Hirnforschung: Geteilte Last Erinnerung
Unsere lang vergangenen Erinnerungen sind komplexe Mosaike aus Farben, Formen, Geräuschen und Gerüchen – wie kann da ein einziger aufgefrischter Sinneseindruck ausreichen, um sie wieder vollständig zusammenzupuzzeln?
Entspannen Sie sich für eine kurze Gedankenreise, einen kurzen Ausflug in die schönsten Ferien am Meer, an die Sie sich erinnern können: Hin zu Sonne, weitem Strand und wogenden Wellen. Sehen Sie's vor sich?
Was immer gerade vor Ihrem inneren Auge aus den Tiefen der Erinnerung entsteht: Sicher ist es zumindest leicht anders eingefärbt als, zum Beispiel, meine innere, an Nordseestränden geprägte Badeurlaub-Gedankenwelt. Dort spielt der unverwechselbare Geschmack von holländischer Kinder-Trinkschokolade aus der Strandbude eine wichtige Rolle, und der typische, lang fast vergessene Geruch von Siebziger-Jahre-Sonnencreme aus gelben Flaschen mit brauner Aufschrift (wie hieß nochmal die Marke?), ebenso wie das Gefühl rieselnden Sandes (eher kühl) zwischen frisch strumpfbefreiten Zehen. Jay Gottfried dagegen, Wissenschaftler des University College London, sieht, hört und riecht beim Motto "Strand" die Farbe eines Sonnenschirms, rauschende Wellen und – ausgerechnet – den leicht fauligen Geruch verrottenden Seegrases. Und Sie?
Auch Ihre Erinnerung setzt sich zusammen aus einem Sammelsurium von Eindrücken verschiedenster Sinne. Der Grund dafür liegt, nach Ansicht von Gehirnforschern wie Gottfried, in der Art und Weise, mit der unser Gehirn Vergangenes speichert: Ganz offenbar verdrahtet unser Gedächtnis den bei erinnerungswürdigen Situationen gesammelten sensorischen Input von Auge, Nase, Ohr und Zunge zu einem gemeinsamen Ganzen.
Das hat unbestreitbare Vorteile: Eine aus verschiedenen Sinnes-Quellen gespeiste Erinnerung kann dann auch über verschiedene sensorische Wege reaktiviert werden. Angestoßen von scheinbar unwesentlichen, unbewusst wahrgenommenen Kleinigkeiten hilft unsere Fähigkeit zu assoziativer Erinnerung dabei, auch komplexe Situationen nicht zu vergessen und passend aus den Tiefen des Gedächtnisses hervorzukramen.
Subjektiv ist dies einleuchtend, wissenschaftlich aber gar nicht einfach nachzuvollziehen und zu belegen. Bildgebende Verfahren wie die funktionelle Kernspinresonanztomografie (fMRI) enthüllten bereits, erwartungsgemäß, eine prominente Rolle des für viele Gedächtnisprozesse verantwortlichen Hippocampus: Offensichtlich laufen im Zuge assoziativer Erinnerung hier alle Fäden zusammen – gespeichert aber werden die Einzelheiten wohl größtenteils anderswo.
Interessant ist nun, was erkannte Bilder im Gehirn der Kandidaten auslösten: Trotz fehlender Geruchs-Stimulation waren an der Wiedererkennung neben dem Hippocampus und optischen Zentren auch der für die Duftstofferkennung verantwortliche Gehirnbereich aktiv, der so genannte piriforme Kortex. Dies diente nicht dazu, einen etwaigen Riechprozess einzuleiten: Die Nasenflügel der Teilnehmer blieben still, ihre Atemfrequenz änderte sich nicht. Offenbar war die Aktivität des Geruchszentrums aber am Wiedererkennen des nun rein optischen Signals intensiv beteiligt.
Dies passt zu zuvor gesammelten Erkenntnissen, nach denen auch optische und akustische Zentren des Gehirn aktiviert werden, sobald vergangenes Erleben reproduziert werden soll. Gottfried und seine Kollegen vermuten, dass passend zu erinnerten Ereignissen einzelne Sinneseindrücke in den jeweils zuständigen Gehirnzentren abgelegt und über den Hippocampus quasi verlinkt werden – hier laufen alle Informations-Puzzlestücke des Erinnerten zusammen. Im Idealfall reicht die Reaktivierung eines einzelnen Sinneskanals dieses verteilten Erinnerungsnetzwerks, um eine umfassend stimmige Reproduktion im Gehirn wieder aufleben zu lassen, schlussfolgern die Forscher.
Schade, dass unsere Erinnerung trotz allem nicht perfekt funktioniert. Sonst könnte ich mich endlich weder an den Markennamen der alten Sonnencreme erinnern – war es was mit D? Egal, wahrscheinlich ist mit jahrzehntelang veränderter Rezeptur, zum Wohle besserer Hautverträglichkeit und höherem Lichtschutzfaktor, leider auch längst der vertraute Geruch verloren gegangen, und mit ihm meine billige Fahrkarte zurück in die süße Erinnerung an das Strandleben der Kindheit. Da hat Gottfried es dann doch leichter, mit seinem Dufterinnerungs-Mosaikstein "verrottendes Seegras". Das gibt es wohl immer noch recht häufig.
