Direkt zum Inhalt

Geschlechtersensible Sprache: Maskulin formulierte Stellenanzeigen interessieren Frauen weniger

Viel wird über Gendersprache diskutiert, obwohl es wenig klare Evidenz zur Wirkung gibt. Nun zeigt sich: Zumindest Frauen klicken eher auf geschlechtersensibel formulierte Jobangebote.
Eine Hochschullehrerin mit Mikrofon steht vor Studierenden in einem Hörsaal
Hätte sie sich auf die Stelle beworben, wenn dort »Lehrer (m/w/d) gesucht« gestanden hätte?

Die Verwendung geschlechtersensibler Sprache in der Überschrift von Stellenanzeigen hat Einfluss auf das Interesse potenzieller Bewerberinnen. Zu diesem Ergebnis kommen Dominik Hetjens von der Technischen Universität Dresden und Stefan Hartmann von der Universität Düsseldorf in einer umfangreichen Studie, die im Fachmagazin »PLOS ONE« erschienen ist. Sie analysierten dazu 256 934 deutschsprachige Stellenangebote, die zwischen 2020 und 2022 auf der Jobplattform StepStone veröffentlicht worden waren. Die beiden Linguisten fanden heraus, dass deutlich mehr Frauen auf eine Stellenanzeige klickten, wenn diese in geschlechtersensibler Sprache verfasst war, als wenn darin das generische Maskulinum verwendet wurde. Dieses Verhalten war bei Formulierungen, die die weibliche Form explizit machen, indem sie das weibliche Suffix -in einschließen, ausgeprägter als bei Alternativen wie etwa dem Hinzufügen des geschlechtsneutralen Suffixes -kraft. Demnach zog also die Formulierung »Lehrer*in gesucht« mehr Aufmerksamkeit von Frauen auf sich als »Lehrer (m/w/d) gesucht« oder »Lehrkraft gesucht«.

Seit vielen Jahren wird die Debatte um geschlechtersensible Sprache in Deutschland emotional und teils hitzig geführt. Während die einen darin eine Sprachverhunzung sehen, argumentieren die anderen, Frauen und andere Geschlechter würden im generischen Maskulinum nicht ausreichend sichtbar. Erst im März 2024 erließ die Bayerische Staatsregierung unter Ministerpräsident Markus Söder ein Anti-Gender-Gesetz, das es offiziellen Stellen wie Behörden, Hochschulen und Schulen in Bayern untersagt, Schreibweisen mit Sternchen oder Doppelpunkten zu verwenden. Dass Verbote jedoch eine laufende Debatte befrieden können, wird vielfach angezweifelt.

Interessant ist, dass sich beide Seiten auf die Linguistik berufen, um ihre Behauptungen zu untermauern. Bislang gibt es zu den realen Auswirkungen von geschlechtersensibler Sprache im Deutschen allerdings kaum Forschung und nur wenig klare Evidenz. »Unseres Wissens ist dies die erste Studie zu diesem Thema, die sich auf eine groß angelegte Analyse von authentischen Nutzerinteraktionsdaten stützt und nicht auf Daten, die in Laborsituationen gewonnen wurden«, schreiben Hetjens und Hartmann in ihrem Forschungsartikel. »Ob die Verwendung einer geschlechtersensiblen Sprache eine tatsächliche, messbare Wirkung hat, kann die Untersuchung von Stellenanzeigen in besonderer Weise zeigen, da Berufe mit sozialen und wirtschaftlichen Hierarchien zusammenhängen.«

Auch im englischsprachigen Raum werden Berufsbezeichnungen wie »policeman« und »fireman« inzwischen häufig durch die neutraleren Versionen »police officer« und »fire fighter« ersetzt

