21. Berliner Kolloquium der Daimler und Benz Stiftung: Die kulturelle Bedeutung der Raumfahrt
"Was in einem engeren Gesichtskreise, in unserer Nähe, dem forschenden Geist lange unerklärlich blieb, wird oft durch Beobachtungen aufgehellt, die auf einer Wanderung in die entlegensten Regionen angestellt worden sind." (Alexander von Humboldt)
Die Reise in den Weltraum ist nicht nur eine technische Höchstleistung, sondern auch die Konsequenz der mathematischen Naturwissenschaft. Im Gefolge von Renaissance und Aufklärung entdeckten Galilei und Newton, dass das Buch der Natur in mathematischer Sprache geschrieben ist – es ist dieses Buch, das bis heute den harten Kern der wissenschaftlich-technischen Zivilisation und Kultur des neuzeitlichen Europas bildet.
Technologie erwächst aus der mathematischen Naturwissenschaft und entfaltet sich mit ihr symbiotisch. Damit wurde auch die Befahrung des Weltalls möglich – die Verwirklichung eines alten Traums. Im 20. Jahrhundert ließ sie Menschen alle Planeten unseres Sonnensystems per Raumsonde erkunden und Fuß auf den Mond der Erde setzen. Zwar waren es in den 1950er und 1960er Jahren vorwiegend strategische und ideologische Interessen, welche die Erschließung des Alls einläuteten. Doch die Wurzeln der Raumfahrt reichen tiefer.
Zunächst ist die Reise zu anderen Himmelskörpern gewissermaßen die natürliche Fortsetzung der Erkundung unseres Planeten. So gesehen begann die Exploration des Sonnensystems schon vor Jahrhunderten. Im Jahr 1497 umfuhr Vasco da Gama (1469-1524) das Kap der guten Hoffnung, die Südspitze Afrikas. Christoph Kolumbus landete 1492 in der Karibik vor der Küste Amerikas, und Ferdinand Magellan (1480-1521) und James Cook umrundeten im 16. beziehungsweise 18. Jahrhundert mit ihren Schiffen die Erde.
Raketenflug und Weltraumtechnik erscheinen auf den ersten Blick wie andere Technologien. Aber sie haben von ihrer ursprünglichen Motivation, ihrer Ideengeschichte und gedanklichen Vorwegnahme von Realität in der Sciencefiction-Literatur eine tief in der menschlichen Neugier verhaftete Komponente. "Wir möchten wissen, was jenseits der Grenze unseres Wissens ist. Dieses Verlangen kennzeichnet den Menschen", schrieb einmal der Physiker und Naturphilosoph Carl Friedrich von Weizsäcker. Rainer E. Zimmermann und Ernst Sandvoss bezeichnen die Raumfahrt gar als "zwangsläufige Konsequenz der menschlichen Neugier". Mitnichten ist sie das, was ihre Kritiker gerne aus ihr machen: Sie ist weder eine Kopfgeburt von ingenieurtechnischem Enthusiasmus noch eine Weiterentwicklung der Artillerie mit dem Ziel des interkontinentalen Beschusses (Zimmermann und Sandvoss, 2004).
Wir möchten wissen, was jenseits der Grenze unseres Wissens ist. Dieses Verlangen kennzeichnet den Menschen
Carl Friedrich von Weizsäcker, Physiker und Philosoph
Letztlich lässt die Raumfahrt eine Vision Albert Einsteins (1879-1955) Wirklichkeit werden – die einer "Astro"-Physik: die Rekonstruktion "der Geschichte des Kosmos im Licht der Naturgesetze, gestützt auf Beobachtungen mit bodengebundenen und satellitengetragenen Teleskopen, die zurückreichen bis an den Rand des expandierenden Weltraums". Diese Leitidee formulierte schon so ähnlich Immanuel Kant (1724-1804): "Den Zusammenhang gewisser jetziger Beschaffenheiten der Naturdinge mit ihren Ursachen in der älteren Zeit nach Wirkungsgesetzen, die wir nicht erdichten, sondern aus den Kräften der Natur, wie sie sich uns jetzt darbietet, ableiten, … das wäre Naturgeschichte, die Aufgabe des Archäologen der Natur."
