Exoplaneten: Sehnsucht nach dem blauen Punkt
Computerspielveteranen erinnern sich bestimmt an "Civilization", den Klassiker aller Strategiespiele. Eine Möglichkeit zu gewinnen bestand darin, seine Zivilisation zum Nachbarstern Alpha Centauri überzusiedeln. Dass dort, 4,3 Lichtjahre von der Erde entfernt, eine behagliche Welt wartet, wurde stillschweigend vorausgesetzt. Heute kennen Astronomen zwar mehr als 3500 Planeten bei fernen Sternen, über Alpha Centauris Umgebung weiß man aber immer noch herzlich wenig. Dabei steht uns kein Sternsystem näher. Bei Proxima, einem Zwergstern im weiten Orbit um Alpha Centauri, hat man im vergangenen Jahr tatsächlich einen erdgroßen Planeten gefunden, doch Proxima ist im Vergleich zur Sonne ein kleines Licht.
Alpha Centauri hingegen ähnelt der Sonne sehr viel mehr – genauer gesagt handelt es sich sogar um zwei sonnenähnliche Sterne, die einander in knapp 80 Jahren umkreisen: Alpha Centauri A und B. Eine private Initiative namens "Project Blue" möchte nun genauer nachsehen, ob einer der Sterne oder sogar beide weitere Begleiter haben. Ihr Name ist inspiriert vom berühmt gewordenen Bild der Erde als "blassem blauem Punkt", aufgenommen von der Raumsonde Voyager aus sechs Milliarden Kilometer Entfernung. Das Bild, das Project Blue mit einem kühlschrankgroßen Weltraumteleskop aufnehmen will, soll ganz ähnlich aussehen. Doch dieses Mal soll der blaue Punkt eine Erde in der habitablen Zone von Alpha Centauri sein.
Die habitable Zone eines Sterns ist der Abstandsbereich, in dem Wasser auf der Oberfläche eines Planeten in flüssiger Form existieren kann. Selbst wenn es bei Alpha Centauri einen solchen Planeten gibt – einfach wird die Suche nicht. Nur besonders große und weit von ihren Sternen entfernt kreisende Planeten lassen sich bislang direkt abbilden. Meist sind diese Objekte sehr jung und heiß, so dass sie zusätzlich zum reflektierten Sternlicht auch eigene Infrarotstrahlung aussenden. Mit der Erde haben sie nicht viel gemeinsam. Enger kreisende Planeten, insbesondere solche in habitablen Zonen, stehen zu dicht an ihren millionenfach helleren Sternen, weshalb man sie nicht direkt abbilden kann. Stattdessen entdecken Astronomen sie etwa durch das "Wobbeln", also das periodische Hin- und Herwackeln des Sterns auf Grund der Anziehungskraft seines Planeten. Diese Methode funktioniert aber nur bei sehr massereichen und sehr eng um ihren Stern kreisenden Planeten gut.
Vermeintliches Wobbeln ist doch kein Planet
Im Jahr 2012 schlugen Astronomen Alarm: Sie hatten ein vermeintliches Wobbeln von Alpha Centauri B gemessen, das sie auf einen erdgroßen Planeten in einem Orbit von gerade einmal drei Tagen Umlaufdauer zurückführten. Die Taumelbewegung des Sterns lag bei nur 50 Zentimetern pro Sekunde, der Geschwindigkeit eines Spaziergängers. Doch der vorschnell "Alpha Centauri B b" getaufte Planet stellte sich bald als Messfehler heraus. Für Leben wäre er ohnehin viel zu heiß gewesen. Um ein erdgroßes Objekt in der habitablen Zone von Alpha Centauri A oder B zu finden, müsste man ein Sternwobbeln von weniger als zehn Zentimeter pro Sekunde messen – und das über Jahre. Mit den derzeit verfügbaren Teleskopen und Spektrografen geht das nicht. Und auch die Transitmethode, bei der sich Planeten verraten, wenn sie vor ihrem Stern vorbeiziehen, funktioniert bei Alpha Centauri nicht: Die Äquatorebenen beider Sterne, in denen mögliche Planeten kreisen würden, sind nicht auf die Erde gerichtet.
Keine Chance also, Planeten bei unseren direkten Nachbarsternen zu finden? Nicht ganz. Ihre in astronomischen Maßstäben geringe Entfernung ändert die Spielregeln. Projiziert man die habitablen Zonen von Alpha Centauri A und B an die Himmelssphäre, so überspannen sie immerhin rund vier Bogensekunden im Fall von A beziehungsweise zwei Bogensekunden im Fall von B. Eine Bogensekunde ist der 3600. Teil eines Grads, also ein ziemlich geringer Winkel. Doch schon kleine Amateurteleskope sind in der Lage, Winkelabstände von einer Bogensekunde darzustellen. Die Chance, einen Planeten in der habitablen Zone neben den Sternen räumlich abzubilden, ist damit erheblich größer als bei allen anderen Sternen des Himmels. Man muss nur noch einen Weg finden, das grelle Sternlicht in den Griff zu bekommen. Es ist, als wolle man das Glimmen eines Glühwürmchens neben einem Leuchtturmstrahl erkennen.
Planet gegen Stern ist wie Glühwürmchen gegen Leuchtturmstrahl
Im Jahr 2015 stellte Ruslan Belikov vom NASA Ames Research Center in Kalifornien gemeinsam mit einigen Kollegen ein Konzept für ein speziell auf diese Aufgabe zugeschnittenes Weltraumteleskop vor, das außerhalb der störenden Erdatmosphäre arbeitet. Das Problem des Sternlichts soll mit ihm gleich dreifach angegangen werden: erstens durch einen so genannten Koronografen. Das ist ein ursprünglich in den 1930er Jahren zur Beobachtung der Sonnenkorona entwickeltes Gerät, das das direkte Sternlicht durch eine kleine Blende abdeckt. Koronografen werden heute regelmäßig für die Beobachtung ferner Sterne eingesetzt, ihre Technologie gilt als ausgereift. Doch für die Fotografie eines Planeten neben Alpha Centauri reicht ein Koronograf allein nicht aus. Selbst das übrig bleibende Streulicht würde ausreichen, um das schwache Glimmen eines Planeten zu überdecken.
