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Physiologie: Die Entschlüsselung des Geruchssinns

Unser Geruchssinn reagiert auf etwa eine Billion verschiedene molekulare Verbindungen. Dahinter steht eine hochkomplexe molekulare Maschinerie, die Wissenschaftler jetzt nach und nach aufklären.
Welt der Düfte
Der natürliche Geruchssinn ist unvorstellbar komplex und enorm flexibel. Technische Systeme kommen bislang nicht an seine Leistungsfähigkeit heran.

Der Duft im Labor war neu. Und er erwies sich als überaus hartnäckig: Mehr als eine Woche lang haftete das Aroma an dem Papier, auf das es getupft worden war. Für Alex Wiltschko war es der Geruch des texanischen Sommers: ein angenehmer Hauch von Wassermelone. Oder genauer gesagt das Odeur jener Stelle, wo das rote Fruchtfleisch in die weiße Schale übergeht.

»Es war ein Molekül, das niemand je zuvor gesehen hatte«, erinnert sich Wiltschko. Der Forscher leitet ein Unternehmen namens Osmo mit Sitz in Cambridge, Massachusetts. Sein Team hat die chemische Verbindung mit der internen Bezeichnung 533 entwickelt – im Rahmen ihres großen Unterfangens, Gerüche zu verstehen und zu digitalisieren. Das Ziel lautet, ein System zu entwickeln, das Gerüche erkennen, vorhersagen und erzeugen kann. Doch der Weg dorthin ist steinig. »Schaut man sich die Struktur des Stoffs 533 an, würde man nie vermuten, dass er so riecht, wie er riecht«, sagt Wiltschko.

Damit spricht er eines der größten Probleme an, wenn es darum geht, die olfaktorische Wahrnehmung zu entschlüsseln: Die chemische Struktur eines Moleküls sagt fast nichts über seinen Duft aus. Zwei Chemikalien mit sehr ähnlichem Aufbau können höchst unterschiedlich riechen, und zwei sehr verschiedene Molekülstrukturen können einen fast identischen Geruch haben. Hinzu kommt, dass die meisten Düfte – Kaffee, Camembert, reife Tomaten und so weiter – sich aus den Aromen von dutzenden oder hunderten verschiedenen Verbindungen zusammensetzen.

Eine weitere Herausforderung besteht darin, herauszufinden, wie Gerüche zueinander in Beziehung stehen. Farben lassen sich entlang des elektromagnetischen Spektrums einteilen in Rot, Grün, Blau sowie zahllose Zwischenstufen. Töne haben ein Frequenzspektrum und eine Lautstärke. Aber für Gerüche gibt es keine eindeutigen Parameter. Wie lässt sich ein blumiger Geruch im Verhältnis zu einem süßlichen einordnen? »Es ist wirklich enorm schwierig, konkrete Aussagen über Gerüche zu treffen«, sagt Joel Mainland, Neurowissenschaftler am Monell Chemical Senses Center, einem unabhängigen Forschungsinstitut in Philadelphia, Pennsylvania.

Hunderte Typen von Sinneszellen

Tiere, einschließlich des Menschen, haben ein bemerkenswert komplexes Decodiersystem für Gerüche entwickelt. Während das menschliche Auge gerade einmal drei Arten von Rezeptorzellen aufweist, um Licht zu verarbeiten, gibt es in der Nase 400 verschiedene Sorten von Geruchsrezeptoren. Wie diese Proteinkomplexe zusammenwirken, um eine bestimmte Wahrnehmung auszulösen, ist allerdings noch weitgehend ungeklärt. Denn es gestaltet sich schwierig, die Rezeptorproteine zu lokalisieren und zu analysieren, so dass sich über ihr Aussehen und ihre Funktionsweise bisher nur Vermutungen anstellen lassen.

Geruchsfühler | Olfaktorische Rezeptorzellen (orange) sind für unsere Geruchswahrnehmung verantwortlich. Es sind Neuronen mit langen Fortsätzen (rot), die in die Nasenhöhle ragen.

Dank der Fortschritte in der Strukturbiologie, der Datenanalyse und der künstlichen Intelligenz (KI) könnte sich das aber schon bald ändern. Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hoffen, dass die Entschlüsselung des Geruchssinns zu verstehen hilft, wie er Tiere bei der Nahrungs- oder Partnersuche unterstützt und wie er Gedächtnis, Emotionen, Stress und Appetit beeinflusst.

