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Gewaltbereite Männer: »Es gibt belastbare Zahlen, die nicht weniger erschreckend sind«

Jeder dritte Mann findet es in Ordnung, seine Partnerin gelegentlich zu schlagen – dieses Umfrageergebnis machte bundesweit Schlagzeilen. Aber stimmt das wirklich? Die Soziologin Katja Sabisch über erschreckende Zahlen und traditionelle Geschlechterrollen.
Im Hintergrund ist unscharf eine Frau zu sehen, im Vordergrund eine geballte Faust.
Während die Anzahl der Opfer von Gewalt in Partnerschaften von 2020 auf 2021 um drei Prozent gesunken ist, stieg sie in den vergangenen fünf Jahren insgesamt um 3,4 Prozent, von 138 893 im Jahr 2017 auf 143 604 im Jahr 2021.

Die meisten Männer halten es für falsch, die eigene Frau oder Freundin zu schlagen. Doch eine ziemlich große Minderheit findet das in Ordnung und hat selbst schon mal zugeschlagen, um sich Respekt zu verschaffen. Wie kann das sein? Antwort gibt die Soziologin Katja Sabisch, Professorin für Gender Studies an der Ruhr-Universität Bochum.

»Spektrum.de«: Frau Professor Sabisch, laut einer Umfrage der Organisation Plan International im Sommer 2023 findet es jeder dritte Mann »akzeptabel, wenn ihm im Streit mit der Partnerin gelegentlich die Hand ausrutscht«. Jeder dritte gab überdies an, gegenüber einer Frau schon handgreiflich geworden zu sein, um ihr Respekt einzuflößen. Haben wir wirklich so ein großes Problem mit Gewalt in heterosexuellen Partnerschaften?

Katja Sabisch: Die Umfrage war meines Erachtens nicht repräsentativ für Deutschland, denn die Befragten stammten aus einem bereits bestehenden Online-Panel eines Marktforschungsunternehmens. Das kann keine repräsentative Stichprobe gewesen sein, wie wir sie in der quantitativen Sozialforschung kennen. Solche Online-Panels sind hochselektiv, weil oft nur Leute mitmachen, die ein großes Mitteilungsbedürfnis haben.

Also alles halb so schlimm?

Das kann man so leider auch nicht sagen. Es gibt belastbare Zahlen etwa aus der Viktimisierungsstudie Sachsen, die nicht weniger erschreckend sind: Nahezu alle befragten Frauen hatten sexuelle Belästigung erlebt. Hinterherpfeifen, aufdringliche Blicke, als unangemessen empfundene Sprüche und Ähnliches. Das kennen neun von zehn Frauen. Und jede dritte hatte sexualisierte Gewalt in Form von Zwang zu sexuellen Handlungen erlebt, bei jeder zweiten war es zum Versuch gekommen. Die Täter waren fast ausschließlich Männer, die Tatorte meist das eigene Wohnumfeld. Das heißt im Umkehrschluss, dass in Deutschland tatsächlich viele gewaltbereite Männer leben. Und dass wir ein großes Problem mit Gewalt in Partnerschaften haben.

Katja Sabisch | Die Professorin für Gender Studies an der Fakultät für Sozialwissenschaft, Ruhr-Uni Bochum, beschäftigt sich unter anderem damit, wie Jungen und junge Männer ihre eigene Geschlechterrolle erleben und welche Einstellungen sie zu Mädchen und Frauen, Homosexualität und geschlechtlicher Vielfalt haben.

Sind die Daten aus der Studie auf andere Bundesländer übertragbar?

Ich denke schon. Es handelt sich um valide Zahlen aus der Betroffenenperspektive, für die nicht nur Fragebogen ausgewertet, sondern auch Kontexte wie Migrationshintergrund oder Behinderungen berücksichtigt wurden. Die Daten von Plan International sind nicht repräsentativ. Doch würden wir deutschlandweit so repräsentativ befragen wie in Sachsen, kann es trotzdem sein, dass wir auf ähnliche Ergebnisse kommen.

Sie meinen, wir dürfen die Zahlen von Plan International also nicht verharmlosen?

Jedenfalls lassen die Ergebnisse für die Männer, die bei dem Marktforschungsinstitut gelistet sind, den Schluss zu, dass es mehr sind, als ich gedacht hätte. Verstörend finde ich, dass viele zu glauben scheinen, sie hätten ein Recht auf die Verfügbarkeit, die Kontrolle oder auch den Gehorsam von Frauen – alles versteckt unter dem Begriff »Respekt«. Dies zeugt von einer ungerechten Geschlechterkultur, die die Philosophin Kate Manne in ihrem Buch »Down Girl« sehr erhellend beschreibt.