Der Traum vom Himmelsflug
Im Grunde reichen die Wurzeln der Raumfahrt noch viel weiter zurück. Seit frühester Zeit ist das Bemühen der Menschen dokumentiert, Astronomie zu betreiben, also die Gesetze des Himmels und seiner Objekte zu erforschen. Obwohl unsere Urahnen den Himmel als eine scheinbar geschichtslose Sphäre wahrnahmen, schrieben sie ihm bereits eine räumliche Weite unbekannter Distanz zu. Und nicht nur das: Früher war der Himmel belebt und die Heimat der Götter; Sterne und Planeten hatten göttliche Funktionen. Götterwesen sanktionierten die politische Macht und waren für die Jahreszeiten verantwortlich.
So wuchs schon sehr früh der Wunsch, in den Himmel zu fahren und sich dort der Legitimation der Allmächtigen zu versichern. Historisch lässt er sich mindestens bis zum mythischen Flug des sumerischen Königs Etana im ersten vorchristlichen Jahrtausend zurückverfolgen. Eine bei Ninive (Mossul) gefundene Tontafel berichtet sogar von dem angeblichen Himmelsflug von Assurbanipal aus der Zeit um 3000 v. Chr. Er soll dabei solche Höhen erreicht haben, dass Länder und Meere seinem Blick entschwanden.
Letztlich sollte es bis ins 15. Jahrhundert dauern, bis Gelehrte ein realistisches Bild des Weltraums entwickelten. Einerseits hoben Nikolaus von Kues (1401-1464) und Kopernikus (1473-1543) die auf der aristotelischen Kosmologie beruhende Trennung von sublunarer und supralunarer Sphäre auf, also des irdischen und des himmlischen Bereichs. Bald darauf setzte sich auch die Vorstellung durch, dass das Weltall ein unendlicher Raum euklidischer Geometrie ist, der von Sternen gleichmäßig erfüllt ist und in dem die Sonne nur ein Stern unter unzählbar vielen ist.
Die neue Weltoffenheit
Generell war das 16. Jahrhundert eine Zeit, in der eine neue Weltoffenheit Fuß fasste. Das heliozentrische Weltbild löste das geozentrische ab, und Ferdinand Magellan umsegelte die Welt. Rückblickend begann damals jene Wissenschaftsepoche, die Menschen schließlich in den Weltraum bringen sollte. Kurioserweise prägte kein Naturforscher, sondern der englische Lordkanzler Francis Bacon (1561-1626) das Programm der Wissenschaft im Sinne einer Erkundung des Unbekannten. Das Titelblatt seines Buchs "Novum Organum" (1620) zeigt ein Schiff, das durch die Säulen des Herkules, die Meerenge von Gibraltar, fährt. Die Bildunterschrift der allegorischen Darstellung ist zukunftweisend: "Multi pertransibunt et augebitur scientia (Viele werden hinausfahren, und die Wissenschaft wird wachsen)".
Der Weltraum beflügelte in dieser Epoche die Fantasie vieler Naturforscher, vor allem in Form technischer Utopien: Bereits 1608 hatte Johannes Kepler (1571-1630) eine Erzählung mit dem Titel "Somnium (Der Traum)" geschrieben, die 1634 postum veröffentlicht wurde. Darin beschreibt Kepler eine Reise zum Mond und erörtert die Frage, wie der Sternenhimmel sich von der Mondoberfläche darbietet. Auch Cyrano de Bergerac spekulierte um das Jahr 1650 in seinem zweiteiligen Roman "L'autre monde (Die andere Welt)" über eine Fahrt zum Mond und zur Sonne.
Mit Jules Verne begann die Reise zum Mond
Bevor die von Kepler und de Bergerac beschriebenen Reisen Realität werden konnten, musste jedoch die Frage geklärt werden, wie man sich im luftleeren Weltraum bewegen kann und wie sich ein Raumschiff aus dem irdischen Gravitationsfeld katapultieren lässt. Physikalisch denkbar machte den Satellitenflug im erdnahen All bereits die newtonsche Dynamik und Gravitationstheorie, publiziert im Jahr 1687.
Aber erst Mitte des 20. Jahrhunderts gelang die technische Umsetzung. Die Vorgeschichte der ersten bemannten Reise ins All durch Juri Gagarin (1934-1968) am 12. April 1961 beginnt allerdings nicht mit einem Raketeningenieur, sondern mit Jules Verne. Seine Reise "Von der Erde zum Mond" (1865) zeugt aus heutiger Perspektive von enormem Weitblick, zumal sie zum Teil auf physikalischen Grundlagen beruht. Man kann sie als Ausgangspunkt einer geraden Linie betrachten, die über Konstantin Ziolkowski (1857-1935), Robert H. Goddard (1882-1945), Hermann Oberth (1894-1989), Sergei Koroljow (1906-1966) und Wernher von Braun (1912-1977) direkt zur Weltraumtechnik der 1950er Jahre führt.