Manche Forschungsgruppen versuchen, den Geruchssinn vollständig zu digitalisieren, um neue Technologien zu entwickeln: etwa Geräte, die Krankheiten anhand von Gerüchen diagnostizieren, bessere Insektenschutzmittel und kostengünstigere beziehungsweise wirkungsvollere Substanzen für die 30 Milliarden Dollar schwere Duft- und Geschmackstoffindustrie. Mindestens 20 Start-up-Unternehmen arbeiten daran, so genannte elektronische Nasen (Geräte für die Erkennung von Düften) zu entwickeln, um sie im Gesundheitswesen oder im Bereich der öffentlichen Sicherheit einzusetzen.

Schwer durchschaubarer Geruchssinn

Ein paar Computermodelle gibt es bereits, die eine Verbindung zwischen der Struktur einer molekularen Verbindung und ihrem Duft herstellen. Frühe Versionen basierten jedoch meist auf recht kleinen Datensätzen und waren entsprechend unzuverlässig oder konnten nur dann Vorhersagen treffen, wenn die Gerüche auf die gleiche empfundene Intensität kalibriert worden waren. Im Jahr 2020 stellte eine Forschungsgruppe um Aharon Ravia vom Weizmann Institute of Science (Israel) ein Modell vor, das prognostizieren kann, wie sehr sich die wahrgenommenen Düfte verschiedener Substanzmischungen ähneln. Ihr Ansatz lieferte beispielsweise das korrekte Ergebnis, dass Rosen- und Veilchenduft einander mehr ähneln als jeder einzelne dem Aroma des scharfen Gewürzstoffs Asafoetida, einer häufigen Zutat der indischen Küche.

Erste Versuche, maschinelles Lernen für die Vorhersage von Düften einzusetzen, lieferten keine überragenden Resultate

Erste Versuche, maschinelles Lernen für solche Aufgaben einzusetzen, lieferten ordentliche, aber keine überragenden Resultate. Bei einem Wettbewerb mit dem Ziel, das beste Vorhersagemodell für Gerüche zu finden, konnten die von den 22 teilnehmenden Gruppen vorgestellten Algorithmen insgesamt nur 8 von 19 Geruchsempfindungen prognostizieren.

Im Jahr 2023 arbeitete Wiltschkos Team – damals noch Teil der KI-Forschungsabteilung von Google – mit Joel Mainland und weiteren Fachleuten vom Monell Chemical Senses Center zusammen, um mit Hilfe von künstlicher Intelligenz eine Landkarte für Gerüche zu entwickeln. Der Algorithmus wurde mit tausenden molekularen Strukturen aus Duftstoffkatalogen trainiert, zusammen mit den zugehörigen Sinnesempfindungen wie »fleischig« oder »blumig«. Anschließend verglichen die Forscher die Angaben des KI-Systems mit dem Geruchseindruck menschlicher Probanden. 15 Versuchsteilnehmer waren zuvor darauf trainiert worden, einige hundert verschiedene Aromastoffe anhand von 55 Attributen wie »rauchig«, »tropisch« oder »wachsartig« zu bewerten.

Beschränkter Wortschatz

Menschen tun sich mit dieser Aufgabe schwer, weil Gerüche enorm subjektiv sind. »Es gibt hier keine universellen Wahrheiten«, sagt Mainland. Den meisten menschlichen Geruchsbeschreibungen fehle es zudem an Details. Für eine der Proben wählten Teilnehmer die Attribute »scharf, süß, geröstet, buttrig«. Ein Parfümeur, der denselben Geruch schildern sollte, notierte »Skihütte, Kamin ohne Feuer«. »Daran erkennt man die enorme Kluft zwischen subjektiven Duftempfindungen«, sagt Mainland, »unser Wortschatz reicht nicht aus, um sie umfassend zu beschreiben.« Gleichwohl ordnen Gruppen von menschlichen Testern einen Geruch im Durchschnitt meist recht ähnlich ein.

»Unser Wortschatz reicht nicht aus, um Duftempfindungen umfassend zu beschreiben«Joel Mainland, Neurowissenschaftler

Tatsächlich konnte die KI den olfaktorischen Eindruck chemischer Verbindungen allein anhand ihrer molekularen Struktur verlässlich vorhersagen (siehe »Gleiches und Unterschiedliches«) und kam zu objektiveren Beschreibungen als typische menschliche Probanden. Und obwohl die von ihr erstellte Duftkarte sehr kompliziert ist – sie hat mehr als 250 Dimensionen –, kann sie Gerüche nach bestimmten Typen gruppieren, etwa fleischig, alkoholisch oder holzartig.

