Dengue-Epidemie: Brasilien kämpft und feiert mit der Mücke
Wenn in Brasilien die Zeit des Karnevals anbricht, dann gelten andere Regeln, auch medial. Dann sind plötzlich der Umzug eines »Bloco«, einer verkleideten Musikertruppe, oder die Schönheitsrituale einer »Rainha«, der Königin einer Sambaschule, genauso wichtig wie die Themen, die sonst über die Titelseiten paradieren: die Gewalt, die endemische Korruption, die Vetternwirtschaft. Und all die anderen Übel Brasiliens.
Zum Beispiel der Gesundheitsnotstand, den Rio de Janeiros Bürgermeister Eduardo Paes Anfang Februar ausgerufen hat. Wegen einer winzigen, langbeinigen Mücke und des Virus, das sie überträgt: des Auslösers des Denguefiebers.
Dengue ist nichts Neues für die Brasilianerinnen und Brasilianer. Die Krankheit läuft alle vier bis fünf Jahre in Wellen durchs Land. Doch in diesem Jahr ist es schlimmer als sonst.
Wahrscheinlich steckt eine Kombination von Faktoren dahinter. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind die starken Regenfälle, die infolge des Wetterphänomens El Niño auftreten, und die übermäßige Hitze Auslöser. Sie haben zu einer Massenvermehrung der Tigermücke geführt, die das Virus überträgt. Passend dazu verzeichnen die Gesundheitsbehörden von Rio einen Anstieg der Fälle besonders in jenen Vierteln, in denen die heftigen Regenfälle im Januar Überschwemmungen ausgelöst hatten.
Gerade erst meldeten die Behörden der Stadt den ersten Dengue-Todesfall des Jahres. Drei weitere Todesfälle werden noch untersucht. Im umliegenden Bundesstaat befinden sich derzeit rund 1000 Personen wegen Dengue im Krankenhaus.
Die Dengue-Saison kommt erst noch
Und eine Besserung ist erst einmal nicht in Sicht. »Das ist jedenfalls die Tendenz«, sagte etwa der Gesundheitssekretär von Rio, Daniel Soranz. Denn Januar und Februar ist eigentlich keine Dengue-Saison. »Die Monate, in denen wir gewöhnlich mehr Dengue-Fälle in der Stadt haben, sind April und Mai.« Doch schon jetzt zählt Rio mit knapp 15 000 Fällen die höchste Januar-Inzidenz seit dem Jahr 1974, als die Registrierung von Dengue-Fällen begann.
Brasilienweit sind allein im Januar mehr als 50 Menschen an Dengue verstorben. Laut dem Nachrichtenmagazin »O Globo« rechnet die Epidemiologin Ethel Maciel aus dem Gesundheitsministerium übers Jahr mit 4,2 Millionen Dengue-Fällen. Das wären viermal so viele wie 2023. Bereits jetzt liegt die Zahl der vermuteten und bestätigten Fälle mit rund 400 000 um den Faktor vier über dem Vergleichszeitraum im Vorjahr.
»Wir haben eine solche Zahl nie zuvor erreicht«, sagt Maciel. »Deshalb sind wir besorgt, auch wegen des Drucks, der dadurch auf den Gesundheitsdiensten lastet.« In der Hauptstadt Brasília wurde bereits ein provisorisches Hospital eröffnet, in Rio Anlaufstellen für Erkrankte.
Da werden schnell Erinnerungen an die Corona-Pandemie wach. Im Aufzug flimmert statt Werbung ein Aufruf zur Wachsamkeit über den Bildschirm. Ärzte versenden in WhatsApp-Gruppen Fotos mit den Erkennungszeichen der Tigermücke, des Überträgers des Dengue-Virus, und schildern, mit welchen Symptomen sich die Krankheit bemerkbar macht. Zu Hause steht das Insektenspray griffbereit.