Deshalb entwickelten Belikov und sein Team das so genannte Multi-Star Wavefront Control (MSWC). Dieses System ähnelt in gewisser Weise der adaptiven Optik, mit der erdgebundene Observatorien die Störungen der Erdatmosphäre ausgleichen. Sein Ziel ist es, mittels eines deformierbaren Spiegels störende Lichtwellen so zu beeinflussen, dass sie sich durch destruktive Interferenz gegenseitig auslöschen. Auf diese Weise soll sich die Umgebung des durch den Koronografen abgeschirmten Sterns nochmals verdunkeln lassen. Der besondere Clou der MSWC-Technik besteht darin, dass sie das Streulicht mehrerer Sterne durch einen einzigen deformierbaren Spiegel zu eliminieren vermag – ein entscheidender Vorteil bei einem engen Doppelstern wie Alpha Centauri.
Selbst mit Koronograf und MSWC würden auf einem einzelnen Bild allerdings zunächst nur Lichtflecken, so genannte Speckles, zu sehen sein. Die meisten dieser Speckles entstünden durch statistisches Rauschen. Ein Planet sähe auf jeder Einzelaufnahme wie ein weiterer Speckle aus. Im dritten Schritt würden deshalb viele Aufnahmen zu einem finalen Bild kombiniert, in dem sich ein Planet aus dem Speckle-Rauschen abhebt. Dass sich der Planet von Aufnahme zu Aufnahme auf seiner Bahn weiterbewegt, könnte sich ein Computeralgorithmus namens Orbital Difference Imaging zu Nutze machen. Der filtert nur solche Speckles heraus, die sich auf definierten Bahnen bewegen. Nach etwa zwei Jahren – so lange kalkulieren Belikov und seine Mitarbeiter die Missionszeit – werden rund 20 000 Bilder gesammelt worden sein. Planeten in und außerhalb der habitablen Zone sowohl von Alpha Centauri A als auch B wären dann nachweisbar, wie Simulationen mit künstlichen Beobachtungsdaten zeigen.
Kleines Teleskop soll große Entdeckung machen
"ACESat" (Alpha Centauri Exoplanet Satellite) nannten die Forscher ihr Missionskonzept. Mit einem Spiegelteleskop von 30 bis 45 Zentimeter Durchmesser an Bord wäre der Satellit recht klein und preisgünstig. Amateurastronomen haben nicht selten größeres Gerät im Garten stehen. Natürlich wären außer dem "Entdeckungsfoto" mit so einem kleinen Instrument nicht viele Nachuntersuchungen der Planeten möglich. Aus den Farben der jeweiligen Planeten ließe sich eventuell auf deren Oberflächen schließen und vielleicht sogar erkennen, ob sie Atmosphären besitzen. Für genauere Studien, hoch aufgelöste Spektren gar, wäre ein größeres Weltraumteleskop nötig. Bei einem Erfolg von ACESat hätten Forscher und Ingenieure aber ein klares Ziel vor Augen.
Doch die NASA war nicht allzu sehr begeistert: Besitzen weder Alpha Centauri A noch B einen Planeten, dann wäre der wissenschaftliche Gewinn der Mission ziemlich mager. Für die Suche bei anderen, weiter entfernten Sternen wäre ACESat zu klein. Statt ein auf ein einziges Sternsystem spezialisiertes Teleskop will die Weltraumbehörde deshalb ein großes und aufwändigeres Projekt in Gang bringen, mit dem nicht nur Alpha Centauri, sondern gleich Dutzende Sterne abgesucht werden können. Ein solcher Satellit ist weit teurer als ACESat und wird frühestens Mitte des kommenden Jahrzehnts ins All starten. Nicht alle wollen so lange warten. Die Initiative Project Blue will das Konzept von Belikov und seinen Kollegen privat realisieren. Hinter Project Blue steht das ebenfalls private BoldlyGo Institute in New York. Dessen Ziel ist die Realisierung von abgelehnten Weltraummissionen mit privaten Mitteln. Unter der Führung von Jon Morse, einem ehemaligen NASA-Direktor, versucht BoldlyGo unter anderem eine Mission zum Mars zu finanzieren, wie auch einen Nachfolger für das Hubble-Teleskop.
Das soll, genau wie bei Project Blue, hauptsächlich durch private Großspender und Crowdfunding gelingen. Im Vergleich zu anderen geplanten privaten Weltraummissionen wäre Project Blue ein kleinerer Posten: Zwischen 10 und 50 Millionen Euro solle der Satellit kosten, ein Start um 2020 herum sei realistisch. Erfolg oder Misserfolg von Project Blue wird auch ein Gradmesser dafür sein, ob komplexe Weltraummissionen ohne nationale Weltraumbehörden durchführbar sind. An Ideen und Initiativen mangelt es nicht, doch realisiert wurde bis jetzt kein einziges privates Projekt. Aus wissenschaftlicher Sicht wäre ein Erfolg jedenfalls wünschenswert. Allerdings hält sich das Interesse der Öffentlichkeit an Project Blue in Grenzen: Das Ziel, eine Anschubfinanzierung von einer Million Dollar mittels Crowdfunding zu erreichen, wurde Ende 2016 deutlich verfehlt.
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