Frühjahrstagung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft: Gestatten, Sciamachy
Berge und Täler sind zentimetergenau vermessen, es gibt gestochen scharfe Karten von Algenblüten, und wir wissen, wie sich tagtäglich im Watt die Prile verändern: "Satellitendaten" heißt das Zauberwort. Sie zeigen uns auch, wie sich Treibhausgase in der Atmosphäre verteilen.
"Und hier sehen Sie die korrigierten und neu berechneten CO2-Werte für die letzten drei Jahre"
(Michael Buchwitz)
"Und hier sehen Sie die korrigierten und neu berechneten CO2-Werte für die letzten drei Jahre…", Michael Buchwitz von der Universität Bremen blickt erstaunt Richtung Wandschirm. Denn dort herrscht gähnende Leere. Gerade als er sich anschickt, frisch ausgewertete Daten vom europäischen Umweltsatelliten Envisat zu präsentieren, streikt die Technik. (Michael Buchwitz)
Der Forscher nahm es gelassen, hat er doch in seinem Alltag auch ab und zu mit Technikausfällen zu tun. Nach anfänglichen Problemen mit dem Kühlsystem funkt das von dem Bremer und seinen Kollegen betreute Envisat-Instrument Sciamachy (Scanning Imaging Absorption Spectrometer for Atmospheric Chartography) jedoch zuverlässige Daten zur Erde. Mit seiner Hilfe wollen Buchwitz und seine Kollegen den Wechselwirkungen zwischen menschlicher Luftverschmutzung, globaler Erwärmung und Stratosphärenchemie und -physik auf die Spur kommen.
In nur hundert Minuten umkreist der Satellit einmal die Erde, sodass seine Atmosphärensensoren innerhalb weniger Tage die gesamte Erdatmosphäre vollständig erfassen können. Wie sammelt dabei das Satelliteninstrument eigentlich seine Daten?
"Wir nutzen das, was wir immer und kostenlos kriegen"
(Michael Buchwitz)
"Wir nutzen das, was wir immer und kostenlos kriegen", sagt Buchwitz, "nämlich das Sonnenlicht". Denn Sciamachy registriert die von der Lufthülle und der Erdoberfläche zurück gestreuten und reflektierten Strahlen. (Michael Buchwitz)
Dabei nehmen seine Sensoren die Luftschichten aus verschiedenen Blickwinkeln unter die Lupe: In "Nadir"-Richtung schauen sie durch die Atmosphäre hindurch senkrecht auf die Erde, während sie in der "Limb"-Anordnung tangential an der Erde vorbei linsen. Da die Sensoren dasselbe Luftvolumen erst in der Limb- und etwa sieben Minuten später in der Nadir-Richtung beäugen, entstehen daraus sogar dreidimensionale Informationen.
Zusätzlich betrachtet das Instrument den Sonnen- und den Mondaufgang. Dabei schauen die Sensoren ähnlich wie bei der Limb-Geometrie am Rand der Erde entlang, messen aber durch die Atmosphäre das direkte Sonnenlicht.
Über seine Spiegel fängt Sciamachy das Licht ein und speist es in ein Teleskop, das den Strahl bündelt und auf den Eintrittsspalt der eigentlichen Messapparatur fokussiert. Jetzt wird das Licht zweimal aufgespalten: einmal durch ein Prisma und dann noch einmal durch ein Gitter vor den eigentlichen Detektoren. Deswegen bezeichnen Wissenschaftler das Instrument auch als "Doppel-Spektrometer".
Die Detektoren schließlich wandeln die Intensitäten der auftreffenden Lichtwellen in elektrische Signale um. Doch schon allein dadurch, dass sie eingeschaltet sind und arbeiten, stören die Detektoren die Messung durch so genanntes "Dunkelstromrauschen". Besonders viel Wärme entsteht durch die Detektorelektronik, und auch die Sonne heizt den Satelliten auf. Trotzdem es im All sehr kalt ist, muss eine separate Kühleinheit die Empfänger auf minus 45 bis minus 123 Grad Celsius abkühlen, um die Störwerte zu unterdrücken.
Seine ausgeklügelte Optik ermöglicht es Sciamachy, Strahlung von 240 bis 2380 Nanometer in fast 8000 Wellenlängen- Bereiche zu zerlegen – ein wesentlich größeres Spektrum als sein Vorgängersystem Gome (Global Ozone Monitoring Experiment) und weit umfangfassender als das für uns sichtbare Licht mit seinen Wellenlängen von ungefähr 380 bis 780 Nanometer.
Interessant ist die große Bandbreite, weil die Luft je nach Zusammensetzung bestimmte Wellenlängen mehr oder weniger aus dem Sonnenlicht herausfiltert. Kohlendioxid zum Beispiel absorbiert Infrarot mehrer Wellenlängen – Sciamachy misst das Gas zum Beispiel bei 1600 Nanometern. Je mehr von dem Treibhausgas in der Luft ist, desto weniger Licht dieser Wellenlänge kommt beim Satelliten an. Auf diese Weise unterscheidet der Umweltspäher zig Stoffe und kartografiert die Chemie der Erdatmosphäre bis auf den Erdboden herunter.
Inzwischen hat das Bremer Team viel Erfahrung, wie sich aus den Rohdaten Störungen durch Wind, Wolken oder Staub herausrechnen lassen. Mit jedem weiteren Jahr werden die Messwerte daher für die Wissenschaftler wertvoller. Heute können sie schon sehr genau unterscheiden, was wir Menschen in die Luft pusten und was dem natürlichen Austausch entspricht.
"Wir haben Sciamachy allerdings nicht entwickelt, um in Kyoto-Zeiten den mahnenden Zeigefinger zu heben", so Buchwitz, "sondern wir machen Grundlagenforschung." Dazu werden die neuesten Daten wieder wichtige Bausteine liefern.
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