Gequetschte Zustände: Schrödingers Kätzchen wächst
Das Gedankenexperiment von Schrödingers Katze ist eines der berühmtesten Beispiele für die Eigentümlichkeiten der Quantenphysik. Erwin Schrödinger, der für seine Arbeiten zur quantenmechanischen Wellenfunktion den Nobelpreis für Physik im Jahr 1933 erhielt, entwarf dieses Gedankenexperiment, um die nicht nur seiner Meinung nach äußerst seltsamen Konsequenzen dieser Theorie zu illustrieren.
Mit dem Beispiel eines bemitleidenswerten Kätzchens wollte Schrödinger die Eigenschaft von Quantensystemen verdeutlichen, sich gleichzeitig in zwei verschiedenen Zuständen befinden zu können. Nach seinem Gedankenexperiment ist eine Katze in einer undurchdringlichen Kiste eingesperrt, zusammen mit einer "Höllenmaschine", die aus einem radioaktiven Teilchen und einem Mechanismus mit giftigem Gas besteht. Zerfällt das Atom in einer bestimmten Zeit, so löst das den Mechanismus aus, der die Katze tötet. Sonst bleibt sie am Leben.
Nach den Gesetzen der Quantenmechanik kann sich ein Atom, solange es nicht beobachtet wird, in einer Überlagerung aus Zuständen befinden und damit zugleich zerfallen und nicht zerfallen sein. Dieses in unserer Alltagswelt und in der klassischen Physik völlig unvorstellbare Verhalten beruht auf so genannten Überlagerungszuständen. Ähnlich wie eine Welle kann auch ein Quantenteilchen beispielsweise gleichzeitig durch zwei verschiedene Spalte fliegen oder sich generell an verschiedenen Orten aufhalten. Schrödingers Schlussfolgerung: Wenn eine solche Überlagerung sich auch auf die Katze überträgt, sollte sie sich in einem Mischzustand befinden, solange niemand in die Kiste schaut. Sie wäre dann sowohl lebendig als auch tot.
Nun sind Katzen keine Quantensysteme und deshalb nicht in eine solche Überlagerung zu bringen. Es gibt mittlerweile aber viele Experimente, die solche "Schrödinger-Katzen-Zustände" im atomaren Bereich nachgewiesen haben. Jonathan Home und seinen Kollegen vom Institut für Quantenelektronik der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich ist es nun gelungen, die in gewisser Hinsicht bislang größte Schrödinger-Katze zu "züchten".
Ein Zustand nach links, der andere nach rechts
Sie sperrten hierfür zunächst ein Kalziumion in eine atomare Falle und fixierten es dort mit Hilfe passender Radiowellen. Dann kühlten sie das Ion mit Hilfe von Laserlicht herunter, bis es sich im niedrigsten Energiezustand befand. Mit Hilfe weiterer Laserstrahlen brachten sie das Ion daraufhin in einen Überlagerungszustand, wobei der eine Zustand nach links und der andere nach rechts ausgelenkt wurde. Das Kalziumion verhielt sich also wie eine Schrödinger-Katze, die sich zugleich rechts und links ihres ursprünglichen Aufenthaltsortes befand – und zwar 19-mal weiter voneinander entfernt, als es der eigentlichen Ausdehnung des Ions entspricht.
Diesen Effekt konnten die Forscher mit einem besonderen Trick noch deutlich verstärken, indem sie das Teilchen "zusammenquetschten". Auch dies beruht auf einer speziellen Eigenschaft der Quantenphysik. Nach ihren Gesetzen steht ein Atom auch im Grundzustand nie völlig still. Sowohl sein Ort als auch seine Geschwindigkeit können laut der Unschärferelation keinen ganz exakten Wert haben, sondern unterliegen unvermeidlichen Quantenfluktuationen.
Üblicherweise sind die Unschärfen im Ort und in der Geschwindigkeit gleich groß. Mit passenden Laserstrahlen lässt sich aber der Ort eines Atoms noch etwas genauer fixieren, wobei die Unschärfe in seiner Geschwindigkeit jedoch entsprechend zunimmt. Das erhöht die Trennung zwischen linkem und rechtem Zustand noch einmal deutlich.
Das Atom befindet sich weit von sich selbst entfernt
"Durch das 'Quetschen' wird der Effekt um einen Faktor drei stärker", sagt Jonathan Home. Damit vergrößerte sich der Abstand zwischen beiden Zuständen auf das 56-Fache der Ausmaße des Ursprungszustandes. Das eigentlich nur wenige Nanometer große Kalziumion befand sich nun sozusagen Hunderte von Nanometern von sich selbst entfernt, und zwar zugleich rechts und links.
"Diese Schrödinger-Katzen-Zustände sind die größten, die bislang erzeugt wurden", so Home, "zumindest in dem Sinn, dass ihre Wellenpakete um ein Vielfaches ihrer Breite voneinander entfernt sind."
Der experimentelle Aufbau hierzu benötigte einerseits eine sehr starke Abschirmung gegenüber äußeren Einflüssen. Die Forscher mussten eine ganze Reihe von Störquellen unter Kontrolle bringen. Zudem mussten sie ihre Laser extrem genau auf die passende Frequenz einstellen, mit der sie das Kalziumion in den Überlagerungszustand befördern konnten. Auch die Kühlmethode ist eine neue Entwicklung der Arbeitsgruppe.
Das Verfahren der Züricher Wissenschaftler könnte sich auch für den Bau neuartiger Quantencomputer nutzen lassen. Es ist relativ robust gegenüber Quantenfluktuationen, und der gequetschte Zustand hilft auch dabei, bestimmte Arten von Rauschen zu unterdrücken. Damit eignet sich der Aufbau prinzipiell auch für bestimmte Arten hochsensibler Messungen.
Mit diesem Experiment sind Schrödingers Kätzchen wieder ein bisschen größer geworden. Was Erwin Schrödinger dazu gesagt hätte, lässt sich nur vermuten: Er selbst konnte sich nämlich, ähnlich wie Einstein, nie mit den Eigenheiten der Quantenphysik anfreunden. Stattdessen wandte er sich später im Leben anderen Forschungsgebieten zu.
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