Ungute Erinnerungen
Vielen stellt sich da die Frage, wie Dengue und die »größte Party der Welt« zusammenpassen. Der Karneval setzt geschätzt sieben Millionen Menschen in Bewegung, darunter zahlreiche Touristen und Touristinnen. Auch die Einheimischen von Rio, die »Cariocas«, sind in Feierlaune und schenken all dem wenig Beachtung. »Es gibt viele Leute, die Acht geben. Aber den meisten ist es egal«, sagt der 24-jährige Felipe Silva, der am Sonntag mit einigen »Blocos« gefeiert hat. »Leider erschwert das die Situation, wenn sie Wasser, Eiswürfel oder Bier einfach irgendwo lassen.« Die unzähligen kleinen Wasseransammlungen, die sich in einer Millionenstadt finden, vom Blumentopf bis zur weggeworfenen Coladose, sind bevorzugte Brutstätten für die Stechmücken.
Schon einmal trafen die Vorbereitungen auf den Karneval mit der Ankunft eines Erregers zusammen: Im Februar 2020 war sich die Öffentlichkeit der Bedrohung durch das Coronavirus noch kaum bewusst, den Karneval wollte niemand absagen. Ein Jahr später brach im Land das Gesundheitssystem zusammen, Massengräber wurden ausgehoben.
Dass es nun wieder genauso kommt, ist unwahrscheinlich. Zum einen ist bei Dengue der Anteil von Erkrankungen mit schweren oder gar tödlichen Komplikationen geringer als bei den ersten Coronavarianten. Zum anderen überträgt sich das Virus nicht direkt von Mensch zu Mensch. Die berüchtigten »Superspreader-Events« sind darum nicht zu befürchten. Der Erreger braucht immer ein Vehikel wie die Asiatische Tigermücke (Aedes aegypti) oder nahe verwandte Arten, die auch Gelbfieber, Chikungunya und Zika übertragen. Die Moskitos saugen das Virus mit dem Blut ihrer Opfer auf und geben es bei den nächsten Blutmahlzeiten weiter – so lange, bis sie sterben.
Fieber, Schmerzen – und ein neuer Impfstoff
Wen es erwischt, der muss mit hohem Fieber und starken Schmerzen rechnen. Ihren Namen »Knochenbrecher-Fieber« trägt die Krankheit nicht ohne Grund. Immerhin lassen sich diese Symptome mit üblichen Medikamenten lindern. Doch vor allem, wer sich zum zweiten Mal infiziert, trägt ein erhöhtes Risiko für einen schweren Verlauf, bei dem es zu Komplikationen etwa durch innere Blutungen kommen kann. Nach Angaben des Robert Koch-Instituts sterben bei angemessener medizinischer Versorgung trotzdem weniger als ein Prozent der Infizierten.
Und noch etwas soll sicherstellen, dass sich Zustände wie zu Zeiten der Corona-Pandemie nicht wiederholen: Mit einer groß angelegten Impfkampagne will die Regierung so früh wie möglich den aktuellen Ausbruch unter Kontrolle bringen – und dank einer breiten Immunisierung idealerweise auch künftigen Wellen die Spitze nehmen. Der neue Dengue-Impfstoff Qdenga des japanischen Pharmakonzerns Takeda soll es möglich machen. »Das ist ein historischer Moment«, sagte Gesundheitsministerin Nísia Trindade in einer Pressemitteilung vom Freitag. »Seit 40 Jahren wartet man auf eine Dengue-Impfung. Und jetzt haben wir eine, die Teil des öffentlichen Gesundheitssystems SUS ist.« Brasilien verfügte zwar über eine Impfung gegen das Virus, bot diese aber nur im privaten Gesundheitssystem an.
Im Januar erhielt nun das Gesundheitsministerium in der Hauptstadt Brasília hunderttausende Dosen des Dengue-Impfstoffs, weitere Hunderttausende sollen im Februar folgen, insgesamt sind wohl mehr als fünf Millionen Dosen für dieses Jahr beschafft worden. Im Hauptstadtdistrikt, in dem die Situation am alarmierendsten ist, hat die Kampagne bereits am Freitag begonnen, Medienberichten zufolge allerdings mit weniger Impfdosen als erwartet.