Gleiches und Unterschiedliches | Chemische Substanzen mit ähnlicher molekularer Struktur können sehr unterschiedlich riechen. Umgekehrt gibt es Stoffe, die strukturell stark voneinander abweichen, aber weitgehend übereinstimmende Gerüche haben. Fachleute haben eine künstliche Intelligenz darauf trainiert, den Duft einer Substanz aus ihrem molekularen Aufbau abzuleiten. Die KI lieferte in etwa jedem zweiten Fall eine korrekte Vorhersage – das ist ziemlich gut.

Joel Mainland ist davon überzeugt, dass vor allem die maschinelle Gründlichkeit des Algorithmus zu dessen überzeugender Leistung beiträgt. Menschen würden einen Geruch beispielsweise als fruchtig einstufen, dabei aber vergessen, ihn obendrein als süß einzuordnen. Dem Computermodell passiere das nicht; es gehe jedes Mal sämtliche möglichen Klassifizierungen durch.

Die Mischung macht's

Sowohl das Monell- als auch das Osmo-Team arbeiten derzeit daran, ihre Modelle dahingehend zu verbessern, dass sie anhand der einzelnen Komponenten vorhersagen können, wie Stoffmischungen riechen. Außerdem wollen sie versuchen, neue Substanzen zu entwickeln – beispielsweise Chemikalien, die einen ganz bestimmten Duft imitieren, oder solche, die weniger gefährlich oder nachhaltiger in der Herstellung sind als derzeit verwendete Geruchsstoffe.

Der KI-Algorithmus allein könne dies wahrscheinlich nicht leisten, sagt Jane Parker, Chemikerin an der University of Reading in Großbritannien, die an den Forschungsarbeiten beteiligt war. »Das Computermodell kann eine grobe Vorstellung davon vermitteln, welche chemischen Verbindungen funktionieren könnten«, erläutert sie. Aber das Fachwissen und der Einfallsreichtum menschlicher Chemiker und Duftprüfer – mit ihren gut trainierten Nasen – blieben weiterhin unverzichtbar.

Biologisch betrachtet sind alle Menschen mit dem gleichen Geruchserkennungsapparat ausgestattet. Die Nase enthält Millionen von Nervenzellen, von denen jede typischerweise nur eine Art von Geruchsrezeptor (englisch: Odorant Receptor, abgekürzt OR) ausprägt. Die Genfamilie, die diese Rezeptoren hervorbringt, ist in den frühen 1990er Jahren entdeckt worden, was der Neurophysiologin Linda Buck und dem Mediziner Richard Axel im Jahr 2004 den Medizin-Nobelpreis einbrachte.

Jeder dieser Rezeptortypen kann einen oder mehrere Geruchsstoffe erkennen – und jeder Geruchsstoff kann mehr als einen Rezeptor stimulieren. Gemeinsam reagieren die rund 400 menschlichen ORs auf etwa eine Billion verschiedene molekulare Verbindungen. Es ist ein unvorstellbar komplexes und hoch flexibles System – und das muss es auch sein. Denn die Natur hält ein unglaublich breites Spektrum chemischer Verbindungen parat, wie Aashish Manglik betont, Biochemiker an der University of California in San Francisco. »Die Bandbreite der Chemikalien, die Gerüche erzeugen, ist enorm.«

Widerborstige Proteine

Ein wichtiger Schritt, um den Code des Geruchssinns zu knacken, ist zu wissen, wie seine Rezeptoren aussehen und auf welche Weise sie Chemikalien erkennen. Doch das zu erforschen, war bisher schwierig. »Aus labortechnischer Sicht sind Geruchsrezeptoren die widerspenstigsten Proteine, die man sich vorstellen kann«, sagt Manglik. Viele dieser Eiweiße seien zu instabil, um im Labor hergestellt und analysiert zu werden.

»Aus labortechnischer Sicht sind Geruchsrezeptoren die widerspenstigsten Proteine, die man sich vorstellen kann«Aashish Manglik, Biochemiker

In den Jahren 2018 und 2021 haben Forschungsteams die Strukturen zweier ORsaus Insekten entschlüsselt. Die beiden Rezeptoren seien zwar völlig anders aufgebaut als jene von Säugetieren. Die olfaktorische »Logik« aber, nach der sie funktionieren und miteinander kommunizieren, dürfte vergleichbar sein, sagt die Neurowissenschaftlerin Vanessa Ruta, in deren Labor an der Rockefeller University in New York die beiden Proteinkomplexe analysiert worden sind.

