News: Geschlechterkonflikt in der Eizelle
Die Frage, wie die oben erwähnten strukturellen und funktionellen Unterschiede zwischen den beiden elterlichen Genomen im Verlauf der weiteren Entwicklung ausgeglichen werden und wie aus väterlichem und mütterlichem Erbmaterial ein diploides, also beide Chromosomensätze enthaltendes somatisches Genom entsteht, ist eine grundlegende, aber noch weitgehend unverstandene Frage in Biologie und Medizin.
Mit zwei unabhängigen experimentellen Ansätzen konnten die Wissenschaftler zunächst zeigen, dass väterliches und mütterliches Erbmaterial sich nicht unmittelbar nach der Befruchtung durchmischen. Sie bleiben während der ersten Zellteilungen räumlich getrennt und erst allmählich findet eine graduelle Durchmischung statt. Einhergehend mit dieser räumlichen Trennung werden die beiden elterlichen Chromosomensätze unterschiedlich programmiert. Das väterliche Genom wird kurz nach der Befruchtung noch vor einer Zellteilung aktiv demethyliert. Diese Umprogrammierung erfordert spezielle Enzyme, so genannte Demethylasen, welche die Methylgruppen an den Cytosin-Basen quasi wie eine Schere entfernen. Die Existenz solcher aktiven Demethylierungsaktivitäten war bisher umstritten. Die globale Methylierung des mütterlichen Genoms bleibt dagegen bis zum Zweizellstadium relativ unverändert. Im Verlauf weiterer Zellteilungen und damit einhergehender DNA-Verdopplungen geht dann auch ein Großteil der mütterlichen Methylierung verloren. Ursache dieser graduellen und "passiven" Demethylierung ist wahrscheinlich ein Verlust der DNA-Methyltransferase-Aktivität, eines Enzyms, welche die Methylierungsmuster des alten DNA-Stranges auf den neusynthetisierten DNA-Strang überträgt (Nature vom 3. Februar 2000).
Die Mechanismen, mit denen mehrfach im Verlauf der Entwicklung von Organismen und Organen präzise Methylierungsmuster – also Passwörter – gesetzt und entfernt werden, sind nach wie vor unklar. Sicher ist aber, dass sie von erheblicher biologischer Bedeutung sind und dass fehlerhafte Muster zu einer Reihe von Erkrankungen führen können (zum Beispiel Entwicklungsstörungen, Krebs, Immunkrankheiten). Der Befund, dass die beiden elterlichen Genome eben nicht auf gleiche Weise umprogrammiert werden, hat möglicherweise erhebliche Bedeutung für das Verständnis der molekularen Mechanismen, die zu einer elterlichen Prägung von Genen (Genomic Imprinting) führen. Es galt bisher als unzweifelhaft, dass die elterspezifischen Prägungen (das heißt DNA-Methylierungen) ausschließlich in der Keimbahn gesetzt werden. Nach dem Befund der Berliner Wissenschaftler ist es jedoch vorstellbar, dass auch noch nach der Befruchtung gezielte Veränderungen in den "Zugriffsrechten" der väterlich oder der mütterlich ererbten Gen-Information erfolgen könnten.
Die unterschiedliche Demethylierung der beiden Genome ist damit ein eindrucksvolles Beispiel für den "Kampf zwischen den Geschlechtern": Die befruchtete Eizelle demethyliert nämlich aktiv das männliche Genom, während das weibliche Genom einen Schutzmechanismus gegen diese frühe aktive Demethylierung entwickelt hat. Diese Asymmetrie hat möglicherweise Einfluss auf jene Gene in den Körperzellen, bei denen entweder nur die vom Vater oder nur die von der Mutter kommende Information abgelesen wird.
Darüber hinaus könnte die nachgewiesene aktive Umprogrammierung des väterlichen Genoms im Einzellembryo eventuell auch die vielen Schwierigkeiten bei der Klonierung von Säugerembryos erklären. Dabei wird ein diploides somatisches Genom in eine aktivierte entkernte Eizelle eingesetzt. Da die zelluläre Maschinerie der Eizelle aber zwei unterschiedliche elterliche Genome erwartet, haben klonierte Embryos nur geringe Entwicklungschancen. Störungen bei der Trennung und der epigenetischen Umprogrammierung der elterlichen Genome könnten auch für den hohen Verlust von Säugerembryonen während der normalen Präimplantationsentwicklung oder bei der In-vitro-Fertilisation verantwortlich sein.
Die erstmals gezeigte Asymmetrie bei der epigenetischen Programmierung der elterlichen Genome, also bei der Zuweisung von Zugriffsrechten auf die genetische Information, in der frühesten Entwicklungphase hat möglicherweise weit reichende Konsequenzen für unser Verständnis der Genomfunktionen im Menschen und anderen Säugern. Die unkorrekte Zuweisung von Zugriffsrechten auf die genetische Information führt zu Lesefehlern und damit zu Veränderungen in der Merkmalsausbildung im Organismus, was krankmachende Prozesse auslösen kann. Es ist fast so, wie wenn ein Hacker in eine Datenbank eindringt und wichtige Dateien löscht beziehungsweise unkenntlich macht, die für einen korrekten Ablauf des Programms unverzichtbar sind. Durch ein genaueres Verständnis der molekularen Ursachen und Komponenten der epigenetischen Programmiersprache wird ein neues Fenster für das funktionelle Verständnis des Genoms aufgestoßen. Die Arbeiten hierzu stehen noch am Anfang; die Werkzeuge, sie zu verstehen, wurden jedoch in den vergangenen Jahren bereits entwickelt.
Siehe auch
- Spektrum Ticker vom 3.2.2000
"Zuviele Schalter auf 'Aus'"
(nur für Ticker-Abonnenten zugänglich) - Spektrum Ticker vom 8.9.1998
"Stabilisierung durch Methylierung"
(nur für Ticker-Abonnenten zugänglich)
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