Gesundheit: Wie der Klimawandel krank macht
Bisher waren Mückenstiche in Deutschland zwar lästig, aber harmlos. Doch das wird sich ändern: Steigt die Temperatur auf dem Globus weiter, könnte es im Sommer bald sinnvoll werden, unter einem Moskitonetz zu schlafen – um sich etwa vor dem Chikungunya-Fieber zu schützen. Die ursprünglich in Afrika und Südostasien vorkommende Viruserkrankung wird von exotischen Stechmücken übertragen. Die fühlen sich zunehmend auch hier zu Lande wohler.
Insekten, die Tropenkrankheiten übertragen, machen aber nur einen Bruchteil der Gesundheitsgefahren aus, die den Menschen auf Grund des Klimawandels drohen. Die Erderwärmung, schreiben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Fachmagazin »The Lancet«, sei die größte Gesundheitsgefährdung des 21. Jahrhunderts. Zudem steige die gesundheitsschädliche Wirkung des Klimawandels immer stärker an, heißt es im diesjährigen »Lancet Countdown«-Bericht.
Diese Forschungskooperation, die bereits seit einigen Jahren die Auswirkungen des Klimawandels auf die Weltgesundheit analysiert, wurde von der Redaktion des Fachmagazins in Zusammenarbeit mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Weltorganisation für Meteorologie gegründet. Ein dringend nötiges Projekt: Bereits jetzt beeinflusst der Klimawandel 85 Prozent der Weltbevölkerung. Das Europäische Parlament hat den Klimanotstand ausgerufen. Und in der Luft ist so viel Kohlendioxid, wie es die Menschheit noch nie erlebt hat.
Ernährungssicherheit in Gefahr
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben versucht abzuschätzen, wie stark der Temperaturanstieg sein darf, damit die Menschheit noch einigermaßen zurechtkommen kann. Beschränkt sich die globale Erwärmung auf 1,5 bis 2 Grad Celsius, sind die Folgen gravierend, aber mit etwas Glück und Anstrengung vielleicht noch beherrschbar. Erwärmt sich die Erde stärker, nehmen sie jedoch massiv zu.
Ab drei Grad, schätzen Wissenschaftler, ist eine erfolgreiche Anpassung der menschlichen Zivilisation an die Bedingungen eher unwahrscheinlich. Zwar haben die Staaten beim Pariser Klimaabkommen 2015 sich darauf geeinigt, die globale Erwärmung auf deutlich unter 2, möglichst 1,5 Grad zu beschränken. Doch selbst, wenn alle Länder ihre bisherigen Zusagen erfüllen, würde das noch zu einer Erwärmung um drei Grad führen.
»Auf einem überhitzten Planeten mit immer mehr Dürren, Überschwemmungen, Stürmen und Waldbränden, kollabierenden Ökosystemen und Missernten können wir unsere Gesundheit nicht bewahren«, sagt Sabine Gabrysch. Die Ärztin und Epidemiologin ist die deutschlandweit erste Professorin für Klimawandel und Gesundheit. Seit 2019 forscht sie am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und der Berliner Universitätsklinik Charité. »Bisher standen vor allem die Folgen von Hitzewellen und die Ausbreitung tropischer Infektionskrankheiten im Fokus«, sagt Gabrysch. »Doch wenn der Regen ausbleibt, zu stark, zu spät oder zu früh einsetzt, kann das auch die Ernährungssicherheit gefährden.«
»Auch wir sind von der Klimakrise betroffen. Es geht um die Lebensgrundlagen auf der Erde«
Sabine Gabrysch, Professorin für Klimawandel und Gesundheit am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und der Charité – Universitätsmedizin Berlin
Und zwar nicht erst irgendwann: Im Jahr 2019 reichte die weltweite Getreideernte bereits zum zweiten Mal nicht aus, um den Bedarf zu decken. In Deutschland lagen die Erträge im Jahr 2018 nach dem extrem trockenen Sommer 16 Prozent unter dem Durchschnitt der drei Jahre davor. In derselben Saison meldeten die norddeutschen Landwirte Ernteausfälle von bis zu 31 Prozent. Wissenschaftler forschen daher im Auftrag der Bundesregierung an Getreidesorten, die Dürren besser standhalten.