Was immer gerade vor Ihrem inneren Auge aus den Tiefen der Erinnerung entsteht: Sicher ist es zumindest leicht anders eingefärbt als, zum Beispiel, meine innere, an Nordseestränden geprägte Badeurlaub-Gedankenwelt. Dort spielt der unverwechselbare Geschmack von holländischer Kinder-Trinkschokolade aus der Strandbude eine wichtige Rolle, und der typische, lang fast vergessene Geruch von Siebziger-Jahre-Sonnencreme aus gelben Flaschen mit brauner Aufschrift (wie hieß nochmal die Marke?), ebenso wie das Gefühl rieselnden Sandes (eher kühl) zwischen frisch strumpfbefreiten Zehen. Jay Gottfried dagegen, Wissenschaftler des University College London, sieht, hört und riecht beim Motto "Strand" die Farbe eines Sonnenschirms, rauschende Wellen und – ausgerechnet – den leicht fauligen Geruch verrottenden Seegrases. Und Sie?
Auch Ihre Erinnerung setzt sich zusammen aus einem Sammelsurium von Eindrücken verschiedenster Sinne. Der Grund dafür liegt, nach Ansicht von Gehirnforschern wie Gottfried, in der Art und Weise, mit der unser Gehirn Vergangenes speichert: Ganz offenbar verdrahtet unser Gedächtnis den bei erinnerungswürdigen Situationen gesammelten sensorischen Input von Auge, Nase, Ohr und Zunge zu einem gemeinsamen Ganzen.
Das hat unbestreitbare Vorteile: Eine aus verschiedenen Sinnes-Quellen gespeiste Erinnerung kann dann auch über verschiedene sensorische Wege reaktiviert werden. Angestoßen von scheinbar unwesentlichen, unbewusst wahrgenommenen Kleinigkeiten hilft unsere Fähigkeit zu assoziativer Erinnerung dabei, auch komplexe Situationen nicht zu vergessen und passend aus den Tiefen des Gedächtnisses hervorzukramen.
Subjektiv ist dies einleuchtend, wissenschaftlich aber gar nicht einfach nachzuvollziehen und zu belegen. Bildgebende Verfahren wie die funktionelle Kernspinresonanztomografie (fMRI) enthüllten bereits, erwartungsgemäß, eine prominente Rolle des für viele Gedächtnisprozesse verantwortlichen Hippocampus: Offensichtlich laufen im Zuge assoziativer Erinnerung hier alle Fäden zusammen – gespeichert aber werden die Einzelheiten wohl größtenteils anderswo.
Gottfried und seine Kollegen untersuchten nun mit 19 Freiwilligen, wie Gerüche als Sinneseindruck in den gemeinschaftlichen Erinnerungsprozess einstimmen. Dazu trichterten die Forscher den Teilnehmern zunächst einige assoziative Erinnerungen ein: Sie sahen jeweils ein Bild in Kombination mit einem unverwechselbaren Duftreiz, der mit dem abgebildeten Gegenstand allerdings nichts zu tun hatte. Nach dieser Lernphase wurden den Probanden dann einige der zuvor gemerkten, sowie einige zufällig darunter gemischte neue Bilder präsentiert, die sie jeweils als unbekannt oder als bereits in der Lernrunde gesehen einordnen sollten. Während dieses Experiments wurde ihre Gehirnaktivität per fMRI beobachtet.
Interessant ist nun, was erkannte Bilder im Gehirn der Kandidaten auslösten: Trotz fehlender Geruchs-Stimulation waren an der Wiedererkennung neben dem Hippocampus und optischen Zentren auch der für die Duftstofferkennung verantwortliche Gehirnbereich aktiv, der so genannte piriforme Kortex. Dies diente nicht dazu, einen etwaigen Riechprozess einzuleiten: Die Nasenflügel der Teilnehmer blieben still, ihre Atemfrequenz änderte sich nicht. Offenbar war die Aktivität des Geruchszentrums aber am Wiedererkennen des nun rein optischen Signals intensiv beteiligt.
Dies passt zu zuvor gesammelten Erkenntnissen, nach denen auch optische und akustische Zentren des Gehirn aktiviert werden, sobald vergangenes Erleben reproduziert werden soll. Gottfried und seine Kollegen vermuten, dass passend zu erinnerten Ereignissen einzelne Sinneseindrücke in den jeweils zuständigen Gehirnzentren abgelegt und über den Hippocampus quasi verlinkt werden – hier laufen alle Informations-Puzzlestücke des Erinnerten zusammen. Im Idealfall reicht die Reaktivierung eines einzelnen Sinneskanals dieses verteilten Erinnerungsnetzwerks, um eine umfassend stimmige Reproduktion im Gehirn wieder aufleben zu lassen, schlussfolgern die Forscher.
Schade, dass unsere Erinnerung trotz allem nicht perfekt funktioniert. Sonst könnte ich mich endlich weder an den Markennamen der alten Sonnencreme erinnern – war es was mit D? Egal, wahrscheinlich ist mit jahrzehntelang veränderter Rezeptur, zum Wohle besserer Hautverträglichkeit und höherem Lichtschutzfaktor, leider auch längst der vertraute Geruch verloren gegangen, und mit ihm meine billige Fahrkarte zurück in die süße Erinnerung an das Strandleben der Kindheit. Da hat Gottfried es dann doch leichter, mit seinem Dufterinnerungs-Mosaikstein "verrottendes Seegras". Das gibt es wohl immer noch recht häufig.
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