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Ökologie: Wölfin, ledig, sucht …

Immer wieder gibt es Gerüchte über Mischlinge aus Wolf und Haushund, die jede Scheu verlieren und zur Gefahr für Mensch und Vieh werden. In Wirklichkeit paaren sich die ungleichen Verwandten aber nur sehr selten.
Wolf ganz nah

Seit der Wolf auf leisen Pfoten nach Deutschland zurückgekehrt ist, schießen die Gerüchte ins Kraut: Paart sich die wilde Verwandtschaft heimlich mit Haushunden und setzt Mischlinge in die Welt? Und sind diese so genannten Hybriden gefährlich, weil sie weniger Scheu vor dem Menschen haben als reinrassige Wölfe? Carsten Nowak vom Forschungsinstitut Senckenberg kennt solche Geschichten aus vielen Regionen der Welt. "Sie werden überall erzählt, wo Wölfe neu wieder auftauchen", sagt der Leiter des Fachgebiets Naturschutzgenetik im hessischen Gelnhausen. "Das ist bei uns nicht anders als in Finnland oder den USA." Oft fürchte man sich dann vor unheimlichen Mischwesen ohne natürliche Distanz zum Menschen. "Doch das ist mehr Fantasie als Realität", betont der Experte.

Dabei gibt es keinen Zweifel daran, dass Paarungen zwischen Wölfen und Hunden in freier Natur durchaus vorkommen können. Schließlich handelt es sich auch nach Jahrtausenden der Domestikation immer noch um Angehörige der gleichen Art Canis lupus. Anders als etwa Pferde und Esel setzen die ungleichen Partner nach einem solchen Rendezvous auch problemlos fruchtbaren Nachwuchs in die Welt. Möglicherweise sind einige Wölfe in Nordamerika auf diese Weise zu ihrem auffallend schwarzen Fell gekommen. Sie gelten als Nachfahren solcher Hybriden. In Europa sind verräterisch dunkle Tiere unter anderem in Italien aufgefallen. Und tatsächlich haben genetische Untersuchungen bestätigt, dass sich dort vor ein paar Generationen der eine oder andere Hund in die Ahnenreihe geschmuggelt hat. "Die Wolfspopulation in Italien war damals sehr klein", sagt Carsten Nowak. Mitte der 1970er Jahre soll es landesweit nur noch etwa 100 Tiere gegeben haben. Entsprechend schwierig war es für die Wölfe, einen Partner zu finden. Notgedrungen haben sich manche da offenbar auch mit einem streunenden Hund eingelassen.

Haben vielleicht Artgenossen in anderen Teilen Europas solche Gelegenheiten ebenfalls genutzt? Kleine Wolfsbestände und streunende Hunde gibt es schließlich auch außerhalb Italiens genug. Und die Tatsache, dass andernorts bisher keine schwarzen Tiere aufgetaucht sind, muss nichts bedeuten. Denn längst nicht jeder Hybride trägt dieses verräterische Merkmal. Diese Tiere können so ziemlich jedes Aussehen zwischen Wolf und Hund haben. Manche wirken so wolfsähnlich, dass sie äußerlich nur für absolute Fachleute mit viel Erfahrung und einem geschulten Auge zu erkennen sind. Klarheit verspricht in solchen Fällen oft ein Blick ins Erbgut. Doch selbst der ist manchmal schwierig. "Wahrscheinlich sind Wölfe im Lauf der Geschichte mehrmals in verschiedenen Regionen von Menschen domestiziert worden", sagt Carsten Nowak. Das hat dazu geführt, dass sich das Erbgut von Wölfen und Hunden heute nur in sehr feinen Nuancen unterscheidet. Da müssen Wissenschaftler schon ziemlich tief in die molekularbiologische Trickkiste greifen, um beide auseinanderhalten zu können.

