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Lebensgemeinschaften: Gesellige Runde am Weinstock

So manche an Pflanzen schnorrende Zikade lebt, streng genommen, von fast nichts als Wasser allein - obwohl das eigentlich nicht sein kann. Irgendeiner muss also auch dem Genügsamsten aller Saftsauger das Mahl aufpolieren. Vielleicht sogar mehrere?
<i>Vitis vinifera</i>
Vitis vinifera, die Weinrebe, hat viele Freunde und noch mehr Feinde – und die schlimmsten sind weder menschlich noch militante Abstinenzler. Die größten Bedrohungen für alle Weinliebhaber, Winzer und ihre Lieblingspflanze haben vielmehr sechs statt zwei Beine und töten den Weinstock mit ihrer Gier. Berüchtigtstes Beispiel ist natürlich die Reblaus: Der eingeschleppte, ursprünglich in der Neuen Welt heimische Schädling begann im 19. Jahrhundert flächendeckend kurzen Prozess mit den fragilen Weinstöcken des Alten Europas zu machen.

Dass Rebläuse allerdings konkurrenzlos mit dem Menschen um die Nutzung der Weinpflanze ringen, lässt sich nicht behaupten. Denn gerade in Übersee kämpfen die dortigen Weinsorten schon lange einen abhärtenden Kampf gegen Krankheitserreger, für die das zarte Vitis-Gewächs Europas ohne aufopfernden Beistand durch Winzer und Mittelchen kein ernstzunehmender Gegner wäre. So war es nicht nur als die Reblaus, sondern auch als Pilze – etwa 1845 der Echte, 1878 der Falsche Mehltau – nach Europa schwappten. Die Erreger-Armada vervollständigen Schädlinge wie Traubenwicklerraupen (ein Schmetterling), Spinnmilben und Rebzikaden. Zu letzteren zählt auch Homalodisca coagulata – ihr Sprung von Amerika über den Teich steht aus und wird von Europas Önologen gefürchtet.

Die Zikade – ihr Spitzname lautete aus dem gut Amerikanischen wörtlich übersetzt "glasflügliger Scharfschütze" – schlürft als nicht sehr wählerischer Feinschmecker verdünnte Pflanzenwässerchen aus dem Xylem-Leitungssystem verholzter Gewächse, die sie mit dem Rüssel anbohrt. Gern genommenes Opfer ist dabei eben auch die Weinrebe. Kalifornische Winzer fechten einen verzweifelten Abwehrkampf gegen die Zikaden, weil diese als Kollateralschäden Keime wie Xylella fastidiosa überträgt – ein Bakterium, dessen Xylemkolonisierung den lebenswichtigen Wassertransport der Pflanze schlimmstenfalls völlig zum Erliegen bringen kann.

Jonathan Eisen und seinen Kollegen vom Institute for Genomic Research war klar, dass Xylella fastidiosa durchaus nicht der einzige Bakterienuntermieter der Zikaden sein kann – und ganz sicher nicht der typischste ist. Die Wissenschaftler hatten sich 400 Insekten aus einer Zitrusplantage besorgt und mit besonderem Interesse an einem bestimmten Insektenorgan seziert – dem "Bakteriom" der Sechsbeiner. Hierin subventionieren Zikaden und bestimmte andere Insekten symbiotische Bakterienkolonien durch großzügige Futterspritzen aus der eingesaugten Nahrung. Die Keime sichern den pflanzensaugenden Kerfen im Gegenzug überhaupt erst ein gesichertes Auskommen: Sie produzieren aus den wenig nahrhaften Inhalten des dünnen, von der Zikade geschlürften Xyleminhalts Vitamine und essenzielle Aminosäuren, die den Insekten sonst fehlen würden, weil sie sie nicht selbst synthetisieren können.

Die Zikadenobduzierer um Eisen und Co interessierten sich besonders für das Genom von Baumannia cicadellinicola, dass sie endlich der weltweiten DNA-Sequenzdatenbank hinzufügen wollten. Und wie erwartet fanden die Basenpaarjongleure auch gleich 83 Gene im Erbgut des Bakteriums, die als Bauanleitungen für Proteine vitaminproduzierende Stoffwechselwege möglich machen. Völlig unerwartet aber endete die Suche nach Genen, die für die Produktion von Aminosäuren verantwortlich sind – es gab sie schlicht nicht. Damit aber wäre Baumannia cicadellinicola völlig lebensuntüchtig.

Des Rätsels Lösung, so Eisens Team, heißt Sulcia muelleri – auch dieses Bakterium lebt im Bakteriom der Zikade und entpuppte sich bei näherem gentechnischen Hinsehen quasi als der Spiegelbildkeim von Baumannia cicadellinicola. Sulcia fehlten zwar die Gene zur Vitaminproduktion, dafür aber konnte er mit einer genetisch belegbar gut funktionierenden Aminosäureproduktion punkten.

Um von den dürftigen Inhalten des Xylems leben zu können, schließen die Forscher, benötigt die Zikade also gleich zwei Bakterien, die aber – um selbst überleben zu können – auch wieder voneinander abhängig sind. Alle Teilnehmer an dem symbiotischen Beziehungsdreier spezialisieren sich dabei auf dass, was sie am besten können: die Bakterien auf die für alle lebensnotwendige Vitamin- respektive Aminosäurefabrikation, die Zikade auf das Entern der spärlichen Nahrungsquelle und ihre Ausbeutung. Ein geregelter Gütertausch sorgt dann dafür, dass es allen gut geht.

Allen bis auf die Rebe, natürlich – für die es aber immerhin egal ist, ob sie sich nun einem Einzelnen oder drei Dritteln Feind gegenübersieht. Zumindest solange, bis die Bakterien-WG im Inneren der Zikade nicht auch noch gefürchteten Untermietern wie dem xylemverstopfenden Xylella fastidiosa Unterschlupf gewährt – der, das belegen viele vertrocknende Weinstöcke in Kalifornien, ist dann oft ein Gegner zuviel.

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