgerechnet 500 pro Jahr, jeden Tag mindestens eine neue. Die einzige Branche, die dazu technisch im Stande wäre, ist die Ölindustrie. Ob aber deren Bohrtrupps vor Ort immer und überall willkommen wären, ist eine Frage, die nicht zuletzt Politiker umtreibt.
Der Verdacht
Für Wissenschaftler und Experten ist der Untergrund zu unseren Füßen nur ein weiterer Forschungsraum. Er birgt Rohstoffe, die sich nutzen lassen: Gesteine, Minerale, Kohle, Öl und Gas. Um an diese Bodenschätze zu gelangen, wurden ausgefeilte Techniken entwickelt. Am Ende läuft es fast immer auf eine Bohrung hinaus. Aber jede Bohrung bringt Gefahren mit sich, wie der Fall Staufen im Breisgau zeigt, auch in der Geothermie. Der bislang schwerste Unfall ereignete sich im November 2017 in der südkoreanischen Großstadt Pohang. Mehr als 100 Menschen wurden verletzt, fast 60 000 Gebäude beschädigt, etwa 1700 davon mussten abgerissen werden. Ursache war ein Erdbeben der Stärke 5,5, ausgelöst durch eine Bohrung nach dem Hot-Dry-Rock-Verfahren. Geologen sprechen in solchen Fällen von »induzierter Seismizität«.
Das hat es immer wieder gegeben in der Geschichte des Bergbaus. Der erste dokumentierte Gebirgsschlag ereignete sich 1552 in Annaberg im Erzgebirge. Im Ruhrgebiet wurde Anfang des 20. Jahrhunderts ein erstes Überwachungssystem für menschengemachte Erdbeben eingerichtet. Im Pott ist man Bergschäden gewöhnt. Auch in der Provinz Groningen in den benachbarten Niederlanden gehören kleine Beben und Gebäudeschäden bis heute zum Alltag. Dort liegt in 3000 Meter Tiefe das größte Gasfeld Westeuropas. Die Förderung sollte eigentlich bald auslaufen, doch nun wird sie wohl verlängert.
Ingrid Stober kennt alle diese Beispiele. Die Geothermie-Expertin von der Universität Freiburg verfolgt das Geschehen seit Jahrzehnten. »Die Bürger sind verunsichert«, sagt sie. Die schwerste Aufgabe sei es, Vertrauen zurückzugewinnen. »Und das geht nicht hoppla hopp.« Nach Stobers Beobachtung hat die Branche dazugelernt. Es gibt neue Regeln und Vorsichtsmaßnahmen. Das Unglück in Staufen hatte zur Folge, dass in Baden-Württemberg nicht mehr in den Gips gebohrt werden darf. Das Hot-Dry-Rock-Verfahren, wie es in Basel und Pohang angewandt wurde, ist in Deutschland so gut wie erledigt. Stattdessen sucht man Gesteine, die bereits von Natur aus zerklüftet sind und ein natürliches Wasserreservoir aufweisen, das sich ohne großen Druck fördern lässt. Zudem wollen die meisten Firmen heute hauptsächlich Wärme gewinnen und weniger Strom erzeugen.
So ist es auch im Breisgau geplant. 20 Megawatt Heizleistung könnte das geplante Werk bringen. Im Herbst soll die Standortsuche abgeschlossen sein. Bis die Anlage aber den Betrieb aufnehmen kann, gehen mindestens weitere fünf Jahre ins Land. Beim regionalen Energieunternehmen Badenova rechnet man fest damit, dass das Projekt zu Stande kommt. Die Voraussetzungen im südlichen Breisgau seien hervorragend, sagt Geschäftsführer Klaus Preiser. Im kommenden Mai erwartet er die Stellungnahme des Bürgerrats. Und wenn der Nein sagt? Stoppen könnten die Beteiligten das Vorhaben nicht, sagt Preiser. Aber von einem negativen Votum gehe er nicht aus. Seit Putin die Ukraine angegriffen hat, würden im Kundenservice der Badenova förmlich die Drähte glühen. Die Kunden wollen wissen, wann sie endlich Fernwärme beziehen können. Insofern hängt am Projekt im Breisgau auch die Frage, ob die Geothermie tatsächlich einen Beitrag liefern kann. »Da muss bald ein richtiger Erfolg her«, sagt Ingrid Stober. Sonst bekommt die Branche ein Glaubwürdigkeitsproblem.
Die Aussichten
Geht es um die oberflächennahe Geothermie, ist der Verbraucher schon heute Feuer und Flamme. Wärmepumpen für das Eigenheim sind momentan so gefragt, dass die Lieferanten nicht mehr hinterherkommen. Erdsondenfelder für die kommunale Versorgung haben wenig Akzeptanzprobleme; auch unter dem Berliner Reichstag ist eines installiert, das die schwankenden Temperaturen im Plenarsaal und in den Büros der Abgeordneten ausgleichen soll. Wenn es aber richtig zur Sache geht, wird der Bürger renitent. »Not in my backyard« heißt es dann, nicht bei mir – ein lohnendes Forschungsfeld für Sozialwissenschaftler.
Dabei böte die tiefe Geothermie eine reelle Chance. Unterhalb von 2000 Metern liegen die eigentlichen Reservoire. Man sollte meinen, dass sich nun alle darauf stürzen. Aber danach sieht es nicht aus. Selbst die Ampelregierung, die mit dem Versprechen einer fundamentalen Energiewende angetreten ist, hat sich bisher nur äußerst schmallippig geäußert. Im Koalitionsvertrag findet sich auf Seite 58 ein einziger Satz: »Wir wollen das Potenzial der Geothermie für die Energieversorgung unter anderem durch Verbesserung der Datenlagen und Prüfung einer Fündigkeitsrisikoversicherung stärker nutzen.« Eine Liebeserklärung ist das kaum. Auf Anfrage, ob man dazu nicht etwas mehr erfahren könne, teilt das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz bloß mit, man sei »in Gesprächen«. Und müsse sich erst einmal »mit anderen Ressorts abstimmen«. Das klingt nach einer ziemlich langen Bank. Und nicht so, als sei in nächster Zeit viel zu erwarten.
Rolf Bracke von der Fraunhofer-Einrichtung räumt ein, dass die Empfehlungen der Wissenschaftler »vielleicht ein bisschen spät gekommen sind«. Aber nicht einmal dann, wenn das Timing perfekt gewesen wäre, hätte man realistisch erwarten können, dass die jetzige Regierung im Handumdrehen 100 Milliarden Euro zur Förderung der Geothermie auspackt.
Denn die Skepsis sitzt fast genauso tief wie die planetarische Wärme. Bei den Bürgern sowieso, weil Ängste oft stärker wirken als die Versprechen der Techniker. Im Ruhrgebiet, wo jahrhundertelang Kohle abgebaut wurde, würden heute ganze Landschaften haushoch unter Wasser stehen, wenn nicht ständig abgepumpt würde. Eine »Ewigkeitsgarantie« haben die ehemaligen Bergwerksbetreiber abgegeben, dass es nie so weit kommt. Aber wer glaubt schon an die Ewigkeit?
Jedenfalls nicht die Bevölkerung, nicht die Politik – und schon gar nicht die Großindustrie. Die setzt inzwischen auf Sonne, Wind und Wasserstoff. Weil sich das vermutlich rechnet. Von der tiefen Geothermie erwartet niemand große Rendite. Erdenergie, könnte man sagen, bleibt in Deutschland bis auf Weiteres eine lauwarme Kartoffel. Zur Not genießbar. Aber auch nur dann.
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