Geruchswahrnehmung: Jäger beschreiben Düfte treffender
Jeder Laie weiß nach dem Besuch einer Wein- oder Whiskeyprobe, dass ein allgemein nachvollziehbares Benennen von Duft- und Geschmackseindrücken gelernt sein will und schnell peinlich endet. Anders gesagt: Viele scheitern dabei recht kläglich. Deutlich besser gelingt das regelmäßig den Mitgliedern von einigen, längst aber nicht allen Volksstämmen, die viel Zeit in der freien Natur verbringen. Woher kommen diese überraschenden Unterschiede, fragten sich die Forscherinnen Asifa Majid und Nicole Kruspe aus den Niederlanden – und stellen nach Feldforschung in Malaysia nun ein paar Hypothesen in "Current Biology" vor. Die Quintessenz ihrer Überlegungen: Zumindest im Malaysia kann – offenbar vor allem aus kulturellen Gründen – eine Gruppe von Jägern und Sammlern Gerüche gut beschreiben, während ein nahe verwandter Stamm von Bauern aus der gleichen Gegend genauso scheitert wie der typische Mitteleuropäer.
Als bekannt auffällige Ausreißer standen zunächst die Angehörigen der Jahai im Zentrum der Studie: Die auf der Malaien-Halbinsel in Thailand und Malaysia heimischen Jäger und Sammler waren schon bei früheren Verhaltensstudien aufgefallen, weil sie Gerüche ebenso problemlos im Alltag benennen wie andere Menschen sonst etwa nur Farbtöne. Fraglich blieb aber, warum ausgerechnet die Jahai diese Fähigkeit entwickeln konnten: Liegt es an spezifischen Anforderungen ihrer Heimat im tropischen Regenwald, ihrer womöglich besonders geeigneten Sprache – einem Mon-Khmer-Dialekt – oder vielleicht an einem typischen Aspekt ihrer Lebensweise? Um diese Faktoren auseinanderzuhalten, verglichen Majid und Kruspe per Olfaktometertest nun weitere Kleingruppen der Malaien-Halbinsel mit unterschiedlichen Sprachen und Lebensweisen: die Wildbeuter der Semaq Beri mit den Waldbauern der Semelai, die sich alle wie die Jahai in einer Mon-Khmer-Sprache unterhalten.
Am Ende sticht eine Auffälligkeit hervor, die andere Forscher an anderen Orten der Welt auch schon beobachtet hatten: Aus unbekannten Gründen scheint vor allem ein Dasein als Jäger und Sammler die Geruchswahrnehmung zu fördern. Das passt etwa zu früheren Befunden, nach denen die Maniq in Thailand – ebenfalls ein Jäger- und Sammlerstamm – mit den Jahai in puncto Duftsensitivität mithalten können. Spannenderweise geht die bessere Wahrnehmung von Gerüchen häufig mit einer weniger guten Unterscheidung von Farbnuancen einher: Viele Jäger- und Sammlervölker unterteilen die Farbskala gerade einmal in schwarz, weiß sowie rot und erweitern dieses grobe Muster nur dezent.
Die verfeinerte Geruchswahrnehmung könnte genetische Grundlagen haben, etwa in den dynamisch veränderbaren Genen der olfaktorischen Rezeptoren; dies sei aber nicht unbedingt entscheidend, meinen die Forscherinnen, denn eine subtilere Wahrnehmung von Gerüchen führe nicht notwendigerweise dazu, sie im Alltagsgebrauch auch exakter zu benennen. Die Grundlage hierfür sei eher kulturell, spekulieren Majid und Kruspe. Nahe liegen würde, dass der Lebensraum der Menschen einen Einfluss hat: Im eher dunklen Regenwald mit seiner enormen Artenvielfalt ist der optische Sinn womöglich weniger entscheidend als der olfaktorische. Dazu passt allerdings schlecht, dass in einigen früheren Untersuchungen Jägerkulturen aus ganz unterschiedlichen Lebensräumen im Geruchstest besser als anders lebende Nachbarn abschneiden – und ebenfalls solche Wildbeuter, die in Wüsten statt im Regenwald leben.
Warum ausgerechnet der Geruchssinn beim Jagen und Sammeln geschärft ist, bleibt also unklar. Eingesetzt wird diese Fähigkeit zu vielerlei Zwecken, was einer weiteren Differenzierung dann Vorschub leistet. So reden und agieren die olfaktorisch avancierten Jäger und Sammler auch häufiger im Kontext einer Geruchswelt: etwa bei religiösen Handlungen der Jahai, bei denen Geister mit ganz typischen Duftstoffen angelockt oder ferngehalten werden, oder beim Aufstellen eines Tabus der Semaq Beri, bei denen Brüder und Schwestern nicht nebeneinander sitzen dürfen, weil die Vermischung ihres Körperdufts als Inzest gilt. Somit, meinen die Forscherinnen, fördern dann kulturelle Aspekte die verbesserten sensorischen Fähigkeiten nachhaltig.
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