Das Problem, dass manche Berufsbezeichnungen explizit Männer adressieren, obwohl alle Geschlechter gemeint sind, gibt es nicht nur im Deutschen – auch die Diskussion darum wird nicht nur hier zu Lande geführt. Selbst im englischsprachigen Raum, in dem man keine grammatikalischen Geschlechter kennt, werden Berufsbezeichnungen wie »policeman« und »fireman« inzwischen häufig durch die neutraleren Versionen »police officer« und »fire fighter« ersetzt. Die Menge der geschlechtsspezifischen Begriffe ist im Englischen allerdings deutlich kleiner als im Deutschen. Berufsbezeichnungen wie »teacher« oder »professor« haben keine geschlechtliche Konnotation. Im Deutschen dagegen ist jedes Substantiv grammatikalisch maskulin, feminin oder neutral. Da das Wort Lehrer grammatikalisch maskulin ist, wird auch der Plural die Lehrer maskulin gebildet.

Viele Alternativen zur maskulinen Form

Insbesondere wenn es um eine gemischtgeschlechtliche Gruppe geht, wuchsen zuletzt die Bedenken, dass die generisch maskuline Form eine problematische Voreingenommenheit hervorrufen und Frauen unsichtbar machen und damit benachteiligen könnte. Aus diesem Grund wurden bereits viele Alternativen zur maskulinen Form vorgeschlagen, darunter die Verwendung sowohl der männlichen als auch der weiblichen Form (Lehrerinnen und Lehrer) sowie die Kombination von männlichen und weiblichen Formen unter Verwendung verschiedener Arten von Morphemtrennern wie Lehrer*innen, Lehrer_innen, Lehrer:innen oder unter Verwendung des großen I (LehrerInnen). Darüber hinaus wird auch nach neutralen Formen gesucht wie etwa Lehrkräfte oder Lehrpersonal.

In ihrer ausführlichen statistischen Analyse kommen die beiden Sprachwissenschaftler zu dem Schluss, dass Varianten, die die weibliche Form explizit machen, mit dem höchsten Anteil weiblicher Klicks korrelieren, während die Ergänzung (m/w/d) oder die bloße Hinzufügung eines Sternchens Lehrer* ohne darauf folgendes weibliches Suffix zu dem geringsten Anteil weiblichen Interesses führt. Dabei wird den Studienleitern zufolge deutlich, dass es erhebliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Disziplinen gibt. Stellenanzeigen in traditionell männlichen Berufsfeldern wie dem Baugewerbe oder dem IT- und Ingenieurwesen würden tendenziell ohnehin seltener von weiblichen Nutzern aufgerufen als Angebote in Bereichen wie Verwaltung und Buchhaltung oder dem Gesundheitssektor. Schaue man sich die Sektoren aber einzeln an, zeige sich der beschriebene Effekt meist deutlich.

Die Forscher merken allerdings an, dass die zu Grunde liegende Erklärung für ihre Ergebnisse wahrscheinlich komplex und vielschichtig sei und dass weitere Untersuchungen erforderlich seien, um eine etwaige Ursache-Wirkungs-Beziehung zwischen geschlechtssensibler Sprache und dem Interesse von Bewerberinnen und Bewerbern zu klären. »Wir haben festgestellt, dass die Verwendung geschlechtersensibler Sprache in Stellenbezeichnungen mit einem höheren Anteil weiblicher Interaktionen korreliert. Es sind jedoch Folgestudien erforderlich, um die Ursachen dieser Korrelation zu verstehen.«

WEITERLESEN MIT »SPEKTRUM +«

Im Abo erhalten Sie exklusiven Zugang zu allen Premiumartikeln von »spektrum.de« sowie »Spektrum - Die Woche« als PDF- und App-Ausgabe. Testen Sie 30 Tage uneingeschränkten Zugang zu »Spektrum+« gratis:

Jetzt testen

(Sie müssen Javascript erlauben, um nach der Anmeldung auf diesen Artikel zugreifen zu können)

  • Quellen
PlOS ONE 10.1371/journal.pone.0308072, 2024

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.