Die Aufklärung zweierweiterer Rezeptorstrukturen, diesmal aus dem Geruchssystem von Mäusen, folgte im Jahr 2023. Beide reagieren auf Chemikalien mit unangenehm fischigen, moschusartigen oder fauligen Gerüchen – viele davon Schlüsselbestandteile in Körperausdünstungen von Tieren.

Vom Nager zum Menschen

Ebenfalls im Jahr 2023 gelang es Manglik zusammen mit weiteren Forscherinnen und Forschern, die erste Proteinstruktur eines menschlichen Geruchsrezeptors zu entschlüsseln. Nachdem sie sich mit vielen verschiedenen Rezeptormolekülen der Nase befasst hatten, stießen Manglik und seine Kollegen auf einen OR, der auch außerhalb des Riechorgans reichlich hergestellt wird, nämlich im Darm und in der Prostata, und der sich daher in den gängigen Laborzelllinien leichter produzieren lässt. Der Rezeptor namens OR51E2 reagiert auf die Chemikalie Propionat, die einen stechend käsigen Geruch hat.

Mit Hilfe der Kryo-Elektronenmikroskopie untersuchte das Team, wie OR51E2 mit einer kleinen Molekültasche Propionat einfängt und wie diese Bindung die Form des Rezeptors verändert und darüber hinaus Informationen transportiert. Zu sehen, was dabei strukturell passiert, »war wirklich aufregend«, wie die Nobelpreisträgerin Linda Buck betont, die sich am Fred Hutchinson Cancer Center in Seattle mit den neurowissenschaftlichen Grundlagen des Geruchssinns beschäftigt. Hiro Matsunami, Biologe an der Duke University in Durham, North Carolina, der zusammen mit Manglik an der Studie zu OR51E2 gearbeitet hat, merkt jedoch an, OR-Moleküle könnten so viele Geruchsstoffe erkennen, dass »die Struktur eines einzelnen derartigen Moleküls uns nicht viel sagen kann«.

Matsunami und sein Team haben nicht nur versucht, unterschiedliche Sorten von ORs zu züchten, sondern auch, die Rezeptoren zu modifizieren und so deren Funktion besser zu verstehen. Sie kombinierten OR51E2 mit Molekülfragmenten von zwei Dutzend ähnlichen Rezeptoren. Dabei glichen sie deren Aminosäuresequenzen untereinander ab und ermittelten für jede Position in der Kette die dort jeweils am häufigsten vorkommende Aminosäure. Auf diese Weise erstellten sie eine »Konsensstruktur«, quasi den Bauplan eines Durchschnittsrezeptors, den sie dann von Zellen herstellen ließen. Als sie ihn mit dem echten Rezeptor OR51E2 verglichen, stellten sie keine Unterschiede fest – weder in der Form noch in der Funktion.

Zwei Arten, nach Menthol zu duften

Als Nächstes versuchten die Fachleute, einen weiteren Durchschnittsrezeptor auf Basis des Moleküls OR1A1 zu bauen. Dieser erkennt eine breite Palette von Geruchsstoffen, darunter einige, die fruchtig, blumig und minzig riechen. Mit Hilfe eines Computermodells untersuchten die Fachleute, wie OR1A1 zwei verschiedene Substanzen an sich bindet, die beide nach Menthol duften. Es zeigte sich, dass die Substanzen an unterschiedliche Stellen des Rezeptormoleküls koppeln.

Eine einzelne Sorte von Geruchsrezeptor kann wahrscheinlich mehrere verschiedene Aromastoffe binden, aber auf jeweils unterschiedliche Weise

Das Team geht deshalb davon aus, dass eine einzelne OR-Sorte wahrscheinlich mehrere verschiedene Aromastoffe erkennen kann, aber auf jeweils unterschiedliche Weise. Dies würde helfen, die Komplexität des Geruchssinns zu erklären – zum Beispiel, warum unterschiedliche Chemikalien oft ähnlich riechen oder, umgekehrt, chemisch ähnliche Verbindungen sich im Duft häufig unterscheiden. Die Verbindung Carvon etwa gibt es in zwei Varianten, die spiegelbildliche Molekülstrukturen haben. Die eine davon riecht nach Minze, die andere nach Kümmel oder Dill. »Es muss einen molekularen Mechanismus geben, der das erklären kann«, sagt Matsunami.