Forensische Analysetechnik unterscheidet Erbgut von Wolf und Hund

Klassischerweise arbeiten sie dabei mit Verfahren, die auch Kriminalisten für forensische Analysen nutzen. Wenn diese an einem Tatort Spuren von Erbmaterial finden, können sie daraus den genetischen Fingerabdruck des möglichen Täters erstellen. Es gibt im Erbgut nämlich extrem variable Abschnitte, die außerhalb der eigentlichen Erbinformationen liegen. Diese so genannten Mikrosatelliten bestehen aus kurzen Sequenzen von DNA-Bausteinen, die sich bis zu 100-mal wiederholen. Die Anzahl der Wiederholungen ist dabei von Mensch zu Mensch und von Tier zu Tier verschieden. Wenn man also eine größere Anzahl dieser Mikrosatelliten analysiert, bekommt man ein bestimmtes, individuelles Muster.

Damit kann man nicht nur Straftäter überführen, sondern zum Beispiel auch Vaterschaften klären. Und wenn man ein gerissenes Schaf findet, kann man anhand der Speichelreste an seinen Wunden herausfinden, ob es einem Wolf, einem Hund oder einer Kreuzung aus beiden zum Opfer gefallen ist. Jedenfalls, solange der Riss noch frisch ist. Wie lange sich solche Spuren halten, haben Carsten Nowak und seine Kollegen mit Hilfe von hungrigen Gehege-Wölfen untersucht, die auf einem Stück Reh herumkauen durften. Nach einer, nach 24 und nach 48 Stunden haben die Forscher die Speichelreste am Kadaver untersucht. Dabei haben sie festgestellt, dass sich die vierbeinigen Täter vor allem in den ersten 24 Stunden gut per Mikrosatelliten-Analyse überführen lassen. Später werden die Ergebnisse dann immer unzuverlässiger.

Selbst bei einem ganz frischen Riss sind solche Untersuchungen allerdings keineswegs einfach. "Man braucht dazu viel Erfahrung", sagt Carsten Nowak. Für ein nicht auf solche Fragen spezialisiertes Labor sei die Unterscheidung von Hund und Wolf nicht immer sicher möglich. Denn auch zwischen den einzelnen Wolfspopulationen gibt es deutliche genetische Unterschiede. Um den vierbeinigen Täter identifizieren zu können, braucht man deshalb die richtigen Vergleichsproben. Sonst können die bei solchen Analysen verwendeten Computerprogramme das fragliche Erbmaterial nirgendwo sicher zuordnen. Und dann suggerieren die Daten fälschlicherweise, dass überall Hybriden herumlaufen.

Erbgutabweichungen durch Domestizierung

Carsten Nowak und seine Kollegen haben daher nach verlässlicheren Alternativen zur Mikrosatelliten-Analyse gesucht. Zwar können Wissenschaftler heutzutage auch aus kleinen Proben das gesamte Erbgut eines Lebewesens rekonstruieren; sogar bei längst ausgestorbenen Arten wie dem Neandertaler hat das bereits geklappt. "Für forensische Untersuchungen an Wildtieren ist das aber viel zu aufwändig", erklärt der Senckenberg-Experte. Viel interessanter für solche Zwecke sind dagegen die so genannten "single nucleotide polymorphisms" (SNPs). Das sind winzige Veränderungen im Erbgut, bei denen nur ein einziger DNA-Baustein ausgetauscht wurde. Tatsächlich haben die Gelnhausener Forscher zusammen mit finnischen Kollegen einige Stellen im Genom des Zellkerns gefunden, an denen sich die SNPs von Hunden und Wölfen unterscheiden. Die meisten dieser Abweichungen sind wahrscheinlich im Rahmen der Domestizierung entstanden.

Wolf | Paarungen zwischen Hunden und Wölfen sind möglich, kommen aber selten vor. Eventuell sind einige Wölfe in Nordamerika auf diese Weise zu ihrem auffallend schwarzen Fell gekommen – sie könnten Nachfahren solcher Hybriden sein.

