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Geschlechterquote: Frauen verändern die Dynamik in Aufsichtsräten messbar

Gehört dem Aufsichtsrat eines Unternehmens eine Frau an, ist die Teilnahmequote an Sitzungen höher als bei rein männlichen Gremien. Mehrere Frauen erhöhen zudem die Profitabilität.
Eine Frau in einer Mitarbeiterbesprechung
Seit Einführung der Geschlechterquote in börsennotierten deutschen Unternehmen im Jahr 2016 ist der Anteil von Frauen in Aufsichtsräten von 30,2 Prozent auf 37,3 Prozent bis Ende 2022 gestiegen.

Viel wurde zuletzt über das Für und Wider einer verpflichtenden Geschlechterquote in großen Unternehmen diskutiert. In Deutschland gilt seit dem Jahr 2016 für die Aufsichtsräte von börsennotierten und voll mitbestimmungspflichtigen Unternehmen, dass Männer und Frauen zu je mindestens 30 Prozent vertreten sein müssen. Die gesetzlich vorgeschriebene Regel betrifft gut 100 Unternehmen und muss im Zuge der Neubesetzung von Aufsichtsratsposten umgesetzt werden. Dass das nicht nur idealistisch motiviert ist, zeigen nun Forscherinnen der Universität Tübingen in einer neuen Studie. Gehört dem Aufsichtsrat eines Unternehmens mindestens eine Frau an, dann ist die Teilnahmequote an den Sitzungen höher, als wenn nur Männer im Gremium sitzen. Gehören zwei oder mehr Frauen dem Aufsichtsrat an, ist dies darüber hinaus mit einer höheren Profitabilität des Unternehmens verbunden. Die Ergebnisse hat das Team in der Fachzeitschrift »Corporate Governance« veröffentlicht.

Die Autorinnen sammelten Daten von insgesamt 110 Unternehmen in Deutschland, die am 31. Dezember 2015 über einen Zeitraum von mindestens 11 Jahren in einem der deutschen Börsenindizes DAX30, MDAX50 und TecDAX30 gelistet waren. In ihre Analyse schlossen sie davon jedoch nur 44 ein, da nicht alle Firmen die Teilnahmequoten an den Aufsichtsratssitzungen regelmäßig erfassen. Diese Daten glichen die Forscherinnen mit dem Anteil der Frauen in den entsprechenden Aufsichtsratsgremien und mit der Profitabilität der Unternehmen ab. »Unterschiedliche Perspektiven im Aufsichtsrat führen dazu, dass mehr Alternativen abgewogen und bessere Entscheidungen getroffen werden können«, sagte Kerstin Pull, Professorin für Wirtschaftswissenschaften, laut einer Pressemitteilung der Universität Tübingen.

Sitzt nur eine einzige Frau im Aufsichtsrat, erhöht ihre Anwesenheit zwar bereits nachweislich die Teilnahmequote an den Aufsichtsratssitzungen. Dennoch werde sie von ihren männlichen Kollegen häufig eher als »Feigenblatt« und weniger als Individuum mit einer spezifischen Expertise wahrgenommen, stellte das Team um Pull fest. Gehörten dagegen mehrere Frauen zum Aufsichtsrat, würden diese in ihren unterschiedlichen Sichtweisen und Expertisen stärker wahrgenommen, und das Gremium könne besser fundierte Entscheidungen treffen. »Es muss also erst eine ›kritische Masse‹ von Frauen im Aufsichtsrat erreicht werden, bevor ein positiver Effekt auf die Profitabilität von Firmen gemessen werden kann«, sagte Pull.

Um die Ergebnisse ihrer quantitativen Analysen deutlicher einordnen und interpretieren zu können, führten die Forscherinnen darüber hinaus qualitative Interviews mit 17 Aufsichtsratsmitgliedern durch. Deren Aussagen unterstützen die These, dass in Gremien, in denen mehr als eine Frau vertreten ist, »andere Perspektiven und Meinungen«, eine »breitere Expertise« und ein »produktiverer Umgangston« die Diskussionen beeinflussen.

Eine Selektionsverzerrung im Hinblick auf Unterschiede zwischen Unternehmen, die Anwesenheitsquoten melden, und solchen, die keine Anwesenheitsquoten melden, schlossen die Autorinnen mittels einer Regressionsanalyse aus. Allerdings seien die 44 Unternehmen in der reduzierten Stichprobe im Durchschnitt etwas jünger als die 110 Unternehmen in der vollständigen Stichprobe. Zudem sei die Branchenverteilung etwas anders, da in der reduzierten Stichprobe mehr Unternehmen in der Versorgungs- und Transportbranche und weniger im Finanzsektor tätig seien. Im Diskussionsteil der Studie gehen die Forscherinnen noch auf weitere mögliche Limitationen ihrer Studie ein. So sei die Stichprobe recht klein und das Interviewmaterial von lediglich anekdotischer Evidenz.

Seit Einführung der Geschlechterquote in börsennotierten deutschen Unternehmen im Jahr 2016 ist der Anteil von Frauen in Aufsichtsräten von 30,2 Prozent auf 37,3 Prozent bis Ende 2022 gestiegen. Im Jahr 2023 wurden bislang sogar mehr Frauen neu in DAX-Aufsichtsräte berufen als Männer. »Unsere Studie zeigt, dass Unternehmen Chancen verpassen, wenn sie nur ausnahmsweise mal eine Frau in ihre Leitungs- und Kontrollgremien berufen, statt Frauen systematisch in solche Positionen hineinzuentwickeln«, sagte Kerstin Pull.

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