Einige Fachleute setzen maschinelles Lernen ein, um die Suche nach Rezeptorstrukturen und den dazu passenden Liganden zu beschleunigen. Die bisher bekannten Geruchsmoleküle decken insgesamt nur etwa 20 Prozent aller menschlichen OR-Sorten ab. Das künstliche neuronale Netz »AlphaFold« beispielsweise, das Proteinstrukturen anhand von Aminosäuresequenzen vorhersagen kann, hat tausende potenzielle Strukturen von Säugetier-Geruchsrezeptoren vorgeschlagen. Matsunami und seine Arbeitsgruppe haben mit Hilfe von maschinellem Lernen und Modellierungsansätzen mehrere Millionen Verbindungen daraufhin untersucht, welche von ihnen an zwei bestimmte OR-Strukturen binden könnten. Eines der dabei gefundenen Moleküle riecht nach Orangenblüten, ein anderes stark nach Honig.

Das Ziel solcher Arbeiten laute, Daten von hunderten ORs und ihren Aktivierungsmechanismen im Zusammenspiel mit Millionen verschiedenen Duftstoffe zu sammeln, sagt Manglik.

Rätselhafte Hirntätigkeit

Sobald die Geruchsrezeptoren die Anwesenheit eines Duftmoleküls registriert haben, wandert die Information in eine Hirnregion namens Riechkolben, die sich hinter dem Nasenrücken befindet. Von dort läuft sie weiter in den olfaktorischen Kortex, eine Struktur in der Großhirnrinde, die Geruchswahrnehmungen verarbeitet. Die vorgelagerten neuronalen Verschaltungen des Geruchssinns, bevor das Signal in die Großhirnrinde gelangt, kennen Fachleute inzwischen ziemlich gut – insbesondere bei ausgiebig erforschten Modellorganismen wie Taufliegen und Mäusen. Der olfaktorische Kortex hingegen kommt immer noch einem Rätsel gleich. »Es ist schwierig, herauszufinden, was dort passiert«, sagt Buck.

Immer der Nase nach geht es in dieser Kolumne von Geruchsexperte Hanns Hatt von der Ruhr-Universität Bochum und der Autorin Regine Dee. Riechen spielt im Reich der Tiere und Pflanzen eine zentrale Rolle bei der Kommunikation, und auch wir Menschen können uns der Macht der Düfte nicht entziehen. Alle Folgen dieser regelmäßig erscheinenden Kolumne finden Sie hier.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler möchten verstehen, wie die von den Geruchsrezeptoren stammenden Informationen im Gehirn organisiert und nach welchen Regeln sie verarbeitet werden. Wüsste man das, könnte man ein Tier dazu bringen, einen bestimmten Geruch wahrzunehmen, ohne ihm den zugehörigen Duftstoff vorzusetzen. Und zwar, indem man das Erregungsmuster nachbildet, das dieser Stoff im Gehirn erzeugt, erläutert Dmitry Rinberg, der als Neurowissenschaftler an der New York University forscht.

Sandeep Robert Datta, Neurowissenschaftler an der Harvard Medical School in Boston, Massachusetts, nennt eine weitere große Unbekannte. Nämlich, wie das olfaktorische System mit anderen wichtigen Hirnstrukturen zusammenarbeitet – etwa jenen, die Bewegungen steuern oder für räumliche Orientierung sorgen. Mehrere Arbeitsgruppen, darunter Dattas eigene, versuchen herauszufinden, wie Tiere aktiv Gerüche wahrnehmen und welcher Mechanismus dafür sorgt, dass sie sich auf Düfte zu- oder von ihnen wegbewegen.

Kerbtiere gewähren umfassende Einblicke

Bei Insekten ist es bereits bis zu einem gewissen Grad möglich, den Zusammenhang zwischen Geruch und Verhalten zu untersuchen. Anhand von Taufliegen beispielsweise lässt sich erforschen, wie die chemische Struktur von Duftmolekülen, die Geruchsrezeptoren und das Gehirn zusammenwirken. »Insekten bieten die Möglichkeit, das komplette Spektrum dieser Vorgänge zu erfassen«, sagt Ruta.