Gabrysch sieht die Ernährungssicherheit als vielleicht größte globale Bedrohung unter den vielen Folgen des Klimawandels für die Weltgesundheit: 7,9 Milliarden Menschen leben derzeit auf der Erde – und alle brauchen Nahrung. Die Gesundheit der Ärmsten ist als Erstes und am stärksten betroffen. Das zeigt etwa die Hungersnot in Madagaskar, die gerade das Leben Hunderttausender bedroht. »Aber es geht nicht nur um Menschen in anderen Ländern«, sagt Gabrysch. »Auch wir sind von der Klimakrise betroffen. Es geht um die Lebensgrundlagen auf der Erde.«
Die Hitze fordert immer mehr Tote
Seit Beginn der Wetteraufzeichnungen war es in Deutschland noch nie so warm wie in den vergangenen Jahren. Bisher ist es im Schnitt seit 1880 schon um zwei Grad Celsius wärmer geworden, bis Ende des Jahrhunderts könnte der Temperaturanstieg drei Grad betragen. Klingt nach wenig – eine solche Verschiebung des Durchschnitts ist aber gravierend. Haben jetzige Kinder das Rentenalter erreicht, werden bis zu 30 Hitzeperioden pro Jahr in Süddeutschland normal sein.
Besonders Kindern, Alten, Menschen, die draußen arbeiten, und jenen mit Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen macht die Hitze schwer zu schaffen. Schon vor drei Jahren kam es in Deutschland bei Menschen über 65 Jahren zu rund 20 000 Todesfällen im Zusammenhang mit Hitze. Insgesamt ist das Risiko der Älteren, auf Grund von Hitze zu sterben, in den letzten 20 Jahren um 54 Prozent gestiegen. Neben den extremen Temperaturen schaden auch die dadurch höheren Ozonkonzentrationen in Bodennähe der Gesundheit.
Wie Hitze die Gesundheit beeinträchtigt
- Gehirn: Das Schlaganfallrisiko steigt, die Konzentrationsfähigkeit verschlechtert sich. Aggressivität und Gewaltbereitschaft nehmen zu.
- Lunge: Das Risiko für Atemwegserkrankungen, COPD-Verschlechterungen und Asthmaanfälle steigt.
- Herz: Das Herz-Kreislauf-System ist stark belastet, die Herzinfarktgefahr größer.
- Nieren: Das Risiko für Nierenerkrankungen und -insuffizienz steigt.
- Schwangerschaft: Das Risiko für Frühgeburten, ein geringes Geburtsgewicht oder Kindstod bei der Geburt steigt.
Bis 2030 – also in gerade einmal acht Jahren – muss die EU mit rund 30 000 zusätzlichen Hitzetoten pro Jahr rechnen; 2080 könnten es bis zu 110 000 sein. Krankenhäuser, Pflegeheime und Kommunen arbeiten bereits an Hitzeaktionsplänen, die bisher aber kaum umgesetzt wurden. »Wenn wir so weitermachen wie bisher, wird das sehr viele Menschenleben kosten und zudem sehr teuer werden«, sagt Gabrysch.
Allergiker leiden länger
Steigende Temperaturen wirken sich auf die Pflanzenblüte aus: Pollen fliegen länger und stärker. Viele Allergiker bekommen das bereits zu spüren. »Die Leidenszeit für Menschen mit Pollenallergie verlängert sich. Außerdem verbreiten sich zunehmend nicht heimische Pflanzen mit allergener Wirkung, etwa die Beifuß-Ambrosie«, bestätigt der Allergieinformationsdienst. Auf eine höhere CO2-Konzentration reagiert dieses Gewächs – und mit ihm viele andere – mit einer verstärkten Pollenproduktion.
