Genetische Mediävistik: Germanen unterwanderten britischen Genpool früh und ausdauernd
Das genetische Erbe der heutigen Engländer erklärt sich nicht durch mit Gewalt aufrechterhaltene Apartheitpolitik im Frühmittelalter, bei der eine kleine germanische Oberschicht von Invasoren die große Menge unterpriviligierter britischer Ureinwohner fortpflanzungstechnisch ausgestochen hat. Dies meint der Physiker John Pattison nach einer Neubewertung demografischer und historischer Belege aus dem Frühmittelalter.
Im fünften Jahrhundert nach der Zeitenwende war das von den Römern gerade verlassene Britannien von etwa zwei Millionen keltisch geprägten Briten bewohnt, wurde dann bis etwa 730 n. Chr. durch insgesamt nur Zehntausende bis höchstens wenige Hundertausend eindringender Germanen besiegt. Diese später als Angeln und Sachsen bezeichneten Invasoren setzten sich trotz zahlenmäßiger Unterlegenheit schließlich auch genetisch durch, wie Untersuchungen der Sequenzen im Y-Chromosom heutiger Engländer belegen. Der Grund hierfür ist unbekannt, zuletzt wurde aber eine gewaltsame Unterdrückung von Mischehen und eine Rassenpolitik zugunsten der germanischen Herrscher angenommen [1]. Diese Hypothese sei aber höchst fehlerhaft, weil sie unter anderem die Bedeutung früherer und späterer Einwanderungswellen über den Ärmelkanal sowie die Heterogenität der beteiligten Volksgruppen unterschätze, meint nun Pattison [2].
Der Forscher kommt zu diesem Urteil nach einer neuen Analyse von Wanderbewegungen sowie der Zusammensetzung und Kopfzahl von in Britannien siedelnden Volksgruppen seit vorrömischer Zeit. Zudem studierte er Grabfunde und Textstellen, welche die Gesellschaftsentwicklung im frühmittelalterlichen Proto-England beleuchten. Passagen des Kodex von König Ine von Wessex interpretiert Pattison zum Beispiel als Einladung an die Briten, sich in die germanische Gesellschaft einzugliedern; Mischehen seien demnach vielleicht sogar durchaus erwünscht gewesen. Andere Forscher hatten zuvor Stellen des zeittypisch drastischen Gesetzwerks als Belege für eine brutale Unterdrückung der Ureinwohner gewertet.
Zudem seien nicht nur zur Hochzeit der angelsächsischen Invasion Germanen auf die Insel gelangt, wie verschiedene Studien nahe legen. Schon in vorrömischen Zeiten siedelte etwa das germanisch-keltische Mischvolk der Belgae über den Kanal. Dann rekrutierten römische Besatzer germanische Hilfstruppen, die im Lauf von vier Jahrhunderten römischer Herrschaft häufig mit einheimischen fraternisierten und halblegitime Familien gründeten. Der spätere Abzug der Römer war zudem unorganisiert; große Teile der zuletzt unbesoldeten Soldaten blieben als Teile mobiler Söldnerarmeen im Land. Noch vor dem fünften Jahrhundert luden die Briten schließlich selbst germanische Militärhaufen als Schutztruppen gegen die Einfälle von Pikten, Skoten und Iren aus dem Norden und Westen ein. Alle diese Germanen haben ihre Spuren in den Genen der Briten hinterlassen, fasst Pattison zusammen.
Auch Grabfunde, die eine überragende Dominanz von Germanen gegenüber Briten im Frühmittelalter belegen sollen, lässt Pattison nicht gelten. Bislang war angenommen worden, dass viel häufiger frühe Angelsachsen mit wertvollen Grabbeigaben und Waffen bestattet worden sind, was ihren hohen gesellschaftlichen und ökonomischen Status bezeuge. Dies könnte allerdings ein Zirkelschluss sein, so Pattison, denn meist war früher die ethnische Herkunft von Bestatteten eben anhand der Masse Grabbeigaben bestimmt worden. Tatsächlich hätten aber Briten oft auch angelsächsische Begräbnisriten übernommen. Sie wären dann vielleicht fälschlich für reiche Germanen gehalten worden, die heute als Beweis dafür dienen, die Briten seien arm und unterpriviligiert, schlussfolgert Pattison.