Der Impfstoff ist zur Vorbeugung für alle Menschen zwischen 4 und 60 Jahren bestimmt, sowohl für diejenigen, die noch nie erkrankt sind, als auch für diejenigen, die bereits infiziert wurden. In klinischen Studien zeigten die beiden Dosen eine Wirksamkeit von 80,2 Prozent bei der Verhinderung von Ansteckungen und von 90,4 Prozent bei der Verhinderung schwerer Fälle. Die Brasilianische Gesellschaft für Immunisierung (SBIm) empfiehlt einen Schutz für alle Personen in der in Frage kommenden Altersgruppe.
Impfung nur in ausgewählten Orten
Doch noch längst sind nicht genug Dosen für alle vorhanden. Nur an ausgewählte Gemeinden wird der rationierte Impfstoff geliefert, die Karnevalshochburg Rio de Janeiro gehört einer Mitteilung des Ministeriums zufolge nicht zu den ersten zehn Empfängern. Kriterien sind etwa die Zahl der Fälle im vergangenen Jahr und die Einwohnerzahl der Städte. Bevölkerungsreiche Gemeinden erhalten den Impfstoff früher, denn Dengue ist eine Krankheit des urbanen Raums, anders als in den dünn besiedelten Gegenden auf dem Land arbeitet hier die Statistik für das Virus. Priorität haben Kinder und Jugendliche zwischen 10 und 14 Jahren – die Altersgruppe mit der höchsten Zahl von Krankenhausaufenthalten wegen Dengue in Brasilien in den vergangenen Jahren.
Um die Produktion in Brasilien zu steigern, ist die renommierte Forschungseinrichtung Instituto Butantan in São Paulo dabei, Butantan-DV, einen eigenen Dengue-Impfstoff, zu entwickeln. Ziel ist eine strategische Partnerschaft mit dem japanischen Pharmakonzern Takeda.
Karneval hin oder her, die Chancen, dass das südamerikanische Land seine Impfkampagne gestemmt bekommt, sind gut. Das Impfen selbst und auch die Herstellung der Vakzine haben eine lange Tradition in Brasilien. In der Corona-Pandemie lief die Impfkampagne zwar zunächst schleppend an, weil die Regierung Probleme hatten, genug Impfstoff zu bekommen, oder die Beschaffung verschleppte. Als die Kampagne aber einmal in Schwung war, konnte das Land auf eine tief verwurzelte Impfkultur und eingespielte Impfstrukturen setzen. Ärzteteams reisten ins tiefe Amazonasgebiet, um die Bewohner zu impfen.
Auch diesmal stehen etwa Orte in Amazonien auf der Liste der 521 Gemeinden für die erste Charge des Dengue-Impfstoffs. Brasilianer sind es von klein an gewohnt, sich gegen zahlreiche Krankheiten impfen zu lassen. Impfskepsis gibt es kaum. Bianca Goncalves etwa, die in Rio den ganzen Sonntag in »Blocos« unterwegs war, wartet schon auf die Impfung: »Ich hoffe, dass sie bald kommt; wenn es eine Impfung gibt, nehme ich sie.«
In der Corona-Pandemie wurden die Impfungen an Gesundheitsposten, in Krankenhäusern und speziellen Impfpraxen verabreicht, auch in Kirchen, Fußballstadien und Impfstraßen. Und wer weiß, wenn am Samstag die letzten Tänzerinnen und Tänzer ihre prächtigen Glitzerkostüme abgelegt haben, dann spielt vielleicht sogar wieder das legendäre Sambodrom seine Größe aus, wie damals in der Pandemie, als die lang gezogene Arena zu einem Drive-thru-Impfzentrum wurde.
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