Der Geruchssinn der Sechsbeiner ist auch für die menschliche Gesundheit bedeutsam. Moskitos haben sich evolutionär darauf spezialisiert, Menschen zu erschnüffeln, und viele Kerbtiere ernähren sich von Pflanzen, auf die der Mensch angewiesen ist. Im November 2023 gab Osmo bekannt, mit 3,5 Millionen Dollar von der Bill-&-Melinda-Gates-Stiftung gefördert zu werden. Das soll die Entdeckung und Herstellung chemischer Verbindungen ermöglichen, mit denen sich krankheitsübertragende Insekten anlocken, abwehren oder vernichten lassen.

Das Detektieren von Düften hat sich zu einem umsatzstarken Geschäft entwickelt

Das Detektieren von Düften hat sich zu einem umsatzstarken Geschäft entwickelt. Für einschlägige Anwendungen gibt es bereits »elektronische Nasen« im Handel zu kaufen. Einige dieser Geräte sind dafür konstruiert, problematische Odeure in Lebensmitteln oder Abwässern zu erkennen. Sie werden intensiv daraufhin untersucht, ob sie sich als Diagnosewerkzeuge für Krankheiten wie Tuberkulose, Diabetes und verschiedene Krebsarten eignen.

Ungeschlagene Natur

Natürliche Nasen sind in ihrer Leistungsfähigkeit allerdings immer noch unerreicht. Und selbst ohne umfassendes Verständnis davon, wie das Gehirn Gerüche verarbeitet, lassen sich biologische Riechorgane zum Detektieren von Chemikalien nutzen – sei es bei sicherheitsrelevanten Anwendungen oder im Gesundheitswesen. Das klassische Beispiel hierfür sind Spürhunde, die Sprengstoffe oder Drogen finden sollen. Diese Tiere sind sehr nützlich, aber ihr Training verschlingt viel Geld und sie können nur bestimmte Substanzen aufspüren.

Dmitry Rinberg und sein Team möchten die tierische und die elektronische Geruchserkennung miteinander kombinieren. Sie haben eine Nasen-Computer-Schnittstelle für Mäuse entwickelt, die mit Hilfe von Elektroden die Signale aus dem Riechkolben aufzeichnet, wenn die Nager bestimmte Substanzen erschnüffeln. Auf diese Weise können die Forscher jedem Duft ein neuronales Aktivitätsmuster zuordnen und dieses Muster anschließend zur Erkennung des Geruchs nutzen. Das entsprechende Messverfahren wird nun von einem Start-up-Unternehmen entwickelt. Es bietet die Präzision des tierischen Geruchssinns, ohne dass die Tiere darauf trainiert werden müssen, bestimmte Reaktionen zu zeigen, wenn sie ein Odeur wahrnehmen. »Die biologische Nase ist der beste Chemikaliendetektor«, sagt Rinberg, »sie ist von technischen Sensoren nur schwer zu schlagen.«

Trotz alldem träumen viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von fortgeschrittenen digitalen Geruchssensoren. »Heutige Smartphones bieten Funktionen wie die Bild- und Audioerkennung«, sagt Ruta, »aber für Duftsignale gibt es nichts Vergleichbares.« Gäbe es ein entsprechendes technisches System, wäre die Nachfrage danach riesengroß.

Obwohl sie mittlerweile ein tief gehendes Verständnis davon erlangt haben, wie biologische Nasen funktionieren, haben die Fachleute noch viele offene Fragen. Die einfachste davon könnte gleichzeitig die am schwersten zu beantwortende sein, meint Linda Buck. »Es wäre schön zu wissen, wie wir bestimmte Düfte mit entsprechenden Vorstellungen verknüpfen«, sagt sie. Wie zum Beispiel erzeugt das Gehirn, jenseits der Nase, die Wahrnehmung einer Rose – und wie unterscheidet es sie vom Wesen eines Fischs? »Wie geschieht das? Das weiß niemand«, sagt die Nobelpreisträgerin. »Wir haben noch nicht die Techniken, um das herauszufinden.«

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  • Quellen

Akdel, M. et al.: A structural biology community assessment of AlphaFold2 applications. Nature Structural & Molecular Biology 29, 2022

Jabeen, A. et al.: Machine learning assisted approach for finding novel high activity agonists of human ectopic olfactory receptors. International Journal of Molecular Sciences 22, 2021

Keller, A. et al.: Predicting human olfactory perception from chemical features of odor molecules. Science 355, 2017

March, C.A. et al.: Engineered odorant receptors illuminate structural principles of odor discrimination. bioRxiv, 2023

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