Nutzpflanzen wie Weizen, Mais und Reis verlieren an Qualität und werden in Zukunft weniger Nährstoffe wie Eiweiß, Zink und Eisen enthalten. Das ergab eine Studie von Wissenschaftlern der Harvard University. »Wir rechnen damit, dass der CO2-Anstieg bis 2050 bei zusätzlich 175 Millionen Menschen weltweit zu einem Zinkmangel und bei 122 Millionen zu einem Proteinmangel führen wird«, sagt Samuel Myers, einer der beiden Autoren. »Bei Frauen im gebärfähigen Alter und Kindern unter fünf Jahren wird es verstärkt zu Blutarmut kommen.«
Für manches Insekt sind heiße Sommer und milde Winter in Deutschland ein Segen. Zecken übertragen Borreliose und Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) jetzt manchmal schon im Januar. Exotische Mücken werden hier zu Lande immer häufiger und bringen tropische Krankheitserreger mit. »Die Asiatische Tigermücke wird allmählich bei uns heimisch«, berichtet Epidemiologin Gabrysch. »Sie kann theoretisch Chikungunya, Dengue und Zika übertragen. Bisher gab es aber noch keine einheimischen Fälle.« Durch Stiche hier eingewanderter Blutsauger wurde 2019 allerdings erstmals in Deutschland das West-Nil-Virus übertragen.
Die klimatischen Veränderungen bringen das Tierreich in Bewegung. Wildtiere, deren Lebensraum bedroht ist, wandern in für sie angenehmere Gegenden ab, wo sie auf Menschen stoßen. Kontakte zwischen Mensch und Tier häufen sich außerdem durch die Zerstörung der Natur und zunehmenden Wildtierhandel. Dadurch steigt das Risiko, dass neue Zoonosen entstehen, warnt das Bundesinstitut für Risikobewertung – bisher unbekannte Krankheiten, die Tiere auf Menschen übertragen. Wissenschaftler gehen davon aus, dass sich Menschen in Zukunft häufiger bei Tieren mit neuen Infektionskrankheiten anstecken werden. Der Weltbiodiversitätsrat (IPBES) schätzt, dass in Säugetieren und Vögeln rund 1,7 Millionen Viren schlummern, von denen 631 000 bis 827 000 den Menschen infizieren könnten.
Junge Menschen haben »Klimaangst«
Auch der Erreger von Covid-19, das Coronavirus Sars-CoV-2, stammt aller Wahrscheinlichkeit nach von einer Fledermaus. Epidemiologin Gabrysch sieht die Corona-Pandemie als Weckruf: »Sie macht uns bewusst, wie eng weltweit alles zusammenhängt und dass unsere Gesundheit letztlich von einem gesunden Planeten abhängt.«
Ohne die immer weitere Zerstörung natürlicher Lebensräume und ohne den Wildtierhandel hätte eine Übertragung des Vorläufervirus von Sars-CoV-2 auf einen Menschen wahrscheinlich nicht stattgefunden. Und ohne Luftverschmutzung durch fossile Brennstoffe würden weniger Menschen an Lungen- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen leiden – die wiederum einen schweren Verlauf von Covid-19 begünstigen.
Nicht nur die körperliche Gesundheit leidet unter dem Klimawandel. »Die Flutkatastrophe im Ahrtal hat die Menschen dort traumatisiert – was langfristig Folgen für die Psyche haben kann«, sagt Gabrysch. Die Naturkatastrophe hat gezeigt: Niemand auf der Welt ist vor den Folgen des Klimawandels sicher.
Dass sich in Deutschland neue Infektionskrankheiten verbreiten werden, sei nicht das größte Problem, sagt Gabrysch: »Die Stabilität von Gesellschaften und unsere Lebensgrundlage sind bedroht. Wenn wir nichts tun, besteht Lebensgefahr.« Wem das bewusst ist, der muss ebenfalls mit psychischen Folgen rechnen: Zwei Drittel der Jugendlichen in Deutschland haben große Angst vor dem Klimawandel, sie leiden an »Klimaangst«. Die jungen Leute fühlen sich von den Älteren und der Politik im Stich gelassen.