Rückzug der bemannten Raumfahrt
Im 20. Jahrhundert haben Menschen dann nicht nur den Mond betreten. Satelliten und Raumsonden erweiterten auch unsere Kenntnisse über den erdnahen Weltraum, über den interplanetaren Raum sowie über Planeten, Asteroiden und Kometen. Seit dem Ende des Apollo-Programms der NASA Anfang der 1970er Jahre hat sich die bemannte Raumfahrt allerdings in die erdnahe Umlaufbahn zurückgezogen. Im November 1998 startete die Internationale Raumstation ISS in den Erdorbit. Heutige Astronauten sind nicht mehr Forschungsreisende wie Roald Amundsen und Robert Scott, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts zum Südpol aufbrachen. Astronauten sind Wissenschaftler, Testobjekte für physiologische Untersuchungen sowie Mechaniker, wie beispielsweise die Reparatur des Hubble-Space-Teleskops zeigte.
Das ist auch praktischen Gründen geschuldet. Der Aufenthalt im Weltraum ist ohne ein mitgeführtes biotechnisches Habitat unmöglich. Auch die Naturgesetze setzen der Befahrung des Kosmos enge Grenzen. Daher erscheinen Forschungsexpeditionen zu den Planeten jenseits des Mars oder gar Expeditionen in den interstellaren Raum zu Planeten bei anderen Sternen auf absehbare Zeit unmöglich.
Der Wunsch nach authentischer Erfahrung
Doch der Wunsch nach authentischer Erfahrung bleibt. Oder wie es der Apollo-Astronaut Harrison H. Schmitt formulierte: "Nothing can prepare us for the emotions and perspectives of actual personal experience, the essential human ingredient in such experiences is: being there." Sinngemäß: Kein Foto kann uns auf ein tatsächliches Erlebnis vorbereiten. Auch wissenschaftlich gesehen sind Inspektionen am Ort des Interesses wichtige Ergänzungen zu den Messdaten von Raumsonden und Robotern. Generell werden Menschen immer wieder versuchen, die Grenzen ihres aktuellen Lebensraums zu überwinden, Grenzen und Möglichkeiten ihres Wissens und Seins, ihrer geistigen und physischen Existenz auszuloten und zu erweitern.
Dabei spielt die Raumfahrt auch in anderer Hinsicht eine Schlüsselrolle: Weltraumteleskope haben in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts einen Sternenhimmel sichtbar gemacht, der vorher großteils von der Erdatmosphäre verschleiert war. Ohne die Bilder der schwebenden Teleskope wie Spitzer, Chandra und Fermi wären unsere Informationen über den Kosmos immer auf den sichtbaren Bereich zwischen 400 und 800 Nanometern und auf die Radiostrahlung zwischen einem Millimeter und 30 Meter Wellenlänge beschränkt geblieben. Dabei liefert letztlich nur die Summe der Informationen aus allen Spektralbereichen ein Gesamtbild der galaktischen Evolution und des Universums.
Suche nach dem Ursprung
Durch die Erforschung des Kosmos hoffen wir, Ursprung, Aufbau und Entwicklung des Kosmos besser zu verstehen. Zugleich wollen wir Informationen über Herkunft, Bedeutung und Zukunft unserer Existenz erhalten. Eine wichtige Facette dieser Hoffnung ist die Frage, ob wir allein im Kosmos sind. Am liebsten würden wir nachsehen, indem wir zu anderen Sternen fliegen. Aber die Größe des Kosmos, die Lebensfeindlichkeit der extraterrestrischen Umwelt und die kurze individuelle Lebensspanne binden den Menschen an die Erde. Zumal Größe und Alter des Universums garantieren, dass andere Zivilisationen – sofern es noch weitere gibt – mit großer Wahrscheinlichkeit etliche Lichtjahre von uns entfernt leben.
Zwar reisen wir bereits jetzt durch den galaktischen Weltraum. Mit etwa 250 Kilometern pro Sekunde bewegen sich die Sonne und ihre acht Planeten auf einer Kreisbahn um das 27 000 Lichtjahre entfernte galaktische Zentrum. Und die Raumsonden Voyager 1 und 2 sowie Pioneer 10 und 11 befinden sich auf einem Kurs, der sie in den Raum jenseits des Sonnensystems führen wird. Mit einer derzeitigen Geschwindigkeit von etwa 20 Kilometern pro Sekunde würden sie aber mehr als 20 000 Jahre bis zu Proxima Centauri brauchen, dem nächsten, gerade einmal vier Lichtjahre entfernten Stern.