»Viele Männer glauben, sie hätten einen Anspruch auf Zuwendung, Fürsorge, Mitgefühl, Bewunderung und schließlich Sex«

Was genau schreibt Kate Manne?

Sie analysiert, dass wir in einer tief verankerten, ungleichen Kultur leben, in der Frauen immer mehr geben müssen als Männer. Viele Männer glauben, sie hätten einen Anspruch auf Zuwendung, Fürsorge, Mitgefühl, Bewunderung und schließlich Sex. Frauen geben und Männern steht es zu – umgekehrt ist es nicht so. Kate Manne veranschaulicht dies vor allem am Phänomen sexuelle Belästigung und Gewalt. So werden Frauenkörper auf der Straße ungefragt kommentiert (»street harassment«), junge Mädchen sexualisiert, Betroffene von sexueller Gewalt nicht ernst genommen. Anzeigen verlaufen oft im Sand, und sogar wenn eine Frau ermordet wurde, also ein Femizid geschehen ist, wird die Schuld noch bei der Frau gesucht, weil sie zu wenig gegeben hat.

Spielen Bildung und Einkommen beim Thema Gewalt eine Rolle?

Es ist ein weit verbreitetes Vorurteil, dass Gewalt nur in ökonomisch ärmeren Familien vorkommt. Die Forschung liefert keinerlei Bestätigung dafür. Studienergebnisse weisen lediglich darauf hin, dass das soziale Milieu eine Rolle spielt, ob Anzeige erstattet wird oder nicht. Betroffene aus höheren Bildungsschichten wenden sich seltener an Hilfseinrichtungen, vermutlich aus Angst vor Stigmatisierung. Bei Frauen mit Migrationshintergrund hat es oft strukturelle Gründe, dass sie Hilfsangebote nicht wahrnehmen. Viele wissen einfach zu wenig darüber.

Dann muss die Dunkelziffer riesig sein …

… und das bereitet mir Bauchschmerzen. Denn es geht um gravierende Menschenrechtsverletzungen, und trotzdem wird so wenig getan. In anderen europäischen Ländern funktioniert das besser. Spanien hat für Femizide sogar eine eigene Staatsanwaltschaft und ein Frühwarnsystem. Damit lassen sich viele Todesfälle verhindern, weil es vorher meist Warnzeichen gibt.

»Gefragt, wer in der Familie die Care-Arbeit übernehmen soll, sahen die Männer vor allem die Frauen in der Pflicht«

Gewalt in der Partnerschaft basiert also auf einem bestimmten Rollenverständnis. Wie sehen Männer denn ihre Rolle in einer Beziehung?

Nach den Übergriffen in der Kölner Silvesternacht 2015 haben wir für unsere Studie »Junge Männer in Deutschland« mehr als 800 Männer per Fragebogen und 60 weitere in Interviews befragt. Die Männer waren zwischen 16 und 28 Jahre alt. Von den Interviewten hatten 20 die deutsche Staatsbürgerschaft, 20 neben der deutschen noch eine weitere und 20 Männer waren gerade erst als Geflüchtete nach Deutschland gekommen. Unterschiede fanden wir nur in Nuancen. Nahezu alle waren für Gleichberechtigung und fanden normal, dass Frauen berufstätig sind. Es gab aber auch einen Widerspruch.

Welchen?

Gefragt, wer in der Familie die Care-Arbeit übernehmen soll, sahen die Männer vor allem die Frauen in der Pflicht. Dass die gerechte Aufteilung von Care-Arbeit und Gleichberechtigung miteinander zusammenhängen, war nicht in ihren Köpfen. Ich denke, das liegt an dieser verfestigten Geschlechterkultur. Die Annahme, dass Frauen von Natur aus besser auf Kinder aufpassen können als Männer, steckt tief in uns und bestimmt unser Handeln. Berufstätige Mütter leisten pro Tag etwa eineinhalb Stunden mehr unbezahlte Care-Arbeit als Väter. Und der Staat unterstützt das, etwa mit dem Ehegattensplitting.

Wir sind also für Gleichberechtigung, aber es hapert an der Umsetzung?