Knapp 100 solcher charakteristischen Marker haben die Naturschutzgenetiker dann ausgewählt, um damit Wölfe aus allen möglichen Regionen Europas zu untersuchen: Tiere aus Italien und Polen, den Karpaten und Finnland. Und natürlich jede Menge Proben aus Deutschland. Das Forschungsinstitut Senckenberg ist schließlich das Nationale Referenzzentrum für genetische Untersuchungen an Wolf und Luchs. Das bedeutet, dass in Gelnhausen sämtliche im Rahmen des offiziellen Wolfsmonitorings gesammelten Spuren genetisch analysiert werden. Jedes Jahr kommen da bundesweit zwischen 1500 und 2000 Proben zusammen. "Da ist alles Mögliche dabei, was man auch von der Spurensicherung im Krimi kennt", sagt Carsten Nowak. Knochen, Zähne und Haare nehmen er und seine Kollegen ebenso unter die molekularbiologische Lupe wie Urinspuren im Schnee. Besonders gut lässt sich die Anwesenheit von Wölfen in einem Gebiet anhand ihres Kots nachweisen, mit dem sie ihre Reviere markieren. Seit einigen Jahren untersuchen die Forscher aber auch immer mehr gerissene Nutztiere auf Wolfsspuren. Schließlich bekommen die Besitzer nur dann eine Entschädigung, wenn es sich bei dem vierbeinigen Täter tatsächlich um einen Wolf handelt.

Mit Hilfe solcher Untersuchungen haben die Naturschutzgenetiker die deutsche Wolfspopulation sehr gut kennen gelernt. Sie können viele Tiere individuell identifizieren, wissen, wo sie herkommen und wer ihre Eltern waren. Sie kennen die Geschichte der meisten Rudel und ihrer Gründer. Und bisher haben sie nur einen einzigen Fall dokumentiert, in dem tatsächlich Hybriden in freier Wildbahn geboren wurden. 2003 hatte sich eine auf den Namen Sunny getaufte Wölfin in Sachsen mit einem Schäferhund gepaart und vier Welpen zur Welt gebracht. Zwei davon wurden eingefangen und in ein Gehege gebracht, die übrigen verschwanden spurlos und ließen sich auch genetisch nicht mehr nachweisen. "Wahrscheinlich sind sie schon als Jungtiere gestorben", vermutet Carsten Nowak.

Problemwolf war kein Hybride

In anderen Fällen dagegen hat sich der Verdacht immer wieder zerschlagen. Zum Beispiel bei Kurti, dem "Problemwolf" vom Truppenübungsplatz Munster in Niedersachsen, der im April 2016 auf Anordnung der Behörden getötet wurde. Der zwei Jahre alte Rüde war vor allem durch seine ungewöhnliche Zutraulichkeit aufgefallen, hatte sich Menschen immer wieder bis auf wenige Meter genähert. Rasch machten Vermutungen die Runde: War das nicht das typische Verhalten eines Hybriden? Und sah das eher schmächtige Tier nicht auch viel mehr wie ein Hund als wie ein Wolf aus? "Solche Beobachtungen führen oft in die Irre", betont Carsten Nowak. So stellen sich viele Menschen unter einem richtigen Wolf ein großes, kräftiges Tier vor, wie es oft in Naturdokumentationen aus Nordamerika zu sehen ist – am besten auch noch im üppigen Winterpelz. Mitteleuropäische Wölfe aber sind deutlich kleiner und bringen mit vielleicht 35 Kilogramm gerade einmal so viel Gewicht auf die Waage wie ein normaler Schäferhund. Zudem ist zutrauliches Verhalten bei reinrassigen Wölfen zwar extrem selten, kommt aber vor.

"Es gibt bisher keine Beweise dafür, dass Hybriden angriffslustiger sind als reinrassige Wölfe"Carsten Nowak

Das liegt zum einen daran, dass es auch in Wolfskreisen unterschiedliche Persönlichkeiten gibt. Einzelne sind von Natur aus einfach weniger misstrauisch und distanziert als die Mehrzahl ihrer Artgenossen. Zum anderen sind Wölfe ähnlich wie Füchse extrem anpassungsfähig. Wenn sie erst einmal gelernt haben, dass man in Siedlungen leicht an Fressbares kommt, können sie häufiger dort auftauchen. Und wenn sie als Welpen von Menschen gefüttert wurden, sehen sie erst recht keinen Anlass, sich dezent im Hintergrund zu halten. Vielleicht waren es ja solche Erfahrungen, die hinter Kurtis Zutraulichkeit steckten. Das genetische Erbe irgendwelcher Hundeahnen hat ihn jedenfalls nicht zu seiner Distanzlosigkeit verleitet. Denn die DNA-Analysen haben gezeigt, dass er durch und durch ein Wolf war.