Klimaschutz ist Gesundheitsschutz
Was also tun, damit der Planet und die Menschen darauf nicht noch kränker werden? »Der Schutz der Gesundheit nachfolgender Generationen erfordert es, besser auf die Erde und ihre natürlichen Systeme Acht zu geben«, schreibt der Harvard-Wissenschaftler Myers im Fachmagazin »The Lancet«. Wer etwas für die Gesundheit tut, hilft gleichzeitig dem Klima – und umgekehrt.
Um eine »Heißzeit« zu verhindern, sollte jeder Einzelne seinen Konsum überdenken. Vor allem aber muss die Politik die Strukturen ändern, so dass umweltfreundliches Verhalten einfacher wird. Die nötigen Veränderungen würden aber nicht nur unbequem werden: »Wenn wir aus der Kohle aussteigen und unsere Städte fahrrad- und fußgängerfreundlich gestalten, mit weniger Autos und mehr Grünflächen, dann wird die Luft sauberer und gleichzeitig bringen wir mehr Bewegung in unseren Alltag«, verspricht Gabrysch. »An vielen Stellen ist das eine Win-win-Situation – gut für das Klima und gut für unsere Gesundheit.«
Ein Beispiel: Wer im Alltag für Wege unter zehn Kilometern vom Auto aufs Rad umsteigt, erspart der Umwelt 3,2 Kilogramm Kohlenstoffdioxid – und das jeden Tag. Gleichzeitig senken Menschen, die regelmäßig Rad fahren, ihr Risiko, an einem Herzinfarkt oder Schlaganfall zu sterben, um 24 Prozent. Das Risiko, an Krebs zu sterben, sinkt durch Radfahren um 16 Prozent.
Klimafreundliche Ernährung
Die EAT-Lancet-Kommission hat einen Speiseplan erstellt, der die Gesundheit der Menschen ebenso schützt wie den Planeten. Die Wissenschaftler empfehlen pro Person 300 Gramm Gemüse am Tag, dazu Hülsenfrüchte und Vollkornprodukte. Pro Woche ist so viel tierisches Eiweiß in Ordnung, wie zum Beispiel ein Ei, 200 Gramm Fisch, ein Rindersteak und ein Hähnchenbrustfilet zusammen ergeben. Dazu kommt pro Tag ein Viertelliter Vollmilch oder ein Produkt aus dieser Menge. Der Nussanteil auf dem Speiseplan darf größer werden, als er bisher bei den meisten Menschen ist, durchschnittlich 50 Gramm am Tag können es gern sein.
Ähnlich ist es mit dem Fleischverzehr: Wer weniger Fleisch isst, produziert weniger Kohlenstoffdioxid. Gleichzeitig sinkt das Krebsrisiko: Die WHO stuft rotes Fleisch – von Rind, Schwein, Schaf und Ziege – seit Jahren als Krebs erregend ein. Wer pro Tag 50 Gramm mehr isst als der Bundesdurchschnitt, erhöht sein Darmkrebsrisiko um 18 Prozent.
»Vielleicht muss man manchmal am Rand des Abgrunds stehen, um zu erkennen, dass sich etwas ändern muss«
Sabine Gabrysch, Ärztin und Epidemiologin
Bleibt eigentlich nur eine Frage offen: Ist die Menschheit noch zu retten? »Das kommt auf uns alle an. Wenn immer mehr Menschen mitmachen, dann ja«, sagt Gabrysch. »Vielleicht muss man manchmal am Rand des Abgrunds stehen, um zu erkennen, dass sich etwas ändern muss.« Die Klimakrise und die ökologische Krise zu stoppen, sei die vielleicht größte Herausforderung der Menschheit, sagt die Wissenschaftlerin. Aber eine, die zu meistern ist.
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