So könnte man das sagen. Wir haben die Männer gefragt, wie sie es fänden, wenn ihre Frau mehr Geld verdiente als sie. Da waren sie sich nicht mehr so einig. Sie antworteten etwa: »Ich wäre stolz auf meine Frau, würde mich aber auch ein bisschen schämen.« Nach wie vor definiert sich Männlichkeit in diesem Alter über Berufstätigkeit und beruflichen Erfolg. Die Männer waren für Gleichberechtigung, konnten das jedoch nicht mit ihrer Vorstellung von Zusammenleben in Einklang bringen.

»Der sehr aggressiv auftretende Antifeminismus wird eher von jüngeren Männern propagiert«

Wie ist das bei älteren Männern?

Wer um 1950 geboren wurde, hat eine rechtlich völlig andere Situation erlebt. Bis 1977 durfte eine Frau nur erwerbstätig sein, wenn ihr Ehemann das erlaubte und sie ihre ehelichen Pflichten nicht vernachlässigte. Noch bis 1997 war Vergewaltigung in der Ehe legitim. Die heute älteren Männer hatten theoretisch die Verfügungsmacht über ihre Ehefrauen, konnten über deren Geld und deren Körper bestimmen. Die zweite Frauenbewegung änderte das, weil die Töchter dieser Männer ein anderes Leben wollten. Der gegenwärtig sehr aggressiv auftretende Antifeminismus wird allerdings eher von jüngeren Männern propagiert. Das liegt vermutlich daran, dass die Hetze gegen feministische Errungenschaften vor allem in den sozialen Medien stattfindet. Dort bewegen sich die jungen Männer, die ihre Privilegien bedroht sehen und sich nach der guten alten Zeit sehnen.

Und wie ist es mit jungen Frauen, was denken die?

Ich denke, dass sich die Mehrheit eine gleichberechtigte Partnerschaft wünscht.

Dennoch ist es üblich, dass Frauen nach der Geburt eines Kindes in Teilzeit arbeiten.

Das Ernährer-Zuverdienerinnen-Modell ist tatsächlich weit verbreitet. Ob das unbedingt mit einer traditionellen Einstellung einhergeht, bezweifle ich allerdings. Eher zwingt die politische und rechtliche Situation so manche Familie zu diesem Modell – so genannte Frauenberufe sind schlechter bezahlt, Unternehmen spielen nicht mit, wenn Väter in Elternzeit gehen wollen, die Kinderbetreuung ist schlecht ausgebaut. Laut »Familienreport 2020« erwarten heute zwei Drittel der Bevölkerung, dass »Väter sich um ihre Kinder kümmern, sich stark im Familienalltag engagieren und ihre Partnerin unterstützen«. Aber da liegt ja der Hase im Pfeffer: »unterstützen«! Den Mental Load haben die Frauen, und dass die Männer in der Regel mehr Geld verdienen, macht es nicht einfacher.

Ändern sich die Rollen, wenn eine Frau mehr Geld verdient als ihr Mann?

2018 zeigte unsere Studie »Väter in Elternzeit«, dass selbst Frauen, die mehr verdienen als ihre Männer, eher in Elternzeit gehen. Und zwar im Schnitt für 14,6 Monate, während Männer im Schnitt nur auf 3,6 Monate kommen. Wenn Frauen gern in Elternzeit gehen möchten, ist das völlig legitim, ich verurteile das nicht. Doch im sozialen und ökonomischen Sinn haben sie mehr zu verlieren, wenn sie das machen. Weil sie weniger in die Rentenkasse einzahlen – Altersarmut betrifft ja vor allem Frauen. Das ist schon seit den 1970er Jahren erwiesen, aber niemand hört darauf. Es ist bis heute so, dass es nach der Eheschließung und mit dem ersten Kind zu einer Retraditionalisierung kommt.

Steckt es nicht seit Jahrhunderten in uns drin, dass Frauen sich um die Kinder kümmern und Männer um den Lebensunterhalt?

Das ist falsch. Erst seit der Industrialisierung wird das so gelebt. Vorher arbeiteten Frauen genauso wie Männer und das Aufziehen der Kinder lief quasi nebenher. Die waren auf dem Feld einfach mit dabei. Erst im Lauf des 19. Jahrhunderts wurden die Frauen zu Hausfrauen.

Welche Rolle spielt das Bildungsniveau der Frau, ob sie zur Hausfrau wird?

Obwohl heute zehn Prozent mehr Frauen als Männer Abitur machen, es mehr Studentinnen als Studenten gibt und Akademikerinnen auf dem Vormarsch sind, stoßen diese Frauen früher oder später an die gläserne Decke. Immer geht es um die Frage: Wer kümmert sich um die Kinder? Dabei spielen, das hat unsere Untersuchung ebenfalls gezeigt, nicht immer ökonomische Faktoren eine Rolle. Auch hier wird auf das naturgemäße Mysterium verwiesen, Frauen könnten Kinder besser betreuen. Oft sogar von beiden.