Die "Briten", also die britische Urbevölkerung, setzt sich nach neuen Erkenntnissen aus schon in der Altsteinzeit auf die Inseln gekommenen Jägern und Sammlern zusammen, die sich mit später eintreffenden neolithischen Zuwanderern durchmischt haben; letztere brachten dabei wohl auch die urkeltische Sprache mit. Die späteren germanischen Invasoren der Inseln im frühen Mittelalter sind dagegen eine recht heterogene Gruppe von Nachkommen spätbronzezeitlicher Stämme aus Nordeuropa. Als Angelsachsen bezeichnen Forscher mittlerweile eher die aus Briten und Germanen entstandene Mischgruppe im frühen England. (jo)
Im fünften Jahrhundert nach der Zeitenwende war das von den Römern gerade verlassene Britannien von etwa zwei Millionen keltisch geprägten Briten bewohnt, wurde dann bis etwa 730 n. Chr. durch insgesamt nur Zehntausende bis höchstens wenige Hundertausend eindringender Germanen besiegt. Diese später als Angeln und Sachsen bezeichneten Invasoren setzten sich trotz zahlenmäßiger Unterlegenheit schließlich auch genetisch durch, wie Untersuchungen der Sequenzen im Y-Chromosom heutiger Engländer belegen. Der Grund hierfür ist unbekannt, zuletzt wurde aber eine gewaltsame Unterdrückung von Mischehen und eine Rassenpolitik zugunsten der germanischen Herrscher angenommen [1]. Diese Hypothese sei aber höchst fehlerhaft, weil sie unter anderem die Bedeutung früherer und späterer Einwanderungswellen über den Ärmelkanal sowie die Heterogenität der beteiligten Volksgruppen unterschätze, meint nun Pattison [2].
Der Forscher kommt zu diesem Urteil nach einer neuen Analyse von Wanderbewegungen sowie der Zusammensetzung und Kopfzahl von in Britannien siedelnden Volksgruppen seit vorrömischer Zeit. Zudem studierte er Grabfunde und Textstellen, welche die Gesellschaftsentwicklung im frühmittelalterlichen Proto-England beleuchten. Passagen des Kodex von König Ine von Wessex interpretiert Pattison zum Beispiel als Einladung an die Briten, sich in die germanische Gesellschaft einzugliedern; Mischehen seien demnach vielleicht sogar durchaus erwünscht gewesen. Andere Forscher hatten zuvor Stellen des zeittypisch drastischen Gesetzwerks als Belege für eine brutale Unterdrückung der Ureinwohner gewertet.
Zudem seien nicht nur zur Hochzeit der angelsächsischen Invasion Germanen auf die Insel gelangt, wie verschiedene Studien nahe legen. Schon in vorrömischen Zeiten siedelte etwa das germanisch-keltische Mischvolk der Belgae über den Kanal. Dann rekrutierten römische Besatzer germanische Hilfstruppen, die im Lauf von vier Jahrhunderten römischer Herrschaft häufig mit einheimischen fraternisierten und halblegitime Familien gründeten. Der spätere Abzug der Römer war zudem unorganisiert; große Teile der zuletzt unbesoldeten Soldaten blieben als Teile mobiler Söldnerarmeen im Land. Noch vor dem fünften Jahrhundert luden die Briten schließlich selbst germanische Militärhaufen als Schutztruppen gegen die Einfälle von Pikten, Skoten und Iren aus dem Norden und Westen ein. Alle diese Germanen haben ihre Spuren in den Genen der Briten hinterlassen, fasst Pattison zusammen.
Auch Grabfunde, die eine überragende Dominanz von Germanen gegenüber Briten im Frühmittelalter belegen sollen, lässt Pattison nicht gelten. Bislang war angenommen worden, dass viel häufiger frühe Angelsachsen mit wertvollen Grabbeigaben und Waffen bestattet worden sind, was ihren hohen gesellschaftlichen und ökonomischen Status bezeuge. Dies könnte allerdings ein Zirkelschluss sein, so Pattison, denn meist war früher die ethnische Herkunft von Bestatteten eben anhand der Masse Grabbeigaben bestimmt worden. Tatsächlich hätten aber Briten oft auch angelsächsische Begräbnisriten übernommen. Sie wären dann vielleicht fälschlich für reiche Germanen gehalten worden, die heute als Beweis dafür dienen, die Briten seien arm und unterpriviligiert, schlussfolgert Pattison.
Die "Briten", also die britische Urbevölkerung, setzt sich nach neuen Erkenntnissen aus schon in der Altsteinzeit auf die Inseln gekommenen Jägern und Sammlern zusammen, die sich mit später eintreffenden neolithischen Zuwanderern durchmischt haben; letztere brachten dabei wohl auch die urkeltische Sprache mit. Die späteren germanischen Invasoren der Inseln im frühen Mittelalter sind dagegen eine recht heterogene Gruppe von Nachkommen spätbronzezeitlicher Stämme aus Nordeuropa. Als Angelsachsen bezeichnen Forscher mittlerweile eher die aus Briten und Germanen entstandene Mischgruppe im frühen England. (jo)
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