Auch sonst haben die umfangreichen genetischen Untersuchungen der Senckenberg-Forscher keinen einzigen Hinweis darauf geliefert, dass Haushunde bei der Gründung von Wolfsfamilien in Deutschland eine Rolle gespielt hätten. Wenn sie ihr Erbgut überhaupt eingekreuzt haben, muss das viele Generationen her sein. Dass derzeit die Kinder, Enkel oder Urenkel einer solchen Mesalliance durch deutsche Wälder streifen, hält Carsten Nowak für extrem unwahrscheinlich: "Wenn es so wäre, wüssten wir das." Paarungen zwischen Hund und Wolf scheinen demnach sehr selten vorzukommen. Und zwar auch dann, wenn die Bestände klein und die Partner entsprechend dünn gesät sind. Im Notfall greifen Wölfe offenbar lieber auf Mitglieder ihrer eigenen Familie zurück, als sich mit einem Hund einzulassen. Jedenfalls finden sich in ihrem Erbgut viel häufiger Hinweise auf Inzucht als auf Hybridisierung.

Wölfe bevorzugen als Partner Familienmitglieder

Hybriden müssen nicht zum Sicherheitsrisiko werden. "Es gibt bisher keine Beweise dafür, dass Hybriden angriffslustiger sind als reinrassige Wölfe", sagt Carsten Nowak. Selbst verwilderte Populationen von reinen Haushunden entwöhnen sich schließlich schnell vom Menschen und sind dann oft sehr scheu. Der Senckenberg-Forscher hält es deshalb für unwahrscheinlich, dass durch die seltenen Kreuzungen besonders gefährliche Raubtiere entstehen. Trotzdem wollen Wissenschaftler und Naturschützer die Genetik der europäischen Wölfe weiter im Auge behalten – und zwar in deren eigenem Interesse. Schließlich sollen die Tiere nicht ihre genetische Eigenständigkeit verlieren. Um das zu verhindern, müssen die Experten allerdings erst einmal wissen, in welchen Populationen Hybridisierung überhaupt zum Problem werden könnte.

In Polen zum Beispiel sind immer mehr streunende Hunde in den Wäldern unterwegs, so dass die dortigen Wölfe häufiger in Versuchung geraten könnten. "Wenn ein Weibchen seinen eigentlichen Partner zum Beispiel durch Wilderei verloren hat, lässt es sich dort vielleicht doch einmal mit einem Hund ein", sagt Annette Spangenberg. Sie arbeitet für die Naturschutzstiftung Euronatur in Radolfzell am Bodensee, die sich gemeinsam mit ihrer polnischen Partnerorganisation Association for Nature (AfN) WOLF für den Schutz der dortigen Raubtiere einsetzt.

Derzeit ist den Experten nur ein einziger Fall bekannt, in dem es im Westen des Landes tatsächlich zu einer Hybridisierung gekommen ist. "Bisher ist das bei uns also noch kein großes Problem", sagt Sabina Nowak von AfN WOLF. "Es kann aber eins werden." Sie und ihre Kollegen bauen daher gerade ein Netz von Fotofallen in Zentral- und Westpolen auf. Sie haben Erfahrung genug, um auf den Bildern und Videosequenzen mögliche Kreuzungen erkennen zu können. Zusätzlich untersuchen ihre Kollegen vom Institut für Genetik der Universität Warschau auch das Erbgut aus Kotproben und dem Gewebe von überfahrenen Tieren. So hoffen die Wolfsschützer, eventuelle Hybriden rechtzeitig entdecken und einfangen zu können. Bevor diese ihre Spuren im Erbgut ihrer wilden Verwandten hinterlassen. Oder Stoff für weitere Gruselgeschichten liefern.

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