Viele Frauen trauen ihren Männern gar nicht zu, auf die Kinder aufzupassen.

Wir nennen das »maternal gatekeeping«, wenn Mütter den Vätern die Care-Arbeit abnehmen, weil sie meinen, sie können das besser. Es gibt tatsächlich auf beiden Seiten einiges zu tun, was Familienarrangements angeht. Und seitens der Politik. Die denkt in Vierjahresabschnitten, weshalb sich keiner traut, so richtig was zu ändern. Ein Zwang zu Elternzeit für Männer wäre eine Revolution. Aber das kommt sicher nicht gut an.

Rechtskonservative und rechtsextreme Strömungen sind stärker geworden. Könnten sie das Rollenbild beeinflussen?

Ich glaube nicht, denn das Bild von Familie ist wie gesagt schwer veränderbar. Doch die Debattenkultur und der Geschlechterdiskurs haben sich verändert, wodurch antifeministische Strömungen stärker geworden sind. Rammstein ist ein eindrucksvolles Beispiel. Äußern sich betroffene Frauen, stoßen sie auf zwei Seiten: Einerseits erfahren sie Ablehnung und Hass, typisches »victim blaming«. Andererseits – und das ist neu – erleben sie eine große Welle der Solidarität, und das ist der Verdienst von #metoo. Die Kampagne »Wie viel Macht ein Euro?« sammelt Geld, damit sich Betroffene einen Anwalt leisten können. Das ist eine positive Entwicklung, denn Frauen werden besser gehört. Auch dass im Zuge des Reichelt-Skandals bei der »Bild«-Zeitung von Machtmissbrauch im Unterschied zu sexueller Gewalt die Rede war, ist ein Fortschritt.

Müssen wir mehr über Frauen, Männer, Gewalt und Macht reden?

Unbedingt. Dann trauen sich mehr Frauen, ihre Geschichte zu erzählen. Gestern kam in den Nachrichten, dass es inzwischen mehr Anzeigen wegen häuslicher Gewalt gebe. Die Anzeigebereitschaft steigt, je mehr wir offen reden.

Vieles hat sich schon verbessert. Im gerade veröffentlichten »Global Gender Gap Index 2023« ist Deutschland immerhin vom zehnten auf den sechsten Platz vorgerückt. Müssen wir vielleicht geduldiger sein auf dem Weg zur Gleichberechtigung?

Nein, aktiver! Wenn es weiter so langsam vorangeht, ist das fatal. Vor allem, was Gewalt angeht. Denn Frauen leiden darunter und niemand unternimmt etwas.

Was sollen wir tun?

Wir müssen die Probleme auf vielen Ebenen angehen. Das geht schon bei geschlechtersensibler Pädagogik im Kindergarten und sexualpädagogischer Bildung in Schulen los. Leider wird das alles weggekürzt, obwohl wir ganz viele Hausaufgaben zu machen haben. Da fehlt mir der politische Wille. Es sollte in Zukunft nicht mehr heißen »protect your daughter«, sondern »educate your son«.

Meinen Sie, wir schaffen das?

Wenn ich meine 13-jährige Tochter sehe, dann glaube ich: ja. Wie sie ist, gibt mir Hoffnung. Wenn ich aber die Studie aus Sachsen sehe oder erfahre, dass sich Produkte wie verrückt verkaufen, mit dem sich K.-o.-Tropfen im Getränk messen lassen, dann denke ich, es ist Hopfen und Malz verloren.

Schnelle Hilfe bei Gewalt in der Partnerschaft

Wer sich von seinem Partner oder seiner Partnerin akut bedroht fühlt, sollte die 110 wählen. Zudem ist das Hilfetelefon »Gewalt gegen Frauen« unter 0800 0116016 kostenlos und rund um die Uhr erreichbar. Für Männer gibt es eine entsprechende Beratung unter 0800 1239900 und per Chat auf www.maennerhilfetelefon.de.

Auch wenn eine Freundin oder ein Familienmitglied in einer schwierigen Beziehung steckt, können Sie helfen. Bieten Sie ein offenes Ohr und informieren Sie über Hilfsangebote. Erwarten Sie dabei aber keine schnellen Erfolge und versuchen Sie, die Person zu nichts zu drängen. Achten Sie unbedingt auch auf Ihre eigene Sicherheit und Ihre emotionalen Grenzen.

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