Nur wenn es gelänge, mit einem nennenswerten Bruchteil der Lichtgeschwindigkeit zu reisen, ließen sich die großen Distanzen im All in vertretbarer Zeit überwinden. Bei diesen hohen Geschwindigkeiten käme den Astronauten die von der Relativitätstheorie beschriebene Zeitdilatation zu Hilfe: Im Vergleich zu den Bewohnern auf der sich langsam durch die Galaxis bewegenden Erde würde ihre Lebensspanne verlängert. Allerdings wäre ein Astronautenteam bei seiner Rückkehr vom anderen Ende der Galaxis mit einem höchst veränderten Lebensraum konfrontiert. Es würde auf eine Erde zurückkehren, auf der die Raumfahrer nur noch als historische Figuren bekannt sind.
Die Naturwissenschaften als immaterielle Raumsonden
Es wird also auf lange Sicht bei der Erforschung unseres Sonnensystems bleiben. Für den Blick in größere Entfernung werden Menschen die Naturwissenschaften nutzen, vor allem die Physik. Ihre Formeln sind wie immaterielle Raumsonden, mit denen wir ein Stückchen über die Grenze unseres Vorstellungsvermögens hinaus in Bereiche der Wirklichkeit vorstoßen können, die uns sonst verschlossen bleiben. Beobachtungen von (Weltraum-)Teleskopen erweitern unseren Verständnishorizont und verfeinern unser mathematisches Bild des Kosmos. Die schon von Giordano Bruno im Jahr 1591 gestellte Frage: "Kann man mit den Flügeln des Geistes dorthin gelangen, wohin die Füße nicht tragen?" findet so gesehen eine Antwort in der heutigen Astrophysik.
Sie hat uns die faszinierende Vielfalt unserer Nachbarplaneten und Monde eröffnet, auch wenn sie uns zugleich deren Lebensfeindlichkeit vor Augen führt. Sie hat uns zahlreiche Erkenntnisse über die Entwicklung von Sternen und Sternsystemen geliefert. Mit Hilfe der Satellitenteleskope COBE, WMAP und Planck haben wir sogar das Nachglühen des Urknalls studiert. Insgesamt macht uns die Weltraumastronomie begreiflich, dass das Universum und seine Objekte einem fortlaufenden Prozess der irreversiblen Veränderung unterliegen.
In der öffentlichen Wahrnehmung haftet der Erforschung des Weltalls jedoch mitunter etwas Eskapistisches und sogar Wertloses an. Aber es gibt keine nutzlose Forschung. Der naturwissenschaftlich-technische Prozess, der unsere Zivilisation und Ökonomie trägt, ist nicht geradlinig, nicht planbar und zum Teil von langen Zeitskalen geprägt. Das Beispiel des globalen Satellitennavigationssystems GPS zeigt, dass physikalische Theorien mitunter erst viele Jahrzehnte nach ihrer Formulierung einen Nutzen bringen. Schließlich wäre Satellitennavigation undenkbar ohne Albert Einsteins Relativitätstheorie, die mittlerweile mehr als 100 Jahre alt ist.
Die Erforschung des Kosmos ist ein wichtiger Bereich der Grundlagenforschung. Wir möchten wissen, wo wir leben; wir möchten erkennen, woher wir kommen, wohin wir gehen
Reimar Lüst, Astrophysiker und ehemaliger Präsident der Max-Planck-Gesellschaft
Der Philosoph Jürgen Habermas hat diese Einsicht so formuliert: "Die modernen Wissenschaften erzeugen Wissen, das seiner Form, nicht der subjektiven Absicht nach technisch verwertbares Wissen ist, obwohl sich oft die Anwendungschancen erst nachträglich ergeben." Der langjährige Präsident der Max-Planck-Gesellschaft Reimar Lüst konkretisierte dies im Hinblick auf die Raumfahrt: "Die Erforschung des Kosmos ist ein wichtiger Bereich der Grundlagenforschung. Wir möchten wissen, wo wir leben; wir möchten erkennen, woher wir kommen, wohin wir gehen. Alle Erfahrung hat gezeigt, dass die Ergebnisse der Grundlagenforschung den 'Humusboden' bilden und ihn immer wieder erneuern, um Innovationen und technische Entwicklungen in Gang zu setzen." Fast jedes wissenschaftliche Weltraumprojekt erfordere von der Industrie technische Innovationen und stelle immer aufs Neue eine besondere Herausforderung an Physiker und Ingenieure dar, so Lüst.
Eine "kosmische" Verantwortung
Die Astronomie hat Milliarden von Sternen und Galaxien offenbart, sie hat außerdem tausende Planeten außerhalb unseres Sonnensystems aufgespürt – vermutlich gibt es allein in unserer Milchstraße Milliarden weitere. Wir sollten den Sinn der Welt und unserer Existenz daher nicht nur von der Erde aus beurteilen. Sollten wir die einzige Lebensform im Universum sein, die technische Kompetenz besitzt und die sich die Fragen nach dem Warum, Woher und Wohin des Universums stellt, käme uns eine "kosmische" Verantwortung zu. "Keiner kann aus dem Raumschiff Erde aussteigen. Wir müssen die Reise durchs All gemeinsam fortsetzen, ob uns alle Mitreisenden sympathisch sind oder nicht", brachte es der deutsche Astronaut Ulf Merbold auf den Punkt. In gemeinsam angewendeter Vernunft könnten wir sogar die Zukunft auf der Erde positiv gestalten – bis die weitere Entwicklung der Sonne unsere lebensfreundliche Oase zerstört.
Erst die Bilder der Erde aus dem Weltraum zeigen uns die Verlorenheit des Planeten Erde im Kosmos. Vor mehr als 40 Jahren formulierte der Astronaut Frank Borman beim Anblick unseres fahl-blauen Planeten: "Wenn du von da oben auf die Erde zurückblickst, verschwimmen alle diese Unterschiede und Nationalcharaktere, und du denkst, dass das vielleicht wirklich eine Welt ist und warum wir, zum Teufel noch mal, nicht lernen, wie anständige Leute zusammenzuleben." Der Blick auf die Erde von außen hat Spuren hinterlassen und den Horizont der Menschen zumindest peripher erweitert, aber bislang nicht wirklich als Impetus für eine Weltinnenpolitik gewirkt, die ihren Namen verdient.
Eine Kultur, die sich ihres Wertes bewusst bleibt, bleiben will, muss nach dem Wesen der Materie, nach dem Wesen des Universums, sie muss nach dem Wesen des Lebens forschen
Helmut Schmidt, ehemaliger deutscher Bundeskanzler
Die Erforschung des Weltalls verleiht der Raumfahrt dennoch eine kulturprägende, philosophische Dimension. "Das Bemühen, das Universum zu verstehen, ist eines der ganz wenigen Dinge, die das menschliche Leben ein wenig über die Stufe einer Farce erheben", schrieb der spätere Physik-Nobelpreisträger Steven Weinberg im Jahr 1977. Der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt verknüpfte das Erkenntnisstreben der Naturforschung mit dem kulturellen Selbstverständnis des Grundgesetzes, "weil die nicht zweckgebundene Forschung das dem Menschen eingeborene Bedürfnis nach Erkenntnis der Wahrheit erfüllt … Eine Kultur, die sich ihres Wertes bewusst bleibt, bleiben will, muss nach dem Wesen der Materie, nach dem Wesen des Universums, sie muss nach dem Wesen des Lebens forschen."
Astrophysik und Kosmologie sind die Fortsetzung der Metaphysik mit anderen Mitteln. Schon die antiken griechischen Naturphilosophen erkannten, dass die Welt als ein Ganzes anzusehen ist. Und dieses Ganze hat eine Ordnung, die wir mit Hilfe von Mathematik und den in der Vernunft liegenden Prinzipien erkennen können. Der Philosoph Karl Popper drückte es so aus: "Ich glaube, dass es zumindest ein philosophisches Problem gibt, das alle nachdenklichen Menschen interessiert. Es ist das Problem der Kosmologie, das Problem, die Welt zu verstehen – auch uns selbst und damit unser Wissen." Und die Raumfahrt der vergangenen 50 Jahre hat maßgeblich zur Konsolidierung und Vertiefung dieses Wissens beigetragen.
Prof. Dr. Hans-Joachim Blome lehrt und forscht als Professor für die Fächer Physik und Himmelsmechanik an der Fachhochschule Aachen im Fachbereich der Raumfahrttechnik. Seine Arbeitsgebiete sind Gravitationsphysik, Raumflugdynamik und Kosmologie.
(Beitrag zum 21. Berliner Kolloquium der Daimler und Benz Stiftung: »Überleben im Weltraum – Auf dem Weg zu neuen Grenzen«, 24. Mai 2017)
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